Читать книгу Das dritte Opfer - Fredrik Skagen - Страница 5

Die Wut

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hatte sein Gesicht kreideweiß werden lassen. Er war sich darüber im Klaren, doch dies war einer der äußerst seltenen Augenblicke, in denen er die Beherrschung verlor.

Ob Beate etwas von seiner Erregung gespürt hatte? Wohl kaum. Gott sei Dank ahnte sie nicht, wie vielen Schönheiten er schon den Laufpass gegeben hatte. Ihr gegenüber war es leicht, die Fassung zu bewahren, denn Beate brachte ihn dazu, sich zu entspannen und von seiner besten Seite zu zeigen. Mit keiner Frau hatte er es länger ausgehalten als mit ihr, und so sollte es weitergehen, zumindest solange er keine fand, die ihm noch besser gefiel.

Seine Kindheit hatte ihn gelehrt, Niederlagen einzustecken und mit der Zeit in seinen eigenen Vorteil umzumünzen. Das war eine harte Lektion gewesen. Im Sportunterricht beispielsweise, wenn die Angeber, die das Sagen hatten, abwechselnd ihre Mitspieler auswählten, konnte er im Voraus sagen, wer als Letzter übrig bleiben würde – der ausgemachte Versager, den niemand haben wollte. Ständig stand er im Weg; in einzelnen Sportarten gelang es ihm, das Spiel seiner gesamten Mannschaft zu zerstören. Und das Wissen darum war beinahe das Schlimmste.

Es stimmte schon, er war ein Tollpatsch gewesen, obwohl er einen durchaus athletischen Eindruck machte. Hatte jedes Mal den Ball verloren, wenn er zufällig bei ihm gelandet war, und war rot angelaufen, wenn er ihn verspielte und dem Gegner damit eine neue Chance eröffnete. Stoffel hatten sie ihn genannt, weil er allzu oft über seine eigenen Füße stolperte und der Länge nach hinstürzte. Linkischer und unbeholfener als Stoffel konnte man einfach nicht sein. Er war der größte Hanswurst der gesamten Schule. Die Mädchen aus der Parallelklasse wussten dies und zogen ihn auf. Sogar die Lehrer tuschelten über ihn. Er hörte es und sah es ihnen an.

Aber es war doch schließlich nicht seine Schuld, dass er so geboren war!

Die Demütigung trieb ihm Tränen in die Augen. Er drehte sich um und schlich in die Umkleidekabine. Doch in der Hitze des Gefechts bemerkten die anderen nicht einmal das. Er war einfach Luft für sie, ein vollkommen überflüssiges Wesen, dessen Existenz kaum zu rechtfertigen war. Das Allerschlimmste jedoch war die Verachtung der Mädchen.

Erst später begriff er, worum es eigentlich ging, welche Kniffe er anwenden musste, um sich zu behaupten, obwohl sich der Erfolg anfangs in Grenzen hielt. Entscheidende Stichwörter waren Selbstdisziplin, Abgeklärtheit, Geduld. Einige Tricks hatte er sogar in der Schule, im Biologieunterricht gelernt. Gewisse Auswahlkriterien spielten in der Natur eine entscheidende Rolle. Natürliche Selektion. Alles war eine Frage der Anpassung, der optimalen Ausnutzung angeborener Vorteile, wie Darwin erklärt hatte.

Denn niemand konnte in Abrede stellen, dass er gut aussah und zudem einen Verstand besaß, der den meisten anderen überlegen war. Mit der Zeit überspielte er die körperlichen Defizite, begann heimlich die blitzschnellen Bewegungen eines Kampfsports zu trainieren. Er schloss sich einer Laienspielgruppe an und belegte einen Kurs in Imitation und Parodie. Doch vor allem nutzte er seine hohe Intelligenz, las Romane, ging ins Kino und vergegenwärtigte sich, wie wichtig es war, seinen angeborenen Charme richtig einzusetzen. Schlagfertigkeit und Einfallsreichtum kamen immer gut an. Selbst aus der eigenen Ungeschicklichkeit beim Ballsport ließ sich Kapital schlagen, wenn man sowohl sich selbst als auch das Spiel nicht so ernst nahm. Bei den Mädchen hatte diese Taktik durchschlagenden Erfolg, und mit der Zeit wurde es das reinste Spiel für ihn, sie ins Bett zu kriegen. Als er sich nach Beendigung der Schule anderen Kreisen anschloss, gab es niemand mehr, der ihn Stoffel nannte.

Sein Ziel war die absolute Perfektion, der er sich immer mehr annäherte. Bei der Arbeit betrachtete er dies ohnehin als Selbstverständlichkeit. Im zwischenmenschlichen Bereich hingegen erforderte es ein besonderes Maß an Konzentration. Wollte man im Leben Erfolg haben, mussten die Basisfertigkeiten nicht nur gepflegt, sondern kontinuierlich weiterentwickelt werden, und erste Voraussetzung für ein Gelingen war die Entwicklung des ästhetischen Gespürs. Der Sinn für das Schöne, Harmonische und Vollkommene musste bewusst gefördert werden, ebenso das Interesse für bildende Kunst, Literatur und Musik. Wollte man beliebt sein – eine unabdingbare Voraussetzung für den Aufstieg an die Spitze –, durfte man sein Äußeres nicht vernachlässigen. Ein attraktives, makelloses Aussehen, einhergehend mit untadeligem Benehmen, war von entscheidender Bedeutung. Ein perfekt sitzender Anzug zu jeder Zeit ein Muss. Es verlangte viel Selbstdisziplin, im Privat- und Berufsleben stets auf natürliche Weise im Mittelpunkt zu stehen. Details wie Krawatte, blank geputzte Schuhe und penible Körperhygiene waren Kleinigkeiten, die den Gesamteindruck komplettierten und eine Lebensart verrieten, die Bewunderern beiderlei Geschlechts als vorbildlich erscheinen musste. Seine gelassene Unangreifbarkeit trug zweifellos zu seinem Erfolg bei. Die Entfernung feiner Härchen in den Ohren sowie die Pflege der Nagelbetten waren letzte Finessen. Eitelkeit? Pedanterie? Nein. Vollkommenheit.

Dann die kleinen Aufmerksamkeiten, vor allem zu Beginn. Für nichts waren Frauen empfänglicher, als für wohl überlegte, scheinbar spontane Komplimente, das erfuhr er tagtäglich. Er war es gewohnt zu gewinnen, und zwar am laufenden Band. Die Kunst bestand darin, seine Vorteile richtig einzusetzen und sich bietende Gelegenheiten zu nutzen. Was er viele Jahre hindurch getan hatte. The survival of the fittest.

Und jetzt das!

Die unangenehme Erinnerung an die Geschehnisse vor elf Monaten, an seine einzige schmerzliche Niederlage als Erwachsener, die er so chevaleresk hingenommen hatte, obwohl seine Wangen vor Hass und Scham brannten. Er war sich seines Sieges so sicher gewesen, dass er Beate beinahe den Laufpass gegeben hätte. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Die neue Frau zu erobern, hatte sich als ebenso unmöglich erwiesen, wie einst ein As beim Sportunterricht zu sein. Es dauerte nicht lange, bis er begriff, dass auch kein anderer ihr das Wasser reichen konnte, und schließlich gab er es auf. Er hatte sie fast aus seinem Bewusstsein verdrängt. Bis zu diesem Moment.

Das neue Jahrtausend, die verheißungsvolle Zukunft, die gerade erst begonnen hatte, war im Augenblick des Wiedersehens zunichte geworden. Das schönste und unnahbarste Geschöpf auf Erden hatte die Frechheit besessen, in den besitzergreifenden Armen eines fremden Mannes an seinem Haus vorüberzugehen!

Aus seinem Gesicht wich alle Farbe, weil er die Zähne so hart zusammenbiss, dass sein Kiefer schmerzte. Natürlich wollte er ihr eine faire Chance geben, sie um eine Erklärung bitten, sie anrufen, damit sie ihm sagen konnte, dass alles nur ein Missverständnis sei und sie es eigentlich verabscheue, von solch einem Kerl belästigt zu werden. Er würde ihr großherzig verzeihen, sich vielleicht sogar selbst ins Spiel bringen, ihr signalisieren, dass er immer noch bereit war, Beate wegen ihr zu verlassen. Oder sollte er mit beiden gleichzeitig ein Verhältnis haben?

Doch andernfalls, wenn sich wider Erwarten zeigen sollte, dass sie sich – zum ersten Mal – einen Liebhaber genommen hatte, dann gab es nur eins: Rache! Welcher Art diese sein sollte, war ihm noch nicht klar, doch zweifelte er nicht einen Augenblick, dass es einem Mann mit seinen geistigen Fähigkeiten gelingen sollte, einen perfekten Plan zu ersinnen. Alles andere wäre eine schmähliche Niederlage, die er nicht würde ertragen können.

Wenn Beate nur nicht merkte, wie viel Kraft ihn das kostete!

Das dritte Opfer

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