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2. Die Suche nach dem Guten

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Handeln aber ist das willentliche Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu einer Gesellschaft, Gemeinschaft und dementsprechend zur Wirtschaft und zu den Unternehmen. Handeln ist des Näheren das willentliche Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu meiner erfahrbaren Lebenswirklichkeit, durch Umsetzung eines selbst gewollten oder auch gesollten Zweckes. Handeln ist daher immer mehr als das bloße Tun, als eine Tätigkeit auszuführen und diese zu verrichten.

Da der Mensch aber handelnd in seiner Familie und in seinem Freundes-und Bekanntenkreis, in seiner Gesellschaft und Gemeinschaft, in seiner Firma, in seinem Unternehmen oder in seiner Institution anwesend ist, stellt sich ihm immer wieder die Frage nach dem richtigen Handeln. Diese Frage kann jedoch nicht ständig in grundsätzlicher Weise bedacht werden, dazu fehlt schlicht die Lebenszeit. Hier gilt: ars longa, vita brevis. Der Mensch muss aufgrund seiner Lebendigkeit nämlich handeln, oft hier und jetzt. Dennoch aber wird der Mensch für sein Handeln in Verantwortung gestellt: von seiner Familie, von seiner Gesellschaft, von seiner Gemeinschaft, von seiner Organisation, von seiner Institution und auch von seinem Unternehmen. Und, was niemals übergangen werden darf: Der Mensch wird auch von sich selbst vor sich selbst in Verantwortung gestellt: Ich bin mir selbst verantwortlich. Diese Art der Verantwortung kann im guten Fall als Freundschaft mit sich selbst, im schlechten Fall als Feindschaft mit sich selbst beschrieben werden. Handeln aber ist und bleibt persönlich.

Als Kriterium und Maßstab dieser Bezogenheit von Handeln und Verantwortung hat sich in Europa über Jahrhunderte hinweg die kulturgeschichtlich erworbene christliche Religion erwiesen. Denn diese bildete das Fundament der unterschiedlichen europäischen Gesellschaften, Gemeinschaften, Familien oder auch Unternehmen. Das Christentum gab diesen beweglichen Größen einen verlässlichen Rahmen, der sie vor der Gefahr der gedanklichen Orientierungslosigkeit bewahrte. Das Christentum gewährte also Gewissheit und Verlässlichkeit in der Gestaltung des Lebens. Diese Gewissheitsüberlieferung der christlichen Wirklichkeitserschließung eröffnete den Menschen in ihrer Gemeinschaft das Erleben von „Normalität“, bezeichnete den common sense und klärte, was eine Gesellschaft, eine Gemeinschaft, eine Organisation, eine Institution, eine Familie und auch ein Unternehmen wirklich wollte, im Unterschied zu allem vordergründigen Wollen. Mittels dieses Fundamentes konnte dann auch ethisches Denken und Handeln erschlossen, konnten die jeweiligen Moralvorstellungen auf ihre Stimmigkeit hin befragt werden, und zwar so - das ist die spezielle Errungenschaft der evangelischen Wirklichkeitserschließung -, dass der Einzelne als Handelnder in Freiheit und Verantwortung vor Gott und den Menschen sein Leben persönlich gestalten und zudem wirtschaftlich organisieren konnte. Auf diese Weise wurde der Mensch als Person ein Mitarbeiter Gottes zur Gestaltung der Welt, wurde der Mensch als Person ein cooperator dei, wie Martin Luther in seiner Schrift: „Vom unfreien Willen“ ausführte. Als „freier Mitarbeiter Gottes“ aber blieb der Mensch als Handelnder an die allen gemeinsame Frage und Aufgabe der Ermöglichung eines guten Leben für alle verwiesen. Demgemäß blieben alle gesellschaftliche Bereiche in ihrer öffentlichen als auch privaten Dimension dieser Suche nach dem guten Leben verpflichtet. Zugleich aber war es dadurch offensichtlich, dass die Maximen des Willens beim Handeln nicht durch vordergründige, etwa gemeinschaftsschädigende, Interessen instrumentalisiert werden durften. Denn das Einrücken des Menschen in die Gewissheitsüberlieferung des christlichen Glaubens verhinderte die Ausdifferenzierung in verschiedene „Bereichsethiken“, weil eben immer derselbe Mensch in allen seinen Lebensbereichen als je verantwortlicher Mitarbeiter Gottes in der öffentlichen Ausweispflicht für sein Handeln stand.

Zwar gab es zweifelsohne verschiedene Aufgaben und darum auch verschiedene Pflichten der Handlungsorientierung, die auch vordergründig unterschiedliche Vorstellungen von je rechtem Handeln mit sich brachten. Aber hintergründig blieb immer die Anschauung bestehen, der Gesamtverantwortung des Menschen für sein Leben und Handeln - im wahrsten Sinne des Wortes - vor Gott und der Welt verpflichtet zu sein. Diese Gesamtverantwortung war keine Sache von Beliebigkeit, sondern war gefasst als Suche nach dem Guten, welches wiederum mit der Theologie gedanklich erschlossen wurde. Ethik nannte man diese reflektierte Suche nach dem Guten in Denken und Handeln. Konkret wurde diese Gesamtverantwortung des Menschen darin, dass jeder Mensch, kraft seiner genealogischen Abstammung, als wert- und qualitätsfreie, weil mit Würde ausgestatte Person zu achten war. Diese Würde stellte nun jeden Menschen in ein ethisch verantwortetes gegenseitiges Anerkennungsverhältnis, das jedem Menschen um seiner selbst willen einen menschenwürdigen Raum zum Leben garantierte, und das unabhängig von des Menschen Leistungsfähigkeit. Auf das Gesellschafts- und Arbeitsleben bezogen bedeutete dies, dass jeder Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten und geschlechtsspezifischen Fähigkeiten dem Gemeinwohl verpflichtet war, ein Gedanke, den Martin Luther mit dem bis heute prägenden Begriff des Berufes zum Ausdruck gebracht hat. So eröffnete der Beruf des Menschen zweierlei: Einmal die Verpflichtung, dem Gemeinwohl zu dienen, also mit seiner je möglichen Leistungskraft zu arbeiten. Ein Auswirkung dieser Einstellung ist heute noch in dem Artikel 14 unseres Grundgesetzes vorfindbar, wenn es heißt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Zum anderen aber fand der Mensch seine Würde eben nicht durch seine Arbeit gegeben, sondern durch seine Berufung als Geschöpf Gottes zur Lebensgestaltung und zur Arbeit, die er u. a. in der christlichen Handlungsanweisung des Betens und Arbeitens, des ora et labora, wiederfand. Der Mensch ist, so gesehen, eine Person, die sich in und mit ihrem Handeln dem Gesamtwohl ihrer Familie und Gemeinschaft, ihren Institutionen und ihrer Gesellschaft, ihrem Arbeitgeber und Unternehmen verpflichtet weiß. Und umgekehrt gilt hier zugleich, dass ihrerseits die Familie und Gemeinschaft, die Institutionen und Gesellschaft, die Arbeitgeber und Unternehmen ebenso in ethischer Verantwortung gegenüber dem möglichen Wohl der jeweiligen Personen stehen. Das freilich erfordert stets eine Beweglichkeit im Denken, das sich von der Suche nach dem Guten leiten lässt.

Denken und Führen

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