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6.
ОглавлениеDer Hang war steil. Mia begann zu schwitzen. Der Tag hatte verregnet begonnen, doch nun schien seit einer Stunde die Sonne und brachte die feuchten Äste und Zweige zum Glitzern. Es roch nach vermoderndem Laub. Hinter ihr keuchte André. Er war nie sehr sportlich gewesen, eher die typische Couchkartoffel. Vor Mia bahnten sich die langen Beine eines Polizisten den Weg, der sich als Chef der Mordkommission Harald Eyrich vorgestellt hatte. Ein groß gewachsener, drahtiger Mann mit kurzen blonden Haaren, aber auffallend langen Koteletten. Ganz am Ende ging Hanne Schuster. Auf der Fahrt durch das Ellertal hatte Mia die meiste Zeit geschwiegen und mit verhangenem Blick aus dem Beifahrerfenster geblickt.
»Hier wurden Fichten gefällt, die durch die Trockenheit der letzten beiden Sommer abgestorben sind.« Eyrich blieb stehen und deutete in den Wald hinein, wo vereinzelt Baumstümpfe zu sehen waren. ».Dabei haben die Waldarbeiter den Schädel gefunden.«
Weder Mia noch André hatten zu fragen gewagt, es war auch so klar genug: Eyrichs Anwesenheit in diesem Wald bedeutete, dass Monika Böhmes Fall von der Vermisstenabteilung zur Mordkommission gewechselt hatte. Jemand hatte Monika ermordet. Mia biss sich auf die Lippen. Jetzt war es amtlich.
In diesem Wald? Was hatte Monika hier gesucht? Sie war ganz bestimmt kein Mensch gewesen, der freiwillig mit Rucksack und Wanderschuhen durch das Gestrüpp gestreift wäre. Monika war der Typ, der es sich im Café gemütlich machte, um Zeitung zu lesen oder einfach Löcher in die Luft zu gucken.
»Dass es keine anderen menschlichen Überreste in dem Gebiet gibt, muss zunächst einmal nichts heißen. Ihre Frau«, Eyrich sah André offen an, »starb vor elf Jahren. Tierverbiss ist bereits in einem kürzeren Zeitraum ein Thema.«
Obwohl ihr Eyrichs Direktheit einen Schauder über den Rücken jagte, war Mia dankbar, dass er nicht groß um das Furchtbare herumredete.
»Ist es noch weit?«, ächzte André.
»Nur ein paar Minuten.« Eyrich marschierte weiter.
Der dicht bewaldete Hang links fiel steil ab. Felsbrocken lagen im Laub, Totholz hatte sich daran verkeilt. Ein Eichhörnchen flitzte vorbei, Mia verlor es rasch aus den Augen. An manchen Stellen wagten sich Schneeglöckchen und Märzveilchen ans Tageslicht. Rechts neben dem Fußweg erkannte Mia die Spuren eines schweren Fahrzeugs. Wahrscheinlich der Traktor der Waldarbeiter. Regenwasser hatte sich in den Furchen gesammelt. Mia zog die Jacke aus und lockerte ihren Schal. Wartete auf André, der zurückgefallen war. Er warf ihr einen dankbaren Blick zu.
»Bist du okay?«, fragte sie halblaut.
Er zuckte die Achseln.
»Und du?«
»Geht schon.«
Sie stapften weiter. Wenig später sah Mia das rot-weiße Absperrband.
»Das Gebiet ist gestern weiträumig abgesucht worden«, erläuterte Eyrich, während er das Band anhob und die anderen hindurchschlüpfen ließ. »Außer dem Schädel gab es keine brauchbaren Spuren.«
»Ist sie hier umgebracht worden?« Außer Atem sah André sich um. Sie hatten eine Art Plateau erreicht, der Hang zur Linken fiel nun fast senkrecht ab. Ein paar Sträucher krallten sich daran fest.
»Um das mit Sicherheit sagen zu können, ist zu viel Zeit vergangen.« Eyrich streckte den Arm aus. »Bitte, nur noch ein paar Schritte.«
Eine Markierung steckte im Boden.
»Hier lag der Schädel.«
Mia biss sich auf die Lippen. Es klang so normal. Da liegt ein Schädel. Na gut, kann passieren. Doch statt schockiert und traurig fühlte sie sich einfach nur wütend.
»Wenn wir nur wüssten, was genau passiert ist«, flüsterte sie.
»Das wird Gegenstand der Ermittlungen sein«, erwiderte Hanne Schuster. Ihre Stimme klang weich und rauchig. »Wir tun unser Möglichstes.«
»Elf Jahre … mein Gott, Monika!« André verbarg sein Gesicht in den Händen.
Mia machte einen Schritt auf ihn zu.
»Ich bin da«, sagte sie leise.
Er mochte es nicht, berührt zu werden, wenn er extrem aufgewühlt war. Aber der Klang ihrer Stimme drang zu ihm durch.
»Danke«, wisperte er.