Читать книгу Osterläuten - Friederike Schmöe - Страница 6
Prolog
ОглавлениеSie rannte. Ihre Füße hämmerten auf den Asphalt.
Er war nicht so fit wie sie, besaß aber eindeutig die längeren Beine. Sie hielt nach rechts, überquerte den menschenleeren Parkplatz. Nur eine einzige Laterne verstreute ihr gelbliches Licht, das ab und zu flackernd erlosch, um kurz darauf wieder aufzuleuchten. Sie lief in den Wald.
Hatte er ihren Kurswechsel mitbekommen?
Der Waldweg war uneben und matschig, voller Wurzeln. Wenn sie stürzte, wäre das ihr Todesurteil. Er würde nicht zögern, sie umzubringen. So wie er anscheinend nie gezögert hatte, wenn es eng wurde für ihn.
Tatsächlich kannte er sich mit einsamen Stellen in Wäldern aus.
Stockfinster hockte die Nacht über ihr, vor ihr, neben ihr. Sie hörte seinen Atem hinter sich.
»Warte doch!« Seine Stimme, brutal nah.
Alles, nur das nicht. Der Weg machte eine Biegung. Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Sie duckte sich. Weiter!
Er besaß mehr Kondition, als sie gedacht hatte. Sie strauchelte. Fing sich. Rannte.
Hinter sich hörte sie einen Schmerzensschrei. Der Wald lichtete sich. Ausgerechnet jetzt gaben die Wolken den Mond frei. Silbern schien er auf die Lichtung, zwei Bänke standen da, eine morsche Holzfigur. Rechts lag der steile Hang, der rettende Weg zurück in die Stadt. Quer über die Wiese, sie lief, stolperte, stürzte, rollte sich ab, stechender Schmerz im Knie, sie kullerte zehn, 20 Meter die Steigung hinunter. Rappelte sich auf. Das Knie!
Er war da. Irgendwo, nahe. Sie konnte seine Anwesenheit spüren. Flog beinahe über die Wiese, bis sie wieder einen Weg erreichte.
Kein Mond mehr, alles still und dunkel. Keine Schritte hinter ihr. Sie keuchte, fiel in einen langsamen Trab. Wo war er? Er würde nicht aufgeben. Nicht jetzt. Wo es um alles für ihn ging. Ihre Lungen schmerzten. Der Weg war steinig, auf dem Kies geriet sie ins Rutschen, rechts gurgelte ein Bach.
Und weit unten, in der Stadt, begann eine Glocke zu läuten.
Eine Hand berührte sie an der Schulter.
»Warte!«
Sie roch seinen säuerlichen Atem, hörte, wie er nach Luft rang. Sein Griff war fest, die Finger krallten sich in ihre Jacke.
»Nein!« Sie riss sich los. Rannte. Das schmerzende Knie gab kurz nach. Sie lief, nicht hier sterben, in der Einsamkeit.
»Jetzt warte doch!« Irgendwie musste er Kraft gesammelt haben, kam wieder näher. Griff nach ihrer Jacke. Sie ließ sie von den Schultern gleiten, nutzte den Moment der Überraschung, als er stehen blieb, verblüfft. Ein Vorsprung, knapp.
»Lass mich!«, schrie sie. Unnötigerweise, sie brauchte all ihren Atem, aber sie schrie um Hilfe, hörte ihre eigene Stimme, dann seine, seine Schritte auf dem Kies, sie rutschte aus, fing sich, rannte.
Sie würde es nicht schaffen. Er hatte zu viel zu verlieren. Er würde nicht lockerlassen. Er hatte Kraft. Mehr als sie. Er würde sie einholen.
Aber ich habe auch was zu verlieren! Mein Leben!