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7.

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»André braucht noch ein bisschen Zeit.« Mia rutschte unruhig auf dem Stuhl vor Kommissar Eyrichs Schreibtisch herum. Dort stand der gleiche Teller mit Ostereiern wie auf Hanne Schusters Fensterbank. Allerdings gab es hier keine Kräuter.

»Das ist mehr als verständlich. Wenn Sie nichts dagegen haben, stelle ich Ihnen ein paar Fragen zum Tag von Monika Böhmes Verschwinden.«

Also begann es von vorn. Mia unterdrückte ein Stöhnen. Die Polizei hatte alles in den Akten, was ihr Gedächtnis damals hergegeben hatte. Mehr war da nicht.

»Ich bin mir bewusst, dass elf Jahre eine lange Zeit sind«, fuhr Eyrich fort.

Mia meinte, so etwas wie Mitgefühl in seinen Augen zu sehen.

»Allerdings spielt die Zeit einem Ermittler manchmal in die Hände. Menschen sehen Dinge anders, gewichten sie differenzierter als zu dem Zeitpunkt, an dem das Verbrechen geschah.«

»Ich mache mir Sorgen!«, platzte Mia heraus. »Wurde sie am Tag ihres Verschwindens umgebracht? Oder hat jemand sie über längere Zeit festgehalten? Solche Sachen gibt es doch, oder?«

»Der pathologische Befund sagt uns, dass sie bereits seit mehr als zehn Jahren tot sein muss. Natürlich kann man nichts ausschließen. Bisher allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass jemand sie gefangen gehalten hat. Wir müssen ganz von vorn anfangen.« Eyrich legte die Hand auf einen Stapel Papiere. »Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ein Durchbruch wäre am wahrschein­lichsten, wenn wir einen neuen Zeugen oder neue Beweise gegen eine bestimmte Person auftreiben könnten.«

»Aber niemand stand damals wirklich unter Verdacht!«

»Sie waren 18 und wohnten mit Ihren Eltern in unmittelbarer Nachbarschaft der Böhmes?« Eyrich schlug eine Akte auf.

»Ja. Ich stand kurz vor dem Abitur.«

»Ihre Eltern, Simone und Carsten Wagner, waren mit den Böhmes befreundet?«

»Schon lange. Schon bevor Monika und André ins Nachbarhaus zogen.«

Eyrich machte sich einen Vermerk.

»Welchen Eindruck hatten Sie damals von der Ehe der Böhmes?«

Mia strich sich das Haar aus der Stirn. Du liebe Zeit, jetzt ging das wieder los. Die Ermittlungen hatten sich festgefahren. André hatte als Hauptverdächtiger gegolten, allerdings war diese Spur bald fallen gelassen worden. Tatsächlich schien nichts absurder als der Gedanke, dass André seine Frau umgebracht haben könnte.

»Sie waren ein Herz und eine Seele.«

»André Böhme gab seinerzeit zu Protokoll, dass er seine Frau selten sah. Aus beruflichen Gründen.«

»Er hatte ein Restaurant übernommen und arbeitete bis in den späten Abend, und Monika als Architektin hatte tagsüber zu tun und musste früh raus.«

»Das muss frustrierend gewesen sein.«

Mia dachte an Andrés Gewissensbisse. Die heute so harsch schienen wie damals: »Ich hatte keine Zeit mehr für Monika. Wir haben uns praktisch nicht mehr gesehen.«

»Monika war eine Zeit lang arbeitslos und jobbte nur freiberuflich. Sie suchte dringend eine Festanstellung und war froh, als sie die endlich hatte. Sie hätte diesen Beruf nicht freiwillig aufgegeben.«

»Und Herr Böhme?«

»Er liebte das Restaurant. Es war sein Traum.«

»Nach dem Verschwinden seiner Frau hat er es verkauft.«

Mia zuckte die Achseln. »Er war völlig fertig und konnte nicht mehr so viel schuften.«

Eyrich nickte.

»Sie scheinen gut befreundet mit Herrn Böhme.«

»Ich war mit Monika befreundet. Wir haben uns gut verstanden, und sie hat mir viel geholfen. Als ich mich für ein Studium interessierte und nicht wusste, ob es das Richtige für mich ist, haben wir stundenlang diskutiert. Über Gott und die Welt.«

»Was haben Sie denn studiert?« Eyrich betrachtete sie ehrlich interessiert. Seine blauen Augen schienen Mia ausgerechnet jetzt zum ersten Mal richtig anzusehen.

»Kunstgeschichte und Ethnologie.«

Die brotlosen Fächer, die nur echte Idealisten anstreben.

»In Bamberg ist Kunstgeschichte ja beinahe ein Muss. Bei der Historie!« Er lächelte. Zum ersten Mal. Wahrscheinlich hatte er in der Mordkommission nicht viel zu lächeln.

»Das liegt nahe. Im Moment habe ich allerdings keinen Job. Ich habe darüber nachgedacht, eine Lehre als Restauratorin anzuhängen. Für die praktische Seite.«

Und weil ich sonst nichts zu tun habe.

»Was hält Sie davon ab?«

»Nichts«, entgegnete Mia kurz angebunden. »Ich bin gerade dabei, alles zu organisieren.« Ihre persönliche Misere ging den Kommissar nichts an.

»Herr Böhme war am Tag, als seine Frau verschwand, vormittags mit seinem Beikoch auf dem Großmarkt und danach im Restaurant.«

Ich weiß, dachte Mia. Das perfekte Alibi. Als hätte André Monika jemals Schaden zufügen können. Er hat sie auf Händen getragen.

»Aus dem Protokoll geht hervor, dass er, nachdem er nach Hause kam und seine Frau nicht vorfand, bei Ihren Eltern klingelte. Obwohl es sehr spät war.«

»Ja. Ich schlief schon. Es war nach Mitternacht.« Mia fror plötzlich.

»Ihre Eltern haben eine Zahnarztpraxis.«

»Genau.«

Muss ich wirklich jedes Detail bestätigen?

»Sie wurden wach, als Herr Böhme kam, nicht wahr?«

Mia schwieg.

»Bitte schildern Sie mir, woran Sie sich entsinnen.«

Als könnte jemand so einen Moment vergessen. Andrés Stimme, die sie aus dem Schlaf gerissen hatte. »Monika ist weg!« Seine Verzweiflung, die rasch in lautes Weinen überging. Er war völlig aus dem Häuschen.

Die Erinnerung an jene Nacht erwischte Mia kalt. Sie hoffte, ihre Stimme würde nicht zittern, als sie sagte:

»André stand total unter Schock. Kam heim, Monika war nicht da. Er dachte, sie würde schlafen, deswegen war er ganz leise reingegangen und hatte erwartet, sie im Schlafzimmer zu finden. Das war leer, das Bett gemacht, nirgends auch nur eine Spur von ihr.«

»Fiel ihm nicht auf, dass ihr Auto nicht da war?«

»Die Böhmes wollten damals ein Carport bauen. Monika hatte es geplant. Die entsprechende Stelle war schon betoniert. Solange sie ihre Autos nicht auf das Grundstück fahren konnten, parkten sie an der Straße. Das klappte nicht immer vor der Haustür, weil eben viele Anwohner ihre Autos am Gehsteig abstellen.«

Ich klinge wie auswendig gelernt.

»Fahren Sie fort.«

»André war aufgeregt, sprach laut, weinte. Davon wachte ich auf. Als ich hörte, worüber er und meine Eltern sprachen, rannte ich runter zu ihnen. André packte mich an den Schultern und fragte mich, ob ich wüsste, wo Monika wäre. Ich hatte keine Ahnung.«

»Ich nehme an, Sie haben sich mittlerweile oft gefragt, ob Frau Böhme Ihnen nicht doch einen Anhaltspunkt gegeben hat, was sie an jenem Tag vorhatte?«

»Ich habe mich Millionen Mal genau das gefragt. Ich weiß es nicht.« Mia starrte auf ihre Hände, die verkrampft auf ihrem Schoß lagen. Ihr Handy klingelte. Sie ignorierte es.

»Gehen Sie ruhig ran.«

Genervt kramte Mia es aus der Jackentasche.

»Hallo?«

»Lars hier. Du wolltest doch den Schrank anschauen?«

Dieser beknackte Schrank.

»Es ist was dazwischengekommen. Können wir das auf später verschieben?«

»Ich habe dir ja gesagt, es interessieren sich mehrere Leute dafür.«

Ein Kleiderschrank für 30 Euro, kaum gebraucht. Ihre Sachen lagerten seit Monaten in Kartons. Sie hatte kein Einkommen. Zumindest keines, das man so nennen könnte.

»Hör mal, ich habe gerade einen wichtigen Termin. Ich schaue später vorbei, in Ordnung?«

»Wie du willst, aber wenn das Teil dann weg ist …«

Mia legte auf.

Eyrich betrachtete sie nachdenklich.

»Ich habe auf eine Kleinanzeige geantwortet. Es geht um einen Schrank.« Sie steckte das Smartphone weg.

»Was geschah noch an jenem Abend?«

»Wir gingen mit André zu ihm rüber. Dabei fiel uns auf, dass Monikas Handy auf dem Nachttisch lag. Ausgeschaltet. Vielleicht war auch der Akku leer.«

Eyrich starrte in seine Unterlagen.

»War das ungewöhnlich? Dass sie ihr Handy zu Hause ließ, wenn sie wegfuhr?«

»Eventuell brach sie kurz entschlossen oder in Eile auf. Es stellte sich raus, dass sie sich den Nachmittag spontan freigenommen hatte.«

Eyrich nickte. »Könnte sein.«

»Sie war ein bisschen schusselig. Verlegte öfter ihren Schlüssel. Verwechselte Termine. Manchmal trug sie zwei verschiedene Socken. Rot und rosa. Oder so.«

»Ein sympathischer Zug.«

Sie sehen mir nicht so aus, als wenn Ihnen das passieren würde, dachte Mia. Der Mann war akkurat gekleidet. Edeljeans, Hemd, Pullunder. Nur an seinen Budapestern klebte noch Laub vom Wald.

»Nehmen Sie es mir nicht übel«, fuhr er fort. »Monika Böhme war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 34 Jahre alt. Sie waren 18. Eine ungewöhnliche Konstellation für eine so enge Freundschaft.«

»Warum?« Mia fragte nur pro forma. Auf dem Altersunterschied war die Polizei damals schon herumgeritten.

Eyrich hob die rechte Hand, als wollte er sich entschuldigen. »Nun, junge Menschen treffen sich doch eher mit Leuten ihrer Altersgruppe.«

»Das heißt ja nicht, dass ich keine anderen Freunde in meinem Alter hatte. Aber ich mochte Monika sehr, und wir haben uns einfach gut verstanden. Ich konnte ihr alle meine Sorgen erzählen. Zum Beispiel, dass ich mit Mathe auf Kriegsfuß stand. Monika hat mir oft geholfen, sie war ein Mathe-Crack.«

Womöglich schluckte der Kommissar eine praktische Erklärung besser als das, was Mia damals so glücklich gemacht hatte: eine Freundin zu finden, der sie durch und durch vertraute und die nicht so oberflächlich war wie die Mädchen in Mias Schule, sondern eine Frau mit Reife und Tiefgang, die aber nicht die Härte und Autorität ihrer Mutter ausstrahlte.

Ich muss ihren Mörder finden. Es gibt nichts, was ich sonst für sie tun kann.

»Bevor die Böhmes in Ihre Nachbarschaft zogen, kannten Sie die Eheleute bereits?«

Das hatte er vorhin schon gefragt.

»Ja, meine Eltern und die Böhmes waren befreundet.«

»Aber Ihre enge Beziehung zu Monika begann erst, als die Böhmes nebenan wohnten?«

»Das stimmt«, antwortete Mia.

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