Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 18

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Toni und Anna kurvten in ihrem Geländewagen durch Kirchwalden.

»Also, wenn wir jetzt net bald einen Parkplatz finden, dann fahren wir zum Leo und bitten ihn, unser Auto auf dem Hof des Bergwachtgeländes abstellen zu dürfen. Des ist ja grauselig mit dem Verkehr heute!«

Toni bog in die nächste Gasse ein.

»Schau, Toni, dort hinten ist ein Parkplatz!«, sagte Anna.

»Des ist gut! Mei, so viel Verkehr habe ich in Kirchwalden schon lange nimmer erlebt. Der Parkplatz liegt ideal am Rande der Altstadt. Von hier aus ist es net weit in den kleinen Schmuckladen. Wenn wir beim Leo geparkt hätten, wär’s ein ganzes Stück Weg weiter gewesen.«

Toni parkte ein, sie stiegen aus.

»Wenn ich mir die vielen Leute ansehe, dann bin ich für unser Leben doppelt dankbar, Toni. So ein Trubel mit den Autos und den Fußgängern! Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in einer Stadt zu leben. Ich frage mich, wie ich das früher ausgehalten habe.«

»Du hast nichts anderes gekannt, Anna. Und von den Vorzügen eines ruhigen Lebens in den Bergen hast net einmal geträumt.«

»Das stimmt! Doch jetzt bin ich sehr glücklich.«

Hand in Hand gingen Toni und Anna durch die enge Gasse. Sie fanden den Laden. In dem kleinen Schaufenster lagen Schmuckstücke aus. Daneben war die Ladentür. Eine altmodische Glocke bimmelte über der Tür, als sie eintraten. Ein alter Mann in einem weißen Kittel kam hinter einem Vorhang hervor, offensichtlich lag dahinter eine kleine Werkstatt.

»Grüß Gott, die Herrschaften«, grüßte er freundlich.

Toni und Anna lächelten ihm zu und begrüßten ihn.

»Wir würden gerne den Inhaber sprechen.«

»Der steht vor Ihnen, Ferdinand Unterholzer!«

Toni und Anna schauten sich an. Toni nahm vier braune Umschläge aus der Tasche und legte sie auf die Ladentheke.

»Es wird wohl das Beste sein, wenn wir Ihnen des ein bisserl ausführlicher erklären. Unsere Namen sind Anna und Toni Baumberger. Wir haben hoch über Waldkogel die Berghütte. Zur Familie gehören zwei Kinder, der Sebastian und die Franziska.«

Toni griff in die Tasche und legte ein Bild auf die Theke. Es zeigte Toni, Anna und die Kinder auf der Terrasse der Berghütte.

Der Ladeninhaber sah Toni etwa verwundert an, hörte aber weiter geduldig zu.

»Schauen Sie hier – die Umschläge! Sie sind alle an unsere kleine Franzi adressiert.«

»Was haben diese Briefe mit mir und mit meinem Laden zu tun?«

»Es ist nur so ein Gedanke von uns, eine Idee. Wir hoffen, mit Ihrer Hilfe vielleicht den Absender herauszubekommen. Sehen Sie, auf den Umschlägen steht kein Absender. Es liegen nur Zettel dabei. Die Anhänger, die als Geschenke für unser Madl gedacht sind, die sind in so kleinen Kästchen, wie Sie sie verwenden. Kurz, wir suchen nach dem Absender.«

Anna holte aus jedem Umschlag den Inhalt hervor und legte ihn auf die braunen Umschläge.

»Ja, solche kleinen Kästen verwende ich! Die können aus meinem Laden stammen. Kann ich mir den Inhalt ansehen?«

»Sicher!«

Herr Unterholzer schaute sich die kleinen Anhänger der Reihe nach an. Es waren ein Schornsteinfeger, ein Hufeisen, ein Herz und ein Glückskleeblatt.

»Solche Anhänger kaufe ich ein. Da bin ich nicht der Einzige. Es gibt sie überall in Läden, die Schmuck verkaufen, auch in manchen Kaufhäusern kann man sie bekommen. Ich verkaufe sie ganz gut.«

Er lächelte.

»Das kommt vielleicht auch daher, dass ich sie in diese Kästchen einpacke. Dann sieht so ein kleines Geschenk gleich wertvoller aus.«

»Soll des heißen, dass die bei Ihnen gekauft worden sind?«, fragte Toni.

»Mit größter Wahrscheinlichkeit ja!«

Toni reichte ihm die kurzen Briefe, die bei jedem Präsent dabei lagen.

»Berni? Das kann auch eine Abkürzung sein. Leider kenne ich einen Großteil meiner Kundschaft nicht mit Namen. Weiß ihr Madl nicht, wer ihr die kleinen Geschenke zukommen lässt?«

»Naa! Wir haben unserer Franzi nix davon gesagt. Wir haben sie nur gefragt, ob sie einen Buben kennt, der Berni heißt. Des tut sie net. Es gibt in der Schule, in der Musikschule und unter den jungen Pferdenarren auf dem Reiterhof keinen Buben, der Berni heißt oder Berni gerufen wird. Wir sind beunruhigt, verstehen Sie?«

»Dass Sie beunruhigt sind, das verstehe ich. Ich habe Enkeltöchter im Alter Ihrer Franzi. Mir würde es nicht anders gehen. Heute muss man mehr auf die Kinder aufpassen als früher. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Das stimmt! Sie können uns also nicht weiterhelfen?«

»Wenn Sie erwartet haben, dass ich Ihnen einen Namen nennen könnte, dann muss ich sie leider enttäuschen. Und dass ich nicht so einfach über meine Kundschaft rede, das müssen sie auch verstehen. Zu mir kommen öfters einige junge Burschen, die solche Anhänger kaufen.«

»Siehst, Anna, wie ich dir gesagt habe. Der Bursche muss älter sein. Wir müssen aufpassen, Anna!«

»Langsam, langsam Toni!«

Anna legte beruhigt die Hand auf Tonis Unterarm.

»Toni, lass mich mal!«

Anna setzte ein zauberhaftes Lächeln auf. Sie holte eine Visitenkarte aus der Handtasche.

»Lieber Herr Unterholzer! Wir werden mit Sicherheit nichts gegen einen Ihrer Kunden unternehmen, wenn sich die Sache als harmlos herausstellt. Sie als wohlmeinender und besorgter Großvater verstehen doch auch, dass wir uns Sorgen machen. Franziska ist unsere Adoptivtochter. Wir haben das Madl und ihren älteren Bruder nach dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern bei uns aufgenommen und fest in unsere Herzen geschlossen. Die Franzi musste so viel Herzeleid erfahren, dass wir sie behüten wollen. Das verstehen sie sicherlich. Also, mein lieber Herr Unterholzer! Hier ist unsere Adresse. Das ist die Handynummer. Wenn Sie etwas erfahren, dann lassen Sie es uns bitte, bitte wissen. Ist das möglich?«

Ferdinand Unterholzer steckte die Visitenkarte in die Tasche seines Kittels.

»Ich werde Augen und Ohren offenhalten. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie sofort anrufe, wenn ich etwas erfahre. Jedenfalls scheint es so zu sein, dass der Absender immer bei mir in meinem Laden kauft. Wenn er hier schon vier Mal einen Anhänger gekauft hat, dann kauft er vielleicht auch einen fünften Anhänger. Möglich wäre es! Es gibt ja noch viele verschiedene Formen und Größen.«

Er lächelte und holte verschiedene Präsentationsschubladen herbei. Es gab Buchstaben, Tiermotive und andere Formen.

»Wann haben Sie den letzten Brief bekommen?«

»Das war vor zwei Wochen!«, sagte Anna. »Die Briefe kamen in Abständen von zwei oder drei Wochen.«

»Dann besteht doch eine gute Aussicht, dass der Käufer bald wiederkommt. Ich werde aufpassen.«

»Danke, dass Sie uns zugehört haben, Herr Unterholzer! Wir wissen, dass das ein ungewöhnliches Anliegen war.«

»Das verstehe ich doch, wenn ihr Madl zehn Jahre älter wäre, wäre es etwas anderes. Aber sie ist noch ein Kind.«

»Genau, Herr Unterholzer! Danke, nochmals vielen Dank! Und wenn Sie mal Lust und Freude daran haben, uns auf der Berghütte zu besuchen, dann sind sie unser Gast.«

»Früher bin ich oft in die Berge zum Wandern. Aber heute wollen die Beine nimmer so, das Alter, wissen Sie! Aber ich werde darüber nachdenken. Vielen Dank für Ihre Einladung!«

Toni und Anna verabschiedeten sich und verließen den Laden.

»Was meinst, Anna?«

»Ich denke, er kennt seine Kunden recht gut, Toni. Vielleicht hat er sogar einen Verdacht. So ein kleiner Laden, der hat wenig Kundschaft und wenn ein Kunde schon viermal da war, kann sich der Ladenbesitzer bestimmt beim nächsten Mal an ihn erinnern.«

»Ja, das denke ich auch, Anna! Wir müssen ihm etwas Zeit geben. Wir fahren ja mindestens zwei bis drei Mal im Monat zum Einkaufen nach Kirchwalden, dann schauen wir wieder bei ihm vorbei.«

»Das tun wir!«

Toni und Anna gingen zum Auto zurück. Sie legten die Briefumschläge in den Kofferraum und gingen einkaufen. Annas Liste für den Haushalt war lang.

*

Die Sonne schien von einem blauen Himmel.

»So, da wären wir!«, sagte der Lastwagenfahrer.

Tillmann Berg, der Till gerufen wurde, lächelte.

»Danke fürs Mitnehmen!«

»Es war mir ein Vergnügen. Die langen Fahrten sind oft etwas eintönig. So hatte ich etwas Unterhaltung. Ich wünsche dir eine gute Reise, Till. Bist schon ein verrückter Kerl! Wenn ich das meinen Kumpels erzähle, die werden mir das nicht glauben.«

»Dann behältst du es eben für dich! Ich wünsche dir gute Fahrt. Vielleicht sieht man sich wieder einmal.«

»Willst net meine Handynummer, Till?«

»Nein! Das wäre gegen meine Prinzipien. Ich habe mich von allem freigemacht und dabei bleibt es! Man sagt ja, man sieht sich im Leben immer zweimal. Also freue ich mich auf das nächste Zusammentreffen. Gute Fahrt!«

Die Männer schüttelten einander die Hand.

Tillmann kletterte aus der Fahrerkabine des Lastwagens. Er blieb auf dem Seitenstreifen stehen und schaute dem Transportfahrzeug nach, bis es um die Kurve verschwunden war. Der Fahrer hatte zum Abschied noch einmal die Hupe betätigt, obwohl das verboten war. Tillmann lächelte. Er hängte sich die Stofftasche um und schulterte den alten Rucksack mit dem Schlafsack, dem einen Paar alter Schuhe und den Socken.

Tillmann folgte der Landstraße, die nach Kirchwalden hineinführte. Bald kam er an eine Kreuzung. Er las den Ortsanzeiger und bog nach rechts ab. Die Straße führte bald aus dem Ort hinaus und schlängelte sich durch liebliche Felder und Wiesen. Tillmann blieb stehen und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.

Wie schnell man binnen eines Jahres die Kondition verliert, dachte er. Er wusste, dass die erste Woche der Wanderschaft immer die schlimmste war. Keiner zwang ihn dazu, er hatte es sich ausgesucht. Und er bekam etwas dafür: ein Gefühl der Freiheit und der Ungebundenheit. Diese Gefühle waren stärker als die Unannehmlichkeiten und entschädigten ihn für die Ungemach, die er sich bewusst selbst auferlegt hatte.

Als die ersten Häuser von Waldkogel zu sehen waren, beschleunigte er die Schritte. Er heftete seine Augen auf die Uhr am Kirchturm. Autos und Transporter fuhren an ihm vorbei. Eines fuhr so dicht vorbei, dass Tillmann genötigt war, sich blitzschnell in das hohe Gras neben der Straße zu werfen. Er war überzeugt, dass nur dieser mutige Hechtsprung ihn vor einem Unfall bewahrt hatte. Tillmann blieb einen Augenblick liegen und wartete ab, bis der Schmerz in seiner linken Hand nachließ. Blut schoss aus dem Handballen. Ein Stück Glas steckte darin.

»Dass die Leute auch ihre Flaschen aus dem Autofenster werfen müssen«, schimpfte er laut.

Tillmann biss die Zähne zusammen und zog sich die Glasscherbe heraus. Er hielt die Hand in die Luft, in der Hoffnung, dass die Blutung sich verringern würde. Nach einer Weile ließ sie auch nach. Tillmann wischte sich mit seinem Halstuch die Blutspuren am Unterarm ab und wickelte das Halstuch um die Hand. Es schmerzte. Er winkelte den Arm an und ging weiter.

Als er vor der Kirche ankam, ließ er sich erschöpft auf die Bank beim Brunnen fallen. Er kramte aus der Vortasche seines Rucksacks einen Blechbecher hervor und hielt ihn unter den Wasserstrahl. Er trank mehrere Becher Wasser. Danach fühlte er sich besser. Seine Hand schmerzte immer noch. Tillmann wickelte vorsichtig das Halstuch ab und besah sich die Wunde. Er überlegte, ob er sich Verbandszeug besorgen oder gar einen Arzt aufsuchen sollte. Er entschied sich, damit erst einmal zu warten. Ich bin gesund. Es ist ein glatter Schnitt und wird auch ohne Behandlung heilen. Die Wunde hat viel geblutet und Schmutz wird nicht mehr in ihr sein.

Tillmann wusch das Halstuch im Brunnen und säuberte seine Hände. Er breitete das Halstuch neben sich auf der Sitzbank in der Sonne aus. Bis die Sonne untergeht, wird es trocken sein, dachte er. Hunger hatte er keinen. Der freundliche Lastwagenfahrer hatte ihn zum Essen eingeladen.

Tillmann schloss die Augen. Er ruhte sich aus und ließ in Gedanken den Tag an sich vorüberziehen. Es war ein guter Tag gewesen, bis auf den Sturz in die Glasscherbe. Aber es hätte schlimmer sein können, tröstete sich Tillmann.

»Grüß Gott! Die Hand schaut aber net gut aus!«

Tillmann erschrak und riss die Augen auf. Er war doch tatsächlich etwas eingenickt.

»Grüß Gott! So schlimm ist es nicht!«

»Du musst zum Doktor!«

»Danke, es geht schon! Ich bin hart im Nehmen.«

Tillmann sah wie ihn der Geistliche von oben bis unten musterte und seinen Stoffbeutel und den alten Rucksack aufmerksam betrachtete.

»Dir ist es anzusehen, dass du hart im Nehmen bist. Bist wohl schon länger unterwegs, wie?«

»Wie man es nimmt, Herr Pfarrer? Was ist Zeit?«

»Ah, bist auch noch ein Philosoph!«

»Wenn Sie es sagen?«

»Wie heißt du denn?«

»Till, wie Till Eugenspiegel!«

»Nur Till, sonst nix?«

»Till, des genügt doch oder?«

»Schon, wenn du willst. Mein Name ist Heiner Zandler und ich bin hier in Waldkogel der Pfarrer. Des ist meine Kirche.«

»Ich bleibe nicht lange. Ich wollte mich nur etwas ausruhen und habe meine Hand gesäubert.«

»Ich vertreibe dich nicht! Warum sollte ich das tun?«

»Nun weil ich ein bisserl anders bin als die Touristen, die sonst herkommen, denke ich mir.«

»Ich schließe daraus, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast und kein Tourist bist.«

Tillmann warf dem Geistlichen einen Blick zu und schwieg.

»Hast du schon heute etwas gegessen?«, fragte Pfarrer Zandler.

»Ja!«

Der Geistliche musterte Till erneut. So schnell gab der Pfarrer nicht auf. Der junge Mann machte auf der einen Seite einen etwas verlotterten Eindruck. Auf der anderen Seite sah er nicht so aus, wie einer, der ständig auf der Straße lebt.

»Du bist auf der Wanderschaft, machst aber keinen Urlaub, wie? Sehe ich das richtig?«

»Irgendwie schon«, sagte Tillmann leise.

»Und wo kommst du her?«

»Von weit!«

»Und ein Ziel hast auch nicht?«

»Doch schon! Immer weiter und weiter!«

»Dann bist du ein Vagabund?«

»So können Sie das sehen! Sie brauchen keine Angst um ihre Kirchenschätze zu haben. Ich stehle nichts!«

»Hat man dich schon mal verdächtigt?«

»Vagabunden sind nicht gerade beliebt!«

Tillmann stand auf.

»Ich will dich wirklich nicht vertreiben! Da würde ich meiner Christenpflicht nicht nachkommen, im Gegenteil. Wenn du mit der Verletzung an der Hand keinen Arzt aufsuchen willst, dann nehme ich an, dass du nicht versichert bist.«

Tillmann schaute den Geistlichen nicht an und gab ihm keine Auskunft. Pfarrer Zandler wertete es als Zustimmung.

»Magst mit ins Pfarrhaus kommen, Till?«, fragte der Geistliche. »Kannst duschen, dich rasieren und meine Haushälterin macht dir einen Verband.«

»Danke für die Einladung. Doch ich komme schon klar! Es gibt Seen und Bäche!«

So ein sturer Kerl, dachte Pfarrer Zandler. Aber das Leben wird ihn dazu gemacht haben. Er ist zum Einzelgänger geworden.

»Mein Angebot steht. Da drüben ist das Pfarrhaus. Ich gehe dann schon mal voraus und rede mit meiner Haushälterin. Ich lehne die Haustür an. Überlege es dir!«

Tillmann schaute ihn an. Pfarrer Zandler lächelte.

»Höre zu, Till! Ich weiß, dass Burschen, wie du einer bist, ihr ganz eigene Auffassung vom Leben haben. Ich will dich nicht bekehren. Ich werde dir keine Predigt halten. Es ist dein Leben, das du so gewählt hast. Davor habe ich Achtung. Du hast dich für ein Leben als Vagabund entschieden und ich bin Priester geworden. Jeder tut das, was in glücklich macht. Und niemand hat das Recht über einen anderen Menschen zu urteilen. Also, überlege es dir!«

Tillmann seufzte.

»Gut, Sie haben mich überredet! Ich komme gleich nach!«

»Gut!« Pfarrer Zandler lächelte ihm zu und ging davon.

*

Helene Träutlein hatte Tillmann im Badezimmer einige Kleidungsstücke hingelegt. Im Pfarrhaus gab es einen kleinen Fundus für Bedürftige. Eigentlich sammelte die Haushälterin die gespendeten Kleidungsstücke, um sie dann an eine größere Organisation des Bistums zu geben. Dieses verteilte die Kleidung an Bedürftige.

»Gut schaust aus, Till!«, sagte der Pfarrer. »Setz dich!«

Tillmann nahm in der Gartenlaube Platz. Der Tisch war für die abendliche Vesper gedeckt. Es gab Bratenaufschnitt, Brot, Wurst und Käse. Die Haushälterin hatte noch eine große Schüssel mit grünen Salat hingestellt.

Pfarrer Zandler sprach ein Tischgebet. Dann fingen sie an zu essen. Dabei beobachtete der Geistliche seinen Gast mit Argusaugen. Tillmann ist zwar sehr verschlossen, dachte er, aber seine Haltung, seine Gesten und Manieren, wie er Sätze formuliert, all das sagt viel über ihn aus.

»Schmeckt es?«

»Danke, Herr Pfarrer! Es schmeckt sehr gut!«

»Des freut mich! Es ist auch schöner, wenn man net alleine essen muss. Ich habe gern Gesellschaft. Dann kann ich mich ein bisserl unterhalten. Fremde, also Leute, die nicht aus der Gegend sind, die hab’ ich besonders gern. Dann kann ich mich mal über andere Themen unterhalten als gewöhnlich.«

Sie warfen sich Blicke zu. Tillmann konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

»Ich bin nicht sehr gesprächig. Das haben Sie sicher schon bemerkt.«

»Des war nicht zu übersehen! Wirst deine Gründe haben. Aber ein Schweigegelübte hast net abgelegt?«

»Nicht ganz! Ich will nur nicht viel über mich reden. Ist es denn so wichtig, wer man ist, wo man herkommt, was man getan hat?«

»Naa, des ist es net. Da stimme ich dir zu. Ich will dich auch net bedrängen, Till. Aber du passt so ganz und gar net in des Bild von einem Vagabunden.«

Tillmann errötete leicht.

»Sie scheinen ein guter Menschenkenner zu sein!«

»Des muss ich auch in meinem Beruf. Hast du auch einen Beruf?«

»Sie wollen mich aus der Reserve locken? Ganz schön raffiniert ist das.«

Sie lachten. Tillmann sagte:

»Ja, ich habe einen Beruf. Doch jetzt vagabundiere ich. Ich bin auf der Suche, sage ich mal.«

»Nach was suchst du?«

»Das ist schwer zu beschreiben. Es ist ein inneres Gefühl, nach dem ich suche. So eine Mischung aus Glück, Zufriedenheit, Freiheit und Zwanglosigkeit.«

»Jeder sieht in Glück, Zufriedenheit, Freiheit und Zwanglosigkeit etwas anderes. So viele Menschen es gibt, so viele unterschiedliche Auffassungen gibt es davon.«

»Das stimmt, Herr Pfarrer! Und alle Menschen werden fremdbestimmt. Man lehrt sie von Kindesbeinen an, was richtig ist und was falsch ist. Kinder bekommen eingetrichtert, was Glück ist und was sie sich unter Zufriedenheit vorstellen und anstreben sollen. Das ist zwanghaft! Ist es nicht krank? Verlieren die Menschen nicht die Bodenhaftung? Sie jagen nach immer Höherem, Größeren, nach Ruhm, Ehre, Geld, Ansehen und Anerkennung.«

»Du bist doch ein Philosoph!«

»Wenn Sie wollen, ja, ich bin einer. Ich mache mir viele Gedanken über den Sinn des Lebens.«

»Dann bist du auf einer Art Pilgerschaft nach dem Sinn des Lebens. Könnte man des so nennen?«

»Ja, das trifft es gut! Ich will nur ich sein, nur der Mensch Till!«

»Aber ganz von Zwängen kannst du dich auch nicht freimachen. Du musst essen und trinken, brauchst Dinge, die du haben musst, auch wenn es nur Kleidung ist, Schuhe, etwas gegen Regen und Kälte.«

»Ich komme mit wenig aus! Besitz schränkt die Freiheit ein.«

»Ich sehe, dass du wenig brauchst. Ich stimme dir zu, dass Besitz die Freiheit einschränkt. Aber, wie sieht es mit Arbeit aus? Arbeit schränkt zwar auch die Freiheit ein, aber sie gibt auch ein Gefühl der Zufriedenheit und kann auch glücklich machen.«

»Es kommt auf die Arbeit an. Manchmal arbeite ich einige Stunden oder auch Tage, wenn ich unterwegs bin. Je nachdem, wie es sich ergibt.«

»Was hast du schon alles gemacht?«

»Oh, ich habe auf Märkten geholfen. Ich war einige Tage bei einem Zirkus. Ich habe Hecken geschnitten, Beete umgegraben, bei der Ernte geholfen. Ich habe Ställe auf einem Reiterhof gesäubert. Als Gegenleistung bekam ich Essen und ein Dach über dem Kopf für ein oder zwei Nächte oder konnte mit meinem Schlafsack in einem Gartenhaus übernachten. Ich nehme höchstens ein paar Euro Taschengeld, nie eine wirkliche Bezahlung. Geld will ich nicht. Zuviel Geld engt ein.«

»Andere sagen, dass Geld die Nerven beruhigt, Geld sei ein sanftes Ruhekissen.«

»Ja, ich weiß. Das Thema Geld ist ein weites Feld. Die meisten Menschen geben dem Geld eine zu hohe Bedeutung. Sie machen es zu ihrem einzigen Lebensinhalt. Dann wird der Besitz von Geld zwanghaft und raubt die Freiheit und den Schlaf.«

»Ich kenne Menschen, die können nachts nicht schlafen, weil sie kein Geld haben. Es gibt viel Armut, Till, wirkliche Armut.«

»Das weiß ich. Das finde ich sehr schlimm und ungerecht. Ich wünsche mir eine Welt, in der das Geld nicht mehr diese allesbeherrschende Bedeutung hat. Ich gebe mich der Illusion hin, dass die Menschen dann vielleicht glücklicher wären. Sie würden mehr zusammenhalten, teilen, würden vielleicht tiefere Bindungen eingehen.«

»Dir scheint das Leben übel mitgespielt zu haben, Till. Das höre ich aus deinen Worten.«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Dann will ich nicht weiter in dich dringen. Du bist ein Suchender. Ich hoffe, du findest, was du suchst. Das wünsche ich dir von Herzen, Till. Wenn ich dir dabei irgendwie behilflich sein kann, dann lasse es mich wissen.«

»Danke, Herr Pfarrer Zandler!«

Helene Träutlein kam in den Garten.

»Hat es geschmeckt?«

»Danke, Träutlein, es war sehr gut!«

Till stimmte zu.

»Herr Pfarrer, der Martin hat angerufen. Er lässt fragen, ob es Ihnen möglich sei, noch heute Abend bei ihm in die Praxis zu kommen, am besten sofort. Unser guter Doktor hat Ärger!«

»Der Martin hat Ärger?«, wiederholte der Geistliche und kräuselte die Stirn. »Was gibt es denn?«

»Der Martin hat nix Genaues gesagt. Nur, dass er Ärger mit dem Konrad Küchler hat. Die Luise, Konrads Frau und die Katrin, seine Tochter, haben den Doktor auf den Hof geholt. Irgendetwas ist mit dem Küchlerbauer gewesen. Jedenfalls hat ihn der Martin mit dem neuen Krankenwagen mit in die Praxis genommen. Die erweiterte Praxis ist wirklich gut, die der Martin jetzt hat. Ansonsten hätte er den Küchlerbauer nach Kirchwalden ins Krankenhaus bringen müssen. Jetzt liegt er bei ihm in einem Notfallbett und spielt den wilden Mann. Mehr hat der Martin nicht gesagt.«

»Dann werde ich ihn gleich mal besuchen! Ich wollte Till ohnehin gerade einladen, mit mir einen Abendspaziergang zu machen. Kommst mit, Till?«

Till nickte.

Helene Träutlein sprach Till an.

»Herr Till, anders kann ich Sie nicht anreden, Ihren Familiennamen haben Sie verschwiegen. Also, Herr Till, Ihre Sachen habe ich in der Waschmaschine gewaschen. Ich hänge sie jetzt auf. Morgen früh sind sie wieder trocken.«

»Danke, das ist sehr freundlich«, sagte Till leise.

Pfarrer Zandler drängte zum Aufbruch. Sie gingen zu Pfarrer Zandlers altem Auto.

»Ich würde lieber laufen, aber der Martin scheint in Not zu sein. Unseren Spaziergang machen wir anschließend.«

*

Pfarrer Zandler hielt vor der Praxis auf dem ehemaligen Schwanninger Hof, der jetzt von allen in Waldkogel Engler Hof genannt wurde, seit Doktor Martin Engler den Hof übernommen hatte. Er war mit seiner Praxis dort eingezogen und hatte einige Zimmer so hergerichtet, dass er auch Patienten aufnehmen konnte.

Katja, Martins junge Frau, sie hatten erst kürzlich geheiratet, kam aus dem Haus gelaufen.

»Grüß Gott! Gut, dass Sie so schnell gekommen sind, Herr Pfarrer. Der Martin ist drin. Er braucht Hilfe. Der Küchlerbauer ist so unvernünftig. Vielleicht haben Sie Erfolg und können ihn überreden, einige Tage in Martins Obhut zu bleiben.«

»Das ist Till, mein Gast, Katja!«

Sie gaben sich die Hand.

»Dann will ich mal gehen! Ich kenne den Weg, Katja!«

Till blieb am Auto stehen. Katja lud ihn zu einer Tasse Kaffee in die Küche. Er überlegte kurz und ging dann mit hinein.

Pfarrer Zandler betrat das Krankenzimmer.

»Grüß Gott!«

Er schaute sich um. Konrad Küchler saß auf dem Bett. Er war angezogen. Vor dem Bett standen im Halbkreis Doktor Martin Engler, Luise und Katrin Küchler.

Sie begrüßten den Pfarrer.

»Was gibt es Martin?«, fragte der Geistliche.

»Ich will, ich muss nach ärztlichem Ermessen den Küchler hierbehalten. Er weigert sich. Er weigert sich, sich behandeln zu lassen. Noch nicht einmal untersuchen darf ich ihn. Er ist ein Hornochse! Zandler, ich bin mit meinem Latein am Ende.«

»Ich bleibe net! Mir geht es wieder gut! Der Martin übertreibt. Mei, mir war es ein bisserl schummrig. Des wäre schon längst vorbei, wenn die Luise net den Doktor gerufen hätte. So ein Schmarrn! Und wer macht jetzt die ganze Arbeit? Nix, da! Ich gehe!«

Konrad Küchler rutschte vom Bett. Er torkelte und hielt sich am Nachttisch fest. Doktor Martin Engler stürzte auf ihn zu und hielt ihn fest.

»Nimm deine Finger von mir, du Quacksalber!«, brüllte der Bauer.

»Jetzt reicht es aber, Küchler!«, donnerte Pfarrer Zandler los. »Du legst dich jetzt hin und bleibst liegen. Und der Martin und ich, wir reden jetzt! Wir gehen vor die Tür und von dir will ich hier drinnen keinen Mucks hören, sonst werde ich böse. Des ist eine Sünd’, so mit seinem Leben zu spielen. Des Leben ist ein Geschenk Gottes und des musst sorgsam hüten. Versündige dich nicht, Küchler! Bist doch sonst so ein frommer Kirchgänger. Was ist los? Warum machst so einen Zirkus?«

Pfarrer Zandler wusste genau, wie er Konrad Küchler anpacken musste. Dieser schaute ihn mit großen Augen an. Wortlos legte er sich aufs Bett und starrte zur Zimmerdecke.

Pfarrer Zandler nickte Martin zu. Sie gingen zusammen vor die Tür.

»Küchler war sehr verwirrt und torkelte auf dem Hof herum. Die Luise hat mich angerufen. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen. Er hatte sie nicht erkannt und mit starren Augen angesehen, sagt sie. Als ich auf den Hof kam, war es dann schon etwas besser. Aber ich mache mir ernsthaft Sorgen. Ich muss ihm Blut abnehmen und untersuchen. Er verweigert alles, tobt herum und will nur heim. Aber Sie sehen ja selbst, wie es ihm geht. Er kann sich nur mühsam auf den Beinen halten. Ich vermutete, er ist ernsthaft krank. Es kann lebensgefährlich werden, wenn er sich nicht behandeln lässt.«

Pfarrer Zandler rieb sich das Kinn.

»Der Küchlerbauer ist und war schon immer ein Sturkopf. Er meint es net bös’, Martin. Des Leben hat ihm allerhand aufgebürdet.«

»Ich kenne die Geschichte mit seinem Bruder. Aber wenn er sich nicht behandeln lässt, dann kann er sich bald gar nicht mehr um den Hof kümmern. Ich muss ihn dringend untersuchen und behandeln, aber auf mich hört er ja nicht.«

Pfarrer Zandler legte die Hand auf Martins Schulter.

»Ich werde allein mit ihm reden! Er muss mindestens zwei Tage bei dir bleiben, genügt das für den Anfang?«

»Ja, bis dorthin habe ich eine Diagnose, dann sehe ich weiter. Zwei Tage sind ein Anfang!«

Sie einigten sich, wie sie weiter vorgehen wollten. Pfarrer Zandler ging ins Krankenzimmer. Doktor Martin Engler wollte im Sprechzimmer ausführlich Luise und Katja befragen, ob ihnen an dem Patienten in letzter Zeit etwas aufgefallen war. Pfarrer Zandler riet Martin, sich mit Katrin und Luise einzeln zu unterhalten.

»Das ist eine gute Idee. Die Katrin ist ein schlaues Madl. Aber sie wird nie im Beisein ihrer Mutter etwas sagen, was diese nicht weiß.«

»Wie kommst du darauf?«

»Katrin machte mir gegenüber leise eine Andeutung. Sie redete nicht weiter, weil ihre Mutter dazu kam.«

»Dann sind wir auf einem richtigen Weg. Also packen wir es an!«

Doktor Martin Engler rief Luise und Katrin aus dem Krankenzimmer. Er schickte Katrin in die Küche, während er ihre Mutter im Sprechzimmer befragte.

*

»Oh Katrin! Komm setz dich! Ich schenke dir einen Kaffee ein! Siehst nicht gut aus. Das ist auch verständlich!« Katja Engler kümmerte sich sofort um das Madl.

Katrin setzte sich an den Tisch. Sie nickte Till zu, der auf der anderen Seite des Tisches saß. Katja, Martins junge Frau, stellte die beiden einander vor.

»Ich hoffe, Ihrem Vater geht es bald wieder besser«, sagte Till.

Katrin lächelte ihm kurz zu. Er gefiel ihr. Sie verweigerte sich aber jeden weiteren Gedanken. Die Sorge um ihren Vater überschattete alle anderen Gedanken. Sie errötete. Es war nicht zu übersehen, dass Till seine Augen nicht von ihr lassen konnte. Sie warf ihm einen Blick zu, der nicht gerade freundlich war und sagte:

»Was starren Sie mich so an?«

Till räusperte sich. Er stand auf.

»Ich warte draußen beim Auto auf Pfarrer Zandler! Vielen Dank für den Kaffee, Frau Engler!«

»Gern geschehen!«

Wortlos ging Till hinaus und lehnte sich ans Auto. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute auf den Boden. In Gedanken war er in der Küche und schaute Katrin an. Sie gefiel ihm. War wohl der falsche Zeitpunkt, an dem wir uns begegnet sind, dachte er. Aber sie gefällt mir. Ich hoffe, ihrem Vater geht es bald besser.

Tillmann überlegte, ob es sinnvoll wäre, länger in Waldkogel zu bleiben und zu versuchen, Katrin Küchler noch einmal zu sehen. Vielleicht ständen dann die Vorzeichen besser. Katrin füllte all seine Gedanken aus. Sein Herz war voller Mitleid und Zuneigung. Ich muss sie wiedersehen, dachte er. Eigentlich wollte er sich nicht lange in Waldkogel aufhalten, aber der Anblick Katrins hatte seine Pläne verändert.

Drinnen im Krankenzimmer holte sich Pfarrer Zandler einen Stuhl und setzte sich an das Bett. Konrad Küchler richtete den Oberkörper auf und schob sich auf die Bettkannte. Sie schauten sich an. Pfarrer Zandler sah, dass Konrad Küchler feuchte Augen hatte.

»Was ist los? Mit mir kannst du doch reden, Küchler. Wir sind zwar hier net im Beichtstuhl, aber du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst.«

»Des ist leichter gesagt, als getan, Herr Pfarrer! Jeder hat sein Päckchen zu tragen und muss des bewältigen.«

»Des ist schon richtig, aber man kann sich auch tragen helfen lassen. Vielleicht finden wir zusammen einen Weg?«

»Des denke ich net! Mir kann niemand helfen. Des ist auch net nötig. In ein paar Jahren ist alles vorbei. Dann hab ich es geschafft und dann geht es mir auch wieder besser. Bis dorthin muss ich durchhalten. Es ist ja nimmer lang.«

»Küchler, du wirst die paar Jahre nimmer erleben, wenn du dich vom Doktor net untersuchen und behandeln lässt. Hast denn so gar kein Verantwortungsgefühl? Wenn du schon mit dir selbst Schindluder treibst, dann ist des deine Privatsache. Doch du vergehst dich an deiner Familie. Was ist mit deiner Luise und deinem Madl? Denen gegenüber hast auch Verantwortung.«

»Deshalb mache ich des doch alles! Ich bin eben ein bisserl unvorsichtig gewesen, mit… Mei, jeder macht doch mal etwas falsch. Ich werde in Zukunft aufpassen. Dann kommt des nimmer vor. Morgen geht es wieder besser. Ich muss heim. Auf dem Hof steht der Wagen mit den Heuballen. Die müssen in die Scheune. Dann sind noch einige Wiesen zu heuen. Ich kann jetzt net schlapp machen.«

Pfarrer Zandler schaute Konrad Küchler an. Er sah, wie unglücklich dieser war. Ihm fiel auf, wie mager der Bauer geworden war in den letzten Jahren. Er hatte abgenommen, war nur noch Haut und Knochen.

»Mit was bist du unvorsichtig gewesen?«

»Ach, nix!«

»Du stehst mir jetzt hier und auf der Stelle Rede und Antwort! Ich gehe erst, wenn ich weiß, was los ist. Ich habe Zeit, wenn es sein muss, den ganzen Abend und die ganze Nacht. Und wenn du dann noch immer net redest, dann bleibe ich morgen auch noch. Dann kann eine Vertretung die Messe lesen. Also red’ jetzt!«, drängte Pfarrer Zandler.

Seine Stimme klang sehr streng. Es war deutlich, dass der Geistliche keine Ausreden gelten lassen würde.

»Des ist Erpressung!«, stöhnte der Küchlerbauer.

»Himmelsakrament, du bringst mich zum Fluchen. Der Herrgott, möge mir des verzeihen. Was bist so stur! So schlimm kann es doch nicht sein oder?«

Der Bauer schwieg. Pfarrer Zandler sah ein, dass er mit Strenge nicht weiterkam. Er brauchte Geduld. Also fing er noch einmal von Vorne an.

»Küchler, ich weiß, dass dein Leben kein Zuckerschlecken war. Du hast alle Schulden deines Bruders übernommen, nachdem er abgehauen war.«

»Was hätte ich machen sollen? Ihm war der Hof überschrieben worden und ich hatte als Jüngerer mit meiner Familie nur ein Wohnrecht. Dann hat er Schulden gemacht, Spielschulden. Der Hof wäre verloren gewesen. Der Vater und die Mutter lebten damals noch.«

»Ich weiß, die Schenkung an deinen Bruder wurde rückgängig gemacht und du hast die Schulden übernommen. Wie lange ist des jetzt her?«

»Zehn Jahre!«

»Hast von deinem Bruder mal wieder etwas gehört?«

»Naa! Er ging nach Südamerika. Dort verliert sich seine Spur. Ich konnte ihm net mal schreiben, dass die Eltern gestorben sind. Bitter ist des! Sie sind an gebrochenem Herzen gestorben. Ich hab’ ihnen auf dem Totenbett versprochen, dass ich den Hof erhalte, koste es was es wolle. Und dem Versprechen komme ich nach.«

»Des machst gut, Küchler. Aber wenn du net besser für dich selbst sorgst, dann wird daraus nix.«

Der Bauer warf dem Geistlichen einen Blick zu und nickte.

»Ich weiß nimmer, wie ich es machen soll. Ich habe so viel Arbeit auf dem Hof. Alles, was ich erwirtschafte, geht an die Gläubiger. Nachts arbeite ich als Wachmann in Kirchwalden. Das ist noch einmal ein Batzen zusätzlich.«

»Ich glaube, du bekommst zu wenig Schlaf. Wann tust denn schlafen?«

»Morgens einige Stunden, ich brauche nicht viel Schlaf.«

»Schmarrn! Jeder braucht Schlaf.«

»Ich kann mir des net leisten! Ich komme schon klar.«

Pfarrer Zandler kam ein Verdacht.

»Du nimmst etwas, damit du wachbleibst? Stimmt es? Deshalb willst net, dass dich der Doktor untersucht! Richtig?«

Pfarrer Zandler sah, wie Konrad Küchler leicht zusammenzuckte und ihn mit großen, angsterfüllten Augen ansah.

»Komm, rede dir alles vom Herzen! Des ist doch keine Schande. Des war Verzweiflung. Des verstehe ich gut und unser Doktor auch. Lass dir helfen!«

Konrad Küchlers Mundwinkel zuckten. Er kämpfte mit seiner Fassung.

»Ich schäme mich! Meine Frau und des Madl dürfen aber nix erfahren«, flüsterte er mit gebrochener Stimme.

»Ich verrate den beiden nix! Also, was nimmst und wo bekommst du des Zeugs her?«

Pfarrer Zandler ließ dem Bauern Zeit, bis er sich gefasst hatte. Er kämpfte noch immer mit den Tränen.

Dann fing er an, zu erzählen. Im Anfang berichtete er stockend, dann redete er flüssiger. Er war froh, dass er darüber reden konnte. Konrad Küchler hatte vor zehn Jahren die Arbeit bei dem Wachunternehmen angefangen. Er war immer mit einem Kollegen unterwegs. Sie kontrollierten Geschäfte und Behördengebäude. Eines Nachts ging es ihm sehr schlecht. Er hatte tagelang nur wenig geschlafen und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Da bot ihm sein junger Kollege eine von den kleinen weißen Pillen an. Binnen kurzer Zeit fühlte er sich besser. Nach und nach erfuhr er, dass wohl viele Kollegen diese sogenannten Wunderpillen nahmen. Es gab immer jemanden, der sie besorgte. Keiner fragte, woher die Wunderdrogen kamen. Schluckte man Pillen, dann war die Müdigkeit wie fortgeblasen – und nur das zählte.

»Man fühlt sich ausgeschlafen und voller Energie, so als hätte man Bärenkräfte.«

Pfarrer Zandler nickte.

»Für Nachschub war immer gesorgt. So schluckte ich und schluckte immer wieder davon, zuerst nur, wenn ich nachts im Dienst war, dann auch daheim, während der Arbeit auf dem Hof. Ich fing mit einer Tablette an. Es wurden im Laufe der Jahre immer mehr, bis ich ohne sie gar nicht mehr sein konnte.«

»Ja, hat denn deine Luise nichts bemerkt?«

»Sie wunderte sich gelegentlich. Aber ich spielte den Starken und Kräftigen.«

»Bis du heute zusammengeklappt bist!«

Der Bauer nickte.

»Ich war auf den Almen und habe das Heu geholt. Ich merkte schon auf dem Rückweg, dass ich des Zeug brauche. Ich hatte aber nix dabei. Gleich als ich auf dem Hof war, habe ich etwas genommen. Aber es dauerte, bis es wirkte. Ich bin dann wohl irgendwie in eine Art von Entzug gekommen. Das ist meinen Kollegen auch schon mal passiert, wie sie erzählt haben. Doch jetzt geht es wieder… langsam.«

»Der Himmel stehe dir bei, Konrad Küchler! Des ist ja bei dir so wie bei einem Drogenabhängigen.«

»Drogenabhängig, des ist zu hart gesagt. Des sind Stimmungsaufheller, die es normalerweise Rezept auf gibt, sagt der Kollege. Also Drogen sind des net, des ist richtige Medizin.«

»Lüge dir doch net selbst etwas vor, Küchler! Des mag ja alles richtig sein, aber Medizin ist für Kranke und net für Gesunde. Des ist doch alles illegal!«

»Was sollte ich machen? Ich muss doch arbeiten und funktionieren? Was soll sonst werden?«

Er seufzte.

»Ich verspreche, dass ich damit aufhöre. Jetzt helfen Sie mir, dass ich hier raus kann, bitte? Ich muss des Heu einbringen.«

»Jeder Drogensüchtige nimmt sich vor, damit aufzuhören und verspricht jedem das Blaue vom Himmel. Naa, naa, so geht des net, Küchler!«

Der Geistliche schüttelte den Kopf.

»Wie soll des sonst gehen?«

»Was muss die nächsten Tage auf dem Hof an großen Arbeiten gemacht werden?«

»Nur das Heu ist einzulagern und die restlichen Wiesen zu heuen. Des Wetter ist so schön trocken, deswegen will ich die Arbeit abschließen, bevor es trüb wird und regnet.«

»Das verstehe ich! Aber es gibt eine andere Lösung, Küchler. Jetzt hörst mir mal in Ruhe zu. Hast gehört? Erst zuhören, dann reden!«

Der Bauer nickte.

Pfarrer Zandler versprach, sich um das Heu zu kümmern. Er würde jemanden finden, der es machen würde, ohne dass er viel dafür haben wollte. Im Gegenzug sollte Konrad Küchler sich von Doktor Martin Engler untersuchen lassen und mit ihm reden.

»Musst dich vor dem Martin net schämen, Küchlerbauer. Er kann dir helfen, von den Pillen loszukommen. Da bin ich mir sicher. Einfach wird der Entzug nicht werden, denke ich mir so als Laie. Aber beim Martin bist du in den besten Händen. Es wird auch nix groß aktenkundig werden, des verspreche ich dir. Ich werde mit dem Doktor reden. Also bleibst jetzt hier?«

»Wird wohl besser sein. Ich kann auch nimmer. Ich bin völlig am Ende. Ich habe in der letzten Zeit fast eine kleine Schachtel davon am Tag genommen.«

»Himmel! Du hättest dich umbringen können!«, seufzte der Geistliche.

Er stand auf und legte Konrad Küchler die Hand auf die Schulter.

»Jetzt legest dich wieder hin. Ich rede mit dem Martin und schicke ihn dir. Deine Luise und die Katrin, die müssen erst mal nix davon wissen. Du kannst ihnen später alles selbst erzählen. Sagen solltest du es ihnen schon.«

»Wenn Sie meinen?«

»Ja, das meine ich!«

»Ich muss den Hof erhalten. Er ist meine Heimat. Er ist die Heimat von der Katrin. Und ich habe es meinen Eltern auf dem Sterbebett versprochen.«

»Hauptsache ist, dass du wieder gesund wirst, denn in meinen Augen bist du wirklich krank, Bauer! Des mit dem Hof, dafür findet sich schon eine Regelung. Jetzt lege dich hin!«

Pfarrer Zandler schüttelte das Kopfkissen und half Konrad Küchler, sich hinzulegen. Er konnte sich nur langsam bewegen.

»Die Pillen haben Nebenwirkungen. Man bekommt im Laufe der Jahre immer mehr Muskelschmerzen. So habe ich auch noch viele Schmerzmittel dazu genommen.«

Pfarrer Zandler hielt Konrad Küchlers Hand.

»Des war dann ein richtiger Giftcocktail, Küchler!«

»Was hätte ich machen sollen?«, fragte der Bauer erneut mit Tränen in den Augen.

»Bist schon arm dran, Küchler. Bist da in einen Teufelskreis geraten. Doch ich kann dich net dem Teufel überlassen. Des lässt mein Ehrgeiz net zu.«

Der Bauer lächelte.

»Danke, Herr Pfarrer! Sie besuchen mich doch?«

»Aber sicher! Du bist doch eines meiner verirrten Schäfchen. Ich werde mich um dich besonders kümmern.«

»Danke!«

Konrad Küchler schloss die Augen. An seinen Wimpern hingen Tränen. Es waren Tränen der Erleichterung, nachdem er sich dem Geistlichen anvertraut hatte.

*

Pfarrer Zandler traf Doktor Martin Engler in der Küche. Er saß mit Katrin und Luise am Küchentisch.

»Was ist?«, fragte der Doktor.

»Es ist ein hartes Stück Arbeit gewesen. Aber er bleibt. Kannst ihn untersuchen und behandeln. Er bleibt, solange es sein muss. Ich kümmere mich derweil darum, jemanden zu finden, der auf dem Hof ein bisserl mit anpacken tut.«

Martin ging sofort zu seinem Patienten.

»Gott sei Dank!«, stöhnte Luise Küchler laut.

»Es wird alles wieder, Bäuerin! Jetzt nimmst dein Madl und gehst heim. Der Martin wird sich deinen Mann vornehmen. Bei den Untersuchungen tust nur stören. Und du weißt doch außerdem, wie er ist, dein Konrad. Er schämt sich, wenn er net ackern kann wie ein Pferd. Morgen kannst ihn besuchen, aber nur kurz. Und aufregen darf er sich net! Versprochen?«

Die Bäuerin nickte.

»Ich muss ihm aber noch Wäsche und seine Sachen bringen.«

»Das gibst mir heute Abend. Ich komme später zu euch auf den Hof. Dann bringe ich vielleicht auch schon Hilfe mit, jemand, der euch die nächsten Tage hilft. Aber darüber reden wir später.«

Sie verabschiedeten sich. Pfarrer Zandler gab Katrin seine Autoschlüssel. Sie und ihre Mutter waren im Krankenwagen mit in die Praxis gekommen.

»Hier, ddamit könnt ihr bis zum Pfarrhaus fahren. Stellt des Auto ab. Den Schlüssel lasst ihr stecken. Mein Auto wird nicht gestohlen.«

»Wie kommen Sie heim, Herr Pfarrer?«

»Zu Fuß! Ich wollte außerdem noch einen Abendspaziergang machen. Aber in einer Stunde bin ich bei euch auf dem Hof.«

Pfarrer Zandler drängte die beiden Frauen, einzusteigen und abzufahren.

Er seufzte laut, als sie sich entfernten.

»Das war ein hartes Stück Arbeit«, wandte er sich an Till. »Und es war nur der erste Teil. Komm, gehen wir hinten herum über die Felder zurück.«

Sie gingen los.

Pfarrer Zandler und Tillmann wanderten eine Strecke stumm nebeneinander her.

»Kennst du die Geschichte von unseren beiden Hausbergen?«

Der Geistliche zeigte auf die Gipfel des ›Engelssteig‹ und des ›Höllentors‹.

»Wenn über dem Gipfel des ›Höllentors‹ eine schwarze Wolke steht, so sehen das alle Waldkogeler als Vorbote eines Unglücks. Entweder es bricht ein Unwetter herein oder es geschieht sonst etwas Böses. Die Waldkogeler glauben, dass auf dem Gipfel des Berges der Teufel ein Tor zur Hölle hat. Daher kommt der Name. Steht eine Wolke über dem Gipfel, dann hat der Satan die Tür geöffnet und kommt heraus. Dem gegenüber siehst due den »Engelssteig‹. Die Engel steigen jede Nacht auf einer unsichtbaren Leiter vom Gipfel des ›Engelssteigs‹ hinauf in den Himmel. Wir in Waldkogel glauben, dass sie die Sehnsüchte, Wünsche und Gebete der Menschen hinauf in den Himmel tragen.«

»Ich bin mehr aus Zufall in der Gegend hier gelandet. Scheint ein interessanter Ort zu sein. Ein Lastwagen hatte mich mitgenommen bis nach Kirchwalden – Zufall. Dann kam ich an die Kreuzung. Der Ortsname Waldkogel gefiel mir. So folgte ich der Straße.«

»Ich glaube net an Zufälle, Till. Das musste alles so sein, denke ich. Es hat einen Sinn, dass du in Waldkogel bist. Ich hätte eine Aufgabe für dich, wenn du dich mit dem Gedanken anfreunden könntest, etwas länger in Waldkogel zu bleiben. Denke mal darüber nach.«

Tillmann blieb stehen. Er schaute Pfarrer Zandler an.

»An was für eine Aufgabe haben Sie gedacht?«

»Die Aufgabe umfasst alle Arbeit, die ein Bauer machen muss.«

»Ich bin kein Bauer, ich habe keine Ahnung von Landwirtschaft.«

»Des ist auch nicht notwendig. Wirst auf dem Hof nicht alleine sein. Die Bäuerin ist den ganzen Tag daheim und am Abend kommt die erwachsene Tochter von der Arbeit aus Kirchwalden. Es wird kein perfekter Landwirt erwartet. Wenn es keine Not gäbe, würde ich dich nicht fragen. Viel wirst du nicht verdienen. Die Leut’ haben nicht viel Geld.«

»Mir geht es nicht um Geld. Das habe ich Ihnen schon gesagt.«

»Stimmt! Ich bin mir sicher, dass die Bäuerin dich aufnimmt. Du kannst ein Zimmer haben und Essen. Ich kann das so für dich vereinbaren. Willst des machen? Willst helfen?«

Till steckte die Hände in die Hosentaschen. Sie gingen weiter. Nach einer Weile sagte Till: »Ich kann es ja mal versuchen. Aber die Arbeit auf einem Hof ist eine andere Tätigkeit, als Hecken schneiden oder einen Garten umgraben.«

»Das weiß ich! Lass uns schnell weitergehen. Du kannst heute Abend schon anfangen. Es ist ein ganzer Lastwagen voller Heuballen abzuladen. Und morgen und übermorgen kannst du mit dem Heuernter auf die Wiesen. Das lernst du schnell.«

Pfarrer Zandler sah Till in die Augen.

»Ich glaube, du hast eine gute Schulbildung und lernst schnell. Wirst dich auf dem Hof gut einleben, denke ich.«

»Ich kann es probieren. Wenn es mir allerdings nicht gefällt, dann gehe ich wieder. Ich sagte Ihnen doch, dass mir Freiheit wichtig ist. Wenn ich zusage, dann tue ich es erst einmal, um Ihnen zu helfen, damit sie jemand anderem helfen können.«

»Dann will ich dir etwas über den Hof erzählen. Es ist der Küchler Hof. Konrad Küchler ist der Patient von Doktor Engler, wegen ihm hatte er mich rufen lassen. Er bleibt beim Doktor, unter der Bedingung, dass ich jemanden besorge, der die Arbeit auf dem Hof in der Zwischenzeit macht oder besser dabei helfen tut.«

»Mmm!«, räusperte sich Tillmann. »Frau Engler hat mir in der Küche einen Kaffee gegeben. Es kam eine junge Frau dazu, eine Katrin Küchler. Ist das…«

»Des ist des Madl, die Katrin«, unterbrach ihn der Geistliche. »Dann hast sie ja schon kennengelernt. Des Madl ist ganz unglücklich, dass ihr Vater zusammengebrochen ist. Mei, ist das schön, dann muss ich euch net einander vorstellen. Des fügt sich gut zusammen, besser könnte es nicht sein.«

»Katrin war sehr abweisend. Deshalb habe ich bei Ihrem Auto gewartet.«

»Abweisend, sagst? Mei, so kenne ich die Katrin nicht. Aber das kommt sicherlich von den Sorgen, die sie sich um den Vater macht. Doch des gibt sich. Außerdem wird jede helfende Hand gebraucht. Du gehst nicht wegen der Katrin auf den Hof, sondern wegen der Arbeit.«

Pfarrer Zandler bemerkte, wie verlegen Till wurde.

»Ich werde sehen, Herr Pfarrer! Ich kann es ja mal probieren.«

»Des ist die richtige Einstellung! Dann lass uns gehen!«

*

Till holte seine Tasche und seinen Rucksack aus dem Pfarrhaus. Dann ging er mit Pfarrer Zandler zum Küchler Hof.

»Grüß Gott!«, rief Pfarrer Zandler laut. »Schaut aus, als hättet ihr den Wagen schon abgeladen.«

Katrin und ihre Mutter Luise Küchler kehrten den Hof.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer! Ja, wir sind vor zehn Minuten fertig geworden. Als wir heimkamen, hatten junge Burschen aus der Nachbarschaft schon zugepackt und damit begonnen.«

Pfarrer Zandler strahlte.

»Des ist mein Waldkogel! Da sieht jeder, wo es beim anderen fehlt und packt zu. Dann habt ihr des schon mal geschafft.«

Pfarrer Zandler drehte sich zu Till um.

»Der junge Bursche hier ist die Hilfe, die ich euch versprochen habe. Er ist auf der Durchreise und ist bereit, eine Weile zu helfen.«

»Das ist schön! Ich bin die Bäuerin, Luise Küchler!«

»Till!«

Sie gaben sich die Hand.

»Till und wie noch?«

Pfarrer Zandler räusperte sich.

»Der Bursche ist der Till und sonst nix! Frage net so viel, Bäuerin. ›Wer viel fragt, der geht viel irr‹, sagt der Volksmund. Ich denke, der Bursche ist in Ordnung. Er arbeitet für Kost und ein einfaches Zimmer. Viel Erfahrung hat er nicht in der Landwirtschaft. Also hab’ ein bisserl Geduld mit ihm.«

»Wenn Sie des so sagen, Herr Pfarrer, dann probieren wir es!«

Die Bäuerin drehte sich nach ihrer Tochter um.

»Katrin, komm! Zeig dem Till mal eine der Kammern oben unterm Dach.«

»Naa, Mutter! Er kommt mir net ins Haus. Des Altenteil ist leer. Da kann er gut unterkommen!«

Katrin warf ihrer Mutter frostige Blicke zu. Hocherhobenen Hauptes ging sie an ihr vorbei über den Hof. Sie machte die Tür zum Altenteil auf.

»Hier können Sie ihre Sachen hinein tun. Schauen Sie sich kurz um. Dann kommen Sie und fegen Sie den Hof zu Ende.«

Tillmann ließ Katrin nicht aus den Augen. Er nickte, ging hinein und stellte seine Sachen ab. Sofort kam er heraus, griff nach dem Besen und fegte weiter den Hof.

»Was bist so garstig, Katrin?«, fragte ihre Mutter.

»Ich bin net garstig! Ich bin nur vorsichtig. Was soll ich von jemanden halten, von dem man nur den Vornamen kennt?«

Katrin warf einen Blick zu Pfarrer Zandler.

»Danke für die Hilfe, aber wir wären auch so mit der Arbeit fertig geworden.«

»Was bist so bös’, Katrin? Der Herr Pfarrer meint es doch nur gut. Dem Vater geht es schlecht. Ich bin froh für jede helfende Hand. Wie kannst du nur so ablehnend sein?«

»Ich lehne niemanden ab! Er ist ein Fremder! Basta!«

Katrin ging ins Haus. Die Bäuerin zuckte mit den Schultern.

»Ich verstehe des Madl net. Seit wir beim Doktor waren, ist sie so sonderbar. Sicher ist sie besorgt um den Vater. Aber beim Martin ist Konrad in guten Händen. Ich verstehe die Katrin nicht. Dabei habe ich jetzt genug Sorgen, da mein Konrad schwer krank ist. Was muss mir des Madl jetzt auch noch Kummer machen?«

»Das gibt sich wieder, Küchlerbäuerin. Jeder Mensch verarbeitet einen Schock auf seine Art und Weise. Und dass die Katrin über den Zusammenbruch des Vaters erschrocken ist, des steht ja wohl fest. Ich denke, dass die Härte, die sie im Augenblick zeigt, eine Art Selbstschutz ist. Sie verkriecht sich dahinter.«

»So wird es sein, Herr Pfarrer. Ja, das kann zur Katrin passen. Bei dem Madl wusste man nie, woran man ist. Sie zeigt nie viel Gefühl. Da kommt sie ganz nach ihrem Vater. Der Konrad ist auch so einer, der sein Herz versteckt. Er freut sich nie richtig und geht nie aus sich heraus.«

»Mei, er hat auch ein schweres Schicksal zu tragen, Bäuerin!«

»Ja, das hat er. Ich glaube, er leidet sehr darunter, dass sein Bruder damals einfach abgehauen ist und nie mehr etwas von sich hat hören lassen. Er hat sich einfach vor der Verantwortung gedrückt. So hat mein Konrad die ganze Last auf sich genommen. Schon oft hatte ich gedacht, dass er darunter zusammenbrechen tut. Und heute ist es geschehen. Aber er hat sich nie etwas sagen lassen. Herr Pfarrer, er klagte auch nie. Er arbeitete und arbeitete. Er hetzte sich ab. Himmel, des ist doch net notwendig. Unser Madl ist groß. Sie arbeitet in Kirchwalden in der Verwaltung eines Hotels. Ich hätte in dem Hotel auch eine Stelle bekommen können, in der Küche oder in der Wäscherei. Aber der Konrad wollte nicht. Des kommt net in Frage, dass du schaffen gehst, hat er gebrüllt. Ich werde meine Frau doch net für die Schulden von meiner Familie arbeiten lassen. Des ist seine Einstellung. So kümmere ich mich um das Vieh und mache den Garten. Aber wohler wäre mir, wir würden weniger Landwirtschaft machen und ich könnte in Kirchwalden etwas dazuverdienen. Aber er will davon nix wissen. Himmel, sie glauben net, wie stur mein Konrad sein kann, Herr Pfarrer!«

»Oh doch, Bäuerin! Ich kenne ihn gut! Aber jetzt hat er beim Martin einige Tage Zeit zum Nachdenken. Er ist einfach erschöpft. Er kennt auch nur den einen Weg, sich alles aufzubürden. Er schämt sich für seinen älteren Bruder. Dabei kann er nix dafür. Dein Mann ist nicht für die Taten seines Bruders verantwortlich.«

»Das sage ich ihm auch immer und immer wieder! Er hört net auf mich.«

»Sei mal etwas zuversichtlicher, Bäuerin! Ich verspreche dir, ihn ins Gebet zu nehmen, wie man sagt. Der Martin wird ihn auch net ungeschoren davonkommen lassen, so wie er Schindluder mit seiner Gesundheit getrieben hat.«

Pfarrer Zandler lächelte sie an.

»Weißt, Bäuerin, alles was im Leben geschieht, hat seinen Sinn, auch wenn wir Menschen den Sinn nicht gleich erkennen. Oft werden auch nur die Wegweiser in eine anderer Richtung gestellt. Jetzt machst du dir nicht zu viele Gedanken. Du gibst mir jetzt die Sachen für deinen Mann. Ich bringe sie ihm, rede mit ihm und Martin und rufe dich später an.«

»Danke, Herr Pfarrer!«

Luise gab dem Pfarrer die Tasche. Sie hatte schnell das Notwendigste eingepackt, Waschzeug, Rasierzeug, Wäsche, eine frische Hose, ein Hemd und einige Männernachthemden, wie sie der Bauer trug.

Pfarrer Zandler verabschiedete sich. Er winkte Till zu.

»Ich komme bald mal vorbei!«

»Tun Sie das, Herr Pfarrer, und grüßen Sie Frau Träutlein von mir!«, rief Till ihm zu.

Luise ging mit dem Geistlichen über den Hof bis zur Straße.

»Wer ist er? Woher kennen Sie ihn und warum will er seinen Familiennamen nicht nennen?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.

»Der Himmel hat ihn mir heute geschickt, Bäuerin. Er ist ehrlich und anständig. Ich bin sicher, dass er etwas auf dem Herzen hat. Er trägt eine Last mit sich herum, auch wenn er schweigt. Richtig schlau bin ich aus ihm nicht geworden. Er sagt, er sei ein Vagabund, der durch die Welt zieht. Das glaube ich nicht ganz. Er hat feine, gepflegte Hände und gute Umgangsformen. So sind Landstreicher im Allgemeinen nicht. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann gib mir Bescheid, Bäuerin. Das denke ich zwar nicht. Aber es liegt auch ein bisserl an euch. Stellt keine Fragen! Till mag das nicht. Ich vermute, dass er nicht bleiben wird, wenn man ihm zu viele Fragen stellt.«

»Gut, Herr Pfarrer! Ich werde mit Katrin reden! Dann warte ich auf ihren Anruf.«

»Pfüat di, Bäuerin!«

»Pfüat di, Hochwürden! Und vergelt‘s Gott!«

Pfarrer Zandler ging davon.

»Frau Küchler, ich bin fertig mit dem Hof!«, sagte Till. »Wo soll ich den Kehricht hintun? Kommt er auf den Misthaufen oder in die Mülltonne?«

»Es ist viel Heu dabei! Tun Sie ihn auf den Misthaufen, Herr Till!«

»Das werde ich machen. Aber sagen Sie nicht Herr Till zu mir. Das passt nicht. Ich bin nur Till und kein Herr!«

Sie schaute ihm in die Augen.

»Gut, wenn du es so willst, Till! Pfarrer Zandler sagte, ich soll keine Fragen stellen. Dann tue ich es auch nicht.«

Er ging darauf nicht ein. Stattdessen trug er den Kehricht zum Misthaufen.

»Wo kommen der Besen und die Schaufel hin?«

»Die Sachen kommen in den Raum neben die Scheune. Es wird am besten sein, wenn ich mit dir einen Rundgang mache. Fangen wir mit dem Stall an. Wir haben zwanzig Schweine. Zwei davon behalten wir für uns, für den Eigenbedarf. Wir haben dreißig Milchkühe. Für mehr haben wir keinen Platz. Sie bekommen Heu und Kraftfutter. Sie werden mit der Melkmaschine jeden Tag zweimal gemolken. Die Milch wird abgeholt. Gegen neun Uhr kommt der Tankwagen und pumpt die Rohmilch aus dem Milchtank.«

Till folgte der Bäuerin, die ihn überall herumführte. Es gab eine Hasenzucht und viele Hühner. Er half ihr, die Eier einzulesen. Dann zeigte sie ihm den großen Bauerngarten.

»Welch ein herrlicher Garten!«, sagte Till leise vor sich hin.

»Freut mich, dass er ihnen gefällt.«

»Ja, er ist sehr schön! Ich kann mich gar nicht genug sattsehen! Er strahlt Frieden aus. Er ist ein Traum, einfach ein Traum.«

»So habe ich noch nie – ich meine selten – jemand reden gehört. Du liebst Gärten?«

»Oh ja!« Till lächelte vor sich hin.

Sie gingen wieder zurück. Die Bäuerin fragte, ob er mitessen wollte. Till verneinte, er habe schon beim Pfarrer gegessen.

»Gut! Wir frühstücken um sechs Uhr. Kommst rüber. Danach zeige ich dir, wie die Kühe mit der Melkmaschine gemolken werden.«

Till nickte. Er bat darum, dass sie ihn weckte, da er keinen Wecker habe.

»Ich bringe dir einen Wecker! Kommst im Altenteil zurecht?«

»Ich denke schon! Danke, dass ich dort wohnen darf.«

»Die Einrichtung ist alt. Sie stammt noch von den Eltern meines Mannes. Die Zimmer bei uns oben sind besser, aber… naja, was soll ich sagen? Katrin… will dich nicht im Haus haben. Es ist mir jedenfalls peinlich, dass des Madl so barsch war.«

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Normalerweise schlafe ich unter freiem Himmel im Schlafsack.«

Jetzt sah sie seine Hand.

»Was ist mit der Hand? Du hast da eine Verletzung! Das Pflaster ist ganz schmutzig. Ich bringe dir neues Verbandszeug.«

»Danke, das eilt nicht. Es ist ja nur außen. Die Wunde blutet nicht mehr. Ich habe mich an einer Glasscherbe geschnitten.«

»Gute Nacht! Schlafe gut, Till!«

»Danke, Ihnen auch eine gute Nacht!«

Die Bäuerin ging ins Haus. Till setzte sich vorm Altenteil auf die Bank und sah hinauf zu den Berggipfeln, die in den letzten Strahlen der Sonne rot leuchteten. Im Osten war der Himmel schon dunkel.

Das hätte ich mir heute Morgen nicht träumen lassen, dass ich heute Abend auf einem Hof Quartier habe. Es war ein sehr ereignisreicher Tag. Vielleicht hat Pfarrer Zandler nicht unrecht. Alles hat seinen Sinn. Wenn der Bauer nicht krank geworden wäre, hätte ich nie diese junge Frau gesehen. Und damit ich sie sehen konnte, musste ich vorher einen Lastwagenfahrer treffen, der nach Kirchwalden fuhr und dann musste mir der Namen Waldkogel gefallen. Ja, das ist eine sonderbare Verkettung von Umständen, dachte Till.

Er ging hinein und holte aus seinem Rucksack seinen Tabaksbeutel und Zigarettenpapier. Er setzte sich wieder auf die Bank vor das Haus und rauchte.

*

In der großen Wohnküche des Küchler Hofes saßen Luise und Katrin am Tisch.

»Das war ein Tag!«, stöhnte Luise.

»Ja, Mutter, das war ein Tag! Hoffentlich findet Martin heraus, was Vater fehlt.«

»Das wird er schon. Ich denke, dass er einfach zu viel gearbeitet und zu wenig geschlafen hat. Er kommt um sieben von der Nachtschicht heim. Wenn ich ihm den Wecker nicht abstelle, dann schläft er nicht einmal bis zum Mittag. Das hält auf die Dauer der stärkste Ochse nicht aus. Aber er lässt sich ja nichts von mir sagen. Ich hoffe, der Doktor bringt ihn zur Vernunft.«

»Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Vater vernünftig wird. Du kennst ihn doch, Mutter! Er benimmt sich störrischer als ein Esel.«

»Ja, so ist er! Gebe ihm der Himmel die notwendige Einsicht!« stöhnte die Bäuerin. »Es ist schlimm mit ihm. Dabei kann ich ihm nicht einmal böse sein. Er überfordert sich nur, weil er so ein fürsorglicher Ehemann und Vater ist. Ich liebe ihn, Katrin, auch wenn er sich verändert hat.«

»Er ist das krasse Gegenteil von Onkel Ewald. Er war immer lustig und fröhlich.«

»Ja, das war er. Keiner ahnte, dass er ein Doppelleben führte. Er ging zwar oft aus. Niemand dachte sich etwas dabei. Wir hofften, dass er bald eine Frau finden würde. Dass er seine Zeit in der Spielbank verbrachte, war undenkbar für uns. Das kam erst später heraus. Er war nicht nur fröhlich, er war ein verantwortungsloser Charakter. Dein Vater hatte es sehr getroffen. Deshalb ist er so, wie er ist, mein Konrad. Er hat sich seit dem Geschehen damals sehr verändert.«

»Soll ich mir morgen freinehmen, Mutter? Ich habe noch Urlaub zu bekommen.«

»Nein, das ist nicht nötig! Till ist ja hier! Nach dem Essen bringst du ihm einen Wecker und Verbandszeug. Er hat eine Verletzung an der Hand. Nicht, dass da etwas passiert!«

»Mutter, mir ist es nicht so recht, dass er hier ist. Sicher bin ich froh, dass wir Hilfe haben. Pfarrer Zandler hat es bestimmt auch gut gemeint. Aber wir wissen nichts über ihm. Und genau genommen ist es auch nicht richtig, dass er uns hilft. Wie ist das mit seiner Versicherung? Wo kommt er her? Wir wissen noch nicht einmal seinen Familiennamen. Das ist doch sehr seltsam.«

»Nun rege dich net auf, Madl! Ich vertraue da ganz auf unseren guten Herr Pfarrer. Aber recht hast du schon. Es ist ein bisserl arg dürftig, was wir über ihn wissen. Wir sollen ihn nichts fragen, sagt Pfarrer Zandler.«

»Seltsam, sehr seltsam! Mutter, das muss geklärt werden. Rede mit Pfarrer Zandler, sonst gehe ich zu ihm.«

»Ruhig, Katrin! Warum tust dich so aufregen?«

Katrin errötete.

»Weil… weil… weil… weil er irgendwie so komisch schaut.«

»Wie meinst des?«

»Er hat mich in der Küche auf dem Engler Hof schon so seltsam angesehen.«

Wieder errötete Katrin. Ihre Mutter dachte sich ihren Teil.

»Was ist dabei? Hässlich bist gerade nicht, Katrin. Du bist ein Madl und er ein Bursche. Es ist nun mal so, dass Burschen nach Madln schauen und Madln nach Burschen.«

»Nicht in diesem Fall! Er ist ein Fremder ohne Familiennamen! Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Ich spüre das, Mutter! Er ist mir nicht geheuer! Ich will wissen, wer er ist, wo er herkommt und wie er heißt.«

»Gut, Katrin, ich werde mich darum kümmern. Ich für meinen Teil bin froh, dass wir Hilfe haben. Ich zeige ihm morgen, wie die Melkmaschine funktioniert. Dann gehen wir auf die Wiesen. Das restliche Heu muss noch gemacht werden. Wenn er dir nicht passt, dann schicke ich ihn wieder fort, nachdem wir das Heu eingebracht haben. Die sonstige Arbeit, die schaffe ich schon irgendwie alleine. Bist jetzt beruhigt, Katrin?«

Statt zu antworten, nickte Katrin nur. Sie errötete wieder.

Das Telefon klingelte. Es war Pfarrer Zandler. Er hatte mit Martin geredet. Der Geistliche berichtete kurz. Luise bedankte sich für den Anruf und legte auf.

»Wie geht es Vater?«, fragte Katrin.

»Der Doktor sagt, dass er denkt, dass er nicht ernsthaft krank ist. Er ist nur erschöpft. Der Martin hat ihm etwas zum Schlafen gegeben. Er würde tief und fest schlafen. Martin hat ihm auch Blut abgenommen, ein EKG gemacht und so weiter. Dein Vater wäre auch einsichtig gewesen und hätte alles über sich ergehen lassen. Er hat ihn für zwei Wochen krank geschrieben.«

»Muss er so lang beim Martin bleiben?«

»Das weiß ich nicht, Katrin. Du fährst morgen früh auf dem Weg zur Arbeit beim Martin vorbei und holst die Krankmeldung ab. Du kannst sie auf Vaters Arbeitsstelle abgeben.«

»Ich nehme einen Umschlag mit und werfe ihn in den Briefkasten. Dann können sie mich nicht fragen, was Vater fehlt. Ich kann doch nicht sagen, dass er zusammengebrochen ist. Das wäre Vater bestimmt nicht recht. Zu viele Kollegen von ihm wurden schon entlassen, weil sie öfter krank waren. Du musst anrufen, Mutter! Sage besser, dass er die Grippe hat.«

»Das ist eine Lüge, Katrin!«

»Ja, es ist eine Lüge! Ich bin mir sicher, es ist so in Vaters Sinn.«

»Himmel, Madl! Was du dir so alles denkst? Jeder kann doch mal krank werden oder? Konrad war noch nie krank. Er hat immer gearbeitet.«

Die Bäuerin stand auf und räumte den Tisch ab.

»Ich spüle die beiden Teller morgen. Ich gehe jetzt schlafen. Es war ein langer und schlimmer Tag. Bring’ du Till den Wecker und den Verbandskasten hinüber. Machst du es?«

»Ja, Mutter ja! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Katrin!«

*

Luise ging zu Bett. Katrin spülte doch noch die Teller und das Besteck ab. Dann holte sie einen Wecker, den Verbandskasten und ging über den Hof. Till saß noch immer auf der Bank vor dem Altenteil.

»Ich bringe Verbandszeug und einen Wecker. Gehen wir rein! Hier draußen ist es zu dunkel.«

Katrin ging vor und machte in der Küche des Altenteils Licht an. Sie öffnete den Verbandskasten.

»Kann ich die Wunde sehen?«

Tillmann konnte die Augen nicht von ihr lassen. Wortlos streckte er ihr seine Hand entgegen.

»Da muss ein neues Pflaster drauf!«, sagte Katrin hart.

Sie griff nach seiner Hand und zog das Pflaster ab.

»Autsch!«, schrie er auf. »Bist du immer so grob?«

»Nein!«

»Dann bist du also nur grob zu mir?«

»Nein! Bist wohl sehr empfindlich, wie?,« grinste Katrin. »Naja, Männer sollen ja an sich schon wehleidig sein.«

»Jetzt auch noch spöttisch? Weißt du was, Katrin? Ich habe dich nicht um ein Pflaster gebeten. Ich komme auch so klar. Guten Abend!«

Katrin starrte ihn an. Sie errötete, fasste sich aber gleich wieder.

»Was soll das heißen? Nun stelle dich nicht so an! Ich bin von Burschen hier anderes gewöhnt. Da ist keiner so wehleidig.«

»Ah, da kennst du dich aus?«

»Ja, da kenne ich mich aus!«

»Dann kennst du die Burschen hier näher?«

»Man kennt sich eben in Waldkogel.«

»Und einige kennst du näher?«

»Ja, doch was geht es dich an? Zeige deine Hand her!«

Tillmann versteckte seine Hand hinter seinem Körper.

»Nein, ich sagte Guten Abend!«

Katrin schaute ihn mit funkelnden Augen an.

»Ich habe es gehört. Ich bin ja nicht taub. Aber so kommst du mir nicht davon. Ich habe heute schon einen Sturkopf zum Martin bringen müssen. Mir ist nicht danach, dich auch noch hinzubringen!«

»Das hat niemand verlangt!«

»Du hilfst hier auf dem Hof und damit bin ich mitverantwortlich, falls du krank wirst. Am Ende bist du nicht einmal krankenversichert, wie?«

»Das geht dich nichts an, das ist meine persönliche Angelegenheit.«

»So meinst! Himmel, stehe mir bei! Was bist du für ein Klugscheißer! Du solltest meinen Vater kennenlernen. Ihr würdet euch gut verstehen. Da ist einer so stur wie der andere!«

»In der Tat würde ich deinen Vater gern kennenlernen!«

Katrin starrte ihn an. Tillmann musste schmunzeln.

»Grinse nicht! Ich glaube, du hast keinen Grund zu lachen. Und mir ist es heute überhaupt nicht zum Lachen zumute. Jetzt zeige mir deine Hand!«

»Gibst du dann Ruhe?«

»Ja, in Gottes Namen!«

Tillmann streckte ihr die Innenfläche seiner verletzten Hand entgegen.

»Mei, das schaut nicht gut aus. Das muss Ihnen doch weh tun, Herr Till.«

»Oh, jetzt sind wir wieder beim Sie angelangt? Wollen wir nicht bei Du bleiben? Ich bin Till!«

Katrin überlegte einen Augenblick.

»Gut meinetwegen! Aber nur, wenn du dich von mir behandeln lässt.«

»Wenn du nicht versuchst, mich umzubringen!«

»Immer einen flotten Spruch auf den Lippen, wie?«

»Was soll ich machen, wenn du so grob und abweisend bist? Ich habe nichts getan, das dein Verhalten rechtfertigt. Ich bin auf dem Hof, um euch zu helfen.«

Katrin gab ihm keine Antwort. Sie besah sich eingehend die Hand. Dabei fiel ihr auf, welch schöne und gepflegte Hände Till hatte. Sie griff nach seiner anderen Hand und schaute sie sich an.

»Du hast zarte Haut, keine Schwielen vom Arbeiten.«

»Ich arbeite auch nicht.«

Katrin warf ihm einen Blick zu.

»Was soll der Blick? Du schaust mich an, als wäre ich ein Verbrecher.«

Katrin ließ Tills Hände los. Sie wandte sich dem großen Verbandskasten zu, einer Holzkiste, in der nicht nur Verbandsmaterial war, sondern auch Salben. Till sah ihr zu, wie sie aus einer Dose eine Paste auf ein Stück Mull strich.

»Das tue ich jetzt auf die Wunde. Ich warne dich! Es wird anfangs etwas brennen. Aber es ist das beste Mittel gegen solche Wunden.«

»Was ist das? Die Dose hat kein Etikett!«

»Schlaumeier! Ja, sie hat kein Etikett. Die Paste hat die Ella Waldner gemacht. Das ist eine alte Frau, die in einer Kate im Wald lebt und sich mit Kräutern auskennt. Alle in Waldkogel vertrauen ihr, sogar Doktor Engler.«

Katrin hielt Tills Hand fest und legte das Mullstück auf die Wunde. Till zog hörbar die Luft ein.

»Himmel, das brennt wirklich!«

»Sagte ich doch! Aber bald hört es wieder auf und morgen ist die Hand viel besser. Das garantiere ich!«

»Dann muss ich es wohl glauben!«

»Du musst nicht!«

Katrin nahm eine Binde und wickelte sie ihm um die Hand.

»Danke! Der Schmerz lässt schon nach!«

»Gute Besserung!«

»Oh, danke! Du kannst ja richtig nett sein. Dabei bin ich sicher, dass hinter der rauen Schale ein guter Kern steckt.«

Katrin wandte sich ab und packte die Verbandsachen ein.

»Du sagst nichts!«

»Warum sollte ich etwas sagen? Mir ist es nicht nach Reden, Till. Es war ein schlimmer Tag!«

Sie schaute ihn an und lächelte zaghaft. Eine Röte färbte ihre Wangen.

»Till, wenn ich etwas barsch zu dir war, dann richtet es sich nicht gegen dich. Entschuldige! Ich bin nur so wütend – auf alles – auf Gott und die Welt – auf meinen Onkel – auf meinen Vater – ach, einfach auf jeden!«

»Das klingt nicht gut und ist nicht gut. Kann ich irgendwie helfen? Du hast meine Hand versorgt. Ich kann dir nichts dafür geben, ich habe nichts. Ich kann dir nur zuhören, wenn du magst. Ich bin nicht aus Waldkogel, kenne hier niemanden außer Pfarrer Zandler näher… Ich meine damit, ich laufe nicht zu einem Nachbarn und erzähle, was du mir anvertraut hast. Also, was hat dich so wütend gemacht?«

Katrin schwieg. Sie vergrub die Hände in den Taschen ihrer Dirndlschürze. Sie schaute auf den Boden.

Tillmann griff ihr ganz vorsichtig unter das Kinn. Er hob ihren Kopf an.

»Du hast ja feuchte Augen.«

In diesem Augenblick rollten zwei Tränen ihre Wangen hinunter.

»Entschuldige, ich bin sonst keine Heulsuse. Es ist einfach nur so viel. Ich habe es schon lange kommen gesehen. Ich habe immer und immer wieder versucht, mit ihm zu reden. Aber ich kam nicht an ihn heran. Und jetzt ist er krank. Ich bin mir fast sicher, dass es von diesem Zeugs kommt. Aber ich kann ihn doch nicht so einfach verdächtigen oder? Und mit meiner Mutter kann ich nicht drüber reden.«

»Was ist, Katrin? Geht es um deinen Vater?«

Katrin nickte.

»Ich habe solche Angst um ihn!«

»Das ist doch verständlich!«

Er lächelte sie an.

»Katrin, Pfarrer Zandler sagte mir, euer Doktor sei wirklich ein guter Arzt. Er kann ihn bestimmt behandeln.«

»Ich will es hoffen. Aber auch wenn er ihn behandelt, damit ist das alles noch nicht vorbei.«

»Was ist noch nicht vorbei?«

Katrin sank auf einen Stuhl. Sie stützte die Arme auf den Tisch und barg den Kopf in den Händen. Tillmann beobachtete sie. Sein Herz war voller Mitleid.

»Wollen wir einen Spaziergang machen? Mir hilft es immer, wenn ich ein Stück laufe. Dabei wird der Kopf frei, Katrin. Gibt es hier in der Nähe einen schönen Weg?«

»Till, es ist Nacht!«

Er lächelte.

»Das weiß ich! Aber gerade die Stille der Nacht bringt Frieden in die Herzen.«

Er streckte ihr seine gesunde Hand entgegen.

»Deine Mutter hat gesagt, dass ich jederzeit in euren Garten darf. Komm, lass uns gehen!«

Er nahm sie einfach bei der Hand und zog sie fort.

Sie gingen über den Hof, an der Scheune vorbei, in den dahinterliegenden Garten. Sie setzen sich auf eine Bank unter dem alten Nussbaum.

»Also, nun schütte dein Herz aus. Weißt du, es ist immer gut, mit einem neutralen Außenstehenden zu reden, wenn man Kummer hat. Er ist unparteiisch. Ich biete mich dir als neutraler Zuhörer an.«

»Vater nimmt heimlich irgendwelche Pillen. Ich beobachte ihn schon lange. Einmal habe ich ihn dabei gesehen, wie er sie geschluckt hat. Till, ich bin doch nicht bescheuert. Wenn jemand so müde ist wie er und dann plötzlich frisch und munter. Dann… dann geht das nicht mir rechten Dingen zu. Es müssen solche Tabletten zum Wachbleiben sein, ein Aufputschmittel. Und jetzt ist er zusammengebrochen. Aber ich kann ihn doch nicht verraten! Er würde mir das nie verzeihen. Dabei bin ich mir ganz sicher.«

Katrin öffnete ihr Herz. Alle Angst und Sorgen sprudelten hervor. Sie erzählte von Vaters Bruder, der Schulden auf dem Hof gemacht hatte, der heimlich gespielt und ein Doppelleben geführt hatte. Sie sprach von dessen Verschwinden und die Folgen für ihren Vater. Sie sprach von dessen Ehrgeiz, als besonders ehrlich, fleißig und anständig gelten zu wollen.

»Das ist doch verständlich, Katrin. Er schämt sich für die Blamage, die sein älterer Bruder verursacht hat. Dein Vater muss Frieden mit sich selbst machen. Ihn trifft doch keine Schuld.«

»Das sagte ihm Mutter, das sagte ich ihm. Er lässt sich nicht belehren. Till, ich habe solche Angst um ihn!«

Till legte seinen Arm um Katrin. Sie ließ es geschehen.

»Ich verstehe dich, Katrin. Ich bin ganz auf deiner Seite. Nun lass uns gemeinsam überlegen, was wir tun können.«

»Nichts, kann man tun, Till. Er wird so weitermachen, da bin ich mir ganz sicher!«

»Langsam, langsam, Katrin! Mir kommen zwei Gedanken. Erstens solltest du mit Pfarrer Zandler reden. Er kennt deinen Vater und kann ihm ins Gewissen reden. Außerdem fällt es nicht auf dich zurück. Ich bin sicher, als Geistlicher hat er einen Weg, mit deinem Vater zu reden, ohne dass dieser je erfahren wird, dass der Tipp von dir kam.«

»Du meinst, ich sollte…«

»Ja, genau! Das meine ich! Und weiter! Ich wollte zwar nur einen Tag in Waldkogel bleiben. Aber ich habe Zeit, viel Zeit. Ich kann dir anbieten, länger zu bleiben und euch auf dem Hof zu helfen. Ich habe von Landwirtschaft wenig Ahnung, aber was ich nicht weiß, das kannst du mir oder deine Mutter zeigen oder dein Vater, wenn er wieder daheim ist. Um die Bezahlung, da mache dir keine Sorgen. Ich arbeite immer nur für Kost und Unterbringung. Geld ist für mich nicht wichtig.«

»Du bist ein sonderbarer Bursche, Till! Warum ist dir Geld nicht wichtig?«

»Weil Geld viel unglücklicher machen kann als glücklich!«

Katrin sah ihn im Mondlicht an.

»Geld kann beides machen, glücklich und unglücklich! Das Geld, das sich mein Onkel geborgt hat, um zu spielen, das macht meine Eltern und mich unglücklich. Wenn wir auf irgendeine Art und Weise plötzlich zu viel Geld kämen, dann könnten wir unsere Hypothek bezahlen und glücklich sein. Also würde im zweiten Fall Geld glücklich machen. Oh, Till, ich habe schon sooft von einem Lottogewinn geträumt. Dann wären alle Probleme gelöst.«

Till lächelte Katrin im Mondlicht zu und strich ihr eine Locke aus der Stirn.

»Du zweifelst daran?«

»Ich sagte dir doch, dass ich Geld als eine Last ansehe. Ich halte mich lieber an etwas, was wirklich wertvoll ist.«

»Was ist wertvoll für dich?«

»Freiheit, Unabhängigkeit, Fröhlichkeit, Ehrlichkeit und Liebe.«

»Liebe«, stöhnte Katrin.

»Du glaubst nicht an die Liebe?«

»Im Allgemeinen soll sie sehr schön sein. Aber ich habe damit wohl so meine Bedenken, wie du deine Bedenken mit Geld hast.«

»Das musst du mir näher erklären! Geld ist etwas Materielles und Liebe ist ein tiefes, ein wunderbares Gefühl! Warum lehnst du die Liebe ab?«

»Ich lehne die Liebe nicht wirklich ab. Ich habe nur Bedenken – und Erfahrungen. Vater leidet unter dem Schuldenberg. Ich weiß, dass mein Onkel auch mein Leben belastet. Es ist schlimm einen Spieler in der Familie gehabt zu haben. Wer will schon eine Frau, in deren Familie es ein schwarzes Schaf gibt?«

Till legte seinen Arm fester um Katrin. Er zog sie an sich und schaute ihr tief in die Augen.

»Ich würde dich nehmen, sofort und ohne Bedenken. Ich sehe nur dich, nicht deine Familie, nicht das schwarze Schaf, deinen Onkel. Weißt du, das gefällt mir an meinem Leben. Die Menschen, die ich treffe, die müssen mich so nehmen, wie ich bin, ohne Familiengeschichte, ohne Geld, nur mit meinen Idealen. Ich selbst will die Menschen auch so sehen. Nur so kannst du einen Menschen wirklich beurteilen, wenn du ihn dir ohne jeden materiellen Besitz vorstellst. Und so sehe ich dich, Katrin. Du bist eine sehr schöne, junge Frau, eine wunderbare, junge Frau. Ich kann in deinen Augen lesen und was ich darin lese, das gefällt mir sehr gut.«

»Was liest du da?«

»Du bist wunderschön, liebevoll und ehrlich.«

Katrin seufzte.

»Rede weiter, es ist Balsam für meine Seele«, seufzte Katrin.

Till lachte leise.

»Ich war damit noch nicht am Ende. Ich wollte noch sagen, dass ich sehe, dass du sehr stark bist. Du kannst sehr hart sein. Aber im Grunde deines Herzens bist du weich und mitfühlend, aber auch sehr verletzlich.«

»Ich habe mir einen Panzer zugelegt. Ich habe früh gelernt, dass ich damit besser durch das Leben komme. Schon als Kind habe ich das gelernt, es war eine schmerzliche Lektion.«

Katrin erzählte, dass die Kinder in Waldkogel oft Murmel spielten. Wer gewann, durfte die Murmeln behalten. Später fingen die Buben an, um kleine Beträge zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Mädchen vom Spiel ausgeschlossen. Nur sie hätten sie weiter mitspielen lassen, da sie ja aus einer Familie von Spielern käme und deshalb anders sei als die anderen Madln.

»Kinder können grausam sein, Katrin! Das kenne ich auch!«

Er fuhr ihr mit der Hand zart über die Wange.

»Du solltest es ihnen nicht nachtragen. Kinder reden oft nur das daher, was sie irgendwo aufgeschnappt haben. Die meisten Menschen machen doch andere Menschen nur schlecht, um selbst besser dazustehen. Kinder müssen erst lernen, zu unterscheiden.«

»Du bist klug, Till. Aber das wundert mich nicht. Sicherlich kommst du viel herum, wenn du so unterwegs bist und hast auf diese Weise eine Menge Lebenserfahrung gesammelt.«

»Ja, das habe ich!«

Katrin schaute ihn an.

»Ich bin froh, dass dich dein Weg nach Waldkogel geführt hat und du hier bist. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn du länger bleiben würdest.«

»Ich bleibe so lange du willst, dass ich bleibe! Du gefällst mir, Katrin. Als ich dich beim Doktor in der Wohn­küche gesehen habe, da habe ich mich in dich verliebt. Mein Herz machte einen Sprung und fing heftig an zu schlagen.«

»Deshalb hast du mich so angesehen. Jetzt verstehe ich. Du hast mir auch gefallen. Aber es war alles zu viel. Vater, sein Zusammenbruch – und dann bist du plötzlich da!«

Sie schauten sich an. Zaghaft drückte ihr Tillmann einen Kuss auf das Haar. Katrin legte ihren Kopf an seine Schulter.

»Till, ich habe dir viel von mir erzählt und weiß wenig von dir, deiner Familie, wo du herkommst, was du gemacht hast. Aber irgendwie stört es mich nicht mehr. Pfarrer Zandler sagte, wir sollten keine Fragen stellen.«

»Katrin, ich bin ehrlich. Ich habe keine kriminelle Vergangenheit. Ich bin nur voller Ideale und versuche danach zu leben.«

»Und du suchst jemanden, der dich versteht! Stimmt es?«

»Woher weißt du das?«

»Ich lese es in deinen Augen!«

Ihre Gesichter kamen sich näher. Katrin schloss die Augen. Ihr Herz klopfte. Sie spürte, wie seine Umarmung noch fester wurde. Dann berührten sich ihre Lippen. Ein jeder spürte die Wärme und Zuneigung des anderen. Es war ein Band der Liebe, das durch Berührung ihrer Lippen ihre Herzen zusammenband.

»Katrin, ich liebe dich!« flüsterte Till leise. »Ich kann dir nichts geben als meine Liebe! Meine Treue! Ich will verlässlich sein und dir immer eine Stütze, Trost und Zuflucht in trüben Tagen sein, wenn eine Wolke über dem Gipfel des ›Höllentors‹ steht.«

»Ich liebe dich, Till! Ich spüre, dass du es ehrlich meinst. Halte mich fest, lass mich nie mehr los.«

»Ich halte dich und will dich auf Händen tragen, jetzt erst einmal nur auf einer Hand, zwangsweise.«

Sie lachten.

»Dann hoffe ich, dass die Verletzung an der Hand bald heilt.«

»Bei dieser wunderbaren Pflege wird sie sicherlich bald heilen.«

Till begann zu erzählen, wie es dazu kam, dass er sich verletzt hatte.

»Zum Glück ist nicht mehr passiert!«, seufzte Katrin und kuschelte sich an ihn.

»Übrigens, ich heiße mit vollem Namen Tillmann, Till ist nur eine Abkürzung. Und mein Familiennamen ist Berg, wie die Berge.«

»Ein schöner Name ›Berg‹. Das klingt so stark und verlässlich.«

»Du kannst dich immer auf mich verlassen, Katrin.«

Er küsste sie wieder. Sie fühlte, wie sehr er sie liebte.

»Katrin, eines will ich dir noch sagen. Das musst du so hinnehmen. Ich muss von Zeit zu Zeit vagabundieren. Da hält es mich nicht mehr daheim. Das wird nie etwas mit dir zu tun haben. Ich werde aber immer wiederkommen, das verspreche ich dir.«

»Ich verstehe es nicht, Till. Aber ich vertraue dir. Ich bin sicher, dass du mir eines Tages erzählst, warum das so ist. Sicherlich hast du auch deine Geschichte.«

»Ja, die habe ich, Katrin. Doch an die Vergangenheit will ich jetzt nicht denken, sondern nur an die Zukunft mir dir. Ich liebe dich! Diese Liebe wird mein Leben verändern. Diese Liebe hat mein Leben schon verändert.«

»Mein Leben auch! Ich fühle mich stark. Wenn du bei mir bist, bin ich zuversichtlich und bin auch nicht mehr ängstlich.«

»Das ist gut so!«

Katrin kuschelte sich an Tillmann.

»Lass uns noch einen kleinen Augenblick hier sitzen, dann muss ich schlafen gehen. Ich muss morgen nach Kirchwalden zur Arbeit. Ich arbeite in der Verwaltung eines Hotels. Aber am Wochenende habe ich frei.«

»Ich freue mich darauf! Du musst mir alles zeigen. Ich will viel lernen über Landwirtschaft und den Hof, über Schweine und Kühe und Hühner und Almen und so weiter.«

»Ja, das werde ich tun! Aber mit den Lektionen fangen wir erst morgen Abend an, jetzt nicht. Haben wir jetzt nicht viel Besseres zu tun?«

»Oh ja!« Till lächelte sie an.

Sie nahmen sich wieder in die Arme und küssten sich. Sie kuschelten sich aneinander und waren sich so nah. Die Welt, das ganze Universum mit all den Sternen über ihnen, versank. Es gab nur sie beide. Ihre Herzen hatten sich gefunden.

Die Turmuhr der schönen Barockkirche schlug Mitternacht. Eng umschlungen gingen sie langsam nach vorne. Till brachte Katrin bis zur Haustür. Sie gaben sich einen langen, einen sehr langen Gutenachtkuss. Dann ging Katrin ins Haus. Till setzte sich auf der anderen Hofseite vor dem Altenteil auf die Bank. Er betrachtete das Haus und wartete, bis hinter Katrins Fenster das Licht ausging. Dann ging er hinein und legte sich hin.

*

Tillmann konnte nicht einschlafen. Er dachte an Katrin. Sein Herz war voller Liebe und Zuneigung, wie er es noch niemals in seinem Leben für einen Menschen empfunden hatte. Danach habe ich gesucht, erkannte Tillmann. Deshalb war diese Unruhe in meinem Leben. Ich suchte die Liebe, auch wenn ich mir dessen nicht bewusst war. Ich suchte einen Hafen, eine Heimat, den anderen Teil, der zu mir gehört. Das trieb mich weiter und weiter. Jetzt habe ich das Glück gefunden, wonach ich immer gesucht habe. Es hat einen Namen und es heißt ›Katrin‹, Katrin Küchler.

Pfarrer Zandler hat recht. Es hat im Leben alles einen Sinn. Ich musste heute nach Waldkogel kommen. Ob die Engel vom ›Engelssteig‹ etwas dazu getan haben, überlegte Tillmann. Die wenigen Geschichten, die Pfarrer Zandler Till vom ›Engelssteig‹ und ›Höllentor‹ erzählt hatte, hatten ihm gut gefallen. Ja, es gibt eine höhere Macht, eine göttliche Fürsorge, dachte Till. Dankbarkeit, Zufriedenheit und Glück erfüllten sein Herz, wie er es noch nie gespürt hatte. Es war die Liebe, nach der ich gesucht hatte, die wahre, die große, die einzige Liebe. Die Liebe, die es nur zwischen den beiden Menschen geben kann, die wirklich füreinander bestimmt sind. Katrin gehört zu mir und ich gehöre zu Katrin, dachte er.

Till wollte sich eigentlich einen Plan zurechtlegen. Es gab da einiges, was er regeln musste. Doch er entschied, dass er sich damit Zeit lassen würde. Es war auch nicht so wichtig. Wichtig war erst einmal nur, dass er geliebt wurde und er Katrin liebte. Für alles andere würde er eine Lösung finden. Till hatte ein schlechtes Gewissen, weil er in gewisser Weise Katrin hinters Licht geführt hatte. Aber es war sein Weg. Dafür hatte er sich entschieden. Er wusste, dass er in naher Zukunft mit Katrin darüber reden müsste. Wenn sie mich wirklich liebt, dann wird sie verstehen, dass ich so handeln musste. Mit dieser Hoffnung schlief er ein.

Katrin war nicht gleich schlafen gegangen. Sie hatte, bevor sie das Licht löschte, an ihre Arbeitsstelle eine Mail geschickt und zusätzlich den Nachtportier angerufen. Sie nahm sich einen Tag Urlaub, da ihr Vater plötzlich ernsthaft erkrankt war. Katrin sagte sich mehrmals vor, dass dies der Grund sei, warum sie nicht zur Arbeit ging. Doch sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. In Wirklichkeit wollte sie nur in Tills Nähe sein. Ach, ich hätte Mutters Vorschlag doch annehmen sollen, ihm eine Kammer hier im Haus zu geben. Dann wäre er mir viel näher, dachte sie. Sie überlegte, wie sie es anstellen könnte, dass er ins Haus umzog. Auf der anderen Seite kann ich jederzeit zu ihm hinübergehen. Er kann auch fensterln, dachte Katrin. Sie lächelte in die Dunkelheit ihres Zimmers. Sie nahm sich vor, ihm beiläufig die große Leiter in der Scheune zu zeigen.

Am nächsten Morgen war Katrin schon in der Küche, als ihre Mutter kam.

»Du bist schon auf? Hast nicht schlafen können? Musstest du immer an den Vater denken?«

»Ja, auch!«

Luise warf ihrer Tochter einen Seitenblick zu und sah, dass diese ganz rote Wangen hatte. Katrin seufzte.

»Mutter, ich habe das mit meinem Arbeitgeber geregelt. Ich gehe heute nicht arbeiten.«

Ihre Mutter wollte etwas einwenden, doch Katrin kam ihr zuvor: »Ich habe alles genau geplant. Du kannst nicht hier auf dem Hof bleiben und diesem Till alles zeigen, Mutter. Du musst zum Vater. Er wird schneller gesund, wenn du bei ihm bist. Ich bleibe hier auf dem Hof und leite Till an.«

Ihre Mutter unterdrückte ein Schmunzeln.

»Du sagst ja gar nichts dazu, Mutter?«

»Doch, doch! Ich war noch am Nachdenken! Du hast recht. Es ist besser so, wenigstens für die ersten Tage. Meinst du denn, du kommst mit diesem jungen Mann zurecht?«

»Ja, Till ist in Ordnung! Ich habe mich gestern Abend noch eine Weile mit ihm unterhalten.«

»So? Und?«

»Mutter, ich denke, sicher ist er etwas geheimnisvoll. Aber er scheint ehrlich zu sein. Außerdem kann er gut zuhören. Und er will länger bei uns bleiben…«

Luise trat neben ihre Tochter. Sie sah sie an.

»Katrin, sag mal, kann es sein, dass du für den Burschen etwas empfindest?«

Katrin schaute ihrer Mutter in die Augen.

»Ja! Ja, so ist es! Ich habe mich in ihn verliebt!«

Die Bäuerin schaute Katrin lange an. Dann lächelte sie.

»Du scheinst dir sehr sicher zu sein, Katrin!«

»Ich bin mir sehr sicher, Mutter! Ich liebe ihn und er liebt mich. Er hat es mir gesagt. Wir sind uns beide sicher. Er hatte mir schon beim Doktor gefallen, als mir die Katja ihn mir vorstellte, und ich habe ihm gefallen. Es ist einfach so! Mutter, ich habe mein Glück gefunden.«

Katrin zuckte hilflos mit den Schultern.

»Ich kann dir nur sagen, dass es einfach geschehen ist. Ich habe mich zuerst dagegen gewehrt. Aber gegen die Gefühle in meinem Herzen kam ich nicht an. Oh Mutter, es ging alles so schnell! Katja hat uns einander vorgestellt, wir sahen uns kurz an und ich wusste es einfach – er ist es. Es war, als hätte ich schon immer nach ihm gesucht und nun war er da. In meinem Kopf drehte sich alles. Ach, Mutter, ich weiß, dass du im Augenblick großen Kummer mit Vater hast. Ich kann mir denken, dass es ein völlig falscher Zeitpunkt ist, dass ich jetzt auch noch mit einem Burschen ankomme und dazu noch mit einem Vagabunden. Doch gegen die Gefühle in meinem Herzen komme ich nicht an, Mutter.«

Katrin schaute ihre Mutter an. In ihrem Blick lagen das Glück der Liebe und gleichzeitig Unsicherheit. Ihre Mutter lächelte sie an.

»Katrin, kein Mensch kann sich aussuchen, wo und wann er sich verliebt. Es ist das Wunder der Liebe und geschieht einfach. Ich kann mir vorstellen, wie durcheinander du bist. Aber du musst kein schlechtes Gewissen haben, dass du dich ausgerechnet jetzt verliebt hast. Till ist ein fescher Bursche. Sicherlich wäre es mir etwas leichter ums Herz, wenn wir etwas mehr über ihn wüssten. Aber Pfarrer Zandler ist ein guter Menschenkenner. Er würde uns niemanden auf den Hof schicken, der ein schlechter Mensch ist.«

Luise Küchler lächelte ihre Tochter an.

»Katrin, außerdem spürst du in deinem Herzen am Besten, was er für ein Mensch ist. Was fühlst du?«

»Till ist einfühlsam, ehrlich, geduldig und bescheiden. Er kann gut zuhören und ist gewiss kein Hallodri. Er legt wenig Wert auf Äußerlichkeiten. Er will alles über Landwirtschaft lernen. Ach Mutter, es ist schwer zu beschreiben, was ich für ihn empfinde. Mein Verstand sagt mir, Katrin, du bist verrückt. Er ist ein Dahergelaufener. Aber die Liebe flüstert mir zu, halte ihn fest. Er ist der Richtige.«

»Dann wird Till schon der Richtige für dich sein! Genieße das Gefühl, verliebt zu sein. Es ist ein wunderbares Gefühl. So wirst du dich nie mehr im Leben fühlen. Lass einfach alles so geschehen, wie es kommt. Dein Herz wird dir den Weg weisen.«

Die Bäuerin schaute Katrin ernst an.

»Was die Zukunft bringt, weiß niemand. Es gibt auf dem Weg des Lebens immer wieder Hindernisse. Glaube mir, niemand hat ein Leben, in dem nur die Sonne scheint. Und wenn sich Hindernisse auftürmen so groß wie die Berge rund um Waldkogel, dann ist es wichtig, dass du liebst, wirklich liebst. Nur die Liebe gibt dir Kraft, diese Berge zu überwinden. Sie ist die beste Versicherung gegen Schicksalsschläge. Die Liebe macht stark. Sie ist das untrennbare Band zwischen zwei Menschen. Dieses Band überwindet Entfernungen, Entbehrungen, Leid und Not. Stelle dir das Schlimmste vor, was dir im Leben geschehen könnte, Katrin. Und stelle dir weiter vor, dass du und Till euch dann an den Händen nehmt und euch sagt, wir gehen gemeinsam weiter, wir schaffen es, einer gibt dem anderen Kraft und Stärke. Wenn du bei dem letzten Gedanken ein gutes Gefühl in deinem Herzen hast, dann ist Till der Richtige für dich.«

Katrin schlang ihre Arme um den Hals ihrer Mutter und drückte sie zärtlich.

»Das hast du schön gesagt, Mutter! Danke!«

»Schon gut, Madl! Außerdem kann ich keine Entscheidung für dich treffen. Eltern können viele Entscheidungen für ihre Kinder treffen. Wenn du selbst einmal Kinder hast, dann wirst du das erleben. Aber wen du heiratest, das ist ganz allein deine Entscheidung. Du musst ihn erwählen. Du musst dir sagen, er soll der Vater meiner Kinder sein. Diese Entscheidung nimmt dir niemand ab. Es ist die wichtigste Entscheidung, die eine Frau in ihrem Leben trifft. Treffe sie mit dem Herzen, Katrin, und nicht mir dem Verstand!«

Sie hörten durch die offenen Küchenfenster, wie Till drüben beim Altenteil aus dem Haus kam.

»Mutter, ich verdrücke mich durch die Hintertür. Ich fahre zum Doktor, hole die Krankmeldung ab und bringe sie nach Kirchwalden.«

»Gute Idee, dann bin eine Weile mit deinem Till alleine. Ich sehe ihn mir einmal an.«

Katrin nickte.

»Mutter, ich denke, wir sollten Vater davon erst einmal nichts sagen. Ich will damit noch warten, – nicht weil ich unsicher bin.«

»Sondern weil du dir Gedanken und Sorgen machst, wie dein Vater es aufnimmt, da Till ein Fremder ist«, warf ihre Mutter ein.

»Ja, Mutter! Vater wird nur sehen, dass er ein Vagabund ist. Du kennst Vater doch. Jeden vergleicht er mit seinem Bruder!«

»Lauf, Katrin! Mache dir keine Gedanken, dein Vater ist noch einige Tage beim Doktor!«

Katrin huschte aus der Hintertür der Wohnküche, die in den Garten führte.

*

Konrad Küchler war schon eine Woche bei Doktor Engler. Er schlief viel, nahm die Medikamente, die Martin ihm gab. Der Bauer fühlte sich kräftiger und machte kleine Spaziergänge rund um das Haus.

Eines Abends fand ihn Doktor Martin Engler im Garten.

»Ah, hier bist, Küchler! Ich habe dich gesucht.«

Konrad Küchler stand auf.

»Ist es wieder Zeit für meine Medizin?«

»Nein! Bleib sitzen. Ich setze mich zu dir!«

Doktor Martin Engler setzte sich neben Konrad unter den Obstbaum.

»Dir geht es besser! Die Krise ist überwunden. Wenn du willst, kannst du unter gewissen Vorgaben heim gehen, Küchler.«

»Und die Vorgabe ist?«

»Dass du hoch und heilig versprichst, die Finger von dem Dreckszeug zu lassen. Du hättest dich umbringen können!«

»Ich verspreche es. Ich weiß, dass es dumm war. Aber ich wusste mir sonst nimmer zu helfen. Ich musste doch arbeiten.«

»Küchlerbauer, das verstehe ich alles. Aber ich bin Arzt. Ich kann doch net die Augen zumachen, wenn sich jemand illegal Aufputschmittel besorgt und sie dann noch in so großen Mengen nimmt. Damit muss jetzt Schluss sein.«

»Ja, es ist Schluss!«

»Dein Wort in allen Ehren, Küchler. Aber darauf lasse ich mich nicht ein. Du kommst jede Woche zu mir in die Praxis. Dann untersuche ich dich und nehme dir Blut ab. Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht habe, dann lasse ich mir etwas einfallen, das schwöre ich dir. Ich sehe nicht tatenlos zu, wie du dich weiter ruinierst. Dass du dich dabei sogar strafbar machst, daran will ich jetzt nicht einmal denken. Also, du kannst deine Sachen packen und gehen. Wir sehen uns jeden Freitagabend hier in der Praxis. Gnade dir Gott, wenn du nochmal etwas nehmen tust!«

Konrad Küchler nickte. Er sah zerknirscht aus.

»Ich weiß schon, was du für mich getan hast, Martin!«

»Höre auf, Süßholz zu raspeln. Ich bin schon ein bisserl wütend auf dich. Aber wir drehen uns im Kreise. Ich habe dir gesagt, was ich dir zu sagen hatte, Küchler. Und jetzt musst du dein Leben in den Griff bekommen.«

Konrad Küchler stand auf. Er reichte Doktor Martin Engler die Hand.

»Sage der Luise und der Katrin Grüße von mir und dem Till auch.«

»Wer ist Till?«

»Ach stimmt, des weißt du noch nicht. Der Till ist ein Helfer, den der Pfarrer Zandler zu euch auf den Hof geschickt hat.«

»Davon hat mir die Luise nichts gesagt.«

»Des war auch besser so! Naja, jetzt weißt du es. Pfarrer Zandler sagt, der Till hat Zeit und kann noch eine Weile bei euch bleiben. Aber die Einzelheiten, die beredest du mit dem Zandler selbst.«

»Gut, das werde ich. Ich packe meine Sachen und gehe. Wir sehen uns dann nächste Woche!«

Martin nickte. Er blieb sitzen und sah Konrad Küchler nach, wie er durch den Garten ging.

Es dauerte eine Weile, dann kam Katharina, die Katja gerufen wurde, in den Garten.

»Da bist du ja, meine liebe Frau!«

Martin zog Katja auf seinen Schoß und küsste sie.

»Ist der Küchler gegangen?«

»Ja! Er wollte auf dem Heimweg gleich beim Pfarrer vorbeigehen.«

»Das ist gut!«

»Das war unser erster richtiger Bettenpatient, Katja. Ich bin froh, dass wir die Praxis erweitert haben.«

»Ja, das war eine gute Idee.«

»Es war die Idee der Schwannigerbäuerin. Ist die Waltraud schon schlafen gegangen?«

»Ja, sie hat sich schon hingelegt. Musst du noch Hausbesuche machen?«

Martin überlegte.

»Ja, ich werde noch einen oder zwei Hausbesuche machen. Es dauert aber nicht lange.«

Sie standen auf und gingen nach vorne zu Martins Geländewagen. Mira, die lebhafte Pointerhündin saß schon daneben. Sie wusste, dass Martin sie mit zu den Hausbesuchen nahm. Martin gab seiner Katja noch einen Kuss und fuhr los.

Katja ging ins Haus und rief auf dem Küchler Hof an. Katrin war am Telefon.

»Hallo, Katrin, hier ist Katja! Ich wollte dir sagen, dass Martin deinen Vater entlassen hat.«

»Danke, das ist ja wunderbar! Ich freue mich! Soll ich kommen und ihn abholen?«

»Nein, dein Vater ist schon fort. Er wollte noch bei Pfarrer Zandler vorbei. Ich dachte, ich sage es dir.«

Katja Engler seufzte leise.

»Nachdem du mir die Tage von dir und Till erzählt hast, dachte ich, es ist besser, wenn ich dich vorwarne. Martin hat ihm gesagt, dass Till als Helfer bei euch auf dem Hof ist. Martin sagt, dass dein Vater sehr verwundert war, dass das ihm niemand gesagt hatte. Aber Martin nahm es auf seine Kappe, weil er ihm Aufregungen ersparen wollte. Er sollte erst einmal gesund werden.«

»Danke, Katja! Das wird etwas geben. Ich werde wohl mit meinem Vater reden müssen. Verstecken können Till und ich uns nicht. Mutter sagt, man sehe uns unsere Liebe an. Oh, Katja, mir ist ganz flau. Wie wird Vater es aufnehmen? Ich habe richtig Angst.«

»Mache dir nicht so viele Gedanken. Was soll dein Vater gegen Till haben?«

»Ach, Katja, du kennst Vater nicht so gut wie ich. Er wird das mit Till nicht so hinnehmen, denke ich. Jedenfalls danke ich dir, dass du mich angerufen hast. Besuche uns doch mal die Tage.«

»Ich komme gern vorbei! Bis dann, grüße deine Mutter und Till.«

Sie legten auf. Katja setzte sich vor das Haus und wartete auf ihren Martin. Mit den Gedanken war sie bei Katrin Küchler, die ihr vor einigen Tagen ihr Herz ausgeschüttet hatte. Sie war so sehr in Till verliebt, hatte aber Angst vor ihrem Vater. Dieser war nach dem Verschwinden seines Bruders ein verbitterter Mensch geworden, der voller Vorurteile war und bei anderen Menschen nicht die geringste Toleranz zeigte.

In der Wohnküche auf dem Küchler Hof ging Katrin unruhig auf und ab. Ihr Herz klopfte. Sie hatte Angst, ihrem Vater zu gestehen, dass sie sich in einen Burschen verliebt hatte, von dem sie nur wusste, wie sein Name war und dass sie ihn liebte. Katja hoffte, ihr Vater würde vor Till heimkommen, damit sie in Ruhe mit ihm reden konnte. Till war zum Sägewerk gefahren, etwas Holz zu holen, um einen Zaun auszubessern.

Konrad Küchler saß Pfarrer Zandler gegenüber. Helene Träutlein hatte einen Kräutertee für den Küchler gebracht. Pfarrer Zandler trank ein Bier.

»Also, ich dachte, ich gehe auf dem Heimweg bei Ihnen vorbei und sage noch einmal Danke!«

»Schon gut, Küchler! Es gehört zu meinen Aufgaben, Beistand zu leisten. Jetzt musst du dein Leben umstellen. Hast du schon mal daran gedacht, dir eine andere Arbeit zu suchen? Du solltest nicht mehr in der Nacht arbeiten.«

»Das ist leicht gesagt, aber ich muss mich doch noch um die Landwirtschaft kümmern, auch wenn es nur Nebenerwerb ist.«

»Für einen Nebenerwerb hast du zu viele Kühe und Schweine, Küchler.«

»Des stimmt schon, aber es geht eben ums Geld, Herr Pfarrer!«

»Nicht nur! Küchler, wir haben doch schon darüber geredet. Außerdem bist nimmer alleine. Ich habe euch eine Hilfe besorgt.«

»Ja, der Martin hat mir davon erzählt. Meine Luise hatte mir kein Wort davon gesagt. Wer ist der Bursche?«

»Tillmann heißt er, Till wird er gerufen. Er ist ein feiner Bursche. Etwas verschlossen ist er. Ich weiß nicht viel über ihn. Er ist ein Vagabund der besonderen Art, will ich mal sagen.«

»Ein Vagabund, ein Landstreicher?«

»Nicht so einer, wie du denkst. Ich denke, er ist weder ein Drückeberger noch ein Versager. Er hat nur andere Ziele, eine andere Lebensphilosophie als die meisten Menschen. Er beschreibt sich selbst als ein Suchender nach Idealen, wie Zufriedenheit, Glück, eben solche Werte. Geld bedeutet ihm nichts, sagt er. Er zieht wohl durch die Welt und lässt alles auf sich zukommen. Es war Zufall, dass der hier nach Waldkogel kam. Aber Zufälle gibt es nicht, sage ich immer. Es war wohl Vorsehung. Jedenfalls kam er an dem Tag, als du zusammengebrochen bist. Und dann habe ich ihn gebeten, zu bleiben und auf eurem Hof zu helfen. Er macht des wohl ganz ordentlich.«

Konrad Küchler zog die Augenbrauen hoch und legte die Stirn in Falten.

»Schau net so, Küchler!«, tadelte ihn der Pfarrer. »Der Till ist ordentlich und hat sich sofort bereit erklärt, euch auf dem Hof zu helfen. Er will auch keine Bezahlung, nur Unterbringung und Essen. Deine Luise hat mir erzählt, dass er länger bei euch bleiben will. Sie ist ganz angetan von ihm. Jedenfalls hast du es jetzt leichter, Küchler.«

»Wo kommt er her? Was hat er gelernt? Warum zieht er herum? Hat er kein Zuhause?«

»So viele Fragen auf einmal? Ich kann dir keine davon beantworten. Er ist sehr schweigsam, was solche Fragen betrifft. Aber ich habe einen guten Eindruck von ihm.«

Konrad Küchler rieb sich das Kinn. Er wollte den Pfarrer Zandler nicht verärgern. Aber was sollte er von einem Burschen halten, der nicht bezahlt werden wollte, der keine feste Bleibe hatte und etwas zu verbergen hatte.

»Mei, ich werde mir den Burschen mal anschauen, Herr Pfarrer!«, sagte Küchler leise.

Er trank seinen Tee aus. Pfarrer Zandler brachte ihn zur Tür.

»Dann grüße mir die Deinen lieb von mir. Ich besuche euch die nächsten Tage, Küchler!«

»Wir freuen uns, Herr Pfarrer! Sie sind jederzeit ein gern gesehener Gast!«

Konrad Küchler nahm seine Tasche und ging fort.

Auf dem Küchler Hof gab es eine stürmische Begrüßung. Luise und Katrin waren so glücklich, dass der Bauer wieder daheim war. Er stand noch mit Luise und Katrin auf dem Hof, als Till mit dem Jeep kam. Sie hatten sich über Till unterhalten.

»Ah, da ist er ja!«, sagte Konrad. »Ich werde ihn mir mal ansehen. Lass mich des alleine machen, von Mann zu Mann.«

Der Bauer ging auf Till zu, der aus dem Auto ausstieg.

»Grüß Gott, du bist also der Till! Ich bin Konrad Küchler, der Bauer!«

»Grüß Gott! Geht es Ihnen besser?«

»Ja, danke! Und danke, dass du uns geholfen hast. Pfarrer Zandler hat dich vermittelt.«

»Ich habe gern geholfen!«

Till begann das Holz von der Ladefläche des Jeeps abzuladen.

»Ich habe gehört, du willst länger bleiben?«

Till richtete sich auf und sah Konrad Küchler in die Augen.

»Ja, ich hege in dieser Richtung Absichten, besonders…«

»Wie lange?«, unterbrach ihn der Bauer barsch.

Tillmann sah ihm in die Augen. Er überlegte kurz und entschied sich, von Anfang an, mit offenen Karten zu spielen.

»Also, eigentlich denke ich an eine dauerhafte…«

»Für immer?« unterbrach ihn Konrad Küchler erneut.

»Ja, wenn sie es so sehen wollen!«

»Da habe ich auch noch ein Wort mitzureden!«

»Das ist wohl in erster Linie die Angelegenheit von Katrin und mir.«

»Wie soll ich des verstehen?«

»Ich weiß nicht, wie die Bräuche hier so sind in den Bergen. Aber ich will, dass von Anfang an Klarheit zwischen uns ist. Ich habe mich in die Katrin verliebt und sie liebt mich. Das meine ich ihm Hinblick auf ›immer‹ oder mit der Umschreibung ›dauerhaft‹!«

Konrad Küchler starrte Till an. Er konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Ihm stieg die Zornesröte ins Gesicht.

»Willst dich wohl ins gemachte Nest setzen, wie? Hast nix! Bist nix! Ich habe einen schönen Hof, und mein Madl ist ledig. Des hast dir fein ausgedacht. Aber mit mir net! Mein Madl bekommst du nicht. Ich gebe mein einziges Kind net einem Dahergelaufenen, einem Taugenichts. Naa, des kommt net in Frage! Die soll jemand nehmen, der solide ist. Jemand, der sie versorgen kann und bei dem sie net Not leiden muss, jemand, der ihr ein Heim und Sicherheit gibt. Du bist nur eine Zufallsbekanntschaft. Höre dir auf, dir etwas einzubilden! Mag sein, dass du mit Katrin und meiner Luise leichtes Spiel hattest, aber des ist jetzt vorbei. Jetzt bin ich zurück.«

»Ich habe mir den Aufenthalt hier nicht ausgesucht. Es kam, wie es kam. Zufälle gibt es nicht, sagt Pfarrer Zandler!«, sagte Till ruhig.

»Das berede ich mit unserem Herrn Pfarrer noch separat. Jetzt sage ich dir etwas. Jetzt nimmst deine Sachen und gehst. Danke, für deine Hilfe. Aber die wird jetzt nicht mehr gebraucht.«

Konrad Küchler zog seine Taschenuhr und schaute darauf.

»Du bist in fünf Minuten vom Hof verschwunden, sonst mache ich dir Beine, du Vagabund! Das Holz lade ich später ab! Los verschwinde!«, brüllte Konrad Küchler.

Katrin, die mit ihrer Mutter ins Haus gegangen war, kam herausgelaufen.

»Was brüllst du so, Vater?«

»Sei still und sieh zu, dass du hineinkommst. Mit dir und Mutter werde ich reden, wenn ich hier fertig bin!«

»Vater, was ist? Warum bist so ärgerlich?«

»Sei still, Katrin!«, brüllte Konrad Küchler.

Aber Katrin gab nicht so schnell auf. »Du hast dich mit Till gestritten, stimmt es?«

»Naa, ich habe mich nicht gestritten! Ich habe nur klargestellt, wer hier der Bauer ist. Sonst nichts! Ich habe die Verantwortung für den Hof. Die lasse ich mir nicht nehmen!«

Konrad Küchler packte seine Tochter beim Handgelenk und zog sie in Richtung Haus.

»Vater, lass mich los! Du tust mir weh!«

»Dann gehe ins Haus!«

Katrin blieb unschlüssig auf dem Hof stehen. Sie sah, wie Till mit seiner Tasche und dem alten Rucksack aus dem Altenteil kam. Er wollte auf Katrin zugehen.

»Lass deine Finger von meinem Madl!«, brüllte Katrins Vater. »Keinen Schritt weiter, sonst lernst du mich von einer anderen Seite kennen. Des ist mein Hof und ich bestimme, wer hier bleibt und wer geht und du gehst.«

»Wo gehst du hin, Till?«, rief Katrin.

»Ich weiß nicht! Ich lasse es dich wissen, sobald ich es weiß!«

»Till, so bleibe doch hier!«, rief Katrin.

Sie wollte ihm nachlaufen, aber ihr Vater hielt sie zurück.

»Hiergeblieben, Katrin!«, schrie er.

»Vater! Vater! Was ist? Was hat Till getan? Ich liebe ihn!«

»Schmarrn! Wirst mir noch dankbar sein, dass ich dich vor einer Dummheit bewahrt habe!«

Katrin sah Till nach, wie er die Straße hinunterging, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Tränen quollen aus ihren Augen.

»Du zerstörst mein Lebensglück!«

»Du bist ja irre! Du wirst nie ein Lebensglück mit einem Burschen wie ihm haben. Ich kenne die Sorte Mensch. Schmarotzer sind des alle! Nichtsnutze und Tagediebe sind des! Sie haben keine Verantwortung im Leib. Vagabundieren herum, verdrehen den Madln den Kopf und lassen sie am Ende mit einem Kind sitzen.«

»Vater! Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst Till nicht!«

»Ich lege auch keinen Wert darauf, ihn zu kennen! Sie sind alle gleich. Jemand, der etwas auf sich hält, der hat eine Heimat und läuft nicht so durch die Welt.«

Konrad Küchler ließ seine Tochter auf dem Hof stehen und ging ins Haus. Katrin folgte ihm. Sie blieb im Türrahmen der Küchentür stehen.

»Mutter, hilf mir!«, flehte sie.

Luise schaute ihren Mann an.

»Konrad, warum hast du das gemacht?«

»Weil ich des für gut halte! Da frage ich den Burschen ahnungslos, wie lange er bleiben will und er erklärt mir, dass er nimmer daran denkt, zu gehen.«

»Das war doch eine ehrliche Antwort, Konrad! Und die beiden lieben sich.«

»Schmarrn! Des geht auch wieder vorbei! In so einen Vagabunden kann man sich doch net verlieben. Wie kann die Katrin nur so blind sein? Aber nun ist es gut, ich bin ja zum Glück wieder daheim und kann dieser Dummheit einen Riegel vorschieben. Du bist doch hoffentlich net schwanger von dem Burschen? Am besten du gehst sofort zum Doktor und lässt dich untersuchen, hörst?«

Katrin starrte mit tränenvollen Augen ihren Vater an. Wütend warf ihre Mutter das Küchentuch in das Spielbecken.

»Konrad, Konrad! In was steigerst du dich da hinein? Mir wird angst und bange, wenn ich dich so höre! Hole den Till zurück!«, forderte Luise.

»Naa Luise, des mache ich net! Ich bin froh, dass er fort ist. Er hat mir gesagt, wie er sich die Zukunft vorstellt und ich sage, dass des net in Frage kommt. Basta! Die Sache ist vorbei!«

»Nix ist vorbei, Vater! Ich lasse mir des net gefallen. Es ist mein Leben! Es ist meine Liebe!«, jammerte Katrin.

»Himmelherrgott, Madl! Ja bist du ganz verblendet? Hat dir dieser Taugenichts so den Kopf verdreht? Da bin ich ja noch gerade rechtzeitig heimgekommen. Außerdem, warum hast du mir nix von dem Till erzählt, Luise? Hast des bewusst zurückgehalten, wie? Hast schon gewusst, dass ich so einen Nichtsnutz nicht dulde, wie?«

»Konrad, du bist krank gewesen. Warum sollte ich dich aufregen? Der Martin hatte gesagt, dass ich alles von dir fernhalten soll, was dich belastet.«

»Am Ende weiß ganz Waldkogel, dass unser Madl mit so einem dahergelaufenen Bursche poussiert hat. Der Himmel stehe uns bei. Jetzt gibt es wieder etwas zu tratschen. Der Onkel ist ein Spieler und des Madl treibt es mit einem Vagabunden. Fein habt ihr des gemacht. Als hätte ich net genug Sorgen?«

»Du steigerst dich da in etwas hinein, Konrad. Sei vorsichtig mit deinen Worten. Siehst du net, dass du unserem Madl des Herz brechen tust?«

Konrad warf Katrin einen Blick zu. Sie stand immer noch an der Tür. Ihr Gesicht war verweint und die Tränen hörten nicht auf zu fließen.

»Konrad, ich verstehe dich net!«, sagte Luise. »Was bist du nur für ein Mensch geworden?«

»Du musst mich net verstehen, Luise. Dir hat er wohl auch den Kopf verdreht. Aber damit ist es nun vorbei. Ich bin wieder daheim. Ich bin wohl der Einzige, der klar denken und urteilen kann und das lasse ich mir nicht ausreden. So und jetzt will ich kein Wort mehr darüber verlieren. Können wir jetzt zu Abend essen? Hast des Essen fertig!«

»Mutter, ich esse nicht mit!« schluchzte Katrin.

Sie lief die Stiege hinauf. Dann drang der Knall einer zugeschlagenen Tür durch das Haus.

»Konrad, Konrad! Ich habe mich so gefreut, dass es dir wieder besser geht. Aber jetzt frage ich mich, ob bei dir in deinem Oberstübchen net doch ein Schaden entstanden ist. Wir kannst du so hart sein?«

»Ich bin net hart, nur kein Dummkopf! Können wir jetzt essen?«

Luise stellte ihm sein Essen auf den Tisch. Sie setzte sich nicht dazu.

»Kannst alleine essen! Wenn du hier den Tyrannen spielst, dann kannst alleine essen.«

Luise ging die Stiege hinauf.

»Weiber!« schimpfte Konrad Küchler vor sich hin.

Er holte sich ein Bier und begann, zu essen.

*

Als Luise das Zimmer ihrer Tochter betrat, stockte ihr das Herz.

»Katrin, was hat das zu bedeuten?«

»Was denkst du, was das zu bedeuten hat? Ich gehe, Mutter!«

»Katrin! Er wird sich wieder beruhigen!«

»Naa Mutter! Versuche mich erst gar nicht zu überreden. Dass es mit Vater nicht einfach werden würde, habe ich mir schon gedacht. Dass es schwer für ihn sein würde, Till zu akzeptieren, das habe ich vermutet. Aber, dass er gleich so reagiert, das ist zu viel. Es gab keinen Grund, Till vom Hof zu werfen. Außerdem bin ich volljährig!«

Katrin deutete auf die verschiedenen Koffer.

»Ich kann nicht alle mitnehmen! Ich nehme nur zwei Koffer mit und meinen Rucksack. Die anderen Sachen lasse ich holen oder du kannst sie mir bringen.«

»Wo gehst du hin?«

»Ich ziehe nach Kirchwalden in den Personaltrakt des Hotels, bis ich eine Wohnung gefunden habe.«

»Wirklich?«

»Ja, Mutter!«

»Ich kann dich nicht überreden zu bleiben – wenigstens eine Nacht? Schlafe mal drüber! Morgen ist auch noch ein Tag. Wenn dein Vater schon so impulsiv handelt, dann sei du doch weitsichtiger und vernünftiger!«

»Mutter! Nein! Ich werde gehen! Er hat sich gegen Till ausgesprochen und damit meine Wahl verurteilt. Es ist mein Leben. Ich liebe Till.«

»Du weißt doch, dass dein Vater den Schock, den ihm dein Onkel Ewald damals zugefügt hat, nie überwunden hat. Er hat so eine tiefe Enttäuschung erlebt. Der eigene Bruder, sein älterer Bruder, zu dem dein Vater aufgesehen hatte, war ein Spieler. Er war ein verdorbener Charakter. Das hat dein Vater zu einem anderen Menschen gemacht. Hinterher machte er sich Vorwürfe, dass er nicht besser aufgepasst hatte. Er denkt, dass er vielleicht Anzeichen übersehen hatte. Deshalb ist er so hart geworden. Für ihn zählen deshalb nur Arbeit und ein anständiges Leben. Er sieht eben seither überall nur das Schlimme und Gefahren, Katrin.«

»Mutter, ich verstehe, dass du zu Vater halten musst. Ich trage dir diese Haltung nicht nach. Aber ich will und kann das nicht mitmachen. Es ist mein Leben – nicht sein Leben. Auch wenn Onkel Ewald ihm Schlimmes angetan hat, so kann er nicht denken, dass alle Männer so sind. Außerdem hat er sich nicht einmal die Mühe gemacht, Till näher kennenzulernen. Das trifft mich am meisten. Mutter, es tut weh! So weh! Es reißt mir das Herz heraus. Ich verlange nicht, dass er Till liebt. Ja, er muss ihn nicht einmal schätzen. Ich kann auch nicht verlangen, dass er meine Wahl gut findet. Aber ich erwartete, dass er zuhört und erst dann sich ein Urteil bildet. Außerdem leben wir jetzt und nicht in der Vergangenheit. Gut, er ist der Bauer, aber es ist nicht mehr so wie früher, dass sich ihm alle unterordnen müssen. Frauen und Männer sind vor dem Gesetz gleich. Das bedeutet auch und in erster Linie, dass ich mich so entscheiden kann, wie es mir mein Herz sagt und nicht, wie er es sich denkt. Ich habe einen Beruf und kann selbst für mich sorgen.«

Katrin ging auf ihre Mutter zu.

»Mutter, bei mir ist immer ein Platz für dich! Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann komme zu mir. Wenn er so hart sein kann, kann ich es – können wir das auch. Wie sagt Vater immer? ›Manche Menschen lernen es nur auf die harte Weise!‹ Er wird es dann auch auf diese Weise lernen.«

Katrin schulterte ihren Rucksack. Sie griff nach den beiden Koffern. Ihre Mutter hielt ihr die Tür auf.

»Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du glücklich wirst!«

»Mache dir keine Sorgen Mutter! Ich werde für mein Glück kämpfen und leben! Für mein Glück – nicht für ein Glück, das Vater für ein Glück hält. Ich rufe dich an!«

»Gott segne dich, Katrin!«

»Dich ebenso, Mutter!«

Luise Küchler trat ans Fenster. Sie sah, wie Katrin zu ihrem Auto ging, einstieg und davonfuhr. Ihr Mutterherz war wund.

Pfarrer Zandler saß im Garten, als Helene Träutlein Till zu ihm brachte.

»Herr Pfarrer, Sie haben Besuch!«

»Mei, der Till! Grüß Gott!«

»Grüß Gott, Herr Pfarrer!«

Der Geistliche musterte Till und schaute ihn verwundert an. Till verstand und kam seiner Frage zu vor.

»Ich bin nicht länger auf dem Küchler Hof. Ich wollte Sie fragen, ob es möglich ist, dass ich Katrin über Sie eine Nachricht zukommen lassen kann?«

»Setz dich her! Was ist passiert?«

»Danke für die Einladung. Aber ich habe wenig Zeit. Ich will heute noch weiter.«

Pfarrer Zandler deutete auf den leeren Gartenstuhl. »Net so schnell mit den jungen Pferden!«, sagte er. »Erst will ich wissen, was los ist. Warum willst nicht länger auf dem Küchler Hof bleiben?«

Für einen Augenblick zögerte Till. Dann stellte er seinen Rucksack und die Umhängetasche ab und setzte sich. Er seufzte hörbar.

»Der Bauer kam nach Hause. Der Doktor hat ihn entlassen. Seine erste Handlung war, mich vom Hof zu werfen. Es war besser, dass ich gegangen bin. Ich dachte, er geht mit Fäusten auf mich los. Er war so wütend.«

»Mei, was net sagst? Wie kam es dazu? Ich habe den Küchler noch heute Mittag beim Martin besucht. Da erschien er mir sehr ausgeglichen und ruhig. Wie kam es also?«

Till erzählte, wie er das erste Zusammentreffen mit Konrad Küchler benutzt hatte, um diesem wahrheitsgemäß seine Liebe zu Katrin zu gestehen.

»Mei, daher weht also der Wind. Himmel, des hättest auch ein bisserl geschickter machen können, Till.«

»Ich denke nicht. Ich wollte die Wahrheit nicht verbrämen oder verbiegen. Verstehen Sie? Außerdem habe ich nichts zu verbergen.«

»Ich verstehe schon, Till! Da muss uns etwas einfallen.«

Der Geistliche schmunzelte.

»Ich habe euch beiden natürlich angesehen, dass ihr verliebt seid. Wie ihr euch die beiden Male, als ich auf dem Hof war, Blicke zugeworfen habt, das habe ich schon zu deuten gewusst.«

»Ja, ich liebe Katrin und sie liebt mich! Wir haben uns gefunden. Mir würde es nichts ausmachen, auf dem Küchler Hof zu leben. Ich meine, ich könnte es einrichten.«

Till seufzte.

»Katrins Vater verlor die Beherrschung. Ich sah ein, dass er einem vernünftigen Gespräch nicht zugänglich war. Er hat mich wie einen Hund vom Hof gejagt. Er stellte sich zwischen mich und Katrin.«

Till seufzte wieder.

»Ja, so war es, Herr Pfarrer!«

Er schaute den Geistlichen an.

»Das Verhalten von Katrins Vater ändert nichts an meinen Gefühlen zu Katrin. Und ich hoffe, dass auch Katrin weiter zu mir hält.«

Er seufzte erneut.

»Es blieb nicht einmal Zeit, dass ich mich von ihr richtig verabschieden und über die weitere Zukunft reden konnte. Jetzt muss ich es anders machen. Ich denke, dass es viel zu riskant ist, ihr einen Brief zu schreiben. Ihr Vater könnte ihn abfangen. Kann ich deshalb an Sie schreiben? Könnten Sie den Brief an Katrin weitergeben?«

»Sicher kann ich das tun. Aber es wäre besser, wenn du sie noch einmal sehen und mit ihr reden würdest.«

»Ich will ihr nicht noch mehr Schwierigkeiten machen. Ich habe richtige Angst um sie. Ihr Vater war wie von Sinnen. So etwas habe ich noch nie erlebt.«

Pfarrer Zandler griff in die Hosentasche und legte seinen Autoschlüssel auf den Tisch.

»Ich sage dir, was du jetzt machst, Till. Du nimmst mein Auto und fährst hinauf zur Oberländer Alm. Dort stellst du das Auto ab. Ich hole es mir morgen. Dann wanderst du hinauf zur Berghütte. Der Hüttenwirt ist der Toni, seine Frau heißt Anna. Ich rufe die beiden an und sage ihnen, dass du kommst. Dort bleibst du. Ich sehe zu, dass die Katrin zu dir auf die Berghütte kommt. Dort seid ihr vor dem Konrad und seinen Launen sicher. Dort bist du sicherer als hier im Pfarrhaus. Außerdem muss ich dann nicht lügen, wenn ich sage, dass du nicht hier bist.«

Till sah den Geistlichen an. Er dachte nach.

»Gut, auf einige Tage auf der Berghütte kommt es mir nicht an. Ich hatte zwar einen anderen Plan, aber der kann warten.«

»So, was für einen Plan hattest du?«

Till errötete.

»Ah, du willst nicht darüber reden. Gut, dann behalte ihn für dich! Solltest du deine Meinung ändern und mit mir reden wollen, dann weißt du, wo du mich findest.«

»Ja, das weiß ich!«

»Du solltest dich auf den Weg machen, Till. Es wird bald dunkel und es ist noch eine gute Strecke zu wandern von der Oberländer Alm bis zur Berghütte.«

Till nickte. Er stand auf und schulterte seinen Rucksack. Er hängte sich die Tasche um und reichte Pfarrer Zandler die Hand.

»Danke! Und grüßen Sie Katrin von mir und sagen sie ihr, dass ich sie liebe. Sagen Sie, ich habe sie nicht verlassen, ich wollte es nur nicht auf eine Prügelei mit ihrem Vater ankommen lassen. Sie verstehen?«

»Ja, Till! Ich werde mit Katrin reden. Ich werde gleich zum Küchler Hof gehen!«

Sie gingen beide hinaus. Pfarrer Zandler sah Till nach, wie er in seinem alten Auto davonfuhr. Dann ging er die Straße entlang zum Küchler Hof.

*

Die Haustür stand offen.

»Hallo? Ist jemand hier?«, rief Pfarrer Zandler ins Treppenhaus.

»Hier herein!« schallte es aus der Wohnküche.

Pfarrer Zandler trat ein.

»Grüß Gott, Küchler! Was sitzt hier so alleine? Es ist schon sehr dämmrig hier. Willst kein Licht machen?«

Konrad Küchler stand auf. Er warf dem Geistlichen einen Blick zu und betätigte den Lichtschalter. Die Deckenlampe über dem großen Küchentisch ging an. Konrad Küchler setzte sich wieder. Vor ihm stand ein Wasserglas und zwei Flaschen Obstler. Eine Flasche war schon leer.

»Tust deine Heimkehr aber tüchtig feiern, Küchler, wie?«

»Des ist meine Sache! Und eines sage ich Ihnen, es gibt nix zum Feiern. Es gab noch nie viel zu feiern auf dem Küchler Hof. Es scheint, als hätte der Teufel hier eine Außenstelle.«

»Himmel, Konrad! Versündige dich nicht! Was ist denn geschehen?«

Pfarrer Zandler gab sich unwissend. Er setzte sich zu dem Bauern an den Tisch.

»Ich habe Ihnen nix zu sagen, Herr Pfarrer! Sie können wieder gehen. Dort ist die Tür.«

»So, leicht wirst mich net los! Nun rede schon, Küchler! Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Schaust ja wirklich elend aus.«

»Sie, Sie sind des, Herr Pfarrer! Sie sind die Laus. Sie haben mir eine Laus in den Pelz gesetzt. Sie, Sie weltfremder Gottesmann. Sie haben mir da etwas Schönes angerichtet. Haben den Till zu uns geschickt. Und jetzt ist daran meine Familie zerbrochen. Die Katrin ist fortgegangen. Meine Frau ist ins Altenteil gezogen. Sie will nicht mehr mit mir unter einem Dach schlafen.«

»Aber im Altenteil wohnt doch Till?« Pfarrer Zandler versuchte seiner Stimme einen unschuldigen Klang zu geben.

»Der Vagabund ist nimmer hier! Den Herumtreiber habe ich an die Luft gesetzt. Er dachte wohl, er könnte sich hier einnisten. Er will meine Katrin, mein Madl! Des werde ich zu verhindern wissen und wenn des meine letzte Tat ist. So lange ich lebe, kommt so ein Vagabund mir nicht auf den Hof. Und frech war er, er sagte mir es gleich ins Gesicht, dass er die Katrin…Ach, lassen wir es! Von solchen Sachen verstehen Sie nix! Sie wissen net, was für Sorgen man als Familienvater hat. Ich bin böse mit Ihnen und mit dem Herrgott dort oben auch. Ich will nix mehr wissen von allem. Ich hab nix gemacht im Leben und trotzdem bekomme ich einen Nackenschlag nach dem anderen. Da hab’ ich mir gerade vorgenommen, zu versuchen ein bisserl besser des alles in meinem Leben zu regeln, da bekomme ich schon wieder mit dem Schicksalsknüppel einen Schlag übergezogen. Herrgottszeiten, warum? Warum immer ich?«

»Und jetzt ersäufst du dich in Selbstmitleid?«

Pfarrer Zandler griff nach der halbleeren, zweiten Flasche Obstler und stellte sie an das andere Tischende.

»So, deinen Frust hast jetzt ja rausgelassen. Vielleicht kannst mir jetzt mal erklären, was passiert ist?«

»Es gibt nix zu erklären! Die Katrin hat sich in den Burschen verliebt. So ein Schmarrn! Und er sagt, er liebt sie auch. Des ist doch eine Lüge. Berechnend ist er. Will sich in ein gemachtes Nest setzen. Des ist ja so viel einfacher, als sich etwas zu erarbeiten und aufzubauen. Ich komme vom Martin, begrüße ihn, will ein paar Worte wechseln. Er sagt mir gleich, dass er die Katrin will und bleiben will.«

»Was hast gegen den Till?«

»Des können auch nur Sie fragen, sie weltfremder, ahnungsloser Gottesmann! Ich kann Ihnen des net erklären, weil sie des net verstehen. Sie haben zwar die Heilige Schrift studiert, können Latein und andere Sachen, aber vom Leben, vom wirklichen Leben, da haben Sie net die Spur von Ahnung, vom Kampf im täglichen Leben.«

Konrad Küchler trank sein Glas leer.

»Geben Sie mir die Flasche her!«, brüllte er.

»Bitte, wenn du dich in eine Alkoholvergiftung saufen willst, dann werde ich dich net davon abhalten. Dann kannst gleich beim Martin wieder Quartier beziehen.«

Konrad Küchler warf Pfarrer Zandler einen wütenden Blick zu.

»Wozu habe ich mich aufgeopfert? Wozu habe ich Tag und Nacht gearbeitet bis zum Umfallen? Jetzt ist alles vorbei! Die Katrin ist fort. Die Luise droht mir damit, mich auch zu verlassen. Nix kann man den Weibern recht machen. Undankbar sind sie! Dumm sind sie!«

»Küchler, Küchler! Du hast schon zu viel getrunken! Des bringt doch nix! Morgen hast nur einen Brummschädel! Morgen reut dich jedes Wort, das du gesagt hast – wenn du dich daran erinnern kannst. Was redest du da für einen Blödsinn?«

Pfarrer Zandler goss den restlichen Obstler aus. Er hoffte, dass es keine weitere Flasche gab.

»Du legst dich jetzt ins Bett, Küchler! Ich komme morgen noch einmal, wenn du wieder nüchtern bist.«

»Naa, Sie kommen nimmer! Sie sind der Urheber, der Verursacher des Dilemmas. Wenn Sie den Till net auf den Hof gebracht hätten, dann wäre des alles net geschehen. Scheren Sie sich fort und lassen Sie sich hier nimmer sehen! Und in der Messe sehen Sie mich auch nimmer!«

»Du weißt net, was du redest, Küchlerbauer! Wo ist denn die Katrin hin?«

»Was weiß ich? Es interessiert mich auch nicht! Soll sie doch verkommen, untergehen wird sie. Im Straßengraben wird sie landen wie dieser Till, dieser Hallodri, dieser Lumpenhund.«

Pfarrer Zandler sah ein, dass jedes seiner Worte vergebens war. Je mehr ich sage, desto mehr gieße ich Öl ins Feuer. Ich muss abwarten, bis er wieder nüchtern ist, dachte Pfarrer Zandler. Er stand auf und ging zum Telefon und rief Doktor Martin Engler an.

»Martin, hier ist Zandler! Ich bin auf dem Küchler Hof! Kannst sofort kommen?«

»Ist etwas mit dem Konrad Küchler?«

»Der hat sich volllaufen lassen! Ist nimmer bei Sinnen. Kannst mir helfen, ihn ins Bett zu bringen, Martin?«

»Bin schon unterwegs!«

Doktor Martin Engler legte auf.

»Katja«, sagte er zu seiner Frau. »Wir müssen schnell zum Küchler Hof. Der Pfarrer Zandler hat angerufen. Da scheint etwas aus dem Ruder zu laufen!«

»Dann ist der Bauer dahintergekommen, dass sich die Katrin in den Till verliebt hat. Sie hatte solche Angst davor, mit ihrem Vater darüber zu reden.«

Sie gingen zum Auto und fuhren zum Küchler Hof.

Als sie ankamen, war Konrad Küchler am Küchentisch zusammengesunken und schnarchte, als würde er den Wald rund um Waldkogel abholzen.

»Gut, dass du da bist, Martin! Grüß dich Katja!«

»Wo sind die Luise und die Katrin?«, fragte Martin.

»Die Katrin ist ausgezogen! Ihre Mutter ist drüben im Altenteil. Ich habe kurz mit ihr gesprochen. Die Luise weigert sich herüberzukommen. Sie rühre für ihren Mann keinen Finger, sagt sie, weil er die Katrin aus dem Haus getrieben und den Till rausgeworfen hat.«

»Was net sagst, Zandler? Ja, was ist denn hier vorgegangen? Als ich den Küchler entlassen habe, schien er mir sehr gefestigt zu sein.«

»Jetzt bringen wir ihn erst mal ins Bett!«, sagte Pfarrer Zandler.

Doktor Martin Engler nahm Konrad Küchler unter den Achseln und Pfarrer Zandler trug die Beine. Katrin ging voraus die Stiege hinauf und öffnete alle Türen.

»Hier, das ist wohl das Schlafzimmer!«, sagte sie.

Sie legten Konrad Küchler auf das Bett, zogen ihm die Schuhe aus und öffneten das Fenster. Doktor Martin Engler fühlte seinen Puls und schaute seine Pupillen an.

»Himmel, der hat ganz schön viel getrunken!«

»Ich vermute, er hat über eine Flasche Obstler in sich hineingeschüttet.«

»Dann wird er morgen einen schönen Kater haben, aber da kann ich ihm nicht helfen! Da muss er durch!«

Sie gingen hinüber in den Altenteil.

Luise Küchler saß mit verweinten Augen am Küchentisch.

»Kommt rein!«

Sie putzte sich die Nase und wischte sich die Augen.

»Wir haben ihn ins Bett gebracht, Bäuerin!«, sagte Martin. »Er wird durchschlafen, denke ich!«

»Danke! Ich versorge morgen früh das Vieh. Dann gehe ich auch! Es ist ja nimmer auszuhalten mit dem Mann. Ich kann nimmer!«

Luise Küchler schaute den Pfarrer an.

»Herr Pfarrer Zandler, ich weiß, dass des Unrecht ist. Eine Frau darf net davonlaufen. Aber ich kann nimmer. Alles muss immer nach seinem Kopf gehen. Ich versorge morgen früh noch mal das Vieh. Die armen Tiere sollen net leiden, nur weil der Bauer besoffen ist. Die müssen gemolken werden, sonst haben sie Schmerzen, wenn die Euter so voll sind. Und die Schweine brauchen ihr Futter und die Hühner auch. Aber dann gehe ich. Ich fahre zu meinem Madl nach Kirchwalden. Ich suche mir eine Arbeit.«

Tränen liefen der Bäuerin über die Wangen.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal entscheiden muss zwischen meiner Katrin und dem Konrad. Aber meinem Mutterherz ist mein Kindl näher. Sie hätten mal hören sollen, wie der Konrad getobt hat und was er Katrin alles unterstellt hat. Naa, dieses Mal ist Konrad zu weit gegangen. Ich hab’ ihm gesagt, er soll sich mäßigen und den Till zurückholen. Aber er will net! Ist noch stolz darauf, dass er der Katrin des Herz gebrochen hat.«

Sie stöhnte laut.

»Hoffentlich meldet sich der Till bei der Katrin. Aber er weiß doch nicht, dass sie in Kirchwalden ist. Ich kann auch net hierbleiben und warten, bis er anruft. Ich kann keinen Tag länger bleiben. Immer habe ich nachgegeben, habe alles so gemacht, wie Konrad es hatte haben wollen. Wenn ich bleibe, dann denkt er, ich bin auf seiner Seite. Ich bin aber für die Katrin und den Till. Der Till ist so ein lieber Bursche. Fleißig ist er. Er hat schnell gelernt und sieht, wo es fehlt. Und er liebt die Katrin!«

Sie schluchzte auf. Pfarrer Zandler trat neben sie. Er legte der unglücklichen Bäuerin die Hand auf die Schulter.

»Um den Till musst dir keine Sorgen machen. Er war bei mir, bevor er fort ist. Er will mir schreiben und einen Brief an die Katrin beilegen.«

»Oh, des ist gut! Wo ist er?«

»Ganz in der Nähe, Bäuerin! Es ist besser, du weißt es nicht. Sage der Katrin, sie soll mich anrufen. Ich soll ihr vom Till einiges sagen!«

»Das mache ich, Herr Pfarrer!«

Pfarrer Zandler wandte sich an Martin.

»Kannst du der Luise etwas geben, dass sie schlafen kann?«

»Ich brauche nix, danke!«, wehrte sie sich.

Doch Martin gab ihr aus seiner Arzttasche ein mildes Schlafmittel aus Baldrian. Er bestand darauf, dass sie es nahm. Pfarrer Zandler und Doktor Martin Engler gingen hinaus auf den Hof. Sie setzten sich auf die Bank und warteten. Katja Engler versorgte Luise. Sie brachte die aufgelöste Bäuerin ins Bett und blieb bei ihr sitzen, bis sie eingeschlafen war.

»Sie schläft jetzt«, sagte Katja, als sie herauskam. »Ich habe solches Mitleid mit ihr. Die arme, arme Frau!«

»Das wird schon wieder, Katja!« tröstete sie der Geistliche. »Weißt, des ist wie bei einem Gewitter. Da scheint es so, als ginge die Welt unter. Dann reißen die dunklen Wolken auf und der blaue Himmel mit der Sonne wird sichtbar, über dem Tal steht ein schöner Regenbogen und es ist, als wäre die Welt neu erschaffen. So ist das hier auch. Es wird alles ein gutes Ende finden.«

Katja seufzte leise.

»Ich will versuchen, Ihnen zu glauben, Herr Pfarrer Zandler. Aber es ist schwer. Die Wolken über dem Küchler Hof sind ziemlich dunkel.«

Doktor Martin Engler und seine Frau Katja verabschiedeten sich. Sie fuhren heim. Pfarrer Zandler blieb noch eine Weile auf dem Küchler Hof. Später sah er noch einmal nach dem Bauern und warf einen Blick auf die schlafende Luise. Es war schon ganz dunkel, als er durch das schlafende Waldkogel zurück zum Pfarrhaus ging.

*

Die Hüttengäste gingen schlafen. Der alte Alois saß mit Till noch am Kamin. Anna und Toni setzten sich dazu.

»Bist so schweigsam, Till«, bemerkte Toni. »Pfarrer Zandler hat uns nicht viel gesagt, als er dein Kommen ankündigte. Er sagte nur, dass du Liebeskummer hast. In Sachen Liebeskummer sind Anna und ich erfahren. Hier auf der Berghütte kommt es öfters vor, dass Burschen oder Madln net nur ihre Bergausrüstung mit sich herumschleppen, sondern von der Last eines Liebeskummers niedergedrückt werden. Weißt, Till, wenn zwei liebende Herzen zusammengehören, dann kommen sie auch zusammen. Vielleicht bedarf es dafür einen Umweg. Es ist wie bei einer Bergtour. Es gibt verschiedene Routen, die auf den Berggipfel führen. So ist es auch im Leben. Das ist unsere Erfahrung. Anna und ich möchten dir unsere Hilfe anbieten. Vielleicht können wir vermitteln.«

Till lächelte und trank ein Schluck Bier.

»Toni, ich bin mir ganz sicher, dass sie mich liebt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir wurden einander vorgestellt, sahen uns an und dann war es um uns geschehen. Klingt unglaublich, wie?«

Toni lachte laut. Er zog Anna an sich.

»Ich weiß genau, von was du redest, Till. So ist es mir mit meiner Anna ergangen. Ich sah sie im Zug von Hamburg nach Frankfurt. Über vier Stunden habe ich sie nicht aus den Augen gelassen. Fesch sah sie aus. Elegant sah sie aus. Sie kam mir wie ein Wesen aus einer anderen Welt vor. Sie war auch aus einer anderen Welt.«

»Toni, jetzt übertreibst du!«, lachte Anna.

»Klingt aber so spannender. Und es war ja auch ein weiter Weg für dich von Hamburg und deiner Arbeit als Bankerin nach Waldkogel und auf die Berghütte. Jetzt bist du Hüttenwirtin.«

»Und glücklich!«

Anna gab Toni einen Kuss.

»Du hast auf einer Bank gearbeitet?«, staunte Till.

»Ja, das hat meine Anna. Mit ihrem Wissen hat sie Alois geholfen, dass er die Berghütte wiederbekam und wir sie danach übernehmen konnten.«

»Net nur ihr Wissen, Toni! Es war auch Annas Sparschwein, das sie geöffnet hat, damit wir den Ruppert Schwarzer losgeworden sind.«

»Das Geld hat die Sache erleichtert. Aber sicherlich wäre uns auch eine andere Möglichkeit eingefallen«, bemerkte Anna bescheiden.

Dann erzählte der alte Alois Till, wie Anna mit Hilfe von Pfarrer Zandler den Gemeinderat etwas unter Druck gesetzt hatte und dieser gezwungen wurde, die Berghütte an den Alois zurückzugeben.

»Der Bürgermeister war auf unserer Seite. Niemand in Waldkogel wollte hier eine Luxusherberge. Aber Alois Schenkung an die Gemeinde, die war nicht so leicht rückgängig zu machen. Die Gemeinde hatte das Dach der Berghütte erneuert. Alois konnte die Berghütte nur zurücknehmen, wenn er der Gemeinde die Kosten ersetzte. Dieser Investor, dieser Ruppert Schwarzer, hatte einen Strohmann im Gemeinderat. Deshalb war das nicht so einfach. Aber schließlich kam alles zu einem guten Ende«, sagte Toni.

Er gab Anna einen Kuss auf die Wange.

»Und kein Wort hast du verraten, bis du meine Frau warst. Bist ganz schön raffiniert vorgegangen!«

»Nicht raffiniert, Toni, das hört sich so negativ an. Ich war nur ein wenig trickreich – wie jede Frau.«

Sie lachten.

Till stand auf und lief unruhig in der Berghütte auf und ab.

»Till, was ist mir dir? Bist ja ganz aufgeregt?«

»Ja, ja! Mir kommt da gerade eine famose Idee!«

»Hat die etwas mit deinem Madl zu tun?«

»Ja, ja! Ich muss die Sache aber noch einmal genau durchdenken. Es ist ein bisserl gemein, denke ich. Allein schon bei dem Gedanken habe ich ein schlechtes Gewissen. Wisst ihr, der Vater von meinem Madl, der ist gegen unsere Liebe. Er hält nix von mir. Das kann ich ihm nicht verdenken. Er weiß auch nicht alles. Ich hätte große Lust, ihm einen Denkzettel zu verpassen, dass er verstummt.«

»Wer ist es denn? Ist er aus Waldkogel?«, fragte der alte Alois.

Till nickte.

»Vielleicht ist es besser, wenn ich nicht so viel sage. Ich will euch nicht mit hineinziehen. Himmel, in meinen Kopf dreht sich alles. An die Möglichkeit habe ich noch nicht gedacht!«

Till rieb sich das Kinn.

»Till, nun setze dich hin und gib Ruhe. Du löst den Knoten in deinem Kopf nicht, wenn du hier auf- und abrennen tust.«

»Das stimmt, Toni. Aber ich bin ganz aufgeregt und erstaunt über mich. Ich hätte nie gedacht, dass ich zu so einer Gemeinheit fähig sein könnte. Mir wäre nie der Gedanke gekommen! Solche Machenschaften habe ich immer abgelehnt. Dabei müsste ich über meinen Schatten springen. Ich weiß nicht, ob es mir danach noch möglich ist, in den Spiegel zu sehen. So sagt man doch? Auf der anderen Seite, würde ich es nicht für mich tun sondern für meine Liebste.«

»Dann machst du es bestimmt richtig. Wenn dir die Liebe diese Eingebung zugeflüstert hat, Till, dann kann sie nicht verwerflich sein«, bemerkte Anna. »Ich hatte damals auch Herzklopfen, als ich hinter Tonis und Alois Rücken die Rückübertragung der Berghütte betrieben habe. Ich hatte viele Nächte sehr schlecht geschlafen. Ich hatte Angst, dass Toni ärgerlich wäre.«

Till klatschte in die Hände. Er setzte sich wieder.

»Ja, ich mache es! Ja, warum eigentlich nicht? Er soll mich kennenlernen!«

Till stand auf.

»Toni, meinen Rucksack lasse ich hier! Ich muss runter nach Waldkogel und morgen früh gleich weiter nach Kirchwalden. Ich komme aber so schnell wie möglich zurück.«

»Du willst mitten in der Nacht nach Waldkogel? Hast mal rausgeschaut? Es ist neblig!«

»Ja, ich weiß. Ich muss ins Dorf und wenn ich den Bergpfad auf Händen und Füssen hinunterkrieche.«

»Till, mitten in der Nacht kannst du nichts ausrichten. Warte, bis die Sonne aufgeht! Wenn du um halb fünf Uhr losgehst, dann bist früh genug im Dorf.«

»Toni, das ist gut gemeint! Aber ich will keine Zeit verlieren! Kannst du mir eine Stablampe geben?«

Toni seufzte. Er schaute Anna an.

»Es ist wohl besser, wenn ich dem liebestollen Burschen eine Lampe gebe. Der ist im Stande, sich heimlich auf den Weg ins Dorf zu machen ohne Licht«, sagte Toni.

Er stand auf und holte Till eine Lampe.

»Danke, Toni!«

»Ich bestehe aber darauf, dass du Bello mitnimmst! Der Hund kennt den Weg. Wenn du unten bei der Oberländer Alm sicher angekommen bist, schickst du ihn zurück. Nur unter der Bedingung lasse ich dich gehen. Als Hüttenwirt fühle ich mich verantwortlich für meine Gäste.«

Toni holte Bellos Leine und zog sie ihm an. Bello, der junge Neufundländerrüde, der vor auf seinem Lieblingsplatz vor dem Kamin gelegen hatte, schüttelte sich. Es war ihm anzusehen, dass er lieber weitergeschlafen hätte.

»Pass gut auf den Till auf, Bello! Bist ein braver Hund!«, lobte ihn Anna und steckte ihm ein Leckerli zu.

Toni ging mit hinaus. Er stand auf der Terrasse der Berghütte und sah Till nach, bis er im Nebel verschwunden war.

*

Am nächsten Tag fand Pfarrer Zandler sein Auto vor dem Pfarrhaus. Das beunruhigte ihn. Er rief sofort Toni auf der Berghütte an und erfuhr, dass Till sich wegen eines geheimnisvollen Planes noch in der Nacht davongemacht hatte.

»Er will aber wiederkommen, Herr Pfarrer!«

»Das kann ich nur hoffen. Himmel, welch eine komplizierte Sache! Dabei wollte ich nur helfen.«

»Können ich oder Anna etwas tun?«

»Naa, Toni! Gib mir nur Bescheid, wenn der Till wieder zurück ist.«

Toni versprach es.

Pfarrer Zandler war den ganzen Vormittag sehr nervös. Die ganze Angelegenheit beschäftigte den Geistlichen sehr. Er dachte nach, was er tun könnte, um Katrin und Luise mit Konrad zu versöhnen. Er überlegte, wie er Konrad Küchler dazu bringen könnte, sich nicht mehr gegen die Liebe von Katrin und Till zu stellen. Er ging in die Kirche, zündete eine große Kerze an und bat den Himmel um Beistand.

Danach setzte er sich auf die Bank vor der schönen Barockkirche und schaute hinauf zum Gipfel vom ›Engelssteig‹. Lautlos redete er mit den Engeln.

Hört ihr dort oben? Wie wäre es, wenn ihr eine Extraschicht einlegen würdet? Die Katrin und der Till, die sind in Not. Wenn ihr den Till schon den Weg nach Waldkogel habt finden lassen, dann müsst ihr jetzt noch ein bisserl mehr für ihn tun. Er ist so ein feiner Bursche! Ich denke net, dass er wirklich ein Herumtreiber ist. Er hat ein Geheimnis. Irgendetwas hat ihn dazu gebracht, herumzuvagabundieren. Wenn er jetzt Heimat auf dem Küchler Hof finden könnte, dann käme vielleicht Ruhe in seine unruhige Seele. Es muss etwas geschehen, ihr Engel. Ich verstehe den Sinn dieses ganzen Durcheinanders nicht. Ich schäme mich dafür, dass ich zweifele an dem himmlischen Plan. Aber warum hat es der Konrad Küchler so schwer? Warum muss er sich so quälen? Es ist schwer, darin einen Sinn zu sehen. Also, tut etwas, ihr Engel vom ›Engelssteig‹. Hört ihr! Des ist eine Aufforderung. Des ist mehr als ein Gebet, eine Bitte – auch wenn ich weiß, dass des net so ganz Recht ist, wie ich des sage. Aber mein Herz ist schwer. Ich bin nur ein kleiner Pfarrer, der es gut gemeint hat und net versteht, warum des alles so gekommen ist, wie es kam.

Nachdem sich Pfarrer Zandler alles von der Seele geredet hatte, fühlte er sich etwas besser. Er hatte zwar ein etwas schlechtes Gewissen, dass er so streng mit den Engeln geredet hatte, aber es musste sein, dachte er. Er stand auf und ging ins Pfarrhaus. Dort schenkte er sich zur Stärkung einen Obstler ein.

Es war Zeit zum Mittagessen. Helene Träutlein hatte den Tisch in der Küche des Pfarrhauses gedeckt. Sie setzten sich. Der Pfarrer sprach das Tischgebet und fing an zu essen. Nach zwei Gabeln legte er das Besteck hin.

Erschrocken schaute Helene Träutlein auf.

»Schmeckt es Ihnen net, Herr Pfarrer? Stimmt was mit dem Essen net? Leberknödel mit Specksoße, Sauerkraut und Kartoffelbrei, des essen Sie doch so gern. Des ist doch eines Ihrer Lieblingsgerichte.«

»Schon gut! Ich habe an deiner Kochkunst nix auszusetzen. Aber ich bekomme keinen Bissen herunter. Ich muss noch einmal zum Küchler Hof. Das lässt mir keine Ruhe. Kannst des Essen aufheben und heute Abend aufwärmen.«

Helene Träutlein verzog das Gesicht, schwieg aber. Sie sah dem Pfarrer nach, wie er hinausging.

Als Pfarrer Zandler auf dem Küchler Hof ankam, sah er die große schwarze Limousine einer bekannten Nobelautomarke. Ein Chauffeur in einem dunklen Anzug stand daneben und grüßte den Geistlichen freundlich.

»Was ist hier los?«, fragte Pfarrer Zandler.

Der Fahrer zuckte mit den Schultern und deutete auf die offene Haustür.

Pfarrer Zandler ging hinein.

»Dem Himmel sei Dank, dass Sie hier sind!«, rief Luise Küchler aus, als sie den Pfarrer sah. »Grüß Gott, noch!«

»Grüß Gott, Luise! Ich hatte plötzlich so ein Gefühl, dass ich herkommen sollte. Wem gehört des Auto? Was ist hier los?«

»Des Auto gehört dem Herrn dort!«

Der ältere Herr mit dem weißen Haar stand auf. Er reichte dem Geistlichen die Hand.

»Guten Tag, Herr Pfarrer! Sie schickt wirklich der Himmel. Mein Name ist Colin Colmer. Ich bin für einen Mandanten hier. Die Aufgabe unsere Kanzlei ist unter anderem die Verwaltung großer Vermögen im Inland und Ausland. Unser Mandant hat uns beauftragt, dafür Sorge zu tragen, dass der Küchler Hof Katrin Küchler überschrieben wird. Im Gegenzug werden alle Schulden getilgt.«

Pfarrer Zandler schaute verwundert zwischen Luise Küchler und den Herrn hin und her.

»Wer ist Ihr Mandant?«

»Herr Pfarrer, das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist der ausgesprochene Wunsch unseres Klienten, ungenannt zu bleiben.«

»Was sagt der Bauer dazu?«, fragte Pfarrer Zandler.

»Der Konrad hat einen Brummschädel. Er ist wütend geworden und in den Stall gegangen. Mit ihm ist nicht zu reden. Toben tut er! Dabei kann doch nur sein Bruder dahinterstecken. Wer sollte es sonst sein? Der Ewald will wohl die alte Schuld wiedergutmachen. Die Katrin, die hat er schon immer gut leiden können. Sie war sein Liebling.«

Der Herr räusperte sich.

»Herr Pfarrer, vielleicht können Sie Einfluss auf Herrn Küchler nehmen. Es wäre besser, wenn er diese Dokumente hier unterschreibt. Sonst wird mein Mandant andere Wege beschreiten.«

»Welche?«, fragte der Geistliche.

»Nun, er wird eine gerichtliche Klärung verlangen und die Erb– und Schenkungsangelegenheit wird neu aufgerollt werden. Unsere Kanzlei hat alles geprüft. Es gibt da einige Ungereimtheiten. Wir sind sicher, dass unser Mandant den Prozess gewinnen wird. Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn es nicht dazu kommen würde. Was unser Mandant in dem Fall machen wird, weiß ich nicht. Er hat aber davon gesprochen, wenn Katrin Küchler den Hof nicht bekommt, dann verkauft er ihn oder lässt ihn abreisen.«

»Ganz schön stur scheint Ihr Mandant zu sein!«, stöhnte Pfarrer Zandler.

Der Anwalt reichte ihm die Dokumente.

»Sie können Sie gern einsehen, Herr Pfarrer!«

Pfarrer Zandler setzte sich an den Tisch und las die Papiere sehr sorgfältig.

»Also ich denke, daran ist nichts auszusetzen. Allerdings kommt das alles sehr überraschend. Muss das sofort sein oder hat das noch etwas Zeit?«

»Je schneller, desto besser!«

Pfarrer Zandler überlegte kurz.

»Dann machen Sie jetzt einen schönen Spaziergang. Wenn sie in zwei Stunden wieder hier sind, dann werden wir schon zu einer Einigung kommen, denke ich.«

»Das ist ein guter Vorschlag! Sollte sich etwas ändern, dann erreichen Sie mich im Hotel ›Zum Ochsen‹.«

»Danke!«

Der Herr nickte Pfarrer Zandler und Luise zu und ging hinaus. Sein Fahrer hielt ihm die Wagentür auf. Er stieg ein, der Wagen rollte vom Hof.

»Was machen wir jetzt?«

»Wir werden die Sache überprüfen!«

Pfarrer Zandler ging zum Telefon. Er führte einige kurze Telefonate. Das wichtigste Gespräch dabei war das, welches er mit dem Grafen Tassilo von Teufen-Thurman führte. Diesem war diese Anwaltskanzlei bekannt. Er sagte, sie sei solide und vertrauenswürdig. Das beruhigte Pfarrer Zandler.

»So, das war der erste Teil! Jetzt kommt der zweite Teil’, sagte Pfarrer Zandler. »Ich gehe jetzt in den Stall und rede mit deinem Konrad.«

»Küchler, wo bist du?«, rief Pfarrer Zandler in den Stall.

»Hier hinten! Net so laut!«

Der Bauer stützte sich mit einer Hand auf die Mistgabel und hielt sich mit der anderen den Kopf. Pfarrer Zandler schmunzelte.

»Hast wohl einen Brummschädel, wie? Das geschieht dir recht. Ich hoffe, dein Kopf tut dir recht schlimm weh. Das ist die gerechte Strafe für deine Unvernunft!«

»Net so laut, Zandler! Bitte! Jeder Ton ist so, als würde mir jemand mit einem Hammer auf den Kopf hauen.«

Pfarrer Zandler grinste.

»Meine laute Stimme musst schon ertragen, Küchler. Hast eine ganze Menge Unsinn gestern gesagt, kannst dich erinnern?«

»Nur dunkel!«

»Aha, nur dunkel! Dann helfe ich dir mal auf die Sprünge! Aber des hat Zeit bis später. Jetzt geht es um die andere Sache. Ich habe die Papiere gelesen. Du tust unterschreiben. Dann bist du die Schulden los und noch mehr. Dein Bruder will wohl etwas gut machen. Des kannst ihm net verweigern. Also wirst des Angebot annehmen und die Katrin wird Jungbäuerin auf dem Hof.«

»Naa!«

»Naa? Warum? Kannst du mir einen vernünftigen Grund dafür nennen?«

»Die Katrin ist fort. Sie ist dem Vagabunden hinterher. Des zeugt von Unreife. Ich kann des net machen. Des Madl steht ganz unter dem Einfluss von diesem dahergelaufenen Herumtreiber. Da kann ich den Hof doch gleich aufgeben. Wenn die Katrin ihn bekommt, ist er auch verloren.«

»Himmelherrschaftszeiten!«, brüllte Pfarrer Zandler durch den Stall.

»Net so laut!«

»Ich kann noch lauter, Küchler! Ich kann auch laut brüllen, dass du Aufputschmittel genommen hast und deshalb nimmer bei Verstand bist, dass davon deine Gehirnzellen abgestorben sind!«

Konrad Küchler erschrak. Er lief rot an.

»Des werden Sie net tun! Dann verletzen Sie des Beichtgeheimnis!«

»Darauf würde ich es an deiner Stelle nicht ankommen lassen. Du hast mir des net im Beichtstuhl anvertraut.«

»Des ist Erpressung!«

»So würde ich des net nennen!«

»Wie dann?«

»Himmel, Küchler, wie soll ich dich sonst zur Vernunft bringen? Es ist doch nur zu deinem Besten.«

»Des sagt sich so leicht!«

»Du alter depperter Hornochse! Komm endlich zu dir! Steige von deinem hohen Ross herunter. Mache im Herzen endlich Frieden mit deinem Bruder. Höre auf, die ganze Welt mit deinem Groll zu verfolgen. Du zerstört alles, was dir lieb ist. Du erreichst davon das Gegenteil, von dem, was du erreichen willst. Höre auf, mit Scheuklappen herumzulaufen. Also, wir gehen jetzt rein. Du nimmst eine Schmerztablette und trinkst Kaffee. Dann unterschreibst du!«

Pfarrer Zandler ging auf den Bauern zu. Er nahm ihm die Mistgabel aus der Hand und lehnte sie gegen die Wand.

»Aufi jetzt!«

Konrad Küchler steckte seine Hände in die Hosentaschen und folgte dem Pfarrer mit gesenktem Kopf.

»Setz dich hin! Hier ist Kaffee! Da habe ich dir zwei Schmerztabletten hingelegt!«

Luises Stimme klang nicht freundlich. Sie ließ ihren Mann deutlich spüren, dass sie sehr ärgerlich auf ihn war.

Konrad Küchler schluckte die beiden Schmerztabletten. Er nippte an dem Kaffee und warf seiner Frau dabei einen scheuen, schuldbewussten Blick zu.

»Du bist wieder hier. Bist nimmer drüben auf dem Altenteil? Bleibst jetzt wieder hier?«

»Des ist noch net raus! Des kommt noch darauf an.«

»Auf was kommt des an?«

»Ob du unterschreibst oder ob du net unterschreibst! Wenn du unterschreibst, dann bleibe ich, weil ich auf den Hof von der Katrin aufpassen muss. Ich tue das für mein Madl! Wenn du net unterschreiben tust, dann gehe ich. Meine Koffer habe ich gepackt!«

Der Bauer wurde blass.

»Des ist Erpressung! Du erpresst mich, Luise. Pfarrer Zandler erpresst mich. Hat denn niemand von euch Mitleid mit mir? Versteht mich denn niemand?«

»Höre auf zu jammern, Konrad! Gibst ein ziemlich unwürdiges Bild ab, wenn ich mir dich so ansehe. Benimmst dich wie ein Waschlappen. Konrad, was ist nur aus dir geworden!«

Konrad Küchler trank die Tasse Kaffee aus. Er schielte dabei auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen. Pfarrer Zandler schob sie ihm zu und legte ihm einen Kugelschreiber dazu.

Mit zitternden Händen las Konrad Küchler Blatt für Blatt. Zu seinem Erstaunen stand in den Papieren, dass er und Luise ein lebenslanges Wohnrecht auf dem Küchler Hof hatten. Außerdem gehörte alles, was sie erwirtschafteten, ihnen, abzüglich der Kosten.

Erstaunt sah Konrad Küchler Pfarrer Zandler an.

»Schau net so! Des Ganze ist ein Glücksfall. Es sind nicht nur die Restschulden getilgt, sondern du bekommst die Summe zurück, die du abbezahlt hast. Du und die Luise ihr seid abgesichert. Du musst dann nimmer nachts als Wachmann arbeiten, kannst wieder nur Bauer sein. Also denke nicht so viel! Dort ist der Stift!«

Konrad Küchler setzte auf die Dokumente seine Unterschrift.

»Dem Himmel sei Lob und Dank!«, seufzte Luise. »Und Ihnen auch Herr Pfarrer!«

Pfarrer Zandler nickte. Er steckte die Papiere ein.

»Die bringe ich gleich ›Zum Ochsen‹.«

»Fragen Sie den Mann, wie es meinem Bruder geht. Er soll ihm sagen, dass ich ihm danke. Wenn er kommen will, dann können wir uns wieder versöhnen«, sagte Konrad.

»Ich will versuchen, etwas über den Ewald zu erfahren!« versprach der Geistliche.

Konrad stand auf und ging hinaus. Luise wollte ihm nachlaufen.

»Lass ihn, Bäuerin! Er muss erst mal selbst damit fertig werden. Gib ihm ein bisserl Zeit!«

»Wenn Sie meinen, Herr Pfarrer, dann werde ich das so machen. Ich will Katrin anrufen. Des Madl muss doch wissen, was alles geschehen ist. Sie soll wieder heimkommen.«

»Des ist net deine Aufgabe! Dein Mann muss den Till bitten, zurückzukommen. Dann wird die Katrin auch wieder kommen. Ich bin sicher, dass er das macht. Aber das kann noch etwas dauern. So ein sturer Hornochse, wie er einer ist, der braucht dafür ein bisserl Zeit und bei dem Brummschädel, den er hat, allemal.«

Pfarrer Zandler schmunzelte. Er verabschiedete sich von der Bäuerin und machte sich auf den Weg zum Anwalt im Hotel ›Zum Ochsen‹.

*

Das Telefon auf Katrins Schreibtisch in der Hotelverwaltung läutete. Katrin nahm ab.

»Katrin, kannst du bitte sofort an die Rezeption kommen? Es ist dringend!«, sagte ihre Kollegin.

»Ja… schon… sicher… was ist denn? Hast du Schwierigkeiten mit der Rechnung eines Gastes?«

»Katrin! Bitte komm! Ich kann dir das nicht am Telefon erklären!«

Dann knackte es in der Leitung. Katrin schüttelte den Kopf. Sie stand auf, ging in den Personalraum und überprüfte ihr Make-up. Es sollte ihr niemand ansehen, wie stark der Kummer in ihrem Herzen war.

Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich. Katrins Herz machte einen Sprung. Sie stieß einen Schrei aus und rannte los in die ausgebreiteten Arme von Till.

»Oh Till!«, flüsterte sie und klammerte sich an ihn.

»Meine Katrin!«

Ihre Lippen fanden sich zu innigen Küssen.

Dann schob Till Katrin leicht von sich. Er hielt ihre Hand und kniete im Foyer des Hotels vor ihr nieder. Katrin stieg die Röte in die Wange.

»Liebste Katrin! Ich liebe dich! Ich will dich heiraten. Willst du meine Frau werden?«

Zuerst nickte Katrin nur heftig. Dann sagte sie leise, fast tonlos:

»Ja, ich will! Ich will deine Frau werden.«

Tillmann stand auf. Er griff in die Hosentasche und holte einen Ring heraus. Es war ein schmaler Goldreif, auf dem ein heller Stein saß. Er steckte ihn Katrin an den Finger.

»Oh Till, der ist wunderschön! Danke!«

»Das ist mein Verlobungsring für dich! Eheringe habe ich auch schon gekauft. Ich habe schlichte, einfache, goldene Ringe gewählt. Ich hoffe, sie gefallen dir. Wenn nicht, können wir sie umtauschen.«

Tillmann griff in die andere Hosentasche und holte zwei Ringe hervor. Katrin hielt ihm ihren Ringfinger hin. Er steckte ihr den Ring an. Anschließend streifte sie Till den anderen Ring über.

»Jetzt sind wir richtig verlobt! Wann willst du mich heiraten, Katrin?«

»Wann immer du willst, Till! Ich will nur zu dir gehören.«

Er lächelte ihr zu.

»Wie wäre es mit heute?«

Katrin machte große Augen.

»Heute? Wie soll das gehen?«

Tillmann nahm sie in den Arm und küsste sie.

»Katrin, willst du?«

»Ja, sicher ja! Aber...«

Er legte den Finger auf ihre Lippen.

»Psst!«, sagte er leise und bot ihr seinen Arm. »Der Standesbeamte wartet schon. Eine schöne kirchliche Trauung holen wir nach!«

Katrin wusste immer noch nicht, wie ihr geschah. Dann öffneten ihre Kollegen im Hintergrund die große Flügeltür zum Ball- und Tagungssaal. Es war ein roter Teppich ausgelegt. Eine Musikergruppe spielte den Brautmarsch. An einem Tisch am Ende des Raumes stand ein Mann mit einer goldenen Amtskette.

»Was macht… wirklich… Till, ich verstehe das alles nicht!«, raunte Katrin Till zu.

»Das ist der Bürgermeister von Kirchwalden, Katrin. Er wird uns trauen.«

Dann nahm die Zeremonie ihren Lauf. Im Beisein ihrer Kolleginnen und Kollegen vom Hotel wurden Tillmann Berg und Katrin Küchler ein Ehepaar.

»So, dann dürft ihr euch küssen«, sagte der Bürgermeister.

Katrin sank in Tills Arme.

»Wie hast du das alles fertiggebracht? Kannst du zaubern?«

Der Hochzeitswalzer setzte ein und die beiden schwebten über das Parkett.

»Katrin, ich muss dir etwa beichten. Ich habe etwas vor dir geheimgehalten.«

»Till, das kommt mir auch so vor! Ist es etwas sehr Schlimmes?«

Till lächelte.

»Schlimm? Mmm, nein! Aber ein wenig Angst habe ich schon, es dir zu sagen. Eigentlich hätte ich es dir vor der Trauung sagen müssen, aber so fand ich es romantischer.«

»Gegen Romantik ist nichts einzuwenden! Also, sage es schon.«

Till flüsterte Katrin ins Ohr.

»Der Stein deines Verlobungsrings ist ein lupenreiner Diamant von einem Karat.«

Katrin blieb abrupt stehen. Sie schaute ihren Ring an.

»Er ist nicht aus Glas?«

»Wenn du einen aus Glas haben willst, dann lasse ich den Stein austauschen. Willst du?«

»Tillmann Berg! Ich bin nur ein einfaches Madl aus den Bergen. Ich habe noch nie einen Diamanten so nah gesehen. Wie… der Ring war doch sehr teuer…«

Till lächelt sie an.

»Lass uns weitertanzen!«

Er nahm sie wieder in den Arm und sie drehten sich weiter zum Walzertakt.

»Katrin, es ist ein Diamant und er kommt aus meiner eigenen Diamantenmine. Meine Urgroßmutter hat sie als Erbe mit in die Familie gebracht. Die Mine liegt in Südafrika. Meine Urgroßmutter verliebte sich in einen Abenteuer, der durch die Welt zog und legte ihm Handschellen an, wie sie sagte. Ich habe wohl noch etwas von diesem unsteten Erbe in mir. Von Zeit zu Zeit breche ich aus dem goldenen Käfig aus und ziehe als einfacher Tramper durch das Land. Ich brauche das. Ich liebe das einfache, unkomplizierte Leben. Ich genieße es, nicht als der reiche Tillmann Berg angesehen zu werden. Ich nehme auch nie Geld mit, übernachte nicht in Hotels, sondern arbeite hier und da als Hilfsarbeiter und bin einfach nur glücklich. Ich war immer auf der Suche nach dem Glück. Jetzt habe ich es gefunden, dich! Du hast mich so genommen, wie ich war. Du hast mich einfach geliebt um meiner selbst willen.«

Katrin schaute ihn immer noch an, als könnte sie nicht glauben, was sie da gehört hatte. Langsam begriff sie.

»Deshalb…. weil du reicht bist… konntest du das mit unserer Trauung so einfädeln?«

»Genau!«

»Hast du den Bürgermeister bestochen?«

»Welch ein hässliches Wort, Katrin! Ich habe der Kinderabteilung des Krankenhauses eine Spende zukommen lassen.«

»Das ist sehr gut. Und wie hast du meinen Chef… wie hast du das hier im Hotel gemacht? Keiner hat etwas zu mir gesagt?«

»Ich habe das ganze Hotel gemietet. Der Gast ist hier König. Außerdem, ich wollte dich überraschen.«

»Die Überraschung ist dir gelungen, Till!«

Der Walzer war zu Ende.

»Lass uns einen Augenblick hinsetzen, Till. Mir dreht sich alles im Kopf. Aber es ist nicht der Kreislauf und nicht die Musik. Ich muss das alles erst einmal ordnen.«

»Bist du mir böse?«

»Nein! Aber du hättest es mir vorher sagen können. Warum hast du es nicht getan? Hast du gedacht, ich würde dich weniger lieben und nicht deine Frau werden wollen, nur weil du reich bist?«

»Ich war gestern auf der Berghütte bei Toni und Anna. Die beiden brachten mich auf einige Ideen. Anna hat im Hintergrund die Fäden gezogen, dass Toni damals die Berghütte bekam. Toni erfuhr es auch erst nach der Trauung. Oh Katrin, ich liebe dich so. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel es für mich bedeutet, dass du dich in den Vagabunden Till verliebt hast. Das war das schönste Geschenk für mich, das ich jemals in meinem Leben bekommen habe. Schöner als der größte und reinste Diamant, wertvoller als jede Diamantenmine.«

»Liebe kann man mit nichts vergleichen, was käuflich ist, Till!«

»Ja, so ist es! Das hast du schön gesagt!«

Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich.

Katrins Chef und Chefin und die Kollegen und Kolleginnen kamen und sprachen ihre Glückwünsche aus.

»Dann lass uns eine ausgelassene Party feiern, Till!«, sagte Katrin.

Sie feierten bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Die Nacht verbrachten sie in der Penthouse-Suite des Hotels. Im Eingangsbereich waren deckenhohe Spiegel angebracht. Sie blieben davor stehen.

»Wir sind wohl das ungewöhnlichste Brautpaar, das hier je übernachtet hat!«, sagte Katrin.

Sie schauten sich im Spiegel an. Da standen sie, beide in Jeans, Katrin mit einer weißen Bluse und Till mit einem T-Shirt.

»Aber wir sind sicherlich die glücklichsten, Katrin!«

»Ja, das sind wir!«

Tillmann nahm Katrin auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer.

*

Am nächsten Mittag klopfte es an der Tür der Suite. Till war noch im Badezimmer und rasierte sich. Katrin öffnete.

»Vater, du?«

Konrad Küchler stand verlegen in seinem besten Sonntagsanzug vor seiner Tochter und drehte verlegen seinen Hut mit dem Gamsbart in den Händen.

»Willst du nicht hereinkommen?«

Er warf einen Blick durch die Tür. Die vornehme Einrichtung schreckte ihn ab.

»Katrin, ich will dich nicht bei deiner Arbeit stören. Wann hast du Mittagspause. Ich will mit dir reden.«

»So?«

»Ja, ich will mich entschuldigen! Ich habe wohl einiges falsch gemacht. Pfarrer Zandler und deine Mutter sind streng mit mir ins Gericht gegangen. Deine Mutter wohnt immer noch im Altenteil. Sie will erst wieder zu mir ins Haus kommen, wenn ich mich bei dir entschuldigt habe und bei Till. Also, entschuldige bitte! Komm wieder heim! Bitte, Katrin! Das sage ich aber nicht, weil Luise erst dann zu mir zurückkehrt, sondern weil ich eingesehen habe, dass ich einen Fehler gemacht habe.«

Katrin sagte nichts. Sie schaute ihren Vater nur an. Dieser fuhr fort:

»Pfarrer Zandler sagte mir, dass er Till auf die Berghütte geschickt hat. Ich dachte mir, dass wir zusammen zur Berghütte gehen – heute Abend nach deiner Arbeit. Ich werde mich bei Till entschuldigen und ihm sagen, dass ich nichts gegen ihn habe. Wenn du ihn liebst, dann soll es mir recht sein, Katrin.«

»So?«

»Ja! Die Liebe ist doch das Wichtigste im Leben. Katrin, du sollst glücklich werden.«

Konrad Küchler schaute auf seine Schuhspitzen. Er griff in die Innentasche seines Lodenjankers und zog einen Umschlag hervor.

»Das hat sich auch geändert. Es scheint so, als hätte dein Onkel Ewald alle Schulden bezahlt. Bedingung war, dass du den Hof übernimmst.«

»Onkel Ewald? Ist er wiedergekommen?«

Konrad Küchler schüttelte den Kopf und erzählte Katrin in wenigen Worten, was sich ereignet hatte.

»Ja, das musste ich dir doch sagen, Katrin!«

Sie lächelte ihren Vater an.

»Ich muss dir auch einiges sagen, Vater! Nun komm schon herein. So an der Tür lässt sich das nicht bereden.«

»Geht das auch? Nicht dass du Ärger bekommst?«

»Das geht schon in Ordnung!«

Katrin hakte sich bei ihrem Vater unter und zog ihn in die Suite. Sie drückte ihn auf einen der Sessel und gab ihm aus der Bar ein Bier.

Während er trank, überflog sie die Papiere. Dabei lächelte sie.

»Was sagst du dazu, Katrin?«

»Gut, sage ich! Du kannst wieder nur Bauer sein, musst nicht mehr nachts arbeiten. Und ich weiß, dass alles auf dem Hof gut geregelt ist, egal, wo ich auch bin.«

»Wo sollst du sein?«

»Bei Till!«

»Du... du willst mit ihm… reisen?«

Konrad Küchler drückte es milde aus. Das Wort ›Vagabundieren‹ kam ihm nicht über die Lippen.

»Ja, wir werden viel unterwegs sein.«

Ihr Vater schluckte. Er räusperte sich.

»Denkst, dass dich das glücklich macht?«

»Ja, Vater ja! Aber es ist ganz anders, als du annimmst. Till hat beruflich viel in Südafrika zu tun. Er sucht dort nach Diamanten. Schon sein Urgroßvater war so ein unsteter Geist und zog in der Welt herum. Bis er zu einer Diamantenmine in Südafrika kam und von Tills Urgroßmutter geheiratet wurde. Ihrem Vater gehörte die Mine.«

Katrin streckte die Hand aus und hielt ihrem Vater ihren Ring hin.

»Der Stein kommt daher! Hat ein Karat! Den Ring hat mir Till zur Verlobung geschenkt.«

Katrin lachte laut, als sie das Gesicht ihres Vaters sah.

»Ich hatte zuerst angenommen, er sei aus Glas! Ich habe genauso ungläubig ausgesehen wie du jetzt, als mir Till sagte, dass es ein echter Diamant ist.«

»Madl! Himmel, da hab’ ich wohl völlig danebengelegen mit meiner Menschenkenntnis, auf die ich immer so stolz war.«

»Ja, Vater, so war es!«

»Mei, ist mir des peinlich! Aber es ist net so, dass ich deine Wahl jetzt billige, nur weil der Till doch etwas darstellt. Es ist so, dass ich mich schon vorher dazu entschlossen habe, dir keine Steine in den Weg zu legen. Des musst mir glauben.«

»Das tue ich, Vater! Und ich kann dir sagen, dass Till es dir nicht nachträgt. Da bin ich mir sicher. Er ist so ein wunderbarer Mensch! Er ist genau so, wie ich immer geträumt habe, wie ein Mann sein müsste, den ich lieben könnte.«

Konrad Küchler stand auf.

»Ich will dich nicht länger von der Arbeit abhalten, Katrin. Net, dass du Ärger bekommst. Ich warte dann heute Abend vor dem Hotel auf dich. Wir gehen zusammen auf die Berghütte und ich entschuldige mich bei Till.«

Katrin ging vor ihrem Vater in die Hocke. Sie nahm seine Hände.

»Vater, schau mich mal genau an? Sehe ich so aus, als würde ich arbeiten?«

»Wie meinst du das? Ich verstehe nicht!«

Katrin lachte.

»Ich habe einen flauschigen Bademantel an.«

»Stimmt, jetzt sehe ich es! Irgendetwas ist mir dir ganze Zeit schon seltsam vorgekommen. Warum bist net angezogen?«

»Vater«, lächelte Katrin. »Vater, ich wohne für einige Tage hier in der Suite. Aber ich bin hier nicht alleine. Till ist hier!«

Katrin stand auf.

»Was du net sagst?«

In diesem Augenblick kam Till aus dem Badezimmer. Er trug auch einen Bademantel. Er stellte sich neben Katrin und legte den Arm um sie. Katrin schmiegte sich an ihn.

»Herr Küchler, Guten Tag!«

»Grüß…Grüß… Go.. Gott!«, stotterte Konrad Küchler.

Unsicher schaute er Till an. Dieser lächelte.

»Herr Küchler, leider war es nicht möglich, Sie zu fragen, wie es Brauch ist. Mir macht es nichts aus. Aber Sie haben sich und die liebe Luise um einen schönen Augenblick gebracht. Katrin und ich haben gestern Nachmittag hier geheiratet. Der Bürgermeister von Kirchwalden hat selbst die Ehe geschlossen.«

Völlig überrascht sah Konrad die beiden an. Er stand auf und spielte verlegen mit seinem Hut.

»Ja, Vater, ich bin jetzt Frau Berg!«

»Frau Berg! Aha! So heißt du jetzt! Ja dann… also ich will sagen… herzlichen Glückwunsch! Hast es schon richtig gemacht!«

Katrin fiel ihrem Vater um den Hals.

Dann reichte Konrad Küchler Till die Hand.

»Glückwunsch«, sagte der Bauer leise. »Und es tut mir alles so leid. Ich habe mich benommen wie ein depperter Hornochse!«

»Schon gut! Wer weiß, wie ich später sein werde, wenn unsere Tochter verliebt ist oder eine unserer Töchter. Wir wollen viele Kinder. Ich bin ein Einzelkind und wünsche mir eine große Familie.«

»Danke, dass du so nachsichtig mit mir bist, Till! Das ist wirklich großzügig von dir.«

»Nun ganz unschuldig bin ich auch nicht! Ich habe Katrin, Ihre Frau, Sie und Pfarrer Zandler in dem Glauben gelassen, ich sei ein Vagabund und ein armer Schlucker. Ich wandere jedes Jahre einige Wochen so durch die Welt, ohne Kreditkarten, nur mit dem Nötigsten. Dann fühle ich mich frei und glücklich. Es ist schwer zu erklären, besonders für Menschen, die kein Geld oder wenig Geld haben. Ich wollte einfach nur Tillmann Berg sein.«

Er lächelte Konrad Küchler an.

»Verstehen kann ich des net, vielleicht begreife ich es irgendwann«, sagte Küchler leise. »Mein Leben war immer geprägt vom Kampf ums Geld. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass Reichtum auch eine Last sein kann. Bist du auf der Suche nach einem Madl gewesen, dass dich so liebt, den Vagabunden und net den reichen Herrn Berg?«

»Nein, ich war nicht auf der Suche. Jedenfalls habe ich nicht bewusst nach einer Frau gesucht. Doch als ich Katrin sah, in der Küche von Doktor Engler, da wusste ich, sie ist es. Katrin, ich muss dir und deinem Vater noch etwas sagen. Ihr wisst noch nicht alles!«

»Till! Noch etwas? Hast du noch ein Geheimnis?«

»Ja, aber das ist dann wirklich auch das letzte. Also, ich habe den Anwalt geschickt. Ich wollte, dass dein Vater nicht mehr so schwer arbeiten muss. Nachdem du mir die Geschichte deiner Familie erzählt hast, dachte ich mir, wenn ich es so aussehen lasse, als wenn dein Onkel Ewald seine Schuld wieder gut macht, dass dann dein Vater mit dem Ungemach des Lebens versöhnt wird. Aber es ist wohl besser, wenn ich gestehe, dass ich es war.«

Konrad Küchler setzte sich wieder hin.

»Danke, schade ist nur, dass ich jetzt doch nichts über Ewald erfahre. Ich hatte so gehofft, dass er doch noch sein Glück gemacht hat, dass er sich gefestigt hat und seine Vergangenheit, seine Schuld abtragen wollte. Ich hatte so gehofft, dass ich ihn einmal wiedersehe.«

»Till«, wandte sich Katrin an ihren Mann, »Till, kannst du Onkel Ewald suchen lassen? Das wünsche ich mir!«

Till beugte sich zu Katrin herunter und gab ihr einen Kuss.

»Wir werden ihn finden, Katrin.«

Wie bescheiden sie ist, meine Katrin, dachte Till. Er erinnerte sich an andere junge Frauen, die sich Autos, Schmuck und Pelze gewünscht hatten, als sie hörten, er sei vermögend. Katrin wünschte sich nur, ihren Onkel zu finden, damit die Brüder sich aussöhnen konnten.

»Katrin, wir sollten uns anziehen und mit deinem Vater zurück nach Waldkogel fahren.«

»Ja! Mutter wird staunen! Sie wird sich freuen, da bin ich mir sicher. Sie mag dich, sie liebte dich auch ohne deinen Reichtum.«

»Das weiß ich, Katrin!«

Bald waren sie unterwegs nach Waldkogel.

Luise Küchler schloss ihre Tochter glücklich in die Arme und bekam feuchte Augen. Dann umarmte sie Till.

»Ich hab dich schon immer gemocht, Till!«

»Das weiß ich!«, sagte er.

Die beiden Paare saßen bis spät in der Nacht zusammen und redeten. Sie planten die Hochzeit. Tills Eltern und Großeltern würden aus Südafrika kommen und weitere Verwandte seines Urgroßvaters aus allen Teilen Deutschlands anreisen.

»Du musst wissen, wir sind eine große glückliche Familie. Sie werden dich lieben, Katrin, und du wirst sie lieben.«

Zwei Monate später heirateten Till und Katrin in der schönen Barockkirche in Waldkogel. Katrin trug ein langes Brautkleid mit einer Schleppe aus Brüsseler Spitze. Ihr langer Schleier wurde von einem Diadem mit Diamanten gehalten. Tills Mutter hatte die Brautausstattung aus Südafrika mitgebracht. Sie, ihre Mutter und ihre Großmutter, Tills Urgroßmutter, hatten es auf ihren Hochzeiten getragen. Aus der ganzen Welt waren die Gäste eingeflogen. So eine Hochzeit hatte Waldkogel noch nie erlebt. Es war eine Mischung wie bei einer Hochzeit eines Paares aus dem Hochadel und einer Bauernhochzeit. Nach einem festlichen Mittagessen im Hotel ›Zum Ochsen‹ wurde auf dem Küchler Hof mit Volksmusik und Tanz gefeiert.

Um Mitternacht kam ein Auto, das Till und Katrin zum entfernten Flughafen fuhr. Wohin die beiden in die Flitterwochen fuhren, war ihr Geheimnis. Sie hatten es niemand verraten.

»Vater, Till und ich haben noch eine Überraschung für euch!«, flüsterte Katrin ihrem Vater ins Ohr, als sie sich von ihm verabschiedete.

Sie blinzelte ihm zu, bevor sie einstieg.

Die Sonne ging schon über Waldkogel auf, als sich die letzten Hochzeitsgäste auf den Heimweg machten. Müde, aber glücklich gingen Konrad und Luise hinauf in ihr Schlafzimmer.

»Schau mal, Luise, da liegt ein Kuvert auf meinem Nachttisch!«

»Des ist Katrins Handschrift, Konrad!«

Konrad Küchler überflog die Zeilen. Die Beine versagtem ihm. Er sank aufs Bett und schloss für einen Augenblick die Augen. Luise nahm ihn das Blatt Papier aus den Händen und las laut:

»Lieber Vater, liebe Mutter!

Till hat Onkel Ewald gefunden. Er lebt in Argentinien und züchtet Rinder. Er hatte sich sehr gefreut, als ich ihn anrief. Wir haben lange telefoniert. Er litt sein ganzes Leben unter Heimweh und einem schlechten Gewissen. Wir werden ihn in unseren Flitterwochen besuchen und hoffen, ihn zu einem Besuch nach Waldkogel überreden zu können. Onkel Ewald lässt dich und Mutter grüßen. Ich denke, er ist kein so schlechter Mensch, wie du von ihm gedacht hast. Verzeihe ihm! Anbei füge sich seine Adresse bei, falls du ihn anrufen oder ihm schreiben willst.

Lieber Vater, Till und ich hoffen, dir damit eine Freude gemacht zu haben. Wir lieben Dich und Mutter.

Fühlt euch umarmt und geküsst.

Katrin und Till

PS.: Onkel Ewalds Sorge am Telefon galt den Schulden, die er dir aufgebürdet hatte. Er bestand darauf, Till die Summe zu geben. Somit ist alles wieder gut.

Noch eine weitere frohe Nachricht: Ihr werdet Großeltern!«

Konrad und Luise Küchler schauten sich an.

»Ewald lebt und es geht ihm gut, Luise!«

»Ja, Konrad! Unser Madl hat ihre Liebe gefunden und dadurch du deinen Bruder. Aber die schönste Nachricht ist, dass wir Großeltern werden.«

»So ist es!«

Die beiden lagen noch eine Weile wach und lauschten den Vögeln, deren Gezwitscher durch die offenen Fenster drang.

»Wenn er sich nicht traut zu kommen, Luise. Ich meine, dann könnten wir zu ihm fahren. Was meinst du?«

»Sicher könnten wir das tun. Doch warten wir mal ab, was Katrin und Till erreichen.«

»Ja, das stimmt schon. Ich dachte, wenn wir zu ihm fahren, dann soll das ein Zeichen sein, dass alles wieder gut ist zwischen uns Brüdern.«

»Das ist ein guter Gedanke, Konrad. Aber das müssen wir jetzt nicht entscheiden. Es war ein langer, wunderschöner Tag, an dem unser Madl geheiratet hat. Lass uns jetzt schlafen.«

Luise kuschelte sich an ihren Mann. Sie war glücklich, dass Ewald gefunden worden war. Damit kam weitere Ruhe in das Leben ihres Mannes. Glücklich schief sie ein.

*

In dieser Nacht lag auch Toni wach im Bett. Ferdinand Unterholzer hatte Toni angerufen und während der Hochzeitsfeier auf den Anrufbeantworter des Handys gesprochen. Er sagte, dass er eine Spur habe, wer der Absender der Briefe mit den Anhängern sein könnte. Toni nahm sich vor, gleich am nächsten Tag nach Kirchwalden zu fahren und mit dem Juwelier zu sprechen.

Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman

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