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Viertes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Der Eremit hatte kaum Zeit gehabt, den beiden Reisenden mit freundlicher Bewillkommung ihre Pferde abzunehmen, und diese unter eine Bedachung, welche für diesen Behuf erbaut schien, zu bringen, als schon wieder Hufschläge, den Bergpfad herab, neue Gäste ankündigten. Wirklich sah man auch bald darauf einen Kriegsmann nebst einer Dame, beide zu Roß, aus dem Walde hervor kommen. Das verschleierte Frauenzimmer, ihrem Wuchse nach jung und zart, schien sehr ermattet. Ihr Begleiter unterstützte sie mit einer Hand, während der geduldige Zelter sie im sichern Schritte fort trug, und hob sie vor der Thüre der Einsiedelei mit vieler Sorgsamkeit vom Sattel. Beim Eintrit in das kleine Gemach, schien die Dame vor großer Erschöpfung nichts zu bemerken. Sie war in Schwarz und Weiß fast wie geistlich gekleidet, wogegen der Anzug des Kriegsmann seltsam abstach. Dieser trug ein ledernes Koller, drüber ein prächtiges Wehrgehäng, die Schärpe purpurfarb und reich mit Golde gestickt, vielfarbige Federn auf dem Hute, große Schlaghandschuh, bis an den Ellenbogen hinaufgehend. Er grüßte die beiden Reisenden freundlich, und rief dem Einsiedel zu: die Sorge wegen der Pferde möge er nur ihm überlassen, lieber aber einen Trunk Wein für die ermattete Dame bringen. Sobald er seinen Wirth hereintreten sah, verließ er die Hütte, um nach den Pferden zu gehn. Die Dame blieb wie in halber Ohnmacht sitzen. Unterdeß der Einsiedel aus einem Wandschränkchen Flasche und Becher hervor suchte, betrachtete Alwin die Fremde mit großer Neugierde, ja mit inn'rer Bewegung, so wunderbar erschien ihm das Edle ihrer Gestalt, welche aus Mattigkeit und Furcht unverkennbar hervorleuchtete. Als der Einsiedel mit dem gefüllten Becher zu ihr ging, schien sie den Schleier aufheben zu wollen, ließ ihn aber gleich wieder fallen, mit dem lauten Ausruf: Jesus Maria! Ein Mönch!

Auf ihr Geschrei trat der Kriegsmann sogleich in die Thür, und als errathe er schon Alles, sprach er: beruhige dich, Emilie. Wir sind bei einem stillen Klausner, der alle Fremde ohne Unterschied willig beherbergt. Wie Du zitterst, fuhr er fort, indem er sich an ihre Seite setzte, Sieh' doch, ich bin ja bei Dir. Sie schmiegte sich ihm mit vieler Anmuth näher an, und nahm den Becher aus seiner Hand. Indem sie den Schleier zum Trinken lüftete, bemerkte Alwin zwei schwellende Rosenlippen, die sich äußerst lieblich in das Gold des Weines tauchten. Der Kriegsmann nahm den Becher, welchen sie ihm zurück gab, und trank den Rest, sorgfältig den Mund an der Stelle ansetzend, wo seine liebliche Gefährtin getrunken hatte. Darauf wandte er sich zu Thorwald und Alwin, gleichsam als wollte er nun erst sehn, mit wem er denn eigentlich zu thun habe, und ließ die gewöhnlichen Fragen der Reisenden ergehn nach Richtung und Ziel der Fahrt. Kaum nannte ihm Thorwald Braunschweig und seine Stelle als Secretarius bei'm Herzog, so fragte er mit vieler Lebhaftigkeit, ob man wohl den tapfern Christian jetzt in seiner Residenz finde. Auf Thorwalds verneinende Antwort wandte er sich wie tröstend zu der Dame: Sei nur ruhig, Kriegsleute finden sich immer zusammen, denn Ehre ist der Magnet, der von allen Weltenden her solch Eisen anzieht. Man schließt aneinander, eh' man's gedacht. Und schreckt Dich die weitre Reise, so bleibst Du in Braunschweig unter dem Schutze irgend einer ehrbaren Frau. Um Gotteswillen lispelte die Dame halbweinend, mit einer unendlich süßen Stimme, um Gotteswillen, denke nicht daran, mich zu verlassen. Wie Du meinst, sagte der Kriegsmann. Mir ist es willkommen, und sichrer kannst Du nirgends seyn, als unter meinem Schutz, und dem meiner wackern Gefährten. Horch' auf; sie melden sich schon.

Man vernahm schnaubende Rosse, und Geklirr von Rüstungen. Ein Geharnischter trat herein. Hats viel gekostet? fragte ihn der Kriegsmann. Nein, war die Antwort. Ein Paar Fleischwunden. Der Kurd blutet ein wenig stark, kann aber doch immer noch zu Rosse sitzen. Gut, sagte der Kriegsmann. Dafür bin ich's ein andermal wieder, der Euch den Rücken frei hält. Lagert Euch im Walde. Ein zwei bis drei können zu Pferd bleiben.

Wollen wir denn nicht weiter? sagte die Dame. Mir drückt's hier das Herz ab, und was Du von Erholungen ausbrächtest, würde mir zu Gift in diesen Wänden.

Vermaledeite Zelle! rief der Kriegsmann. Warum nicht ein ehrlich Wirthshaus, wenn's einmal bewirthet sein soll! Aufgesessen, Veit! Er warf dem Einsiedel einige Goldstücke hin, der sie mit den Worten annahm; zum Frommen der Armen. Schon gut sagte der Kriegsmann, grüßte Thorwald und Alwin freundlich, und führte die Dame hinaus. Bald darauf hörte man ihn rasch durch den Forst traben.

Habt Ihr nicht bemerkt, daß die Dame eine entführte Nonne war? fragte Thorwald den Einsiedel.

Mir schien es so, antwortete dieser. Auch eräugnet dergleichen Unheil und Gottlosigkeit sich öfter in diesen Gegenden, seitdem die lutherische Secte darin Wurzel gefaßt hat. Mönche lassen ihr Haar wachsen und leben wie Verehlichte, Klosterjungfrauen treten freiwillig aus dem geheiligten Ring, oder werden gewaltsam entführt.

Diese schien zur erstern Klasse zu gehören, sagte Thorwald mit einem halb spötischen Gesicht, worüber sich Alwin in der Seele gekränkt fühlte. Ihm hatte die schöne Flüchtige das Gefühl der innigsten Sehnsucht zurückgelassen. So durch Feld und Wald mit ihr zu traben, ihr Schutz und ihre Liebe! Beneidenswerther Kriegsmann! Und aus den schwellenden Rosenlippen die süsse Bitte zu vernehmen: um Gotteswillen, denk' nicht daran, mich zu verlassen!

Warum schärftet Ihr dem verirrten Schäflein nicht das Gewissen? fragte Thorwald den Einsiedel weiter.

Die Welthändel gehn mich nichts an, erwiederte dieser.

Und doch, sagte Thorwald, habt Ihr Euch beinah mitten zwischen sie hin gelagert. Ihr seid ordentlich zum Beherbergen eingerichtet, und was in alten Legenden Epoche für das Leben eines Klausners macht, ja, öfters nur durch ein Wunder herbeigeführt wird, der Besuch eines Fremdlings, gehört bei Euch zur täglichen Ordnung, ohne daß es Eurer Andacht Eintrag zu thun scheint. Ihr seid noch um die Hälfte demüthiger, als ein gewöhnlicher Einsiedler; Ihr seid nur ein Halbsiedler.

Ihr sprecht, als ein Lutheraner, sagte der Eremit, und ich muß Euern Spott dulden.

Nicht das, erwiederte Thorwald. Ich bin ziemlich gut in Eurer Kirchengeschichte bewandert, und finde desto mehr Stoff zum Nachdenken über die Ursache, welche einen frommen Büßer Eures Gleichen so nahe an die Straße gezogen hat.

Der Klausner ging stillschweigend nach dem Fenster, öffnete es, und zeigte in die kalte Sturmnacht hinaus, dann zurück auf das behagliche Feuer des Heerdes.

Ihr antwortet gut, und ich verstehe Eure Sprache, sagte Thorwald. Aber dann möchte ich beinah die Frage jenes rüstigen Kriegsmannes wiederholen: warum nicht lieber ein ehrliches Wirthshaus, wenn's einmal bewirthet sein soll?

Nein, ich ertrag' es nicht länger, brach Alwin los, und Schmach mir, wenn ich's vermöchte! Was höhnt Ihr einen guten Mann, unsern Wirth, ohne dessen Milde Ihr draussen lägt unter den blätterlosen Eichen, auf dem unwirthbaren Schnee! Wohl hat er Recht, das er, verschmähend Euch zu antworten, seine gastliche Flamme für sich sprechen läßt, und den Sturm, welcher dem Giebel vorbei tobt! Und vergeßt Eure sichre Behaglichkeit, die sein Werk ist, rechnet sie dem Zufall an, oder Eurer eignen Klugheit, was reizt Euch dennoch auf gegen sein stilles Waldleben, nur von den Gestalten vorbeiziehender Wandrer gefärbt, wie das weisse Tuch von den Bildern der magischen Laternen, nach jeder Erscheinung die Fläche wieder klar und still im lichten Rund! Bei Gott, ich kenne mir kein schöneres Leben, als das eines frommen Einsiedlers. Lächelt nur; sei es nun über meine Jugend, oder weil ich vorhin ein Sängerleben als das schönste gepriesen habe. Hier waltet eine ganz andre Heiligkeit, wir stehn gleichsam auf einer höhern Stufe, wo alle weltliche Bahnen gar nicht in Betrachtung kommen. Die ernsten Gestalten der Berge rund umher, das Rauschen unbekannter Waldwasser, die Baumriesen über das Dach hinsäuselnd und von den Höhen herunterwinkend, oder wie jetzt starr und herbstlich ihre Arme ausstreckend – giebt es einen erhabnern Schauplatz für die Seele, die ihr ganzes Erdenheil vorüberziehen sah, und nun still ergeben zurück bleibt?

Wenn auch nur eine schöne flüchtige Nonne vorüberzog, antwortete Thorwald lächelnd, und man nicht an des glücklichen Kriegsmannes Stelle mit ihr durch die Wälder reiten kann. Da bleibt freilich ein Eremitenleben das beste Mittel. Uebrigens, junger Mensch, fuhr er ernsthafter fort, hättet Ihr Eure Philippica sparen können, wenn sie dahin gerichtet war; das Thun und Lassen frommer Anachoreten vor mir zu rechtfertigen; auch bedurfte es dazu nicht der Baumwipfel und Gestaltungen der Berge. In der Thebaischen Wüste fand man nichts dergleichen, und. doch sind dort die Urbilder aller nachherigen Eremiten in ihrer schauderhaften Größe aufgestiegen. Thut wie ich, nähert Euch den älteren Urkunden von Ausbreitung unsrer Christlichen Religion, beschaut jene Helden des Glaubens, wie sie auf den pfadlosen, ja quellenarmen Steppen wohnen, jedes Hütte weit aus dem Gesichtskreise der andern, nur durch mühevolle Tagereisen zu erreichen, und doch Jeder seelig in seiner innern Verzückung, froh in täglicher Bezwingung des Irdischen, die Bande siegreich lösend, die ihn von der intellectuellen Welt zurücke halten. Beschaut das, und Ihr werdet ein wenig besser verstehen, was es mit einem Einsiedlerleben sey, wovon Ihr in Eurer Unbewußtheit ganz recht sagtet, es stehe auf einer höhern Stufe und komme mit nichts Weltlichen in Vergleichung. Welcher allgewaltige Sinn, sich in Kriegsstand zu setzen wider Alles, was uns am Mehrsten freut; nicht etwa zum Behuf einer vorübergehenden Bußübung, oder einer scharfen Speculation, nein für immer, und aus ganzem vollem Herzen! Wer fühlt es nicht, wie Gold und Silber und andrer Erdentand, Staub werden mußte vor den Blicken jener Kräftigen!

Ich habe noch niemals einen Protestanten so reden hören, sagte der Einsiedel.

Und doch bin ich Einer, antwortete Thorwald, und ein recht eifriger. Worin aber der junge Mann Recht hatte, fuhr er fort, daß war in seinem Tadel über meine Neckereien gegen Euch, frommer Vater. Verzeiht mir; ich verletzte Euch, wie ein scharfes Messer, unabsichtlich.

Der Einsiedler war bald und gern versöhnt, und man setzte sich vergnügt zum Abendbrod, auch Alwin, den Thorwalds ernste Zurechtweisung mehr gefreut, als gedemüthigt hatte. Es war ihm, als sei er seinen Gefährten näher gerückt, und er suchte es ihm durch Blick und Rede darzuthun, worauf jener aber wiederum gar nicht zu achten schien.

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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