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Sechstes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Die Sonne näherte sich kaum den westlichen Berggipfeln, alle Tagesgeschäffte gingen noch ihren gewohnten Lauf, nur aus wenigen Fenstern sahe man angezündete Lichter, da bereits Alwin in das Zimmer des Geheimschreibers trat, um ihn, ihrer gestrigen Verabredung gemäß, zum Tanzfest bei der schönen Gräfin abzuhohlen. Thorwald saß unter gehäuften Papierstößen, schrieb emsig, und blickte nur flüchtig grüßend nach dem Jüngling hin. Dieser trieb sich ungeduldig auf und ab; immer finstrer wurden draußen die Nachtgewölke, man hörte schon Wagen zum Feste rollen und der Secretarius saß noch immer unverrückt bei seiner Arbeit, ja, statt deren ein Ende zu machen, nahm er vielmehr, nach fertig geschriebenem Bogen, oftmals ein neues Heft zur Hand. Alwin fühlte sich von der Ungeduld so gepeinigt, daß er mehrmals im Begriff stand, ohne den lässigen Begleiter fortzueilen, jedem das Seinige gönnend, dem Geheimschreiber die Acten, sich selbst den Tanz. Aber dann erschien es ihm wieder gewagt, so allein in der Gesellschaft aufzutreten, er konnte gleich zum Eintritt tausend Ungeschicklichkeiten begehn, dagegen die gestrige, erste für Kinderspiel gegolten hätte, dann aber war ihm wieder als höre er die Hörner und Flöten zum Reigen locken, Beatrix schaue vergeblich nach ihm aus, und nehme sich vor, nie wieder mit ihm zu tanzen, die hohe Mathilde lächle wie Gestern über den Unbeholfnen, Anselmo flüstre der schönen Aline drollige Späße auf sein Wegbleiben zu – er stand zwischen Gehn und Warten, den Thränen so nah als dem Zorn. Seine ungestümern Tritte machten endlich den Geheimschreiber aufmerksam. Verzeiht, sagte er, ich war sehr beschäfftigt, und hatte Eure Gegenwart wieder vergessen. Ihr hättet mich erinnern sollen. Wünscht Ihr irgend etwas von mir?

Alwin schwieg, vom innern Grimm überwältigt, und ein Blick auf den geputzten Jüngling, wie auch das stärkre Rollen der Wagen auf den Gassen, belehrte endlich den Geheimschreiber, wovon die Rede sei. Ja so, sagte er, aufstehend, der Tanz. Ich dachte seiner nicht, und er ist vielleicht schon begonnen. Nun fing er gelassen seinen Anzug an, und sprach dabei ganz unbefangen und freundlich von den gleichgültigsten Dingen. Als er endlich fertig war, fragte er: Ihr seid wohl ein wenig ungeduldig geworden? Es kommt mir beinah so vor. Alwin keines Wortes mächtig, ging stillschweigend neben dem ruhigen Begleiter her.

Sie traten in den Saal, die Musik scholl ihnen rauschend entgegen, und Anselmo kam eilig zu Alwin. Wo bleibt Ihr? sagte er. Die artige Beatrix hat schon zwei Tänzer um Euretwillen fortgeschickt, und Ihr laßt sie warten. Alwin stammelte einige Worte zur Entschuldigung, auf Thorwald zeigend, aber Anselmo wollte nichts davon hören. Thaten machen wieder gut, nicht Reden, sagte er lachend, und führte ihn dem blühenden Kinde entgegen, das ihn etwas schmollend anblickte, jedoch auf ein Paar demüthige Worte, die Alwin eigentlich nicht einmal aussprach, wieder freundlich ward. Sie traten in die Reihe, Aline flog an dem Arm Anselmo's vorüber den Spätgekommnen und seine erröthende Tänzerin neckend, ringsumher lachten holdseelige Gesichter in allem Reiz der Jugend und des festlichen Schmuckes, Mathilde glich der gemeinschaftlichen Sonne Alles überstrahlend. Alwin fühlte sich stolz und froh in dem neuen Elemente, von dem er wußte, daß es ihm nach Stand und Alter schon längst gehöre, und er nur durch Zufall darin so lange fremd geblieben sei. Mit ziemlicher Sicherheit nahm er Besitz von seiner neuen Stelle im Leben, und Anselmo war ihm beständig hülfreich zur Seite. Auf dessen Bitte gewährte die schöne Aline dem Fremdling einen Tanz, ihr Beispiel gewann ihm die zierlichsten und holdesten der Frauen zu Gefährtinnen, und dadurch ein gewisses Ansehn in der Gesellschaft. Fast wäre er, durch Tanz und Wein begeistert, so kühn gewesen, die Königinn des Festes, die schöne Matilde um einen Reigen zu bitten; als er sich ihr aber näherte, standen die gewandtesten und angesehensten Jünglinge des Hofes um sie her, ein herablassender Blick fiel auf ihn aus ihren strahlenden Augen, er wandte sich geblendet abwärts. Dafür wagte er es, die freundliche Beatrix noch zu andern Tänzen aufzufordern, und erwarb ein leises Ja. Wie ihn an ihrer Hand die Musik auf und ab wogte, fiel ihm öfters ein, daß sie wohl die Nonne sein könnte, und er der Kriegsmann, Waldein, Waldaus mit ihr umstreifend. Frisch genug blühten ihre Lippen, und würden sich unter dem Schleier hervor, im Wiederscheine des Weins nicht minder lieblich ausgenommen haben, als die jener schönen Flüchtigen. Während einer allgemeinen Pause des Tanzes gewann er seinen Platz neben Beatrix. Erfrischungen wurden umher gegeben, die edelsten Weine perlten in den Gläsern, leise ging das Gespräch durch den glänzenden Rund, indeß Harfe, Waldhorn und Geige hinein klangen, es vereinend und auflösend in seelige Harmonie. Da konnte Alwin nicht anders; er mußte der Holden sein romantisches Zusammentreffen mit dem Kriegsmann und der Nonne erzählen, die Worte wurden ihm unter der Musik zu halbem Gesange, Reime strichen wie fröhliche Lichter durch seine Rede, was er von der Geschichte nicht wußte, erfand er und schilderte, wie der Kriegsmann die Schöne bei ihrer Einkleidung zuerst gesehn, wie es ihm verfolgt habe das süße Bild bei Krieg und Mahl, bis endlich er den theuern Raub aus den geweihten Mauern stahl. Nun unter Waldes Laub! Wie herbstlich auch es von den Bäumen rauscht, wie trüb die Nacht im Froste lauscht, Glanz, Licht und Liebe funkeln um sie her. Zuletzt vor ihnen wallt das offne Meer. –

Wahrhaftig, die Kinder erzählen sich ein Mährchen, sagte Beatrix Mutter, eine schöne, freundliche Dame, die unbemerkt ihnen zugehorcht hatte. Ich dachte wohl, daß es nicht viel Andres sein würde, aber ich mußte doch herbeitreten, als ich das Töchterchen so ernsthaft auf die Reden eines jungen Menschen lauschen sah. Erzählt Euch ein andermal mehr, Ihr Kinder. Jetzt geht lieber zum Tanze. Merkt Ihr nicht, daß er schon wieder beginnt?

Beatrix hatte ihre Mutter bei den ersten Worten etwas scheu betrachtet; jetzt lächelte sie zu ihr auf und Alwin küßte der scherzenden Frau die Hand, ihr artiges Mägdlein zum Reigen führend. Ihr seid ein Caesar, flüsterte ihm Anselmo in's Ohr, ein recht ernsthafter Erobrer; Ihr gebt Euch gleich an die festen Plätze, an Mutter und Vater, und Großältern wo möglich. Diese Neckerei gab ihm ein unbehagliches Gefühl, er antwortete kurz und verschlossen, und freute sich, Anselmo nicht im Saale wahrzunehmen, als er bald darauf die holde Beatrix an den Wagen führte. Indem er aber wieder zur Gesellschaft zurück wollte, begegnete er dem muthwilligen Italiener, der ihm vorschlug, miteinander nach Hause zu gehn. Euer Stern ist doch nicht mehr am Himmel, sagte er, und da Alwin nicht antwortete, fuhr er fort: nehmt die Sache nicht so ernsthaft. Der Spaß ist bei Allem das Beste, bei der Liebe ganz vorzüglich. Dabei zog er ihn mit sich, und Alwin konnte vor seinem frohherzigen Geplauder nicht lange stumm bleiben. Er gestand ihm sein Wohlgefallen an Beatrix.

Es ist auch in der That ein sehr hübsches Mädchen, sagte Anselmo. Ihr seid recht glücklich, Euer Bild aus einem so reinen Spiegel wiederleuchten zu sehn, welchen noch keines Andern Hauch berührt hat. Ihr zartes Alter war bis jetzt ein Schutzengel, für ihre Schönheit.

Mein Bild darin wiederleuchten! antwortete Alwin. Wer sagt Euch denn, daß ich so stolze Gedanken hege, und ob es mir je gelingen wird, ihre zarte Neigung auf mich zu lenken.

Ich prophezeihe Euch das Beste, rief Anselmo. Und seht, zum glücklichen Wahrzeichen meiner Rede, stehn wir so eben unter ihren Fenstern. Er zeigte nach einem großen Hause, worin die erlöschenden Lichter verkündeten, wie seine Bewohner nach und nach zur Ruhe gingen. Richtig! fuhr er fort. Sie wacht am längsten, und singt sich wohl noch die artigen Tanzmelodieen des heutigen Festes vor. Dort, wo die Blumen hinter den Scheiben zwischen dem Lichte hindurchblühen, ist ihr Zimmer. Wenn ihr bei Tage vorbeireitet, könnt Ihr oft des neugierigen, zierlichen Lockenköpfchens gewahren. Und o, wie viel schöner ist es, zur Nachtzeit durch die Straßen zu wandern, mit lustiger Musik und seinen Vertrauten, oder ganz allein, die Cither am Arm, süße Melodien in die Träume schöner Mädchen hinübergaukelnd. Das ist die Sitte meines lieben Italiens, aus dem mich des Vaters wilde Laune hergeschleudert hat. Da klingts in jeder Nacht von Serenaden, und der warme Himmel sieht freundlich drein mit seinem tiefen, reinen Blau. Aber ich bitte Euch, was hindert uns, hier das nämliche zu thun; ein wenig Schnee unter den Füßen? desto leiseres Wandeln; dichtre Wolken am Firmament? so gesicherter die Heimlichkeit der Minne. Ich wollte, Ihr hättet Eure Cither bei Euch; wir könnten gleich den Anfang machen. Aber was Heut nicht geschieht, soll ein Andermal nachgeholt werden. Ihr tanzt recht hübsch, und seht gut aus, vorzüglich jung und unbefangen. Es wird Euch nicht an artigen Abentheuern fehlen. Nur vor Einer Klippe nehmt Euch in Acht, vor Euerm bärtigen Geleitsmann, dem gestrengen Herrn Secretarius Thorwald. Es war Euer Glück, daß die jungen Damen weder Heute noch Gestern bemerkten, wie Ihr unter seiner Aegide auftratet. Keine schlechtre Empfehlung in der Liebe, als einen Hofmeister zu haben, der uns auf allen Schritten nachruft: hübsch sacht, hübsch besonnen! Und vollends so eine Vogelscheuche! So einen Gegenfüßler aller Galanterie!

Er scheint doch ziemlich angesehn, unter allen Vornehmen, wandte Alwin ein.

Ja, unter den Alten, sagte Anselmo, die von nichts mehr Notiz nehmen, als von ihren verdrießlichen Geschäften, und außerdem bei der schönen Gräfin, die ihrer Schönheit zum Trotz abscheulich weise ist. Da soll er auch für unentbehrlich gelten, heißt es. Wir jungen Leute haben eine Rangordnung wie das goldne Zeitalter: was blüht und duftet ist für uns, die getrockneten Früchte mögen die trocknen Bewundrer allein verzehren. Bei uns gilt Thorwald nicht, bei uns soll er nicht gelten, so lange ich noch eine Stimme habe, und das will ich jetzt beweisen, ein Liedchen zu Eurer Cither singend. Holt sie mir herunter, denn wir stehn ja schon vor Eurer Wohnung, und mich kommt meine Serenadenlust wieder an.

Alwin, sich der tollen Laune fügend, brachte die Cither. Ach, wenn dort meine Braut wohnte! seufzte Anselmo, blickte nach einem hellen Fenster gegenüber, und sang:

Schon im Bettchen,

Blühende Schönheit?

Brennst Dein Nachtlicht,

Daß es beleuchte,

Daß es bestrahle

Leuchtende Glieder,

Strahlende Farben,

All' ein wogend Blumenbeet,

All' ein liebehauchend Meer

In Blitzen, in Wellen,

Wie Du schlafend liegst und unbewußt.

Oder stehst Du noch sinnend vor dem Spiegel,

Flichst zusammen die reichen Locken,

Ein wundersam Netz?

Weh, mich hat der Blitz getroffen,

Mich die Wellen eingeschlungen,

Mich das reiche Netz umrungen,

Weh', ich muß vergehn!

Morgen thu' die Aeuglein offen,

Frag', wo ist der treue Knabe?

Wirst ihn schon vielleicht im Grabe

Todt vor Liebe sehn.

Gute Nacht! Gute Nacht! sang er noch halb, und sprach er halb, warf die nachtönende Cither ihrem Herrn in den Arm und eilte fort.

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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