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A.

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A ist A, bedeutet: Jedes ist, was es ist (omne subiectum est praedicatum sui = Jedes Subjekt ist sein eigenes Prädikat), oder auch: was ist, ist (quidquid est, est). Dieser Satz heißt in der Logik principium identitatis oder Grundsatz der Identität (s. d.). Er ist der oberste logische Grundsatz der Erkenntnis und drückt die Denkforderung aus, daß jeder Begriff im Bewußtsein ohne Verschiebung seiner Bedeutung festgehalten werde und somit alle Erkenntnis in sich widerspruchlos übereinstimme. Aber er ist nur ein formaler logischer Satz, aus dem der Inhalt unserer Erkenntnis nicht abgeleitet werden kann und aus dem sich überhaupt nichts ohne fremde Zuhilfenahme entwickeln läßt. Die Wolfische Schule im 18. Jahrhundert sah in ihm fälschlich ein metaphysisches Prinzip, aus dem sie die gesamte Vernunfterkenntnis herleiten wollte, obwohl sie in der Bestimmung des Verhältnisses des Satzes vom zureichenden Grunde zu dem Prinzip der Identität schwankte. (Vgl. Grund.) Die kritische Philosophie Kants (1781) hat diesen Wahn vernichtet und gezeigt, daß aus Vernunftprinzipien nur die Form, nicht der Inhalt unseres Wissens herstammt, daß auch der Grundsatz der Identität nur das Prinzip analytischer, aber nicht synthetischer Sätze sei. In der Philosophie J. G. Fichtes (1762-1814) steht der Satz A = A wieder an der Spitze des Systems und bezeichnet hier, daß das Ich die Grundlage alles Daseins ist, daß das Ich sich durch eine Tathandlung selber setzt. Vgl. Contradiction.


In der Logik bezeichnet der Buchstabe a das allgemein bejahende Urteil, z. B. Alle Käfer sind Gliederfüßer. Die allgemeine Form des allgemein bejahenden Urteils ist: Alle S sind P. Das Begriffsverhältnis zwischen Subjekt und Prädikat kann im allgemein bejahenden Urteil ein doppeltes sein: 1. Entweder ist das Subjekt der Art-, das Prädikat der Gattungsbegriff, z. B. Alle Pflanzen sind Organismen, oder 2. das Subjekt und das Prädikat sind Begriffe, die nach Inhalt und Umfang übereinstimmen, z. B. Alle Kurven zweiten Grades sind Kegelschnitte. Ein Gedächtnisvers des Michael Psellos (um 1050) besagt: Asserit a, negat e, sed universaliter ambo; asserit i, negat o, sed particulariter ambo. Die vier Buchstaben sind den Wörtern affirmo und nego entlehnt.


Abänderung ist der Wechsel einzelner Eigenschaften (s. d.) eines Dinges, ohne daß das Wesen des Dinges dadurch aufgehoben wird. Aristoteles (384-322) sieht in der Abänderung eine Form der Bewegung. Die Bewegung ist ihm die Verwirklichung des Möglichen. Sie hat vier Arten: die quantitative Bewegung oder die Zu- und Abnahme, die qualitative Bewegung oder die Abänderung (Verwandelung), die räumliche Bewegung oder die Ortsbewegung und das Entstehen und Vergehen. Die Verwandlung entsteht durch das Zusammentreffen eines Wirkenden und Leidenden (Arist. Phys. III, 3 p. 202 a. 22 ff.). Vgl. Zeller, Die Philosophie d. Griechen III, S. 389 ff.


abalienieren (lat. abalienare) heißt entäußern, entfremden; Abalienation heißt Entäußerung, Geistesstörung.


Abart, Unterart, Spielart oder Rasse heißt die aus der Vererbung zufälliger Merkmale entstandene Unterform einer Art. Vgl. Art, Darwinismus.


Abasie-Astasie (gr.) heißt die durch hysterische Schwäche hervorgerufene Unfähigkeit Nervenkranker zu gehn und zu stehn. Der Kranke kann im Liegen mit seinen Beinen jede Bewegung ausführen; aber er kann nicht gehn und stehn. Vgl. Hellpach, die Grenzwissenschaft der Psychologie, Leipzig 1902, S. 184.


Abbüßungsvertrag (lat. pactum expiatorium) heißt der Vertrag, durch den man sich verpflichtet, das einem andern zugefügte Unrecht wieder gut zu machen, und durch den der Staatsbürger das Recht erhält, statt bei Gesetzesverletzung vom Staate ausgeschlossen zu werden, sich einem anderen kleinen Übel (der Strafe) zu unterwerfen. J. G. Fichte (1762-1814) erklärt ihn für die Grundlage des ganzen Strafrechts und leugnet deshalb die Berechtigung der Todesstrafe. Aber er verkennt dabei, daß der Staat überhaupt nicht, wie er im Anschluß an Rousseau (1712-1778) annahm, auf einem Vertrage beruht, sondern allmählich entstanden ist. Vgl. Todesstrafe.


abdisputieren (v. lat. disputare = streiten) heißt abstreiten.


Abduktion (lat. abductio), eigtl. Wegführung, heißt in der Logik der Übergang von einem Satz zum andern.


Aberglaube (auch Afterglaube, Mißglaube, lat. superstitio, gr. deisidaimonia) heißt allgemein jeder falsche Glaube. Er entsteht, indem niedere religiöse Vorstellungen zur Zeit des religiösen Fortschritts festgehalten werden. Im engeren Sinne ist der Aberglaube eine den Gesetzen der Erfahrung und des Denkens zuwiderlaufende Ansicht von dem ursächlichen Zusammenhange der sinnlichen Welt mit der nichtsinnlichen. Es ist z. B. abergläubisch, einen Krieg aus dem Erscheinen eines Kometen, oder den Tod eines Menschen aus dem Zusammensein von dreizehn Personen an einer Tafel abzuleiten. Der Aberglaube beruht hauptsächlich auf dem Fortleben der Vorstellungen der Naturreligionen und des Volksglaubens, die teils der Unwissenheit, teils dem ungeschulten Schlußvermögen, teils der Phantasie entsprungen sind. Er ist theoretisch, wenn er unsere Weltanschauung bestimmt, praktisch, wenn er unsere Handlungsweise regelt (Magie). Manche abergläubische Ansicht ist ziemlich harmlos, manche gefährlich, manche führt sogar zum Fanatismus. Die verschiedenen Formen des Aberglaubens sind belehrend für die Erkenntnis der menschlichen Natur und der menschlichen Kulturgeschichte, daher auch oft für den Dichter anregend und stoffgerecht, wie Goethe wohl wußte. Der aus dem Altertum und Mittelalter ererbte Aberglaube ist durch die Tätigkeit der Reformation und der Aufklärung wesentlich beschränkt, aber keineswegs völlig beseitigt, dagegen im volkstümlichen Lied neu belebt und psychologisch vertieft worden. Der Aberglaube der Gegenwart gipfelt im Spiritismus. Vgl. Wuttke, der deutsche Volksaberglaube, 1869. Pfleiderer, Theorie des Aberglaubens, 1872. Lippert, Christentum, Volksglaube und Volksbrauch, Berlin 1882. C. Meyer, der Aberglaube des Mittelalters, Basel 1884. Strümpell, der Aberglaube, 1890.


Aberratio delicti (lat.), Abirrung des Vergehens, bezeichnet die unbeabsichtigte Folge einer schlechten Handlung; ob sie dem Täter zuzurechnen sei, ist eine ethische und juridische Streitfrage.


Aberwitz ist soviel als Unverstand. Stärkere Grade des Aberwitzes heißen Wahnwitz, Wahnsinn (s. d.).


Ab esse ad posse valet, a posse ad esse non valet consequentia (lat.): Vom Sein kann man auf das Können (oder von der Wirklichkeit auf die Möglichkeit), nicht aber umgekehrt schließen. Diese logische Regel, welche eine modale Konsequenz ausdrückt (vgl. Modalität), besagt, daß aus der Gültigkeit des assertorischen (s. d.) Urteils die des problematischen (s. d.), aber nicht aus der Gültigkeit des problematischen die des assertorischen Urteils folgt.


Abfall heißt das plötzliche Aufgeben eines bisherigen Verhältnisses auf politischem, religiösem, philosophischem u. a. Gebiet. War jenes Verhältnis ein uns aufgezwungenes oder ein verwerfliches, so zeugt der Abfall (die Apostasie) oft von Charakter; war es ein gutes oder wird es ohne Grund aufgegeben, so ist der Abfall meist charakterlos. Philosophisch verwendet ist die Idee des Abfalls von Origenes (185-254) und Schelling (1775-1854), welche die ganze sichtbare Welt aus einem Abfall von Gott herzuleiten versucht haben.


abgekürzt (decurtatus) heißt ein logischer Schluß oder Beweis, wenn bei seiner Darstellung ein oder mehrere selbstverständliche Glieder fortgelassen werden. Vgl. Enthymem, Sorites und Kettenschluß.


abgeleitet heißen Begriffe oder Sätze oder Erkenntnisse, wenn sie aus andern gefolgert sind oder gefolgert werden können. So scheidet z. B. Kant in unserer Erkenntnis die reinen Stammbegriffe des Verstandes, wie Substanz, Ursache, Gemeinschaft, die er Kategorien (s. d.) nennt, von den aus diesen abgeleiteten reinen Begriffen, die er Prädikabilien nennt; zu den letzteren gehören z. B. die Begriffe der Kraft, der Handlung, des Leidens, des Entstehens und Vergehens, der Veränderung, der Gegenwart, des Widerstandes etc.


abgemessen (präzis) heißt ein Begriff, wenn er so genau bestimmt ist, daß in denselben, ohne daß ein Merkmal fehlt, kein zufälliges und abgeleitetes und überflüssiges, sondern nur wesentliche, ursprüngliche und unentbehrliche Merkmale aufgenommen sind.


Abgunst ist das Mißfallen eines Menschen an dem Wohlsein eines Mitmenschen. Vgl. Neid.


abhängig heißt ein Gegenstand oder eine Person, deren Existenz oder Beschaffenheit durch einen anderen Gegenstand oder eine andere Person mitbestimmt ist. Es gibt z. B. eine logische, mathematische, physische, moralische, religiöse Abhängigkeit. In der Logik ist jeder Schlußsatz von den Prämissen nach Quantität und Qualität abhängig. Der besondere Ausdruck der logischen Abhängigkeit ist das hypothetische Urteil (s. d). Die mathematische Abhängigkeit findet ihren Ausdruck im Begriff der durch eine oder mehrere Variabeln bestimmten Funktion, z. B. y = f (u, v). Physisch sind alle Dinge, ja auch alle Personen von anderen abhängig, da alle unter dem Gesetz des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung stehen. Die moralische Abhängigkeit (Dependenz) ist soviel als Verbindlichkeit, d. h. Verpflichtung, etwas zu tun. Schleiermacher (1768-1834) nannte die Religion das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit von Gott.


Abiogenesis (aus d. gr. a = nicht, bios = Leben, genesis = Entstehung gebildet), Urzeugung, heißt die erste Entstehung organischer Wesen aus unorganischem oder aus organischem, aber ungeformtem Bildungsstoffe. Die Beobachtungen und Versuche haben bisher die Möglichkeit einer solchen Urzeugung nicht erwiesen, aber für die Anhänger der Kant-Laplaceschen Hypothese ist die Urzeugung ein kosmologisches Postulat. Neuerdings versucht man um dieses Postulat durch die Theorie einer Panspermie herumzukommen (s. d.). Vgl. Generatio aequivoca.


Ablepsie (v. gr. a = nicht, blepein = sehen) heißt Blindheit, Verblendung, Stumpfsinn.


Abneigung ist die zur Gewohnheit gewordene Unlust an einem Gegenstande oder einer Person. Die Ehescheidung aus »unüberwindlicher Abneigung« wird von den Gesetzen zugelassen, läßt sich aber vom ethischen Standpunkt aus schwer verteidigen.


Abnormität (von d. lat. abnormis = regelwidrig gebildet) heißt die Abweichung von der Regel im Dasein oder im Handeln. Sie kann angeboren oder erworben, dauernd oder vorübergehend sein.


ab ovo (lat.), von Anfang einer Sache an, ist eine sprichwörtliche Redensart, die aus dem Lateinischen stammt und von der Mahlzeit hergenommen ist, bei der man mit dem Ei (ovum) begann und mit den Äpfeln endigte (vollständig ab ovo usque ad mala bei Horaz, Sat. I, 3, 6 f.).


Abráxas nannte der Gnostiker Basilides (2. Jahrhundert n. Chr.) die unter dem obersten Gott stehenden Weltgeister, die, gleich den Tagen des Jahres, 365 an Zahl sein sollten. (a = 1; b = 2, r = 100; a = 1; x = 60; a = 1; s = 200 im griechischen Ziffernsystem.)


Abrichtung (Dressur) heißt die methodische Gewöhnung von lebenden Wesen durch Zwangmittel zu bestimmten Fertigkeiten, z. B. zum Tanzen, Springen, Apportieren usw. Die Abrichtung führt zum Verständnis des fremden Willens, zu Gehorsam und Gewandtheit, aber nicht zur Einsicht und Selbständigkeit. Auch wir Menschen werden zum Stehen, Gehen, Essen, Schreiben, Lesen etc. abgerichtet. Der eigentliche Unterricht aber muß von aller Abrichtung frei sein.


abrupt (lat. abruptus) heißt abgerissen, ohne Zusammenhang; ex abrupto bedeutet plötzlich.


Abscheu (Abomination) ist die heftige Abneigung gegen etwas in Verbindung mit dem Streben, sich davon zu befreien. Abscheu ist also das Gegenteil von Begierde. Vgl. Hass.


Abschreckungstheorie vgl. Strafe, Todesstrafe.


Absicht bedeutet die Bestimmung des Willens zu einem Ziele. Die Absicht unterscheidet sich vom Zweck dadurch, daß unter jener meist die subjektive, unter diesem meist die objektive Bestimmung des Willens verstanden wird. Nach dem Grade der Absichtlichkeit einer Tat richtet sich die Zurechnung. Vgl. Zweck.


absolut (lat. absolutus von absolvere), eigentl. losgelöst, bezeichnet die Loslösung von den verschiedensten Beziehungen, so daß sich die Bedeutung des Wortes sehr mannigfaltig gestaltet hat. Die gebräuchlichsten Verwendungen des Wortes sind: 1. losgelöst von jeder Verbindung; der Gegensatz ist relativ (in Verbindung gesetzt); so redet man von absoluten und relativen Zahlen; jene, z. B. 5 oder a sind Zahlen außerhalb jeder Rechnungsoperationen, diese, z. B. +5 oder –a sind ihrer Entstehung nach Glieder einer Additions- oder Subtraktionsaufgabe, Addenden oder Subtrahenden; 2. losgelöst von jeder Bedingung; der Gegensatz ist hypothetisch (bedingt), z. B. absolutes Gut, absolute Notwendigkeit, absolute Wahrheit; 3. losgelöst von jeder Abhängigkeit und Einschränkung; der Gegensatz ist beschränkt, abhängig, konstitutionell determiniert; so spricht man von einer absoluten Freiheit, einer absoluten Herrschaft (Absolutismus) im Gegensatz zu der Willensunfreiheit (dem determinierten Willen), zu konstitutioneller Herrschaft; 4. losgelöst von jeder Empfindung; der Gegensatz ist empirisch, so heißt der von dem Mathematiker vorausgesetzte reine unbewegliche Raum der absolute Raum im Gegensatz zu dem bewegten, mit Materie erfüllten Wahrnehmungsraume; ähnlich ist der Begriff der absoluten Zeit; 5. losgelöst von jeder Raum- oder Zeitbeziehung; der Gegensatz ist in räumlicher oder in zeitlicher Beziehung zu einem anderen; so bezeichnet philosophisch absolut das, was in sich ist und nicht in einem und mit anderen ist; 6. losgelöst von jeder subjektiven Beimischung, in sich geschlossen, an sich; das absolute Ding, das Ding an sich bildet den Gegensatz zu dem auf das Subjekt, auf das menschliche Bewußtsein bezogenen Ding, der Erscheinung; 7. losgelöst von allen Schranken der Zeit, des Raumes und des Irdischen überhaupt. In dieser Bedeutung versteht man unter dem Absoluten das Ewige, das Unendliche, den letzten Grund aller Erscheinungen, die Einheit von Natur und Geist, den Weltgrund, Gott. Das Absolute bildet den Gegensatz zum Endlichen, Vergänglichen, Irdischen, Geschaffenen. Der Begriff des Absoluten begegnet uns schon in der Philosophie der Neuplatoniker und der Scholastiker; aber Nicolaus Cusanus (1401-1464) verwendet zuerst den Ausdruck »absolutum« dafür, und erst durch die Philosophie Fichtes und Schellings erlangte er allgemeine Geltung. Für Fichte (1761-1814) ist das Absolute das Ich, für Schelling (1775-1854) die Einheit von Idealem und Realem. Vgl. Metaphysik.


absondern s. abstrahieren.


absprechen heißt ohne Gründe urteilen oder entscheiden.


ábstine et sústine apechou kai anechou heißt: Enthalte dich (der Genüsse) und ertrage (die Kränkungen). So lautete die ethische Forderung des Stoikers Epiktetos (in der 2. Hälfte des 1. Jahrh. n. Chr.), die wie alle ethischen Vorschriften der Stoiker nicht von Übertreibung und nicht von Einseitigkeit frei war. Nach Gellius noctes att. XVII, 19, 6 lehrte Epiktetos: Wer die Worte anechou und apechou beherzigt und befolgt, der führt ein schuldfreies und zufriedenes Leben. es müßte nach Gellius also eigentlich in richtiger Reihenfolge heißen: sustine et abstine.


Abstinenz (lat. abstinentia), d. i. Enthaltsamkeit von den Genüssen, ist seit je als moralisch-religiöse Selbsterziehung empfohlen worden, meist aber auf Grund der falschen Voraussetzung, daß die Seele sich dadurch von der Sinnlichkeit befreien könne. Die Abstinenz ist förderlich für den Charakter, soweit sie Selbstbeherrschung ist, aber wenig verdienstlich, soweit sie nur äußere Form ist, oder wenn sie ins Extrem getrieben wird. Vgl. Askese.


Abstoßungskraft, Zurückstoßungskraft (vis repulsiva), heißt die bewegende Kraft, durch die eine Materie Ursache sein kann, eine andere von sich zu entfernen. Kant schreibt in seinen metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft der Materie die Anziehungs- und Zurückstoßungskraft zu. Vgl. Materie und Molekül.


abstrahieren (lat. abstrahere), abziehen, absehen, heißt der Denkprozeß, durch den wir die Anschauungen von Einzeldingen unter bestimmten Gesichtspunkten durch Vergleichung untereinander vom Individuellen und Zufälligen befreien und die ihnen gemeinsamen wesentlichen (s. d.) Merkmale zu allgemeinen Begriffen zusammenfassen. So verfährt z.B. jedes Gebiet der Mathematik und der Naturwissenschaft, um zu seinen Begriffen zu gelangen.


abstrakt (lat.), abgezogen, heißt ein Begriff, welcher durch Abstrahieren (s. d.) gebildet ist, also von dem Individuellen und Zufälligen des Einzelobjekts befreit ist und nur die mehreren konkreten Dingen oder Vorstellungen gemeinsamen, wesentlichen (s. d.) Merkmale enthält. So ergibt die Vergleichung von Bäumen, Sträuchern, Blumen, Moosen usw. den abstrakten Begriff einer Pflanze, während wir durch Betrachtung des einzelnen Baumes nach allen seinen Merkmalen den konkreten Begriff einer Pflanze finden. Die Vergleichung verschiedener ausdauernder Holzgewächse mit Stamm und Krone und die Zusammenfassung der ihnen gemeinsamen Merkmale ergibt den abstrakten Begriff Baum. Auf dieselbe Weise bilden wir Abstrakta auf dem Gebiete jeder Wissenschaft, z. B. Staat, Kirche, Tugend, Menschenliebe u. s. f. Mit Ausnahme der Eigennamen bezeichnen alle Worte der Sprache abstrakte Begriffe, können aber von dem Sprechenden im occasionellen Gebrauch überall konkret gebraucht werden. (Vgl. Sprache.) Weil ein abstrakter Begriff nicht bloß von einem Gegenstand gilt, sondern als Merkmal in verschiedenen Dingen vorkommt, nennt man ihn auch einen allgemeineren oder höheren; vgl. die Stufenreihe der Begriffe: Sokrates, Athener, Grieche, Mensch. Verliert man bei der Bildung abstrakter Begriffe den konkreten Ausgangspunkt und die leitenden Gesichtspunkte aus dem Auge, so wird der Begriff leer. Daher kann durch das beziehungslose Abstrahieren kein rechtes Wissen erlangt werden. Der erste Philosoph, der die Kunst des Abstrahierens praktisch übte und zwar auf ethischem, nicht auf mathematischem oder naturwissenschaftlichem Gebiete, war Sokrates (469-399). Aristoteles (384-322) stellte die Abstraktion (aphairesis) der Determination (prosthesis) (s. d.) entgegen (Met. XII, 2p. 1077b, 9f.), verstand aber unter dem Abstrakten die von der Materie losgelöste Form, z. B. die mathematische Größe. Die spätere Logik bildete namentlich in der Neuzeit das Verfahren des Abstrahierens methodisch aus. Vgl. Überweg, Logik § 51. – Im Sprachgebrauche der Grammatik versteht man unter einem Abstractum in Anlehnung an Aristoteles etwas, das nur selbständig gedacht wird, während zur Bezeichnung für einen Gegenstand, der von Natur selbständig ist, Concretum genommen wird. Vgl. Überweg, Logik § 47. Eucken, Geistige Strömungen. Leipzig 1904, S. 52.


Abstraktion ist die Ausschließung des Individuellen und das Beibehalten des Wesentlichen und des Allgemeinen bei der Bildung eines Begriffes. Man unterscheidet quantitative und qualitative Abstraktion. Die quantitative Abstraktion bezieht sich auf die Form des Gegenstands, d. h. auf die Verbindung seiner Teile zu einem Ganzen; durch sie entstehen alle Raum- und alle Zeitbegriffe. Die qualitative Abstraktion dagegen führt zur Bildung geeigneter Gattungsbegriffe.


abstrus (vom lat. abstrudere, wegstoßen) heißt eigentlich weggestoßen, dann versteckt, verborgen, dunkel, unverständlich.


Abstumpfung heißt der Zustand des Gemütslebens, in dem Einwirkungen, die an sich geeignet sind, starke Gefühle auszulösen, nur schwache oder gar keine Gefühle hervorzurufen vermögen. Die Abstumpfung beruht auf dem Gesetze, daß jedes Gefühl sich in seinem Fortgang um so schneller verringert, je stärker es ursprünglich gewesen ist. Schon Epikuros (341-372) hob gegen Aristipps (um 435-355) Hedonismus hervor, daß die höchste Lust jedesmal die kürzeste sei. Ähnlich ist es mit der Unlust. Strenge Strafmittel führen daher gewöhnlich schnelle Abstumpfung herbei.


absurd (lat. absurdus) heißt mißklingend, ungereimt, widersinnig; ad absurdum führen heißt jemandem durch einen Beweisgang einen versteckten logischen Widerspruch aufdecken, jemanden widerlegen. Ein solcher Beweisgang, der vom Gegenteil des Wahren ausgeht, heißt seit Alexander Aphrodisiensis um 200 v. Chr. hê eis to adynaton agousa apodeixis (deductio ad absurdum). – Absurde Zahlen heißen bei Michael Stifel (1486-1567) die negativen Zahlen. Vgl. Paradoxie, Apagoge.


Abulie (gr. aboulia), Willenlosigkeit, ist eine Art von Geisteskrankheit, welche oft mit Melancholie (s. d.) verbunden ist. Der Kranke kann zu keinem Entschluß und zu keinem Handeln kommen, obgleich er die Notwendigkeit dazu deutlich einsieht. Leichtere Grade von Willenlosigkeit sind Ratlosigkeit, Charakterschwäche und Weichlichkeit.


ab universali ad particulare valet, a particulari ad universale non valet consequentia (lat.) heißt: Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere ist gültig, der Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine ist ungültig. Dieser Satz ist richtig; denn was von der Gattung gilt, muß auch von der Art gelten, nicht aber, was von der Art gilt, auch von der Gattung. Diese nicht zu bezweifelnde logische Regel erleidet jedoch im wirklichen Denken beim Prozeß der Induktion ihre psychologische Einschränkung. Manches Gesetz ist gefunden und manche Hypothese aufgestellt worden, indem faktisch vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen ist.


abusus non tollit usum (lat.) heißt: Der Mißbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf; abusive heißt mißbräuchlich.


Acceleration (lat. acceleratio = Beschleunigung) heißt die Beschleunigung der Bewegung, d. h. der Zuwachs der Geschwindigkeit während einer Sekunde (vgl. Bewegung). Beschleunigung oder Verzögerung und Richtungsänderung sind die einzigen Veränderungen, die eine Bewegung erleiden kann. Wo sie eintreten, sucht man nach veranlassenden Ursachen. Vgl. Dynamismus.


Acceptilation (lat. acceptilatio) heißt das Eintragen des Empfanges einer Schuldsumme. Der Begriff hat seinen Platz in der Lehre des Duns Scotus (1265-1308), daß Gott die an sich nicht genügende Satisfaktion Christi aus freiem Erbarmen für ausreichend zur Tilgung der Sünde der Menschheit ansieht.


Accidenz (lat. accidens) heißt das nicht Wesentliche (das nicht Essentielle), das Wechselnde, das Zufällige. – Man versteht unter Accidenzen 1. die Eigenschaften im Gegensatz zur Substanz (so Aristoteles, Kant, Fichte u. a.); Aristoteles (Analyt. post. I 21p. 83 a, 24 ff.) unterscheidet von der Kategorie der Substanz alle übrigen Kategorien und faßt sie unter dem Namen ta symbebêkota (Accidentia) zusammen. Kants erste Analogie der Erfahrung besagt demgemäß: »Bei allen Veränderungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Accidenzen wechseln« (Kr. d. r. Vernunft, S. 184). Man versteht unter Accidenzen 2. die nicht wesentlichen, nicht notwendigen Eigenschaften einer Substanz im Gegensatz zu den wesentlichen (essentiellen), einer Substanz dauernd anhaftenden Merkmalen (so auch bei Aristoteles, Herbart u. a.). Aristot. Met. 4. 30 p. 1025 a 14 Symbebêkos legetai, ho hyparchei men tini kai alêthes eipein ou mentoi out' ex anankês out' epi to poly, Accidenz heißt, was einem Gegenstande zukommt und was man von ihm aussagen kann, aber was ihm nicht notwendig und nicht meistenteils zukommt.


accidenziell oder accidental bedeutet zufällig.


Accommodation (lat. accomodatio) heißt Anbequemung, Anpassung. Der Begriff wird auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft gebraucht. Er ist z. B. physiologisch, wenn er die Anpassung des menschlichen Auges durch Wölbung der Kristallinse an Gegenstände in verschiedenen Entfernungen, theologisch, wenn er die Anbequemung der göttlichen Offenbarung an die menschliche Schwäche, pädagogisch, wenn er die Anpassung des Lehrers an die Fassungsgabe und den Standpunkt seiner Schüler bezeichnet. In der Descendenzlehre ist die Accomodation die Anpassung eines Lebewesens an die äußeren Lebensbedingungen.


Acedie (gr. akêdeia) heißt Trägheit, Lässigkeit. Der Ausdruck ist wenig gebräuchlich.


acervulus cerebri (lat.), Hirnsand, heißt der Inhalt der Zirbeldrüse, welcher phosphorsauren und kohlensauren Kalk enthält (vgl. Zirbeldrüse).


acervus (lat. acervus), Haufen (gr. sôritês = Haufenschluß von sôros = Haufe), heißt ein Trugschluß, der durch die Frage verwirrt, wie es möglich ist, daß viele Dinge zusammen eine Wirkung hervorbringen, die jedes einzelne von ihnen für sich nicht hervorbringt. Er geht auf Zenon von Elea (geb. zw. 490 und 485 v. Chr.) zurück, welcher behauptete, wenn ein Scheffel Korn beim Ausschütten ein Geräusch hervorbringe, so müsse auch jedes einzelne Korn und jeder kleinste Teil eines Korns ein Geräusch hervorbringen, was doch nicht wahr sei. Er erscheint bei Eubulides (4. Jhrhdt. v. Chr.), von der Wirkung auf die Masse übertragen, in der Form, daß gefragt wird, ob ein Korn einen Haufen bilde? Offenbar nicht; zwei Körner? Nein. Drei? Nein. Schließlich würde mithin ein Kornhaufen überhaupt nicht zustande kommen, da man nicht angeben kann, wieviel Körner dazu gehören.


Achamoth (hebr.) heißt bei dem Gnostiker Valentinus (c. 150 n. Chr.) die durch die Begierde zerrüttete Weisheit, welche ein Äon ist und sich aus sinnlicher Liebe, aus dem Pleroma, dem gestalteten Chaos, abirrend, in den göttlichen Abgrund stürzt und dadurch Mutter des Demiurgen (Weltbildners) wird. Vgl. K. Haase, Kirchengeschichte § 78.


Achilleus heißt ein Trugschluß des Eleaten Zenon(geb. zw. 490 und 485 v. Chr.), durch den er beweisen wollte, daß alle Bewegung nur Schein sei. Die Schildkröte, das langsamste der Tiere, meinte er, könne nie von Achill, dem schnellsten Menschen, eingeholt werden, wenn sie auch nur den geringsten Vorsprung hätte; denn der Abstand zwischen ihnen lasse sich bis ins Unendliche zerlegen, und Achill müsse immer erst dahin kommen, wo die Schildkröte eben gewesen sei. Aber wird einmal Bewegung von verschiedener Geschwindigkeit gedacht, so ist damit schon eingestanden, daß dieselben Räume in verschiedener Zeit durchlaufen werden. Auch überschreitet die Summe einer konvergierenden geometrischen Reihe, wie sie durch die Bewegungen der Schildkröte dargestellt wird, nie einen bestimmten endlichen Wert.


Achtung ist die Anerkennung einer Person um irgend eines Wertes willen. Sie ist oft nicht frei von Unlust; denn die Auffindung von Vorzügen an anderen Wesen bereitet uns zwar an sich Lust, weil wir Gutes vor uns haben, aber auch zugleich Unlust, weil unsere Selbstliebe darunter leidet. Die Achtung bildet einen Gegensatz zur Neigung und Liebe. Kant verlangt, daß wir das Gute aus keinem andern Motiv tun sollen, als aus Achtung vor dem Sittengesetz. (Kritik d. prakt. Vernunft I, III, S. 126 ff.). J. H. v. Kirchmann (1802-1884) teilte alle Gefühle in die Lust- und die gewöhnlich sittlich genannten Achtungsgefühle.


Act (lat. actus) heißt Handlung, Tätigkeit, z. B. Willensact.


Action (lat. actio) heißt die Tätigkeit im Gegensatz zum Leiden (Passion), oder die Wirkung im Gegensatz zur Reaktion (Gegenwirkung).


Activität (franz. activité) heißt die Fähigkeit zu wirken oder das tätige Verhalten, wogegen Passivität die Unfähigkeit zu wirken oder das untätige Verhalten, die bloße Aufnahmefähigkeit bedeutet. Vollkommene Activität ist den Dingen ebensowenig eigen als vollständige Passivität, da alle Dinge in Wechselwirkung stehen und Aktion und Reaktion sich entspricht. Die Ansicht des Aristoteles (384-322 v. Chr.) und der Scholastiker war aber, daß Gott purus actus, reine Tätigkeit, sei.


Actualität (lat.) heißt die Wirklichkeit, insofern nur das wirklich existiert, was sich betätigt; Gegensatz dazu ist die Potenzialität, d. h. die Möglichkeit. Auch versteht man unter Actualität die augenblickliche Bedeutsamkeit. Unter Actualitätslehre versteht man diejenige philosophische Lehre, die das Wirkliche nicht im Substanziellen, sondern nur im Tätigsein, im Wirken sucht. Der Hauptanhänger dieser Weltanschauung, die schon von Herakleitos 500 v. Chr. vertreten worden ist, ist gegenwärtig auf psychologischem Gebiete Wundt (geb. 1832).


adaequat (lat. adaequatus) heißt gleichkommend, übereinstimmend, angemessen; eine Vorstellung ist z. B. adaequat, wenn sie einem Gegenstand genau entspricht, ein Begriff, wenn er das Wesen desselben ausdrückt, eine Definition, wenn sie den Begriff nach seinen wesentlichen Merkmalen bestimmt, eine Erkenntnis, wenn sie einer Sache fehlerlos entspricht. Der Ausdruck adaequat begegnet uns oft in der philosophischen Sprache Spinozas und Leibniz'. Vgl. angemessen.


Adam Kadmon (hebr.) heißt bei den Kabbalisten der Urmensch, der himmlische Adam, das Vorbild der Menschheit und der irdischen Welt, der eingeborene Sohn Gottes und der Inbegriff der Ideen, nach gnostischer Lehre ist es der fast göttliche Äon, nach welchem Adam erst geschaffen wurde. Siehe Kabbâla.


Adamiten hießen Sektierer, welche öfter, so im 2. und 3. Jahrh. n. Chr. in Nord-Afrika, 1421 in Böhmen aufgetreten sind und den Stand paradiesischer Unschuld durch völlige Nacktheit darstellen wollten, gewöhnlich aber in grobe Unsittlichkeit verfielen.


Adaption (von lat. adaptare, richtiger Adaptation) heißt die Anpassung oder Anbequemung, z. B. der Netzhaut an die vorhandene Lichtstärke, der Aufmerksamkeit an überraschende Gegenstände. Vgl. Accomodation.


Adept (franz. adepte = lat. adeptus = wer etwas erlangt hat) heißt ursprünglich ein Eingeweihter, welcher den Stein der Weisen, das höchste geheimnisvolle Ziel der Alchymie, gefunden hat. Paracelsus (1493-1541) und andere Schwärmer nannten sich so. Im allgemeinen heißt jetzt so jeder, der in eine Wissenschaft oder Kunst eingedrungen ist.


ad hominem (ergänze demonstratio, lat.) nennt man einen Beweis, der gemeinfaßlich und einleuchtend, der Fassungskraft des Hörers angepaßt ist, aber nicht allgemein gilt.


Adiáphora (gr. adiaphora = unausgezeichnet) heißen gleichgültige Dinge, Mitteldinge, Dinge zwischen Gutem und Bösem. Der Streit über die Frage, ob es Adiáphora gebe, durchzieht die Geschichte der Moral und der Religion. Epikuros (341-270) verneinte die Frage. Nach der Lehre der Stoiker dagegen, durch die das Wort seine Verbreitung gefunden hat, ist die Tugend das einzige Gut, das Laster das einzige Übel; alles was nicht Tugend oder Laster ist, z. B. das Leben, die Begabung, die Schönheit, die Gesundheit usw., ist ein Adiáphoron. – In Wirklichkeit wird jeder Mensch je nach seiner Individualität, Erziehung, Gewöhnung etwas anderes für gleichgültig erklären. Und in verschiedenem Zusammenhange mit anderen Dingen kann oft das an sich Gleichgültige bedeutungsvoll werden.


ad impossibilia nemo obligatur (lat.) heißt: Zum Unmöglichen ist niemand verpflichtet. Der Satz trifft zu; denn das Sollen hat das Können zur Voraussetzung. Er kann aber natürlich nur da Anwendung finden, wo die Unmöglichkeit dargetan worden ist.


ad infinitum (lat.) heißt ins Unendliche; ad indefinitum dagegen heißt ins Unbestimmte (vgl. unendlich).


ad libitum (lat.) heißt nach Belieben.


ad oculos demonstrieren (lat.) heißt etwas so deutlich darlegen, daß man es wie mit den leiblichen Augen sieht.


Adrastea (gr. 'Adrasteia) heißt die Unentrinnbare; so bezeichneten die Alten das Schicksal, z. B. Platon Phaedr. p. 248 C. Vgl. Schicksal.


ad turpia nemo obligatur (lat.) heißt: Zu Schlechtem kann niemand verpflichtet werden.


Advaita (sanskr.), Nichtdualismus, Monismus (s. d.), heißt eine philosophische Richtung des Brahmaismus, die seit dem 6. Jahrh. n. Chr. auftritt. Sie behauptet, die menschliche Seele sei identisch mit dem Brahman, der nicht persönlich, sondern als Weltseele und ewiger Urgrund alles Seins zu denken sei.


Ähnlichkeit heißt im allgemeinen die Übereinstimmung der Dinge in mehreren, Gleichheit die in allen Merkmalen. – In der Geometrie bezeichnet Ähnlichkeit die Übereinstimmung in der Gestalt, Gleichheit die Übereinstimmung in der Größe, Kongruenz die vollkommene Übereinstimmung. Das moderne mathematische Zeichen (~) für ähnlich hat Leibniz (1646-1716) aus einem liegenden s (= similis) gebildet. Vgl. Leibniz, Characteristica geometrica ed. Gerhardt, 3. Folge, Bd. V, S. 153: Similitudinem ita notabimus ~. – Die Beziehung des Ähnlichen spielt im Geistesleben des Menschen eine wichtige Rolle. Es ist z. B. Sache des Witzes und Scharfsinns, Ähnlichkeiten zwischen den verschiedensten Dingen instinktiv herauszufinden. Auf leicht faßbaren Ähnlichkeiten beruht auch der bildliche Ausdruck des Dichters. Vergleicht man scharf denkend die Dinge, um aus ihrer Ähnlichkeit etwas zu folgern, so zieht man einen analogischen Schluß (s. Analogie). Mit solchen Schlüssen arbeitet besonders die Induktion (s. d.) innerhalb der Naturwissenschaft. – Die Tatsache, daß ähnliche Vorstellungen einander hervorrufen, erklärt uns einen Teil des Seelenlebens und begründet das Hauptgesetz der Ideenassoziation (s. d.). – Daß Ähnliches nur durch Ähnliches erkannt werde, ward von Pythagoras, Empedokles und Demokritos behauptet. – Platon (427-347) und andere forderten als höchstes Moralprinzip die Ähnlichkeit mit Gott.


Äon (gr. aiôn) heißt Ewigkeit, beständige Dauer. Bei dem Gnostiker Valentinus (150 n. Chr.) werden aus den Äonen ewige Geister und göttliche Wesenheiten, Mittelwesen zwischen dem göttlichen Urgrunde und dem Menschen.


Äquilibrismus (nlt. von lat. aequilibrium Gleichgewicht) ist die Lehre, daß der Mensch nur dann frei handelt, wenn ein völliges Gleichgewicht aller Bestimmungsgründe des Willens stattfindet. Diese Lehre ist unhaltbar; denn abgesehen davon, daß ein solches Gleichgewicht kaum vorkommt, und wenn es vorkäme, schwer bestimmbar wäre, würde die Konsequenz des Gleichgewichts nur sein können, daß der Mensch gar nicht handelt, sondern untätig bleibt, wie der Esel des Buridan (s. d.) zwischen den Heubündeln. Dagegen erklärt Platon und Herbart nur den für frei, dessen tatkräftiger Wille mit dem Sittengesetz im Gleichgewicht steht. Vgl. Determinismus, Freiheit.


Äquipollenz (nlt. aequipollentia aus dem lat. aequipollens), Gleichgeltung, spricht die Logik im engeren Sinne seit Apuleius (2. Jahrh. n. Chr.) den Sätzen zu, die dasselbe, aber unter verschiedener Form aussagen, so daß einer unmittelbar aus dem andern gefolgert werden kann. So sind z. B. die Sätze: »Platon war des Aristoteles Lehrer« und »Aristoteles war Platons Schüler« äquipollent. Solche Sätze schließen einander stets ein, und aus der Wahrheit oder Falschheit des einen folgt die Wahrheit und Falschheit des anderen. Im weiteren Sinne heißen aber auch diejenigen Sätze äquipollent, welche nicht unmittelbar, sondern erst durch Zwischensätze auseinander folgen. So ist z. B. der Satz: » In diesem Dreieck ist das Quadrat über der einen Seite gleich der Summe der Quadrate über den beiden anderen« äquipollent mit dem Satze: »Dies Dreieck ist rechtwinklig«.


Äquivalenz (nlt. aus dem lat. gebildet), Gleichwertigkeit, Wert-Ersatz, heißt die Einsetzung eines Wertes für einen anderen. Vgl. Kraft.


Ärger ist die vorübergehende Gemütsverstimmung, in der sich ein leichterer Zorn mit einem leichteren Kummer verbindet. So ärgert man sich z. B. über schlechte Federn, einen versäumten Zug u. dgl., über erfahrene Zurücksetzung, über Vorurteile, Moden usw., über aufdringliche Menschen, unbotsame Dienstpersonen usw.


Ärgernis geben heißt durch Worte, Mienen, Gebärden oder Handlungen das sittliche oder religiöse Gefühl anderer beleidigen oder ihre Sittlichkeit in Gefahr bringen. Dies ist ein Unrecht. Anderseits können wir nichts dafür, wenn andere an uns Ärgernis nehmen, während wir sittlich handeln, weil sie selbst beschränkt, kurzsichtig, vorurteilsvoll sind.


Aërobat (gr. aerobatês), heißt Luftwandler, Seiltänzer, dann spöttisch Ideolog, Phantast. So nennt Wieland Platon den großen Aërobaten.


Ästhetik (gr. von aisthêtos = sinnlich wahrnehmbar, gebildet) heißt zunächst die Lehre von der Sinneserkenntnis. In dieser ursprünglichen Bedeutung braucht Kant (1724-1804) das Wort in seiner Kritik der reinen Vernunft (1781), die aus der Aufgabe erwachsen war, die Grenzen der Sinnlichkeit und des Verstandes zu bestimmen. Der erste Teil der Elementarlehre in diesem Werke ist die transscendentale Ästhetik. Sie bestimmt die Sinneserkenntnis als das Vermögen der Anschauungen, als Rezeptivität, und weist als reine, allgemeine und notwendige, nicht aus der Erfahrung stammende Form der sinnlichen Erkenntnis Raum und Zeit nach. – Gewöhnlich und in zweiter Linie versteht man aber unter Ästhetik die Wissenschaft von den Gefühlen, welche durch das Schöne und das ihm Verwandte oder Entgegengesetzte hervorgerufen werden, und den Urteilen, die sich auf diese Gefühle gründen. Zur Wissenschaft erhoben und so benannt ward diese Disziplin erst durch den Wolfianer A. G. Baumgarten (1714-62) [»Aesthetica« (1750-58)]; vor ihm wurde nur beiläufig von den ästhetischen Begriffen gehandelt. So definiert z. B. Platon, (427-347), dem von den Neueren Shaftesbury (1671-1713) gefolgt ist, das Schöne (im Phaidros) als das Nachbild der Ideen, in deren Reich die Idee des Guten die herrschende ist, während er (im Philebos) die Freude am Schönen diejenige Lust nennt, welche durch Wahrnehmung eines Verhältnismäßigen und Ebenmäßigen erzeugt wird. Aber Platon sondert das Schöne nirgends scharf vom Guten. Die Schönheit dient bei ihm nur ethisch-politischen Zwecken, und gegen die Kunst verhält er sich ablehnend. Aristoteles (384-322) gibt in seiner »Rhetorik und Poetik« eine Reihe empirischer Regeln über das Schöne. Er geht von einzelnen Beispielen des Schönen aus, prüft das allen Gemeinsame und findet es in der Ordnung, im richtigen Verhältnis der Teile, in der Begrenztheit und angemessenen Größe, in dem Zusammenhang und der Vollständigkeit, mithin in der Einheit im Mannigfaltigen, also in der Form der Dinge. Das Wesen der Kunst setzt er in die Nachahmung (mimêsis). Aber er leitet das Wesen der Kunst noch nicht aus der menschlichen Natur ab. Dies hat erst Baumgarten (1714-1762) getan, indem er, von den Grundlehren der Philosophie Leibniz' und Wolfs und von französischen Anregungen (Dubos) ausgehend, die Ästhetik als Paralleldisziplin neben die Logik stellte. Wie diese das höhere Erkenntnisvermögen, das Begriffsvermögen, solle jene das niedere Erkenntnisvermögen, die sog. Sinnenerkenntnis (Aesthetica est scientia cognitionis sensitivae) behandeln. Demgemäß lehrten die Ästhetiker der Wolfschen Schule (Eschenburg, Eberhard, Sulzer, Mendelssohn), daß die ästhetische Erkenntnis nur eine Vorstufe der intellektuellen sei. Zur Geschmackslehre und Lehre vom Schönen ward aber für Baumgarten und seine Nachfolger die Ästhetik durch den optimistischen Gedanken der Leibnizschen Philosophie: In der Welt liegt der höchste Grad der Vollkommenheit, den der Schöpfer in sie hineinlegen konnte; erkennen wir diese Vollkommenheit begrifflich, so heißt sie Wahrheit, erkennen wir sie durch die Sinne, so heißt sie Schönheit; Schönheit ist also der Gegenstand der sinnlichen Erkenntnis. Die Lehre von der sinnlichen Erkenntnis wird daher nach der Annahme des Wolfianers durch die Beschaffenheit des Weltalls von selbst zur Schönheitslehre. Die Erklärung der Schönheit als sinnlich erkannter Vollkommenheit macht aber Baumgarten wie Aristoteles zum Formalisten; denn Vollkommenheit ist ihm die Übereinstimmung der einzelnen Teile eines Gegenstandes zum Ganzen. Von Aristoteles entlehnt er auch das Prinzip der Nachahmung in der Kunst, aus dem er das Verbot des Heterokosmischen für den Künstler ableitet. Baumgartens Formalismus ist die Ästhetik des Rationalismus. – Um dieselbe Zeit griffen die Engländer in die Untersuchung über das Schöne ein und begründeten, indem sie den Blick auf die subjektiven Bedingungen der Schönheit richteten, die sensualistische Ästhetik. Hutcheson (1694-1747) schied niedere und höhere Sinne von einander und leitete die Empfindung des Schönen nur aus den letzteren, Gehör und Gesicht, ab. Home (1696-1782) führte diese Untersuchungen fort und wies nach, daß die ästhetischen Empfindungen frei von der Beimischung des Verlangens seien. Burke (1730-97) untersuchte die Ideen vom Schönen und Erhabenen und führte jene auf den Geselligkeitstrieb, diese auf den Selbsterhaltungstrieb zurück. Die Untersuchungen der englischen Ästhetiker wurden in Deutschland beachtet und wirkten auf Lessing, Herder und besonders auf Kant in den Jahren 1760-1770 ein. Kant (1724-1804), in seiner »Kritik der Urteilskraft« (1790), findet das Schöne, das er scharf von dem Guten und Angenehmen trennt und das er auf die Verbindung der Urteilskraft mit dem Gefühlsvermögen gründet, in der Zweckmäßigkeit der Form, welche ein allgemeines und notwendiges, uninteressiertes Wohlgefallen in uns errege. Den Grund, warum gewisse Dinge oder Verhältnisse dies tun, sieht er darin, daß bei der Vergleichung der Anschauung mit dem Verstande sich eine Lust an der Harmonie zwischen beiden herausstelle. Kants Standpunkt in der Ästhetik ist die Verbindung des (ethischen) Idealismus mit dem Rationalismus. Das Prinzip des Geschmacksurteils stammt aus reiner Vernunft (Rationalismus); aber nicht die Welt an sich ist schön, sondern der Mensch trägt den aus seiner Urteilskraft und seinem Lustgefühl entstandenen Begriff der Schönheit in die Welt hinein (Idealismus). Kant ergänzt jedoch seinen rationalistischen und idealistischen Grundgedanken, der der Schönheit zwar alle Bestimmtheit des Begriffs, nicht aber alle Bedeutung raubt, durch die Idee, daß die schönen und erhabenen Dinge wie Symbole des Sittlich-Guten wirken. Schiller (1759-1805) hatte 1789 in dem Gedichte »Die Künstler«, dessen Idee die Verhüllung der Wahrheit und Sittlichkeit in die Schönheit ist, sich der deutschen Ästhetik vor Kant angeschlossen. Später betonte er im Anschluß an Kant mehr die Form, »das Gefäß des Inhaltes«; das Gleichgewicht der sinnlichen und vernünftigen Tätigkeit hielt er für die Normalstimmung des Künstlers und die Geburtsstätte des Schönen. Dieser Standpunkt erschien ihm freilich als ein Ideal. Schönheit ist ihm die Freiheit in der Erscheinung, die Natur in der Kunstmäßigkeit, die Versöhnung zwischen Verstand und Sinnlichkeit. Vor allem nimmt Schiller aber die Idee Kants auf, daß das Schöne als Symbol des Sittlich-Guten wirke. Die Anmut tritt z. B. da in die Erscheinung, wo der Mensch die Vernunftpflichten und Naturtriebe zur Einheit und Harmonie und diese Harmonie zum Ausdruck gebracht hat. – Schelling (1775-1854) hingegen behauptete, indem er die Ästhetik der Philosophie des Absoluten schuf, da Natur und Geist, Ideales und Reales gleich seien, das Schöne sei dasjenige, dessen sinnliche Existenz durchweg dem Idealen entspreche, also die Einheit des Realen und Idealen. (Vgl. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur. 1807.) Diesen Standpunkt führt geistvoll Solger in seinem »Erwin, vier Gespräche über das Schöne und die Kunst« 1815 durch. Hegel 1770-1831 (»Ästhetik«, herausgeg. von Hotho, 1835) schuf eine rein (logisch-) idealistische Ästhetik, indem er das Schöne als die Idee in der Form begrenzter Erscheinung, als das sinnliche Scheinen der Idee bestimmte. Seine erste Existenz findet es in der Natur und, wie Vischer (»Ästhetik« 1846-1857) hinzufügt, in der Geschichte. Dort existiert es aber nur unbewußt, daher mangelhaft, bewußt erst im sinnlichen Geiste, in der Phantasie. Sobald die Phantasie sich verwirklicht, entsteht die Kunst. Das Kunstwerk existiert, losgelöst von seinem Urheber, unbefangen und absichtslos, wie ein Werk der Natur; doch ebensosehr entstammt es dem Geiste; denn es ist eine Verkörperung der Idee. Die einzelnen Künste erscheinen so als die stufenmäßige Herausarbeitung des Geistes aus der Materialität. Sie treten nacheinander als die symbolischen, klassischen und romantischen Künste auf. Die bildenden Künste sind stumm, massenhaft, noch durchweg material; die Musik bewegt sich in der idealgesetzten Materialität des Tones, die Poesie auf fast rein geistigem Gebiete; sie ist der Übergang des Geistes zum reinen Denken. Die Sprache, deren sie sich bedient, ist kein sinnlicher Stoff, sondern nur das Vehikel des Geistes. Die Ästhetik umfaßt also das ganze Reich des Schönen, die Kunst ist nur eine Provinz davon. Herbart (1776 bis 1841), dessen Philosophie im Grunde auf der Wolfs beruht, erneuerte den Formalismus der rationalistischen Ästhetik und dehnte Schillers Satz: »Die Vertilgung des Stoffes durch die Form ist das wahre Kunstgeheimnis des Meisters« auf die ganze praktische Philosophie aus und bezeichnete demnach die Ethik als Teil der allgemeinen Ästhetik, der Wissenschaft vom Gefallenden und Mißfallenden überhaupt. (Vgl. Herbart, Allg. prakt. Philos. 1805. Lehrb. z. Einl. in d. Philos. 4. Aufl. 1837; und Rob. Zimmermann, Allg. Ästhetik als Formwissenschaft 1865.) Die Ästhetik handelt demnach bei ihm von den Formen, durch welche ein beliebiger Vorstellungsinhalt, sei er nun Abbildung der Wirklichkeit oder bloß Erfindung, Anspruch auf Gefallen oder Mißfallen erlangt. Beim Schönen handelt es sich also um ein Bild, und die Ästhetik darf weder mit der Kunstgeschichte noch mit der Metaphysik verwechselt werden. Der Grund für das ästhetische Gefallen liegt nicht in den unverbundenen Teilen (der Materie) einer Vorstellung, sondern nur in deren Verbindung zu einem Ganzen (ihrer Form). Diese gefallen entweder wegen ihrer Stärke (Quantität), oder wegen ihres Inhalts (Qualität), d. h. es gefällt das Große und das Harmonische. Die Zusammenfassung beider in ein der Form des Charakteristischen entsprechendes Nachbild, eines die Formen der Vollkommenheit (Größe, Fülle, Ordnung), des Einklangs, der Korrektheit und des abschließenden Ausgleichs an sich tragenden Vorbildes erzeugt das Schöne. Die Durchführung jeder einzelnen Elementarform innerhalb eines Gesamtbildes führt zu den abgeleiteten Formen des ästhetischen Reinheits-, Freiheits-, Wahrheits- und Vollkommenheitssystems.


Eigene Wege in der Ästhetik gehen Jean Paul (»Vorschule der Ästhetik« 1804), A. Schopenhauer (»Die Welt als Wille und Vorstellung«, 3. Buch, 3. Aufl. 1859), J. H. v. Kirchmann (»Ästh. auf realist. Grundlage« 1868) und E. v. Hartmann (»Philosophie des Schönen« 1888).


Der Ästhetik hat, wie ihre Geschichte zeigt, bisher die richtige Methode gefehlt. Sie ist zu sehr den Bahnen der Metaphysik gefolgt. Die richtige Methode der Ästhetik kann nur die empiristische sein. Von der Beobachtung des Naturschönen und der auf die Kunstgeschichte gegründeten Kritik hat alle ästhetische Forschung auszugehn. Denn jedes Naturprodukt trägt seine eigene Schönheit in sich, und jedes Kunstwerk ist national, historisch und individuell bestimmt. Daneben freilich hat die Ästhetik das Wesen der Natur und des Menschen nach ihrer Allgemeinheit und Gesetzmäßigkeit zu untersuchen. An die biologischen und psychologischen Voraussetzungen haben sich Untersuchungen über das Wesen des künstlerischen Schaffens zu schließen, um endlich die Künste im einzelnen betrachten zu können. Die Ästhetik muß also nicht von der Metaphysik, sondern von der Erfahrung ausgehen; nicht der Begriff des Schönen, sondern das Wesen der einzelnen Schönheit ist ihre Basis. Ein absolutes Schöne gibt es höchstens als Ideal; in der Wirklichkeit existiert stets nur das Schöne eines bestimmten Gegenstandes. Die Gliederung der Ästhetik erfolgt, indem mit den Untersuchungen über die subjektiven und objektiven Bedingungen der Gefühle des Schönen und der ihm verwandten Gefühle begonnen, dann das Schöne der Natur und zuletzt das ganze Gebiet der Künste durchmessen wird. Vgl. C. Köstlin, Ästhetik 1863-1869, C. Lemcke, Populäre Ästhetik, 4. Aufl. 1873, und R. Prölss, Katechismus der Ästhetik 1878. J. Cohn, psychologische oder kritische Begründung der Ästhetik. Arch. f. system. Philos. 1904. H. Cohen, Kants Begründung der Ästhetik 1889.


ästhetisch heißt im weiteren Sinne jeder Begriff, der in den Kreis der Ästhetik fällt, also auch außer dem Begriff des Schönen der Begriff des Anmutigen, des Reizenden, des Hübschen, des Niedlichen, des Komischen, des Häßlichen, des Furchtbaren, des Tragischen, des Erhabenen usw.; im engeren Sinne dagegen ist ästhetisch nur der Begriff des Schönen, Geschmackvollen. Kant (1724-1804) nennt in der Kritik der reinen Vernunft eine Vorstellung ästhetisch, wenn ihr die Form der Sinnlichkeit anhängt und diese daher auf das Objekt, d. h. als Phänomen (s. d.), übertragen wird; in der Kritik der Urteilskraft heißt ihm dagegen dasjenige ästhetisch, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann.


Äternität (lat. aeternitas) heißt Ewigkeit.


Äther (gr.), bei Hesiodos der Sohn des Erebos (Dunkel) und der Nyx (Nacht), heißt zunächst bei den Griechen ein mythisches Wesen, eins der Grundwesen, aus denen die Welt entstanden sein soll; die orphischen Hymnen feiern ihn als Weltseele. Später erscheint er in der Philosophie bei den Hylozoisten (s. d.) als das Wärmeprinzip neben den vier Elementen, Wasser, Feuer, Luft und Erde, und noch später, namentlich auch bei Aristoteles (384-322), als die höchste fünfte Substanz (daher: Quintessenz!), der alles Sein und Denken entstammt. – Die moderne Physik nimmt an, daß ein überaus feiner und elastischer Stoff durch den Weltraum und in den Zwischenräumen der kleinsten Teile des Körpers verbreitet sei, aus dessen Schwingungen sie die Erscheinungen des Lichts, der Elektrizität und dergl. erklärt. Daher sind manche neuere Philosophen, z. B. Ph. Spiller auf die Idee gekommen, den Äther wieder als Gott zu setzen. – Naturwissenschaftlich wird der Äther noch sehr verschieden gedeutet, und wir sind in der Hauptsache noch in Unkenntnis über seine Beschaffenheit. Nach Fresnel (1788-1804) ist der Äther ein sehr elastisches Mittel von unkonstanter Dichtigkeit, während andere ihm konstante Dicke und veränderliche Elastizität beilegen. Nach Lord Kelvin (geb. 1824) ist er ein festes elastisches Mittel, dessen Starrheit 1/10000000 des Stahls und dessen Dichte 1-17 des Wassers beträgt. Stockes (geb. 1819) gibt ihm die Konsistenz einer dünnen Gallerte, da er sich den Lichtschwingungen gegenüber als fester Körper verhält, bei dem allein transversale Schwingungen vorkommen. Im allgemeinen versteht man also heute unter Äther nichts als ein Ding, das Wärme, Elektrizität und Licht verbindet, ohne zu wissen, welcher Art diese Verbindung ist. Vgl. Spiller, Gott im Lichte der Naturwissenschaften, Leipzig 1883.


Ätherleib nennt J. H. Fichte (1796-1879) mit anderen Spiritualisten den von der Seele unmittelbar gewirkten Leib; er versteht darunter nicht den äußerlichen, sichtbaren, tierischen, sondern einen inneren, unsichtbaren Geistleib. (Vgl. Fichtes »Anthropologie« S. 273 f.) Danach besteht also der Mensch aus Geist, Ätherleib und Außenleib. Ähnlich lehrte schon der Neuplatoniker Porphyrios (233-304).


Ätiologie (griech. aitiologia von aitia Ursache und logos Wort, Lehre), die Lehre von den Ursachen und ihren Wirkungen, gilt gewöhnlich als der zweite Teil der spekulativen Metaphysik, während der erste, die Ontologie, vom Wesen der Dinge und der dritte, die Teleologie, von dem Zwecke derselben handelt.


Äußeres und Inneres sind Korrelate, d. h. Verhältnisbestimmungen, die sich aufeinander beziehen. Das Äußere für uns ist zunächst unser Leib, dann alles, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können, die Außenwelt. Das Innere dagegen ist das unmittelbar im Bewußtsein Erlebte.


Affekt (lat. affectus = Gemütszustand, gr. pathos) heißt eine vorübergehende, zusammenhängende, stärkere Gemütsbewegung, welche durch äußere Ursachen oder psychische Vorgänge veranlaßt wird und unseren geistigen und leiblichen Zustand stark beeinflußt. Der Affekt hat eine bestimmte Entwicklung, in welcher Anfangsgefühl, Vorstellungsverlauf und Endgefühl unterschieden werden können. Bewußtseinsstärke, Willen, Blutumlauf, Atmung, Absonderung der Drüsen, Muskeltätigkeit und Gliederbewegungen werden durch den Affekt entweder gefördert oder gehemmt. Im Affekt gerät der Mensch, wie man sagt, »außer sich«. Die Wucht, mit der die Affekte auftreten, und die Art, wie sie verlaufen, richtet sich einerseits nach der Konstitution und dem Temperament, nach der Erziehung und dem Bildungsstandpunkt des Menschen, andrerseits nach dem äußeren Anlaß.


Kant (1724-1804) definiert den Affekt als das Gefühl einer Lust oder Unlust im gegenwärtigen Zustande, welche im Subjekt die Überlegung (die Vernunftvorstellung, ob man sich ihm überlassen oder weigern solle) nicht aufkommen läßt, (Anthrop. § 70) oder als Überraschung durch Empfindung, wodurch die Fassung des Gemüts (animus sui compos) aufgehoben wird. (Anthrop. § 71). Man kann die Affekte mit ihm einteilen in sthenische (wackere), welche unser Lebensgefühl fördern, und asthenische (schmelzende), die es hemmen (Anthrop. § 73), oder mit Nahlowsky in aktive und passive oder mit Drobisch in Affekte der Überfüllung und Entleerung. Zu jenen gehören z. B. Zorn, Freude, Begeisterung; zu diesen Scham, Furcht, Verzweiflung. Jene sind dem Rausch, diese der Ohnmacht vergleichbar. Möglich ist auch eine Einteilung der Affekte in allgemeine und besondere. Jene bestehen in einem gesteigerten Gefühl der Lust und Unlust, ohne daß sie eine besondere Eigenart zeigen. Diese dagegen sind 1) Affekte der Erwartung: so Ungeduld, Hoffnung, Verzweiflung, Furcht, Schreck, Überraschung. Sie gründen sich 2) auf ästhetisches Wohlgefallen resp. Mißfallen: so Bewunderung, Schwärmerei, Entzücken und ihr Gegenteil. Sie sind 3) intellektuelle Affekte: so Verlegenheit, Verblüffung, Staunen, Begeisterung. Es gibt 4) moralisch-religiöse Affekte: so Entrüstung, Rührung, Scham, Reue, Verzückung. 5) Aus dem Selbstgefühl entspringen: Mut, Übermut, Zorn, Kleinmut, Niedergeschlagenheit, 6) aus der Antipathie: Neid, Schadenfreude, Groll und Ingrimm. Wundt (geb. 1832) definiert den Affekt als eine zeitliche Folge von Gefühlen, die sich zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet und sich gegenüber den vorausgegangenen und nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges Ganzes absondert, das im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt, als ein einzelnes Gefühl; er scheidet die Affekte nach der Qualität in Affekte der Lust und Unlust, nach der Intensität in schwache und starke, nach der Verlaufsform in plötzliche, allmählich ansteigende und intermittierende. (Wundt, Grundriß d. Psychologie 1905, § 13.)


Die Befreiung von Affekten kann einerseits dadurch geschehen, daß man die Anlässe dazu wirklich oder in der Vorstellung des Menschen beseitigt, oder anderseits dadurch, daß der Mensch sich selbst zwingt und überwindet. Ist z. B. jemand in Zorn, so pflegt der Affekt sich zu lösen, wenn man ihm den Gegenstand, der ihn dazu reizt, aus den Augen oder aus dem Sinn schafft und indem man ihn mit anderen Vorstellungen lebhaft beschäftigt. Die Befreiung von den Affekten durch Selbstüberwindung ist die ethische Grundforderung Spinozas.


Die Bestimmung des Begriffs der Affekte hat vielfach geschwankt. Bald sind die Affekte enger nur als Gemütsbewegungen gefaßt worden, bald sind sie weiter auch als Willensvorgänge gedacht, bald sind sie als vorübergehende Zustände, bald auch als dauernde Zustände definiert und dann mit den Leidenschaften (s. d.) vermischt worden. Vielfach greift die Erörterung über die Affekte in die Ethik ein. Die Kyrenaiker (im 4. Jhrh. v. Chr.) unterschieden zwei Affekte (pathê), nämlich ponos und hêdonê, Unlust und Lust, und sahen in jener eine reißende, in dieser eine sanfte Bewegung (Kyrênaikoi – dyo pathê hyphistanto, ponon kai hêdonên; tên men leian kinêsin, tên hêdonên; ton de ponon tracheian kinêsin Diog. Laert II, 8 § 86.) Die Lust ist nach Aristippos' (um 435-355) Lehre das Ziel des Lebens.


Aristoteles (384-322) definiert die Affekte als seelische Vorgänge, die mit Lust oder Unlust verbunden sind (legô de pathê – hois hepetai hêdonê ê lypê. Eth. Nicom. II 4 p. 1105b 21-23). Er zählt folgende Affekte auf: epithymia (Begierde), orgê (Zorn), phobos (Furcht), thrasos (Mut), phthonos (Neid), chara (Freude), philia (Freundschaft), misos (Haß), pothos (Sehnsucht), zêlos (Eifer), eleos (Mitleid). Er ist sich aber auch bewußt, daß diese Seelenvorgänge mit körperlichen verbunden sind (eoike de kai ta tês psychês pathê panta einai meta sômatos) und führt als Beispiele solcher seelisch-körperlichen Vorgänge thymos (Erregung), praotês (Sanftmut), phobos (Furcht), eleos (Mitleid), thrasos (Mut), to philein (Liebe), to misein (Haß) an (De anim. Ip. 403 a 16-18).


Die Stoiker sahen von Zenon (350-258) ab in den Affekten vernunftlose und naturwidrige Gemütsbewegungen oder das Maß überschreitende Triebe. ('Esti de auto to pathos, kata Zênôna, hê alogos kai para physin psychês kinêsis ê hormê pleonazousa Diog. Laert. VII, 63 § 110). Sie entspringen aus Fehlern des Urteils, aus falschen Meinungen über gegenwärtige oder zukünftige Güter und Übel. Aus der falschen Meinung über gegenwärtige Güter entspringt die Lust (hêdonê), über zukünftige die Begierde (epithymia); aus der falschen Meinung über gegenwärtige Übel entspringt die Bekümmernis (lypê),über zukünftige die Furcht (phobos) tou pathous – prôta – einai – tessara, epithymian, phobon, lypên, hêdonên. epithymian men oun kai phobon proêgeisthai, tên men pros to phainomenon agathon, tên de pros to phainomenon kakon. epigignesthai de toutois hêdonên kai lypên, hêdonên men hotan tynchanômen hôn epithymoumen ê ekphygômen, ha ephoboumetha, lypên de hotan apotynchanômen hôn epithymoumen ê peripesômen, hois ephoboumetha. (Stobaios Eclog. II, 166-168). Die Tugend wird nur erlangt durch Überwindung der Affekte.


Von den neueren Philosophen versteht Descartes (1596-1650) unter den Affekten (passiones) Vorstellungen oder Empfindungen oder Erregtheiten der Seele, die man nur auf sie selbst bezieht und die durch gewisse Bewegungen der Lebensgeister bewirkt, unterhalten und verstärkt werden (Pass. anim. I, 27). Er unterscheidet sechs Grundaffekte: Bewunderung, Liebe, Haß, Verlangen, Freude, Traurigkeit. – Spinoza (1632-1677) nimmt als Grundaffekte nur die drei: Verlangen, Freude, Traurigkeit an und gründet auf die Lehre von den Affekten seine Ethik. Er versteht unter den Affekten Zustände des Körpers, durch welche die Fähigkeit desselben zu handeln vermehrt oder vermindert, gefördert oder eingeschränkt wird, und zugleich die Ideen dieser Zustände (corporis affectiones quibus ipsius corporis agendi potentia augetur vel minuitur, iuvatur vel coërcetur, et simul harum affectionum ideas Eth. III, 3). Der den Affekten unterworfene Mensch ist unfrei. Der über die Affekte siegende Mensch ist frei. Diese Befreiung erfolgt durch die wahre Erkenntnis der Affekte, die in die intellektuelle Gottesliebe ausmündet (Eth. III – V). Kants und Wundts Einteilung der Affekte ist bereits berührt. Vgl. Lotze, Medizinische Psychologie, S. 441f., Waitz, Psychologie § 44, Feuchtersleben, Diätetik der Seele VI – VIII, Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, 404 ff. Bain, the emotions and the will 1859, Ribot, psychologie des sentiments 1896. Essai sur les passions Paris 1907.


Affektation (lat. affectatio) oder Affektiertheit ist die Ziererei in Reden und Handlungen, welche den Schein von Gefühlen zu erwecken sucht, die man gar nicht besitzt. Vgl. Anmut.


Affektion (lat. affectio) heißt Zuneigung; Affektionspreis (pretium affectionis) ist der Wert, den wir einer Sache oder Leistung mit Rücksicht auf das Gefühl des Besitzers oder Leistenden beilegen. Der Gegensatz dazu ist entweder der Marktpreis oder der objektive Wert (vera rei aestimatio). Diese drei Werte stehen natürlich oft im Widerspruch. So kann z. B. eine objektiv und im Marktpreise ganz wertlose Tasse, die wir von einem Verwandten ererbt haben, für uns einen großen Affektionswert haben, oder es können alte Bücher und Kunstwerke einen viel höheren Marktpreis als objektiven Wert haben. Im weiteren Sinne können alle Dinge einen Affektionspreis besitzen, insofern sie jeder verschieden hochschätzt. Kant (1724-1804) definiert Affektionspreis als »Äquivalent für ein Ding, das einem gewissen Geschmacke gemäß ist«. – Affektion heißt auch Zustandsänderung. So reden wir z. B. von einer Gemütsaffektion, Sinnesaffektion.


Affektlosigkeit bedeutet soviel als Gemütsruhe, Freiheit von Affekten (s. d.). Vgl. Apathie.


Affenliebe ist die blinde Zärtlichkeit der Eltern gegen ihre Kinder, welche deren Fehler übersieht, ableugnet und ihnen schadet.


Affinität (lat. affinitas) heißt Verwandtschaft. Logische Affinität ist das Verhältnis der Begriffe oder Urteile, welche nicht wesentliche Merkmale gemein haben, z. B. rote Rose und rote Mütze. Der Gegensatz zu solchen affinen Begriffen sind die kognaten. Denn Kognation findet zwischen den durch wesentliche Merkmale verbundenen statt, z. B. Rose, Tulpe, welche beide als Organismen gedacht werden müssen. – Psychologische Affinität heißt die Ähnlichkeit von Vorstellungen, insofern auf derselben die Assoziation beruht.


affirmativ (lat. affirmativus), bejahend, heißt ein Urteil, welches einem Subjekt irgend ein Prädikat beilegt (S ist P). Negativ dagegen heißt ein Urteil, das einem Subjekt ein Prädikat abspricht (S ist nicht P). Diese wesentliche Eigenschaft eines Urteils heißt seine Qualität. Affirmation ist also eine Art der Urteilsqualität. Die Bejahung (Affirmation) kann entweder auf den ganzen Umfang des Subjekts gehen (alle S sind P) oder nur auf einen Teil (einige S sind P). Diese Eigenschaft heißt die Quantität eines Urteils. Vgl. Urteilsformen. Verneinung.


affizieren (lat. afficio) heißt eine Zustandsänderung herbeiführen, Eindruck machen, zunächst auf die Sinne, dann auf die Seele des Menschen überhaupt.


Agathobiotik (aus d. Griech. geb.) heißt Diätetik (s. d.).


Agathologie (gr.) heißt die Lehre vom Guten oder von den Gütern; sie ist ein Teil der Ethik, welche gewöhnlich in die Lehre von den Pflichten, Tugenden und Gütern eingeteilt wird. Vgl. A. Döring, Philos. Güterlehre, Berlin 1888.


Agens (lat., Plural: Agentien) heißt jedes Ding, sofern es sich betätigt, also eine Wirkung ausübt.


Ageusie (aus d. Griech.) heißt Stumpfheit des Geschmacksorgans, Ageustie (gr. ageustia) heißt Nüchternheit.


Agglomerat (vom lat. agglomerare = zusammenknäueln) heißt ein nur äußerlich zusammengeballtes Ganzes; sein Gegensatz ist: Organismus (s. d.).


Agglutination (lat. von agglutinare = anleimen, Verleimung) der Vorstellungen nennt Wundt (geb. 1832) die erste Stufe apperceptiver (siehe da) Verbindung, bei welcher wir uns der Bestandteile des Verbundenen wie z. B. bei der Vorstellung eines Kirchturms bewußt sind, aber aus denselben eine resultierende Vorstellung gebildet haben. Siehe Wundt, Grundz. der phys. Psychol. II S. 385. Vgl. Sprache.


Aggregat (franz.) heißt ein durch die bloße Ansammlung seiner Teile entstandenes Ganzes, z. B. ein Haufen Getreide. Eine Erkenntnis, deren Teile nicht organisch miteinander verbunden sind, bildet dementsprechend ein bloßes Aggregat von Notizen. Die Physik unterscheidet nach der Größe der Kohäsion der Teile eines Körpers drei verschiedene Aggregatzustände (Formarten) der Körper: den festen, tropfbar-flüssigen und luftförmigen. Vgl. Ostwald, Vorles. üb. Naturphil. Leipz. 1905 S. 200.


Agnosie (gr. hagnôsia) heißt Unwissenheit. Bei Sokrates erscheint die Agnosie, ausgedrückt durch den Satz: »Ich bin mir bewußt, daß ich in keinerlei Weise wissend bin«, als Ausgangspunkt des Forschens. (Plat. Ap. 21 B egô – oute mega, oute smikron xynoida emautô sophos ôn.) Bei den Neuplatonikern und Skeptikern ist die Agnosie das Endergebnis ihrer theoretischen Philosophie.


Agnostiker (engl. agnostic) heißt seit Huxley (1825-1895) derjenige, welcher über die letzten Gründe alles Seins nichts zu wissen wünscht oder nichts behauptet, also alle transscendentalen Fragen ablehnt. Huxley, H. Spencer und Ch. Darwin z. B. bezeichneten sich so. Vgl. Grosse, H. Spencers Lehre von dem Unerkennbaren 1890. Auch Du Bois-Reymonds Standpunkt metaphysischen Fragen gegenüber, der durch die Worte »Ignoramus, Ignorabimus« ausgedrückt ist, ist der des Agnostizismus(»Über die Grenzen der Naturerkenntnis« 1872. Die sieben Welträtsel 1882). R. Flint, Agnosticism. 1903. Vgl. Eucken, Geistige Strömungen der Gegenwart 1904, S. 378. Raoul Richter, Der Skeptizismus in der Philosophie, Leipzig 1904.


Agoraphobie (aus dem Gr. von agora = Markt und phobos Furcht), Platzfurcht, heißt eine Form der Nervosität, welche die damit behaftete Person unfähig macht, einen offenen Platz zu überschreiten.


Agraphie (aus dem Gr. von a = nicht und graphein = schreiben), heißt das Unvermögen, infolge von Gehirnkrankheit einen Gedanken schriftlich auszudrücken. Siehe Aphasie.


Agrikultursystem (Physiokratismus) ist diejenige volkswirtschaftliche Theorie, welche in der Ausbeutung des Bodens die einzige Quelle des Nationalwohlstandes sieht. Diese Lehre vertrat schon J. Locke (1632-1704); doch erst Frz. Quesnay (1694-1774) hat 1758 in seinem »Tableau économique« die Theorie ausführlich entwickelt. Ihre Anhänger bezeichneten sich auch als Ökonomisten oder Physiokraten; auch Turgot (1727-1781) gehört zu ihnen.


Ahnung ist die dunkle, auf (objektiv oder subjektiv) unbewußte Gründe gestützte Vorempfindung von etwas Zukünftigem. Sie entspringt entweder einem unwillkürlichen Analogieschluß (s. d.) oder einer Gemütsstimmung. Aus solchen Ahnungen läßt sich mithin wohl auf die subjektive Verfassung des betreffenden Menschen ein Schluß machen, dagegen durchaus nicht auf die Zukunft selbst und den Eintritt des Geahnten. Aber weil der Mensch unter den vielen Möglichkeiten bisweilen auch die wirklich später eintretende sich vorstellte, so ist der Glaube an die Wahrheit und Bedeutung von Ahnungen uralt und volkstümlich. Jacobi und Fries haben dem begrifflichen Wissen die Ahnung entgegengesetzt als die nur aus Gefühlen stammende Überzeugung von der Realität übersinnlicher Ideale.


Ahriman und Ahuramazda sind die Gottheiten des Bösen und des Guten in der persischen Religionslehre des Zoroaster.


Akademie (gr. Akadêmeia) heißt zunächst der Hain des Heros Akademos, 6 Stadien von Athen am Kephissos, dann die Schule des Platon (427-347), der dort seine Anhänger um sich versammelte. Die ältere, die erste Akademie (Platon, Speusippos, Xenokrates, Heraklides der Pontiker, Philippos von Opunt, Polemon, Krates, Krantor) war dogmatisch (s. d.), die mittlere, die zweite (Arkesilaos) und die dritte (Karneades) dagegen skeptisch, während die neuere Akademie, die vierte, die des Philon von Larissa, wieder dogmatisch wurde, und endlich die fünfte, die des Antiochos von Askalon, die platonische Philosophie mit der aristotelischen und stoischen verband. In der Renaissancezeit gründete Cosmus von Medici auf Anregung des Georgios Gemistos Plethon aus Konstantinopel (geb. um 1355, gest. 1452 in Florenz), eine platonische Akademie, deren erster Vorsteher Marsilius Ficinus (1433-1499) war. In der Neuzeit sind Akademien zur Förderung der Wissenschaft in vielen Staaten begründet worden.


Akatalepsie (gr. akatalêpsia), Unbegreiflichkeit oder Aphasie (gr. aphasia) oder Epoche (gr. epochê) ist die Bezeichnung für die Annahme der skeptischen Richtung unter den Akademikern, es lasse sich das Wesen der Dinge nicht begreifen und aussprechen, und wir müßten mit unserm Urteil zurückhalten. Diog. Laert. IX, 11, § 107. Vgl. Aphasie, Epoche, Aoristie.


Akataphasie (aus dem Griech. gebildet) heißt das durch Hirnkrankheit veranlaßte Unvermögen, Sätze grammatisch zu formen.


Akosmismus (aus dem Gr. gebildet), Weltlosigkeit, Leugnung der Welt, kann man sowohl den Pantheismus nennen, wenn er das All ganz in Gott aufgehen läßt (Eleaten, Spinoza), während er im umgekehrten Falle zum Atheismus wird, als auch den absoluten Idealismus, der die Realität der Außenwelt leugnet (Fichte), als auch endlich den Spiritualismus, der alles körperliche als Produkt des Geistes ansieht (Berkeley).


Akribie (gr. akribeia) heißt Genauigkeit, Sorgfalt in der Forschung und Untersuchung.


Akrisie (gr. akrisia) heißt Mangel an Urteil oder Prüfung.


akroamatisch (gr. akroamatikos), eigtl. das Hörbare, das zum Anhören Eingerichtete heißt 1) die geheime (esoterische), nur den Eingeweihten mündlich mitzuteilende Lehre oder 2) die wissenschaftliche Lehre im Gegensatz zur populären, oder 3) diejenige Lehrform, bei welcher der Schüler nur hört, nicht, wie bei der erotematischen oder sokratischen, auch gefragt wird. Der Ausdruck stammt von den philosophischen Schriften des Aristoteles her.


Akrotismus (aus d. akrotês = das Äußerste, das Extrem gebildet) heißt das Streben nach dem Höchsten, die Erforschung der letzten Dinge.


albern nennt man im Neuhochdeutschen alles einfältige, kindische, unweise Denken, Reden und Handeln. Albernheit ist ein Zeichen entweder von Unreife oder von Narrheit. Ursprünglich bezeichnet das Wort dagegen das offene, natürliche, gütige, freundliche Wesen (ahd. alawâri, mhd. alwaere). Die Romantiker haben das Wort vergeblich wieder zu Ehren zu bringen versucht, nachdem es in der Neuzeit seine üble Bedeutung angenommen hat.


Alethophile (gr.) oder Philalethes heißt der Wahrheitsfreund.


Alexandriner oder jüdisch-griechische Philosophen heißen diejenigen Philosophen, welche in Alexandria vom zweiten Jahrh. v. Chr. ab jüdische Theologie und griechische Philosophie miteinander verknüpften. Zu ihnen gehören Aristobulos um 160 v. Chr., Philon Iudaeus um 20 v. Chr. bis 45 n. Chr. Man wirft ihnen Synkretismus (s. d.) vor.


Alexandrinismus. Siehe Averroismus.


Alexie (aus dem Gr. geb. a = nicht und legein = sagen) heißt die Unfähigkeit zu lesen, die meist Folge von Hirnerkrankung ist.


Algorithmus (arab. = Rechenbuch) ist zunächst der Personenname des Arabers Muhammed Ibn Musa Alchwarizoni, dessen Rechenbuch (Anf. des IX. Jahrh.) im Westen durch Übersetzungen verbreitet wurde. Er nahm in den lateinischen Übersetzungen des Buches die Form Algorithmi an. Später verstand man unter Algorithmus ein Rechenbuch oder die Rechenkunst. – Das Rechenbuch des Alchwarizoni vermittelte dem Abendland die Kenntnis der Null und des indisch-arabischen Rechnens. Es bildete sich daher im 12ten Jahrh. eine Schule der Algorithmiker, die den Sieg über die von Papst Gerbert (Sylvester II., 940-1003) herstammende Schule der Abacisten (von abacus = Rechenbrett) davontrug. – Unter logischem Algorithmus versteht man jetzt die in der Gegenwart eifrig betriebenen Versuche, die logischen Operationen durch ein besonderes Zeichensystem und Rechnungsverfahren zu ersetzen. Vertreter dieser Bestrebungen sind in Deutschland vor allem Schroeder, in England Mc-Coll, in Amerika Peirce, in Italien Peano u. a. Vgl. Reinaud, Mémoire géographique etc. sur l'Inde. Paris 1849. Tropfke, Gesch. d. Elementarmathematik. Leipzig 1902/3. Teil I S. 13 u. 14.


Alienation (lat. alienatio = Entfernung, Entäußerung) heißt die Geisteszerrüttung. Vgl. Abalienation.


alieni iuris homo heißt ein Mensch von rechtlicher Unselbständigkeit; Gegensatz ist: sui iuris homo.


aliis ne feceris, quod tibi fieri non vis (lat.) heißt: Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern zu; dieser Satz ist ein sehr einfaches und vielfach brauchbares Moralprinzip, welches schon im Neuen Testament Matth. 7,12 steht.


aliud sceptrum, aliud plectrum heißt: Scepter und Zither sind nicht ein und dasselbe. Der Satz bedeutet: jede Beschäftigung, jeder Stand erfordert besondere Fähigkeiten.


All oder Universum (lat.) ist der Inbegriff aller Dinge. Im Griechischen heißt All: pan (pan), daher nennen wir die Auffassung, welche das All-Eine (hen kai pan) als Gott setzt, Pantheismus (s. d.). Aristoteles Metaph. IV, 26 1024 a 1-3 nennt All (pan) ein Quantum mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, bei dem die Stellung der Teile keinen Unterschied ausmacht, dagegen ganz (holon) ein solches Quantum, bei dem die Stellung der Teile einen Unterschied ausmacht (tou posou echontos archên kai meson eschaton, hosôn men mê poiei hê thesis diaphoran, pan legetai, hosôn de poiei, holon).


Allegorie (gr. allêgoria Andersreden, bildliche Redeweise) ist im engeren Sinne die sprachliche Darstellung eines Gegenstandes oder Vorgangs durch einen sinnfälligen anderen, im weiteren Sinne überhaupt ein Bild, welches sich selber zeigt, aber auch zugleich ein anderes Sinnfälliges oder Gedankenhaftes darstellt. Die nicht nachahmenden Künste, Musik und Architektur, sind keiner Allegorie fähig, wohl aber die nachahmenden, die Bildhauerkunst, die Malerei und vor allem die Poesie. Der poetische allegorische Ausdruck heißt auch bildliche Redeweise, Metapher. Die Poesie verwendet zu ihrem Ausdruck vergleichende anthropomorphe und personifizierende Allegorien; die vergleichende Allegorie vertauscht ähnliche Gegenstände derselben Art, die anthropomorphe verkörpert Geistiges, die personifizierende stellt Körperliches persönlich dar. Allegorische Dichtungsarten sind die Fabel und die Parabel.


allegorische Auslegung ist die Methode, die Bibel so auszulegen, daß den der religiösen Auffassung einer späteren Zeit, als die Entstehungszeit der biblischen Schrift ist, widersprechenden Stellen ein anderer Sinn untergelegt wird; dabei wird aber natürlich die grammatisch-historische Methode verletzt. Aus übertriebener Ehrfurcht vor dem Buchstaben und dem historisch Gegebenen und aus Willkür entspringend, verfällt die allegorische Auslegung in Willkür und Gewaltsamkeit.


Alleinheitslehre, s. Pantheismus, Monismus.


Alleinherrschaft, s. Staatsverfassung.


Allgegenwart (omnipraesentia) bezeichnet in der christlichen Dogmatik diejenige göttliche Eigenschaft, daß Gott an jedem Orte zugleich ist. Sie wird zu den operativen oder transeunten Eigenschaften Gottes gerechnet, die das Bestehen der Welt voraussetzen, und wird bald zu der Allmacht, bald zu der Allwissenheit in Beziehung gesetzt. Nach Schleiermacher ist Gott durch seine Allgegenwart die alles Räumliche und den Raum selbst bedingende Ursächlichkeit. Vgl. Allmacht.


allgemein (universal oder generell) heißt dasjenige, welches einer Gesamtheit von Gegenständen in gleicher Weise zukommt; das Allgemeine ist also je nach dem Umfang der Gesamtheit das der Art oder das der Gattung Angehörige. Sein Gegensatz ist das Besondere und in letzter Linie das Einzelne. Der Allgemeinbegriff (Klassenbegriff) faßt die Merkmale zusammen, welche einer Gesamtheit von Gegenständen zukommen, z. B. Fisch. Sein Gegensatz ist der Sonderbegriff der Einzelbegriff, der die Merkmale des Individuums enthält, z. B. der Brocken, der Kohinor, Sokrates. Die Allgemeinheit bildet eine Stufenfolge der Begriffe, in der immer der eine Begriff allgemeiner ist als der andere. Weil dem weniger allgemeinen Begriff gewisse Merkmale eigentümlich sind, die der mehr allgemeine Begriff nicht enthält, kann man weder vom Einzelnen noch vom Besonderen aufs Allgemeine schließen, sondern nur umgekehrt. Was von Sokrates gilt, gilt keineswegs von jedem Athener. Aber was von allen Athenern gilt, gilt auch von Sokrates. Platon (427-347) und Aristoteles (384-322) schrieben dem Allgemeinen einen höheren Wert zu als dem Besonderen und Einzelnen; aber Platon lieh dem Allgemeinen gesonderte Existenz, Aristoteles suchte das Allgemeine im Einzelnen. Über den Streit der Scholastiker um die Universalien vgl. Universalien, Nominalismus, Conceptualismus, Realismus.


Allgenugsamkeit (Aseïtät) bezeichnet in der christlichen Dogmatik Gottes völlige Unabhängigkeit von der Welt; Gott ist nur von sich (a se) abhängig.


Allheit (Totalität) heißt eine Vielheit von Gegenständen, sofern sie als Einheit gedacht wird und neben ihr gleichartige Gegenstände nicht vorhanden sind, z. B. Volk, Menschheit, Welt. Kant (1724-1804) erklärt: Allheit ist »nichts anderes als die Vielheit als Einheit betrachtet« (Kr. d. r. V., II. Aufl., S. 111). Diese Erklärung bedarf des obigen einschränkenden Zusatzes.


Allmacht (omnipotentia) bedeutet in der christlichen Dogmatik das unbeschränkte Können Gottes. Nach Schleiermacher (1768-1834) faßt die Allmacht Gottes sich in den Sätzen zusammen: 1. Alles was ist und geschieht, kommt von Gott; 2. Alles was in Gott ist, wird verwirklicht. Gott ist also nach Umfang und Intensität absolute allwirksame Ursächlichkeit.


Allotriologie (vom gr. allotriologeô = Fremdes reden) heißt die Einmischung fremder Dinge in einen Vortrag; dies kann ein dialektischer Kunstgriff, aber auch ein Akt der Zerstreutheit oder der Zerfahrenheit sein.


Allsinn nannte die Identitätsphilosophie Schellings (1775-1854) die Einheit von innerem und äußerem Sinne; der Allsinn sollte, über die Formen der Zeit und des Raumes hinausgerückt, eine unmittelbare Erkenntnis des allgemeinen Lebens der Dinge gewähren. Er sollte zwar eines besonderen Organs entbehren, aber doch als Komplement der Vernunft, Verstand und Anschauung in sich vereinigen, weswegen er auch »anschauender Verstand« genannt wurde. G. M. Klein, Anschauungs- und Denklehre. Bamberg 1824. § 77. Schon bei Kant kommt die Idee eines intuitiven Verstandes vor, aber nur im Gegensatz zum menschlichen und nur problematisch gedacht.


Allweisheit heißt in der christlichen Dogmatik die vollkommene Verbindung des Wissens und Wollens in Gott. Schleiermacher (1768-1834) bestimmt sie als Vollkommenheit der Liebe.


Allwissenheit (lat. omniscientia) ist in der christlichen Dogmatik eine Eigenschaft Gottes, die Schleiermacher (1768-1834) als die schlechthinige Geistigkeit der Allmacht bestimmt.


Aloger (gr. alogos) hießen die Leugner der Logoslehre im 2. Jahrh.; auch die Socinianer im 17. Jahrh. hießen so, weil sie in Christus einen wirklichen Menschen sahen.


alogisch (gr. alogos) heißt unbegründet, unvernünftig.


altera pars Petri (lat.) heißt der zweite Teil der Logik (Institutiones dialecticae) von Petrus Ramus (1515-72), welcher vom Urteil (de iudicio) handelt. Daher sagt man von einem beschränkten, urteillosen Menschen, ihm fehle die altera pars Petri. Die gewöhnlichere Ausdrucksweise, die auch Kant gebraucht, ist, es fehle an der secunda Petri. (Kant Kr. d. r. V. S. 134A).


alter ego (lat.), zweites Ich, ist eine Bezeichnung für den intimsten Freund.


Alteration (franz. altération = Verschlimmerung) heißt die Veränderung zum Schlechteren, die Gemütsaufregung; alterieren heißt ändern, verschlechtern, aufregen.


alternieren (lat. alternare), heißt sich ablösen, miteinander wechseln; die Alternative ist die (peinliche) Wahl zwischen zwei Dingen; alternative Urteile sind solche Urteile, die für einander gesetzt werden können, ohne daß der Sinn derselben sich ändert: z. B. Brutus hat Cäsar ermordet, oder Cäsar ist durch Brutus gefallen. Vgl. Subalternation.


Altruismus (nlt. v. alter = der andere, vivre pour autrui) nennt A. Comte (1798-1857) die aus der Liebe zum Nächsten hervorgehende Denk- und Handlungsweise. Der Altruismus ist der Gegensatz zum Egoismus. Comte sieht in ihm die Moral der Zukunft, die als einziges sittliches Motiv des Handelns das Wohl des anderen anerkennen wird. Seit 1889 besteht in Nantes eine Altruisten-Gesellschaft. Auch H. Spencer (1820-1904) vertritt diesen Standpunkt, den übrigens schon die englischen Moralisten des 18. Jahrhunderts eingenommen haben. Ein anderer Name für dieselbe Richtung ist Tuismus (s. d.). Vgl. auch Pluralismus.


Alyta (gr. alyta), Unauflösliches, heißen sowohl im allgemeinen die menschlichem Scharfsinn trotzenden Welträtsel, als auch insbesondere die Fangschlüsse der Megariker (Euklides von Megara, Eubulides, Alexinos im 4. Jahrh. v. Chr.), die dadurch unauflöslich wurden, daß man auf jede Frage nur mit Ja oder Nein antworten durfte. Solche Fangschlüsse sind: der Lügner, der Versteckte oder der Verhüllte, die Elektra, der Kornhaufe, der Gehörnte, der Kahlkopf. (Siehe unter den einzelnen Artikeln.)


a maiori ad minus (lat.), vom Größeren läßt sich aufs Kleinere schließen, ist eine gültige Schlußregel; aber es gilt nicht die umgekehrte Regel a minori ad maius.


Amentie (lat. amentia) heißt Sinnlosigkeit, Blödsinn.


amethodisch (gr. amethodos) heißt ohne Ordnung, ohne Weg, ohne Plan, ohne Ziel.


Ambiguität (lat. ambiguitas) heißt diejenige Zweideutigkeit, welche logisch durch unklare Begriffe oder falsch angewendete Worte entsteht.


Amnesie (aus dem Gr. geb.) heißt die Nichterinnerung, Gedächtnisschwäche, während Amnestie (gr. amnêstia) das absichtliche Vergessen oder Verzeihen, die Straferlassung, ist.


Amnestik (aus dem Gr. geb. von amnêstos = vergessen) heißt die Kunst des Vergessens; sie besteht darin, daß man seine Gedanken energisch von der betreffenden Sache ab- und einer andern zuwendet. Vgl. Mnemonik.


Amphibolie (gr. amphibolia) heißt allgemein Zweideutigkeit. Diese kann entweder beabsichtigt sein, wie bei Orakeln, Witzen u. dgl., oder aus Versehen, durch Verwechslung der Begriffe entstehn. – Amphibolie der Reflexionsbegriffe nennt Kant (1724-1804) in der Kr. d. r. V. S. 260-292 die Verwechslung der reinen Verstandesbegriffe mit den Erscheinungen, die Verwechslung des transscendentalen Verstandesgebrauchs mit dem empirischen, er führt aus, daß Leibniz, der die Sinnlichkeit nur für eine verworrene Vorstellungsart hielt, sich dieser Verwechselung schuldig gemacht habe, indem er alle Dinge nur als Verstandesobjekte ansah und so begriffliche Einerleiheit für numerische Identität der Erscheinungen nahm, Einstimmung der Begriffamjilogiae als Beweis des Nichtvorhandenseins des realen Widerstreites ansah, die Dinge, indem er ihnen alle äußere Relation absprach, zu Monaden mit inneren Vorstellungskräften machte und Raum und Zeit nur zu einem Verhältnis der Substanzen herabsetzte, mit einem Worte Inneres und Äußeres, Materie und Form verwechselte und die Erscheinungen intellektualisierte.


Amphilogie (gr. amphilogia) heißt Streit, Wortstreit, Widerspruch.


Amusie (gr. amousia) heißt Mangel an Kunstsinn und Bildung; amusisch heißt ungebildet.


Anaeresis (gr. anhairesis) heißt Wegräumung der Einwände, Widerlegung des Gegners.


Anästhesie (gr. anaisthêsia) heißt Unempfindlichkeit, Gefühllosigkeit, Stumpfsinn. Als Krankheit beruht sie auf der völligen oder partiellen Lähmung der Empfindungsnerven.


Anagke (gr. anankê, sprich Anangke) heißt Schicksal. Siehe unter Schicksal.


Anagoge (gr. anagôgê), eig. Hinaufführung, ist eine Art sinnbildlicher Schriftauslegung, welche, die buchstäbliche Deutung verschmähend, überall Höheres, Himmlisches in derselben ausgesprochen findet. Solche Anagoge trieb z. B. der Alexandriner Philon (20 v. Chr. bis 45 n. Chr.).


Analgesie (gr. analgêsia) heißt Schmerzlosigkeit, Unempfindlichkeit.


Analogie (gr. analogia) heißt Ähnlichkeit, Übereinstimmung in den Verhältnissen. Der Gegensatz ist Anomalie d. i. Regellosigkeit (s. d.). Im Altertum ward, seitdem die grammatische Wissenschaft entstanden war, heftig darüber gestritten, ob Analogie in den Sprachbildungen zu finden sei, oder ob dieselben nur Unregelmäßigkeiten zeigen. Für die Analogie trat namentlich Aristarch von Samothrake (um 170 v. Chr.), für die Anomalie die ganze Schar der Stoiker und vor allem Krates von Mallos (2. Jahrh. v. Chr.) ein.


Analogieschluß (lat. ratiocinatio per analogiam oder argumentatio analogica) heißt ein Schluß, der aus der Ähnlichkeit zweier Dinge in dieser und jener Hinsicht auf ihre Ähnlichkeit überhaupt schließt; man schließt dabei: Dinge, die in mehreren Stücken übereinstimmen (analog sind), werden auch in den anderen und so auch in allen übereinstimmen (analog sein). So schloß Kepler (1571-1630) aus der elliptischen Bahn des Mars, daß alle ihm ähnlichen Planeten ebensolche haben. Die Form des analogischen Schlusses ist:

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe

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