Читать книгу Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe - Friedrich Kirchner - Страница 6
ОглавлениеA ist = a, b, c... n
B ist = A in a und b
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B ist = A auch in c, d ... n.
Es leuchtet ein, daß die Analogieschlüsse ziemlich unsicher sind, besonders wenn die analogen Merkmale unwesentlich sind. Vgl. Induktion.
Analogien der Erfahrung heißen bei Kant (1724 bis 1804) die Grundsätze des Verstandes, welche aussprechen, wie aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung entspringt. Der allgemeine Grundsatz derselben ist: Alle Erscheinungen stehen ihrem Dasein nach a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in einer Zeit. Da Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein die drei Modi der Zeit sind, so zerlegt sich der allgemeine Satz in folgende drei: 1. Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst und das Wandelbare als dessen bloße Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existiert; 2. Alles was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt; 3. Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft (d. i. Wechselwirkung untereinander). – Mit diesen Analogien glaubte Kant den Humeschen Zweifel (vgl. Kausalität) überwunden zu haben. Er hat aber kaum mehr nachgewiesen, als daß diese Sätze ideale Forderungen der wissenschaftlichen Forschung sind (Vgl. E. Laas, Kants Analog, d. Erf. Berlin 1876).
Analogismus (gr. analogiomos) heißt Schluß, Beweis aus Analogie.
Análogon rationis (gr.-lat. = Vernunftähnliches) heißt nach Leibniz dasjenige am Tiere, was ihm mit dem Menschen gemein ist. Leibniz (1646-1746) sah in der Tierseele eine Monade gleich der menschlichen, die der deutlichen, von Gedächtnis begleiteten Vorstellung fähig ist; sie unterscheidet sich aber nach ihm von der des Menschen dadurch, daß an die Stelle der Einsicht in den vernünftigen Zusammenhang der Dinge die bloße Erwartung ähnlicher Fälle tritt (Monadologie 26. 28).
Analyse (gr. analysis), eig. Auflösung, heißt im Gegensatz zur Synthese die Zerlegung eines Begriffes in seine Merkmale, eines Ganzen in seine Teile. Demgemäß heißt, eine Definition eine analytische Erklärung. – Ein analytisches Urteil ist ein solches, in dem das Prädikat aus dem Begriffe des Subjekts unmittelbar hervorgeht, z. B. ein gleichseitiges Dreieck hat drei gleiche Seiten. Synthetische Urteile dagegen vermitteln die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat erst durch ein anderes Urteil, z. B. ein gleichseitiges Dreieck hat drei gleiche Winkel. Diesen Unterschied hat zuerst der Megariker Stilpon (380-300 v. Chr.), dann Dav. Hume (1711-1776) berührt, endlich besonders Kant (1724-1804) hervorgehoben, der die analytischen Urteile auf den Satz der Identität zurückführte, für die synthetischen aber das Prinzip in der Möglichkeit der Erfahrung fand. Vgl. z. B. Prolegomona z. e. jeden künftigen Metaphysik. Riga 1783. S. 24 ff. »Allein Urteile mögen nun einen Ursprung haben, welchen sie wollen, – so gibt es doch einen Unterschied derselben, dem Inhalte nach, vermöge dessen sie entweder bloß erläuternd sind und zum Inhalte der Erkenntnis nichts hinzutun, oder erweiternd und die gegebene Erkenntnis vergrößern; die ersten werden analytische, die zweiten synthetische Urteile genannt werden können.« »Analytische Urteile sagen im Prädikate nichts, als das, was im Begriffe des Subjekts schon wirklich, obgleich nicht so klar und mit gleichem Bewußtsein gedacht war«, z. B. alle Körper sind ausgedehnt, »Dagegen enthält der Satz: einige Körper sind schwer, etwas im Prädikate was in dem allgemeinen Begriffe vom Körper nicht wirklich gedacht wird, er vergrößert also meine Erkenntnis.« – Aber der Unterschied der analytischen und synthetischen Urteile ist nur logisch und erkenntnistheoretisch ein feststehender, psychologisch dagegen ein schwankender; denn was für uns heute ein synthetisches Urteil ist, ist morgen ein analytisches, und was für den Laien ein synthetisches, ist für den Kenner einer Sache ein analytisches Urteil. – Die analytische Methode geht vom Besonderen zum Allgemeinen, von dem Bedingten zu den Prinzipien, von denen das Gegebene abhängt (regressus a principiatis ad principia), während die synthetische vom Allgemeinen und von den Prinzipien ausgeht. Jene heißt auch die regressive, heuristische, diese die progressive, didaktische. Den Regreß vom Bedingten zur Bedingung nennt Kant qualitative Analysis, quantitative den Regreß vom Ganzen auf die Teile. Vgl. Methode.
Analytik (von gr. analytikos) heißt bei Aristoteles (384 bis 322) der elementare Teil der Logik, der sich mit den Formen des erkennenden Denkens, mit Begriffen, Urteilen und Schlüssen beschäftigt. Er handelt vom reinen Denken, in dem die Gedanken nur aufeinander, nicht wie in der Metaphysik auf Außendinge bezogen werden. – Kant (1724-1804) nennt transscendentale Analytik die Zergliederung unserer gesamten Erkenntnisse zu dem Zwecke, die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis aufzusuchen. (Kr. d. r. V. S. 64-292.) Er scheidet sie in die Analytik der Begriffe, welche die Begriffe a priori aufsucht und ihre Möglichkeit erforscht (siehe Kategorien) und in die Analytik der Grundsätze, welche ein Kanon für die Urteilskraft sein soll, jene Verstandesbegriffe auf Erscheinungen anzuwenden.
Anamnese (gr. anamnêsis) heißt Wiedererinnerung. Die Anamnese spielt in der Erkenntnislehre Platons (427-347) eine besondere Rolle. Die Erkenntnis der Wahrheit erfolgt nach seiner Auffassung durch Wiedererinnerung an ein früheres Leben. Die Seele erinnert sich beim Denken an das, was sie in einem früheren Dasein gewußt hat. Vgl. angeboren.
Anamnestik (von gr. anamnêstikos) heißt Erinnerungskunst, vgl. Mnemonik.
Andacht heißt eigentl. Aufmerksamkeit, dann Richtung unserer Gedanken auf göttliche Dinge. Kant definiert sie als »die Stimmung des Gemüts zur Empfänglichkeit gottergebener Gesinnungen«. Ein im 19. Jahrh. weit verbreitetes Werk war »Zschokkes Stunden der Andacht«. – Andächtelei ist die entweder gedankenlose oder heuchlerische Übung der Andacht.
Andromanie (gr. andromania) (Nymphomanie) heißt Mannstollheit. Sie entsteht bei Frauen sowohl aus physischen Ursachen, wie infolge von Geisteserkrankung.
angeboren (lat. innatus) heißt im Gegensatze zu erworben, angelernt, alles, was der Mensch von Geburt an besitzt. Dies sind zunächst gewisse Triebe und Fähigkeiten. Die Philosophie hat aber auch vielfach bestimmte Ideen und Grundsätze für angeboren angesehen. Vertreter der Lehre von den angeborenen Ideen sind z. B. Platon, Descartes, Malebranche, Spinoza. Bekämpft hat die Lehre von den angeborenen Ideen, die man Nativismus (s. d.) nennt, vor allem Locke im I. Buche seines Essay concerning Human Understanding (1689). Modifiziert erscheint die Lehre von den angeborenen Ideen schon bei Aristoteles (384-322), der die allgemeinen Grundsätze und Begriffe nur dem Keime nach als in der Vernunft vorhanden annimmt, und bei Leibniz (1646-1716), der aus fertigen angeborenen Ideen vielmehr Anlagen die »virtuellement« gegeben sind, macht. Bei Kant (1724-1804) erscheint die Lehre von den angeborenen Ideen umgewandelt in die Lehre vom a priori. A priori heißt dasjenige, was aus reiner Vernunft und nicht aus der Erfahrung stammt, keineswegs aber dasjenige, was zeitlich vor der Erfahrung vorhanden ist. Ein Nativist ist also Kant, wie die Engländer vielfach fälschlich annehmen, nicht gewesen. – Angeborene Vorstellungen, Ideen, Grundsätze existieren in Wahrheit nicht; der ganze Vorrat unseres Bewußtseinsinhaltes entsteht in der Erfahrung: aber die Anlagen zu der Bewußtseinstätigkeit sind aus der Tätigkeit der vorausgegangenen Generationen entstanden und gehen durch Vererbung auf uns über. – Angeborene Rechte sind solche, die der Mensch mit seiner Geburt erhalten hat; dies sind teils natürliche (die sog. Menschenrechte), daß er z. B. lebe, frei sei usw., teils konventionelle, d. h. durch Übereinkunft ihm gegebene, z. B. daß das Kind seinen Vater beerbe u. dgl.
angemessen (adäquat) heißt eine Definition, wenn sie weder zu weit noch zu eng ist; dies erkennt man daran, daß sie sich sowohl einfach als auch durch Kontraposition umkehren läßt. So ist z. B. die Definition angemessen: Ein Dreieck ist eine dreiseitige Figur; denn man kann sagen: a) Jede dreiseitige Figur ist ein Dreieck und b) Nicht dreiseitige Figuren sind keine Dreiecke. Läßt sich irgend eine Instanz gegen eine Erklärung anführen, so ist diese unangemessen (inadäquat). So führte Diogenes (404-323) gegen Platons Definition, der Mensch sei ein zweibeiniges Tier ohne Federn, die Instanz eines gerupften Hahnes (vgl. Hahn des Diogenes) an. – Angemessen heißt ferner eine Einteilung, die weder zu viel noch zu wenig Glieder hat, und ein Beweis, welcher weder zu viel noch zu wenig beweist.
angenehm heißt alles, was uns Lust dadurch erregt, daß es den Sinnen gefällt, ohne daß es, wie das Schöne, einer geistigen Idee entspricht, oder, wie das Sittliche, gewollt wäre. Ob etwas angenehm oder unangenehm ist, entscheidet nur das Gefühl. Da nun dieses zwar im großen und ganzen bei allen Menschen gleich, in vieler Beziehung aber auch verschieden ist, so läßt sich keine allgemeine Regel über das Angenehme aufstellen (de gustibus non est disputandum). Ja, dasselbe erscheint demselben Menschen unter verschiedenen Verhältnissen anders, je nachdem er in Stimmung oder körperlicher Verfassung ist. Selbst Schmerz kann unter Umständen Lust bereiten, z. B. wenn wir ihn einer höheren Idee zuliebe ertragen, d. h. wenn die sinnliche Unlust durch seelische Lust aufgehoben wird. Von dem Angenehmen hat Kant (1724-1804) ausführlich in der Kr. d. Urteilskraft S. 7 ff. gehandelt. Ihm ist angenehm das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt.
Angst ist die Furcht in Verbindung mit dem Gefühle der Ohnmacht. Aus physischen oder psychischen Ursachen entspringend, übt sie auf den leiblichen und geistigen Menschen die heftigsten Wirkungen aus. Das Blut stockt, es drängt sich zum Herzen, die Muskeln werden schlaff, der Verstand wird betäubt, die Phantasie füllt sich mit trüben Bildern, der Wille fühlt sich gelähmt. Die Angst gehört zu den ortlosen inneren Gefühlen. Die sog. Todesangst beruht auf der zunehmenden Lähmung der Atmungsmuskeln und des Herzens.
animalisch (v. lat. animal = das Tier) heißt tierisch, den Tieren eigentümlich. Animalische Funktionen sind die dem Tierleben eigenen Tätigkeiten, die hauptsächlich von dem Vorhandensein eines Nervensystems abhängen, nämlich Empfindung, willkürliche Bewegung, Vorstellung und Bewußtsein; die vegetativen Funktionen dagegen, welche auch den Pflanzen zukommen, sind Wachstum und Ernährung. – Animalität heißt Tierheit.
Animismus (v. lat. animus = Seele) ist die philosophische Lehre G. E. Stahls (1660-1734), daß die denkende Seele Lebensprinzip jeder Tätigkeit im Körper sein, also auch z. B. das Wachstum desselben bewirken soll. Vgl. Lebenskraft. Mit dieser Lehre ist der Hylozoismus, Leibniz' Monadologie, der Vitalismus und v. Hartmanns Prinzip des Unbewußten verwandt. – In der Anthropologie bedeutet Animismus den Glauben der Naturvölker an seelische Kräfte da, wo es sich um Wirkungen handelt, die sie auf mechanische Ursachen zurückzuführen außer stande sind.
animós (lat. animosus) heißt leidenschaftlich erregt.
Animosität ist leidenschaftliche Stimmung.
animus (lat.) heißt die Absicht, z. B. animus nocendi, iniuriandi, die Absicht zu schaden, zu beleidigen. Vgl. Absicht, Zweck.
Anlage ist die angeborene Fähigkeit, welche durch Übung zur Fertigkeit werden kann. Über ihr Wesen sind zwei extreme Ansichten vorhanden. Locke (1632-1704) und Beneke (1798-1854) betrachten den Geist des Neugeborenen als eine leere Tafel (tabula rasa), auf die Erfahrung und Erziehung den Inhalt schreiben. Origenes (185-254), Kant (1724-1804) und Schelling(1775-1854)sind der Ansicht, die Seele sei durch einen Fall vor der Geburt so geworden, wie sie jetzt ist. Zwischen jenen Empirismus und diesen Mystizismus hat sich die genetische Betrachtungsweise gestellt, welche im geistleiblichen Organismus eine durch die Jahrtausende erworbene und vererbte Disposition zu gewissen Fertigkeiten erkennt, mag man sie materialistisch oder spiritualistisch erklären. Es ist wohl unleugbar, daß jeder Mensch schon durch sein Geschlecht, ferner durch seine Konstitution und sein Temperament, sodann durch das verschieden geartete Verhältnis der einzelnen Seelenkräfte und der vegetativen und animalen Funktionen untereinander besondere Anlagen mit auf die Welt bringt. Weil besonders Phantasie, Empfindung, Verstand oder Wille der Anlage nach verschieden stark angeboren zu sein pflegen, so kann man von Kind auf an den Menschen eine verschiedene Empfänglichkeit für Kunst, Wissenschaft, sittliche und praktische Tätigkeit beobachten. Ein höherer Grad von Anlage heißt Talent, der höchste: Genie. – Natürlich finden sich auch bei ganzen Familien und Völkern gewisse, durch Gewöhnung, Klima, Bodenbeschaffenheit und Vererbung befestigte Anlagen. Vgl. Instinkt, Nativismus, Vererbung.
anmaßend ist derjenige, welcher durch sein Auftreten die Anerkennung seines nicht wirklichen, sondern nur vermeintlichen Verdienstes oder Vorrechtes zu fordern scheint.
Anmut ist nach Schillers Erklärung (Über Anmut und Würde 1793) die Schönheit der Bewegung. Sie steht im Gegensatz zu dem Begriff der architektonischen Schönheit. Diese ist die allein durch Naturkräfte bestimmte Schönheit und besteht z. B. in einem glücklichen Verhältnis der Glieder, fließenden Umrissen, lieblichem Teint, zarter Haut, feinem und freiem Wuchs, wohlklingender Stimme usw.; sie ist nicht Verdienst des Menschen. Jene dagegen ist persönliches Verdienst. Sie liegt in demjenigen, was bei den beabsichtigten Bewegungen unabsichtlich ist, sie entsteht nur da, wo es der Mensch im Besitze der Freiheit zu einer höheren sittlichen Fertigkeit gebracht hat, wo Pflicht und Neigung in ihm zusammenstimmen und dieses innere Verhältnis, das nur der schönen Seele zufällt, zur Erscheinung kommt, während Würde da in die Erscheinung tritt, wo die Pflicht über die Neigung herrscht. Studierte Anmut aber ist Ziererei. – Die neuere Ästhetik versteht unter Anmut vielfach auch einen milderen Grad der Schönheit.
Annahme bedeutet in der Logik den Untersatz (vgl. Schluß) eines Schlusses (propositio minor oder assumptio), allgemeiner die Voraussetzung bei einem Beweise. Vgl. Hypothese.
Annex (lat. von annecto = anknüpfen) heißt Anhängsel.
Annihilation (aus dem Lat. geb. von annihilo = zunichte machen) heißt Vernichtung, Aufhebung, Zerstörung.
Anöa (gr. anoia) heißt Unverstand, Sinnlosigkeit, Verstandesschwäche.
Anomalie (gr. anomalia) ist allgemein die Abweichung von einer Regel; spezieller nennt man jede quantitative oder qualitative Abweichung von einem Naturgesetz Anomalie. Siehe Analogie.
Anomie (gr. anomia) heißt Gesetzlosigkeit, Ungesetzlichkeit, Willkür, Zügellosigkeit.
Anordnung ist die Herstellung einer zweckmäßigen Reihenfolge der Teile eines Ganzen; diese Reihenfolge wird bei wissenschaftlichen Werken durch die Logik, bei künstlerischen durch die Ästhetik vorgeschrieben. Sie entspringt aus der Herrschaft eines führenden Gedankens über die verschiedenen Teile, aus Partitio oder Divisio (s. d.).
anorganisch ist der Gegensatz zu organisch (s. d.). Im allgemeinen scheidet man in der Natur das besonderen Gesetzen des Lebens unterworfene Reich des Organischen, das die Pflanzen, die Tiere und die Menschen umfaßt, von dem Reiche des Anorganischen, der Welt der leblosen Stoffe, die nur von den mathematischen, physikalischen und chemischen Gesetzen beherrscht wird. Aber nicht alle philosophischen Systeme erkennen diese Unterscheidung an. Den Begriff des Organischen und Anorganischen haben am schärfsten philosophisch zu bestimmen versucht Aristoteles (384-322) und Kant (1724 bis 1804). Vgl. Organismus.
Anschauung (Intuition) oder Wahrnehmung bedeutet die unmittelbare Bewußtseinserfassung eines Gegebenen zunächst durch den Gesichtssinn, dann, allgemeiner, überhaupt durch die Sinne. Zum Zustandekommen einer Anschauung oder Wahrnehmung gehört 1. daß ein wirkliches Objekt vorhanden ist, 2. daß dieses einen Reiz auf unsere Sinnesorgane ausübt, 3. daß aus diesem Reiz eine Empfindung erwächst, 4. daß die Empfindung in bestimmter Form (Raum und Zeit) zum Bewußtsein kommt. Die Anschauung ist stets etwas Einzelnes, während Vorstellungen (s. d.) und Begriffe (s. d.), aus der Erneuerung und Verbindung früherer Anschauungen hervorgegangen, stets ein Allgemeines sind. Hierdurch bestimmt sich der Wert der Anschauung für die Erkenntnis. Anschauungen liefern uns den stofflichen Inhalt unseres Wissens, geordnet in den Formen des Raumes und der Zeit; aber zum Glied unserer Erkenntnis werden sie erst, indem aus ihnen allgemeine Vorstellungen und begriffliche Formen entwickelt werden. Das Wissen selbst besteht nicht aus Anschauungen oder Wahrnehmungen, sondern aus dem daraus gewonnenen Allgemeinen. Kant hat dies Verhältnis durch die zwei Sätze: »Gedanken ohne Inhalt sind leer« und »Anschauungen ohne Begriffe sind blind« ausgedrückt (Kr. d. r. V. S. 51). Die äußere Anschauung umfaßt die objektiven Dinge (im Raume und in der Zeit), die innere die subjektiven Vorgänge (in der Zeit); jene fällt unter das Gesetz der Gleichzeitigkeit, diese unter das der Aufeinanderfolge. Kant (1724-1804) unterscheidet außerdem die Anschauung a priori und a posteriori oder die reine und die empirische. Jene bezieht sich auf die reinen Raum- und Zeitformen, wie sie uns in den mathematischen Größen vorliegen, diese auf die in Raum und Zeit wahrnehmbaren, durch Empfindung gegebenen Erfahrungsgegenstände. (Vgl. Raum und Zeit.) Die spekulativen Philosophen Fichte, Schelling und Hegel reden noch von einer intellektuellen Anschauung. Fichte (1762-1814) versteht darunter das unmittelbare produktive Bewußtsein des handelnden Ichs, Schelling (1775-1854) den unbedingten Erkenntnisakt, in welchem Subjektives und Objektives zusammenfällt, das Wissen vom Absoluten, Hegel (1770-1831) das durch notwendige Gedankenbewegung erreichbare logische Wissen. Schelling streift damit jenes unmittelbare Anschauen Gottes, von welchem die Mystiker reden. Neuere Denker, wie Herbart (1776-1841), Beneke (1798-1854), H. Lotze (1817 bis 1881) u. a. erkennen nur die empirische Anschauung als Grundlage und Ausgangspunkt aller Philosophie an. – Künstlerische Anschauung ist die Betrachtung eines Gegenstandes nach ästhetischen Gesetzen. Vgl. Wahrnehmung.
an sich bildet den Gegensatz zu dem, was ein Ding mit Rücksicht auf ein anderes ist. »Ding an sich« nennt daher Kant (1724-1804), indem er das andere als das menschliche Bewußtsein nimmt, einen von den menschlichen Erkenntnisformen unabhängigen Gegenstand, während er die Dinge, insofern sie durch die menschliche Erkenntnis in Raum und Zeit erfaßt werden, Erscheinungen nennt. Nach Kant erkennen wir die Dinge nicht, wie sie an sich sind, sondern nur, wie sie uns erscheinen.
Anstand heißt das durch die Sitte oder die Sittlichkeit geregelte Benehmen. Jenes ist der mehr äußerliche, konventionelle, dieses der innere, wahrhafte Anstand. Jener entspringt aus der Gewöhnung und dem Umgange, dieser aus dem Charakter des Menschen.
Antagonismus (gr. von antagônizomai = wetteifern) heißt der Widerstreit der Kräfte in der körperlichen wie der geistigen Welt; kein Ding verhält sich nur leidend, sondern jedes Ding reagiert stets (lex antagonismi) auf Einwirkungen. Auf dem Antagonismus der Kräfte beruht alles Leben in unserem Leibe und Geiste, in Staat, Kirche und Wissenschaft. Ausgesprochen ist diese Überzeugung zuerst von Herakleitos (um 500 v. Chr.), nach dem der Streit der Vater und Herr aller Dinge ist (Plutarch. de Isid. 48 Hêrakleitos – polemon onomazei patera kai basilea kai kyrion pantôn.).
Antanagogé (vom gr. antanagô = dagegen hinaufführen) heißt das Zurückschieben einer Beschuldigung auf ihren Urheber vermittelst einer geschickten Wendung.
antecedens (lat. = das Vorhergehende) und consequens (lat. = das Folgende) heißt der Grund und die Folge in der Logik, die Ursache und die Wirkung in der realen Welt. In Urteilen heißt antecedens das Subjekt, wenn daraus das Prädikat selbstverständlich folgt; in Schlüssen heißen Obersatz und Untersatz so, während der Schlußsatz consequens heißt; bei Beweisen heißt der Beweisgrund antecedens.
antemundan (aus dem Lat. geb. von ante = vor und mundus = Welt) heißt vorweltlich, s. a. präexistent.
anthropocentrisch (vom gr. anthrôpos = Mensch und kentron = Mittelpunkt) nennt man diejenige Weltauffassung, welche den Menschen als das Zentrum der ganzen Welt ansieht, wie es die meisten Religionen, z. B. das Christentum, aber auch manche philosophische Systeme tun, z. B. im Altertum die Lehre des Sokrates, in der Neuzeit die Wolfische Philosophie. Auch in Kants (1724-1804) Erkenntnistheorie liegt eine neue eigentümliche anthropozentrische Wendung, indem sie lehrt, daß die menschliche Vernunft der Natur (sofern sie die Welt der Erscheinungen ist) die Formen und Grundgesetze vorschreibe. Spinozas (1632-1677) Lehre von Gott-Natur ist dagegen theozentrisch, und die gegenwärtige Naturwissenschaft führt ebenfalls seit Kopernikus, Kepler, Newton von der anthropozentrischen Weltbetrachtung ab. Am stärksten vertrat dagegen von den Neueren in seiner Philosophie den anthropozentrischen Standpunkt Wilhelm von Humboldt (1767-1835), dem sich die ganze Wissenschaft zu einer philosophisch-empirischen Menschenkenntnis zusammenfaßte.
Anthropologie (aus dem Gr. von anthrôpologos = von dem Menschen redend), die Lehre vom Menschen, bestimmt das Wesen des Menschen nach Leib und Seele und verfolgt seine Entstehung, Entwicklung und Verbreitung über die Erde. Sie zerfällt je nach ihrem besonderen Gegenstande in die somatische Anthropologie (Anatomie und Physiologie), welche den Leib und seine Funktionen, die biologische, welche die Lebensvorgänge, die psychische, welche die Seele des Menschen, und die sozialpolitische, welche das Verhältnis des Menschen zur Natur und zur Gesellschaft behandelt. Die erste und zweite Wissenschaft ist eine naturwissenschaftliche Disziplin, die dritte eine philosophische, die vierte eine sprachwissenschaftliche und historisch-archäologische. Die Anthropologie beruht also auf Naturwissenschaft, Philosophie, Sprachwissenschaft, Geschichte und Archäologie und ist für diese Wissenschaften, sowie für die Jurisprudenz und Theologie eine Mitarbeiterin. (Vgl. Völkerpsychologie.)
Der Schöpfer der Anthropologie als Wissenschaft war Aristoteles (384-322); aus der alexandrinischen Schule beschäftigten sich Herophilos (um 280 v. Chr.) und Erasistratos (um dieselbe Zeit) mit ihr. Das Mittelalter kannte die anthropologische Forschung nicht; erst Arnoldus v. Villanova (1235-1312), der die erste öffentliche Sektion zweier weiblicher Leichen in Bologna vornahm, begann wieder das Studium der Anthropologie. Die Naturphilosophen der Reformationszeit wie Paracelsus (1493-1541) und van Helmont (1577-1644) waren meist Theosophen und hatten nur geringes anthropologisches Interesse; doch wies um dieselbe Zeit Bacon v. Verulam (1561-1626) auf die Erfahrung als das beste Hilfsmittel der Forschung hin. Dieses Prinzip wandte dann J. Locke (1632-1704) und seine Schule einseitig an, so daß der Empirismus bald in Sensualismus und Materialismus ausartete. Ihm traten die Idealisten Cartesius (1596-1650), Spinoza (1632-1677), Leibniz (1646-1716) und Wolf(1679-1754) gegenüber. Alle diese Philosophen förderten aber die psychische Anthropologie. Durch Harvey (1578-1658), welcher den Blutumlauf (1619) entdeckte, wurde die neuere physiologische Richtung begründet, der auch A. v. Haller (1708-1777) angehörte, während der Vitalismus, d. h. die Annahme einer besonderen Lebenskraft, in Frankreich besonders Anklang fand. Berühmte exakte Forscher auf dem Gebiete der Anthropologie waren dann in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Peter Camper, Sömmering, Blumenbach, Burdach, Joh. Müller und Virchow. Die erste systematische Einteilung des Menschengeschlechts in (3) Rassen machte Cuvier († 1832), während Ch. Bell († 1842) die moderne Nervenphysiologie begründete. Kants »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 1798« gab manche Anregung. An Schellings Auffassung, daß der Mensch ein Glied am Organismus Gottes sei, knüpfte der Mesmerismus (s. d.) an, der erst schwand, als die neueren Psychologen: Herbart, Beneke, Lotze, Waitz, Brentano, Fechner, Wundt u. a. die Psychologie naturwissenschaftlich und vergleichend bearbeiteten. Die vergleichende Methode der »Völkerpsychologie«, wie Lazarus und Steinthal sie nannten, ward dann auf Religion, Sittlichkeit und Sprache übertragen, und die von Quételet begründete Statistik leistete vielfach willkommene Hilfe; eine ganz neue Betrachtung endlich hat Darwins Theorie auch der Anthropologie gebracht.
Aus der reichen Literatur heben wir hervor: Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 1798; Burdach, A. für das gebildete Publikum 1846; H. Lotze, Medizinische Psychologie 1852; A. Quételet, Physique sociale, dtsch. von Ricke 1838; F. G. Klemm, Allgem. Kulturwissenschaft 1854; Th. Waitz, Anthr. der Naturvölker 1859-1873; Huxley, Zeugnisse f. d. Stellung des Menschen in d. Natur (aus d. Engl. 1863); Lyell, d. Alter d. Menschengeschlechts (aus d. Engl.); Bastian, der Mensch in d. Geschichte 1860; Ch. Darwin, d. Abstammung d. Menschen 1871; Joh. Ranke, der Mensch, Leipzig 1886/87.
Anthropomorphismus (aus dem Gr. von anthrôpomorphos = von menschlicher Gestalt) ist die Erfassung des Göttlichen in Menschengestalt. So falsch diese Vorstellung ist – schon Xenophanes der Eleat (6 Jahrh. v. Chr.) bekämpfte den Anthropomorphismus –, so nahe liegt sie für uns. Und zwar legt der Mensch entweder Gott seinen Leib bei, sei es, daß er diesen vervielfältigt und steigert (Inder), oder sei es, daß er ihn idealisiert (Hellenen) oder er denkt ihn nur als menschlichen Geist mit allen seinen Äußerungen: Wille, Verstand, Liebe, Zorn, Reue (Volksglaube).
Anthropopathismus (aus dem Gr. von anthrôpopatheia = Zustand menschlichen Empfindens) heißt die Auffassung des Göttlichen, welche der Gottheit menschliche Affekte wie Zorn, Haß, Neid, Reue, Eifersucht zuschreibt.
Anthropophagie (gr. anthrôpophagia) heißt Menschenfresserei; sie wurde von den ältesten Menschen allgemein geübt und ist noch bei einzelnen Wilden (in Sumatra, Kalabar, Australien, am Amazonas) üblich. Sie widerspricht der Menschenwürde. Vgl. Andree, »Die A.« 1887.
Anthropotheismus (aus dem Griech. von anthrôpos u. theos) heißt Menschenvergötterung; so kann Hegels System genannt werden, insofern darin die logischen Kategorien des Menschen als Stufen der Weltentwicklung, ja der Selbstentfaltung Gottes gelten.
Anthropotheologie (aus dem Griech. geb.) heißt die Erkenntnis Gottes aus dem geistig – sittlichen Wesen des Menschen.
Antíchthon (gr. antichthôn), die Gegenerde, ist nach der Lehre der Pythagoreer ein Weltkörper, der sich gegenüber der Erde um das ruhende Zentralfeuer (Dios phylakê) bewegt. Die Pythagoreer ersannen ihn, um die heilige Zehnzahl der himmlischen Körper vollzumachen. (Aristoteles de caelo II, 13 p. 293 a 23; Met. I, 5 p. 986 a 10.)
Anticipation (lat. anticipatio) heißt Vorwegnahme. Zuerst findet sich dieser Begriff bei Epikuros (341-270), welcher unter »Prolepsis« (= anticipatio) eine von einer Sache durch wiederholte Wahrnehmung, Erinnerung und Vergleichung gebildete Allgemeinvorstellung verstand. Bei den Stoikern hieß »Prolepsis« der unmittelbar aus der Wahrnehmung gebildete Begriff. Cicero (de nat. deor. I, 16, 43) übersetzt den Begriff des Epikur »Prolepsis« durch anticipatio (id est anteceptam animo rei quandam informationem, sine qua nec intellegi quidquam, nec quaeri, nec disputari potest). Kant (1724 bis 1804) versteht unter Anticipationen der Wahrnehmung das, was sich an jeder Empfindung als solcher a priori erkennen läßt. Der Grundsatz, welcher alles das ausspricht, was sich an jeder Empfindung anticipieren läßt, heißt bei Kant Kr. d. r. V. S. 166 so: »In allen Erscheinungen hat die Empfindung und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande entspricht (realitas phaenomenon), eine intensive Größe, d. h. einen Grad«. Siehe Prolepse.
Antilogie (gr. antilogia), Widerspruch, hieß bei den alten Skeptikern der Widerstreit der Gründe für und wider eine Meinung.
Antilogismus (aus dem Gr. von antilogos = widersprechend) heißt allgemein jeder Widersinn oder, wo das Wort die besondere Bezeichnung für ein philosophisches System ist, die Feindschaft gegen die Vernunft.
Antimoralismus (aus dem Lat.), Gegensatz zur Moral, heißt entweder ein System, welches die Moral in seinen Folgerungen zerstört, oder die praktische Unsittlichkeit. So ist z. B. der Fatalismus, Materialismus und F. Nietzsches Herrenmoral ein systematischer Antimoralismus, der Epikureismus dagegen oft ein praktischer Antimoralismus. (Vgl. F. Nietzsche, »Jenseits von Gut und Böse« 1886. Epikureismus.)
Antinomie (antinomia), eig. Widerstreit zweier Gesetze, heißt nach Kant derjenige Widerstreit der reinen Vernunft, in den sich diese bei ihrem Bestreben, sich die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zu verschaffen, d. h. bei den kosmologischen Grundfragen, verwickelt. Hierbei entsteht eine natürliche Antithetik, sobald die Vernunft nach dem Grundsatze: »Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte gegeben, wodurch jenes allein möglich war«, absolute Totalität fordert und dadurch die Kategorien zur Idee erweitert. Diese Antithetik stellt Kant in vier Sätzepaaren auf, deren ersten er immer Thesis, deren zweiten er Antithesis nennt: 1. a) Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raume nach auch in Grenzen eingeschlossen; b) Die Welt hat keinen Anfang und keine Grenzen im Raume, sondern ist sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich. 2. a) Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist; b) Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben. 3. a) Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig; b) Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. 4. a) Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist; b) Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache. (Kr. d. r. V. Transscendentale Dialektik, II. Buch, Zweites Hauptstück S. 405-571). Thesis und Antithesis lassen sich gleichmäßig indirekt durch Widerlegung des Gegensatzes beweisen, und die Vernunft scheint hier in einer verzweifelten Lage zu sein. Kant findet in seinem kritischen Idealismus durch die Unterscheidung von Erscheinungen und Dingen an sich die Lösung. Die beiden ersten Sätzepaare (die mathematischen Antinomien) sind sowohl in Thesis wie in Antithesis falsch, da beide von der falschen Voraussetzung ausgehen, daß das Weltganze gegeben sei, während es uns nur aufgegeben, eine Idee ist. Die beiden letzten Sätzepaare (die dynamischen Antinomien) sind sowohl in Thesis als in Antithesis zulässig, wenn die Thesis auf Dinge an sich, die Antithesis auf Erscheinungen angewandt wird. Durch die Rettung der Thesis gewinnt Kant den Boden für seine praktische Philosophie, in der er sich auf einen idealistischen Standpunkt stellt. – Neuerdings hat geistreich die verschiedenen Ansichten über das Wesen der Materie Julius Schultz zu Antinomien zusammengestellt (Jul. Schultz, die Bilder von der Materie, Göttingen 1905.)
Antipathie (gr. antipatheia), der Gegensatz von Sympathie, ist die unklare Abneigung gegen Personen oder Sachen, welche aus physiologischen Ursachen oder psychologischen Gründen entspringt. Jene beruht auf der eigentümlichen Struktur unserer Sinne (daher die Abneigung gegen gewisse Gerüche u. dergl. ), diese auf Ideenverbindungen. Durch Erziehung und Ausbildung des Charakters kommt der Mensch dazu, die Antipathien zu beherrschen.
Antiphlogistik (aus dem Gr. geb. von anti = gegen und phlox = Flamme) heißt die gegen die Stahlsche Brennstofflehre (Phlogistontheorie) 1777 aufgestellte Theorie Lavoisier's (1743-1794), daß die Verbrennung in der Verbindung eines Körpers mit Sauerstoff bestehe (sur la combustion en général).
Antispiritualismus (aus dem Lat. geb.) ist soviel als Materialismus.
Antistréphon (gr. antistrephôn = der Umkehrende, lat. reciprocus) heißt ein Argument, das gegen den, welcher es braucht, umgekehrt werden kann. Euathlos, der Schüler des Protagoras (5. Jahrh. v. Chr.), sollte diesem die Hälfte seines Honorars erst dann bezahlen, wenn er einen Prozeß gewonnen hätte. Er führte aber keinen Prozeß, bezahlte also nicht. Da sagte Protagoras: »Ich verklage dich; gewinnst du diesen Prozeß, so bezahlst du mich kraft unseres Vertrages; verlierst du ihn aber, so bezahlst du mich kraft des richterlichen Ausspruchs.« Euathlos aber gebrauchte den Antistrephon und sagte: »Keineswegs bezahle ich; denn wenn ich den Prozeß gewinne, so bezahle ich dich nicht kraft des richterlichen Ausspruchs, verliere ich ihn, so bezahle ich dich nicht gemäß unserem Vertrage.« Der Schiedsspruch der Richter lautete auf Vertagung (Gellius, noct. Att. V, 10).
Antithetik (gr.) ist nach Kant (1724-1804) der Widerstreit zweier dem Scheine nach dogmatischen Erkenntnisse, ohne daß man der einen Recht geben mag, z. B. zwischen den beiden Sätzen: »Es ist ein Gott«. – »Es ist kein Gott«. – Transscendentale Antithetik nennt Kant die Untersuchung über die Antinomien der reinen Vernunft. (Siehe unter Antinomie.)
Anziehung (Attraktion) heißt die Kraft, welche sich in dem Bestreben der Körper, sich einander zu nähern äußert, oder richtiger sich in der Tatsache, daß sie sich nähern, dokumentiert. Sie zeigt sich zwar in allen Körpern, aber ist in ihrem Wesen bisher nicht erkannt, obwohl es viel Versuche zur Erklärung derselben, wie z. B. die Stromtheorie von Huyghens, die Stoßtheorie von Thomas Young, die Isenkrahesche Ätherhagelschirmtheorie etc. gibt. – Newton (1642-1718) hat 1665 das Gesetz entdeckt (ausgesprochen 1687 in den Naturalis philosophiae principia mathematica), daß sich alle Weltkörper im Verhältnis ihrer Masse und im umgekehrten Verhältnis des Quadrates ihrer Entfernung anziehen. Kant hat 1756 (Monadologia physica) die Materie auf die beiden Kräfte der Attraktion und Repulsion zurückgeführt und diese Reduktion auch in der Zeit seiner kritischen Philosophie aufrechterhalten (Metaphys. Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786). Ostwald setzt an Stelle der Anziehungskraft den Begriff der Distanzenergie. (Ostwald, Vorles. üb. Naturphil. Leipzig 1905 S. 117.) Vgl. Abstoßung.
Aoristie (gr. aoristia), Unentschiedenheit, ist ein Prinzip der älteren Skeptiker, z. B. des Pyrrhon v. Elis (zur Zeit Alexanders) und des Timon aus Phlius (325-235), welcher lehrte, die Dinge seien ohne feste Unterschiede, unbeständig und unbeurteilbar. Wir dürften daher weder unseren Wahrnehmungen noch unseren Vorstellungen glauben. Hieraus gehe die Pflicht, sich nicht zu entscheiden (aphasia, epochê, mêden horizein, aprosthetein) hervor, und diese hätte die Unerschütterlichkeit des Gemütes (ataraxia) zur Folge. Aus dem Satze ouden horizô »ich entscheide nichts« ist der Begriff Aoristie abgeleitet (Diog. Laert. Vit. Phil. IX, § 104 ff.).
Apagogé (gr. apagôgê, lat. deductio) heißt nach Aristoteles (Analyt. prior. II, 25, p. 69 a 20) ein Schluß folgender Art: Wenn ein erster Begriff ein Merkmal eines zweiten Begriffs ist und es zwar nicht feststeht, daß der zweite Begriff ein Merkmal des dritten ist, aber dies doch gleich wahrscheinlich oder noch mehr wahrscheinlich ist, als der zu folgernde Schlußsatz (nämlich daß der erste ein Merkmal des dritten sei), so heißt das Schlußverfahren Apagoge, z. B. : Es sei 1=lehrbar, 2=Wissen, 3=Gerechtigkeit. Dann steht fest: 1. das Wissen ist lehrbar, es steht aber nicht fest, 2. daß die Gerechtigkeit ein Wissen ist. Doch ist dies ebenso wahrscheinlich, oder wahrscheinlicher, als daß die Gerechtigkeit lehrbar ist. Wir schließen also, 3. daß die Gerechtigkeit lehrbar sei, durch den nicht sicher feststehenden zweiten Satz hindurch. Apagoge ist also ein Schluß aus sicherem Obersatz und einem Untersatz, der zwar nicht gewiß ist, aber mindestens ebenso gewiß oder gewisser ist als die Folgerung. Die Apagoge hat natürlich nichts völlig Überzeugendes an sich, sondern gehört zu den rhetorischen Schlüssen; ohne strenger Beweis zu sein, erweckt sie doch Glauben. – Apagogischer Beweis (demonstratio apagogica, apagôgê eis adynaton, deductio ad absurdum) heißt s. a. indirekter Beweis, also ein Schlußverfahren, in welchem man die Wahrheit einer Behauptung aus der Falschheit ihres Gegenteils beweist. Der bloße apagogische Beweis ist aber nur ein Beweis von beschränktem Werte, ganz abgesehen von den Sophistereien, die dabei oft unterlaufen. Er führt zwar zur Gewißheit, aber nicht zur Einsicht in die Gründe.
Apathie (gr. apatheia = Unempfindlichkeit) heißt allgemein die Gefühllosigkeit; diese kann entweder eine Folge von Stumpfsinn oder von Ekstase, Kummer, Überanstrengung und dgl. sein. Im engeren Sinne bedeutet Apathie die Freiheit von Leidenschaften und Affekten, welche sowohl von den Stoikern wie von Spinoza als ethisches Ziel gefordert worden ist. Von Spinoza (1632-1677) wird sie als die Folge unserer Einsicht in den Kausalzusammenhang angesehen. Die Stoiker übertrieben die Forderung der Apathie dahin, daß sie auch die edlen Affekte (s. d.) verwarfen. Der Weise ist, wie die Stoiker lehren, affektlos. Auch der Skeptiker Pyrrhon (zur Zeit Alexanders) empfahl die Apathie. Maximus v. Tyrus (unter den Antoninen) dagegen stellte den Gegensatz von Empathischem und Apathischem auf (empathes – apathes); jenes kommt den Dämonen, Menschen und Tieren zu, dieses den Pflanzen und Steinen. – Im weiteren Sinne kann auch die wahrhaft wissenschaftliche Betrachtung Apathie heißen, weil sie ohne Vorurteil und Neigung (sine ira et studio) nach der Wahrheit forscht.
Apeiron (gr. apeiron = das Unermeßliche), das Unendliche, Unbegrenzte, nannte Anaximandros aus Milet (geb. 611 v. Chr.) den Grundstoff, aus dem alles andere entstanden sei. Er dachte sich diesen quantitativ unendlich und der Qualität nach wahrscheinlich nicht als Mischung verschiedener Stoffe, sondern als eigenschaftslosen Stoff, aus dem die jetzige Welt durch Ausscheiden der Gegensätze entstanden ist.
Aphaeresis (gr. aphairesis) heißt Abstraktion (so zuerst bei Aristoteles). Vgl. Abstraktion.
Aphasie (gr. aphasia), Sprachlosigkeit, ist nach dem jetzigen Sprachgebrauche eine vorübergehende oder dauernde Erkrankung unseres inneren Sprachorgans. Der Kranke vermag sich nicht auf die Worte zu besinnen, welche er brauchen möchte, oder kann nicht artikulierte Laute hervorzubringen. Die Intelligenz ist dabei unversehrt. Die Aphasie entsteht häufig aus einer Entzündung der inneren Herzwand, wodurch sich ein Faserstoffgerinnsel bildet, welches, durch den Blutstrom in die Gehirnarterie verschleppt, dort einen Bluterguß, resp. die Zertrümmerung des Sprachorgans veranlaßt. – Die Skeptiker verstanden unter Aphasie die Enthaltung von bestimmten Aussagen und Urteilen, welche aus der Einsicht in die Unmöglichkeit entspringt, etwas Bestimmtes zu behaupten. Vgl. Akatalepsie, Aoristie, Epoché. Kußmaul, Die Störungen der Sprache 1885.
Apirie (gr. apeiria) heißt entweder die Unerfahrenheit (von apeiros unerfahren) oder die Unbegrenztheit (von apeiros unbegrenzt). Jene hat zum Gegensatz die Empirie, diese die Bestimmtheit.
apodiktisch (v. gr. apodeiknymi = beweisen) heißt ein Urteil, mit dem sich das Bewußtsein seiner Unumstößlichkeit verbindet. Kant (1724-1804) teilt die Urteile der Modalität nach in problematische (S kann P sein), assertorische (S ist P) und apodiktische (S muß P sein) ein. Das apodiktische Urteil drückt eine logische Notwendigkeit aus (Kr. d. r. V. S. 70-76). So nennt Kant den Satz, daß der Raum drei Dimensionen habe, apodiktisch, weil er eine Vernunftnotwendigkeit und nicht empirisch erschlossen sei, – was freilich unrichtig ist, da die geometrischen Sätze nicht apodiktisch sind, sondern zuletzt der Empirie entspringen. Der Ausdruck »apodiktischer Beweis« ist übrigens ein Pleonasmus; denn Beweis (s. d.) heißt apódeixis. Apodiktik (z. B. v. Bouterwek) könnte die Erkenntnistheorie heißen, insofern sie darauf ausgeht, ein sicheres Wissen zu begründen.
Aporem (gr. aporêma) heißt Schwierigkeit. Bei Aristoteles heißt so ein dialektischer Widerspruchsschluß, der die entgegengesetzten Möglichkeiten in Betracht zieht.
Aporetiker (gr. aporêtikos = zum Zweifel geneigt), Skeptiker, Ephektiker, Zetetiker nannten sich die Schüler des Pyrrhon von Elis nach ihrer Lehre (Diog. Laert. IX, § 69). Man kann alle Philosophen in Dogmatiker und Aporetiker teilen. Jene halten die Welt für begreiflich, diese für rätselhaft (Diog. Laert. Prooem. 16). Vgl. Raoul Richter, Der Skeptizismus in der Philosophie, Leipzig 1904. –
Aporie (gr. aporia) heißt Zweifel, Ungewißheit, Verlegenheit, Schwierigkeit.
a posteriori, a priori (lat.) heißt eigtl. von dem späteren und von dem früheren. Die beiden Begriffe spielen in der Frage, ob unser Wissen die Erfahrung oder das Denken zur Quelle hat, also in dem Streite des Empirismus und Rationalismus eine wichtige Rolle. Schon Aristoteles (384-322) unterschied das von Natur Spätere und Frühere; jenes liefert die Erkenntnis aus den Wirkungen, dieses diejenige aus den Uraachen. Die Scholastiker verstehen daher ebenfalls mit Aristoteles unter a posteriori die Erkenntnis aus den Wirkungen, unter a priori die aus den Ursachen. Im 18. Jhrdt. versteht man vor Kant unter a priori die angeborene rein begriffliche, unter a posteriori die aus der Erfahrung geschöpfte, im Leben erworbene Erkenntnis, (so Leibniz, Hume). Kant (1724-1804) vertiefte den Begriff, er bezeichnete die empirische Erkenntnis, die ihre Quelle in der Erfahrung hat, und nicht allgemein notwendig ist, als a posteriori; a priori aber nannte er die davon unabhängige reine Vernunfterkenntnis, welcher Allgemeinheit und Notwendigkeit zukommen. Er versuchte nachzuweisen, daß nicht nur die gesamte Form unserer Erkenntnis, sondern auch das formale Sittengesetz, nach dem sich unsere Handlungen richten, und das formale Geschmacksprinzip a priori seien, während der Inhalt unseres Wissens, Handelns und Empfindens a posteriori sei. Bei Kant hat also das a priori und a posteriori nichts mehr mit einem zeitlichen Vorausgehen und zeitlichen Folgen, nichts mit dem Gegensatz des Angeborenen und Erworbenen zu tun. Kant verwirft vielmehr den Nativismus (s. d.), die Behauptung, daß es angeborene Begriffe gebe; er vertritt die Idee, daß sich die Begriffe a priori bei Gelegenheit der Erfahrung entwickeln. Alle unsere Erkenntnis fängt nach ihm mit der Erfahrung an. (Vgl. angeboren.) Ähnlich sagt J. G. Fichte (1762-1814), das, was lediglich durch das Wissen und nicht außer ihm durch das Ding gesetzt werde, heiße a priori. Vgl. Eucken, Geistige Strömungen der Gegenwart. Leipzig 1904. S. 84 ff.
Apperzeption (nlat. u. franz. von ad und perceptio = das Innewerden) heißt im allgemeinen das aktive Denken im Gegensatz zu der passiven Perzeption (s. d.), die spontane und bewußte Denktätigkeit im Gegensatz zu der rezeptiven sinnlichen Wahrnehmung. Im speziellen hat der Begriff der Apperzeption vielfach geschwankt. Leibniz (1646-1716) verstand unter Apperzeption die Aufnahme einer Vorstellung in das Selbstbewußtsein, das über einen Zustand der Seele nachdenkende Bewußtsein. Kant (1724-1804) faßt die Apperzeption schlechthin als das Bewußtsein und schied die reine transscendentale oder ursprüngliche Apperzeption, das Selbstbewußtsein, das: »Ich denke«, das alle Vorstellungen des einzelnen begleitet und in allem Wechsel des Bewußtseins ein und dasselbe ist, von der empirischen Apperzeption, dem Bewußtsein des Menschen von seinem jedesmaligen Zustande. (Kr. d. r. V., II. Aufl., S. 132, § 16.) Herbart (1776-1841) faßte die Apperzeption als die Aneignung und Verarbeitung neu aufzunehmender Vorstellungen durch ältere verbundene und ausgeglichene Vorstellungsmassen. Steinthal (1823-1899) und Lazarus (1824-1903) bildeten den Herbartschen Begriff weiter aus. Steinthal z. B. unterschied die identifizierende, subsumierende, harmonisierende und disharmonisierende Apperzeption. Wundt (geb. 1832) versteht unter Apperzeption den Einzelvorgang, durch den ein psychischer Inhalt zu klarer Auffassung kommt, die Erfassung einer Vorstellung durch die Aufmerksamkeit (s. d.). Er unterscheidet, bei Vergleichung des Bewußtseinsaktes mit einem inneren Sehen, Blickfeld und Blickpunkt des Bewußtseins. Die Apperzeption ist nach diesem Bilde der Eintritt einer Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins (Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, S. 235). Am verbreitetsten dürfte gegenwärtig noch immer der Begriff der Apperzeption sein, wie ihn Herbart, Steinthal und Lazarus bestimmt haben. (Vgl. Otto Staude, Phil. Stud. I, S. 149 ff.)
apperzipieren heißt mit Bewußtsein erfassen oder neue Vorstellungen mit Hilfe älterer aufnehmen.
Appetenz (lat. appetentia) heißt Begierde, Trieb.
Apprehension (lat. apprehensio = Erfassung, Verständnis) heißt das Begriffsvermögen; apprehendieren heißt begreifen. Die Apprehension spielt nach Kant, Kr. d. r. V. S. 98 ff., beim Zustandekommen der Vorstellungen eine grundlegende Rolle. Alle Vorstellungen sind der Zeit unterworfen. Sie entstehen durch ein Durchlaufen einer Mannigfaltigkeit und die Zusammenfassung derselben, die Synthesis der Apprehension. Hieran schließt sich die Reproduktion in der Einbildung und die Rekognition im Begriffe.
Apraxie (gr. apraxia) heißt Untätigkeit, Trägheit.
Apsychie (gr. apsychia) heißt Bewußtlosigkeit, Ohnmacht, Scheintod; apsychisch heißt unbeseelt.
Arbeit ist, soweit der Mensch als Ursache in Betracht kommt, die mit Anstrengung verbundene Tätigkeit, die auf einen subjektiv oder objektiv nützlichen Zweck gerichtet ist. Die Arbeit steht im Gegensatz zur Erholung und zum Spiel (s. d.). Die Erholung vermeidet die Anstrengung, und das Spiel ist frei von einem nützlichen Zweck. – Im mechanischen Sinne ist Arbeit das Produkt aus der Kraft in den Weg ihres Angriffspunktes oder nach der Definition Ostwalds: die Bewegung eines Körpers durch eine bestimmte Strecke gegen einen vorhandenen Widerstand. Ostwald empfiehlt, in der Mechanik, statt von dem Kraftbegriff, von dem Arbeitsbegriff auszugehen. Mathematisch gesprochen, erspart man sich dadurch eine Integration. Vgl. Ostwald, Vorles. üb. Naturphil. Leipzig 1905. S. 156, 174.
Arbeitsamkeit ist die Tugend, seine Kräfte gern, zweckmäßig und eifrig im Dienste des Nützlichen anzustrengen.
arbitrium liberum (lat.) heißt Willensfreiheit. Siehe unter Freiheit.
Archetyp (gr. archetypos), heißt Urbild, Muster, Original, Ideal; archetypisch heißt urbildlich, eigenartig.
Archeus od. Archaeus (gr. von archeios = obrigkeitlich, archaios = anfänglich), der Herrscher, ist nach Basilius (15. Jahrh.) das Zentralfeuer als Lebensprinzip der Vegetabilien, nach Paracelsus (1493-1541) und van Helmont († 1644) das Urprinzip des animalischen Lebens in den Einzelwesen, die individuelle Naturkraft. Paracelsus dachte ihn sich als ein übernatürliches Wesen in einem astralischen Leibe, v. Helmont als Lebensgeist (aura vitalis), welcher den Samen der Dinge gestaltet und erhält.
Architektonik (gr. architektonikos = zur Baukunst gehörig) heißt die Systemlehre oder die Kunst, ein wissenschaftliches Lehrgebäude aufzuführen. Kant (1724-1804) nennt daher in der Kr. d. r. V. den dritten Abschnitt der transscendentalen Methodenlehre die Architektonik der reinen Vernunft (S. 833-851) und erklärt: »Ich verstehe unter einer Architektonik die Kunst der Systeme. Weil die systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine Erkenntnis allererst zur Wissenschaft, d. i. aus einem bloßen Aggregat derselben ein System macht, so ist Architektonik die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt und sie gehört also notwendig zur Methodenlehre.«
Architektur (lat. architectura) heißt die Baukunst. Sie ist in dem System der Künste insofern die unterste, als sie am meisten mit dem physischen Stoffe zu ringen hat, aber darum auch andrerseits die oberste Kunst, insofern sie die größten Schwierigkeiten überwindet und dem Künstler am meisten Ehre zu bereiten imstande ist. Aus dem Bedürfnis der Menschen entstanden, die Erde als Wohnplatz zu benutzen, dient sie in ihren Werken Lebensforderungen und Zwecken der Menschheit. Ihre Werke sind daher nicht in jeder Hinsicht freie Kunstwerke. Der Kunstzweck muß sich bei ihnen mit dem Gebrauchszweck verbinden, ja selbst oft diesem unterordnen. Sie ist auch die wirklichste aller Künste, und die ausschließliche Verwendung fester Materialien, die auf den Boden der Erde gesetzt, sicher dastehn sollen, bindet sie an die Gesetze der Mathematik und Physik, so daß die Grundformen ihrer Gestalten im allgemeinen regelmäßige, geometrische sein müssen. Sie gibt dem Raume feste Grenzen und macht ihn dadurch nutzbar, sichtbar und ästhetisch wirksam. So schafft sie Räume, aber nicht die Gestalten, die sich in dem Raume bewegen. Ihre wesentlichen Teile bedingen die konstruktive auf der rechten Proportion der Teile beruhende Schönheit eines Bauwerkes und sind sämtlich Glieder von Raumgrenzen (Fundament, Wände, Träger, Pfeiler, Säulen, Decken, Gebälk, Gewölbe usw.). Zur Zierde der konstruktiven Glieder verwendet sie entweder einen den geometrischen Formen angepaßten zum Teil aus der Technik erwachsenden oder einen freieren plastischen und malerischen Schmuck (dekorative Schönheit). In diesen Ornamenten, und auch in der Ausgestaltung ihrer Konstruktionsformen, kann sie zur nachahmenden Kunst werden. Die Darstellung von Ideen bereitet der Baukunst mehr Schwierigkeit als anderen Künsten. Sie kann direkt nur Räumliches, nicht Zeitliches und Bewegung und Ideenhaftes darstellen. Aber sie kann sich in ihren geometrischen Verhältnissen und ihren konstruktiven wie dekorativen Formen in die Zwecke, die sie darstellt, und in den Zeitgeist, den sie verkörpern will, hineindenken und hineinleben und so Werke schaffen, die für alle ähnlichen Zwecke maßgebend werden und ein Zeitalter klarer als alle anderen gleichzeitigen Kunstwerke charakterisieren. Der Tempel der Griechen, der gotische Dom, der Palast des Renaissancezeitalters führen uns am sichersten in den Geist bestimmter Völker und Zeitalter ein. Die Architektur entwickelt und verändert sich also mit der Zeit und mit der Lebensweise der Menschheit und ist keineswegs eine stumme Kunst, sondern zeugt vom Geist der Zeiten und von den Ideen der Künstler.
Archologie (aus d. Gr. geb.) heißt Anfangs-, Grundlehre oder Fundamentalphilosophie.
Aretalog (gr. aretalogos) heißt Tugendschwätzer. Die Aretalogen waren philosophische Spaßmacher, die gewerbsmäßig bei Gastmählern vornehmer Römer von ihren Tugenden Beschreibungen machten, denen ihr Leben widersprach. Sie bildeten bei Augustus' Tafel z. B. eine Art Hofnarren. (Suet. Aug. 74. Ad communionem sermonis – interponebat – frequentius aretalogos.)
Aretalogie (v. gr. aretê Tugend und logos Lehre) heißt Tugendlehre; sie bildet einen Teil der Ethik (s. d.).
Arglist ist die Handlungsweise eines Menschen, der mit böser Gesinnung und nicht mangelnder Geschicklichkeit üble Zwecke mit schlauen Mitteln zu erreichen sucht.
Argologie (gr. argologia) heißt müßiges Geschwätz.
Argument (lat. argumentum) heißt Beweis oder auch Beweisgrund, d. i. dasjenige am Beweise, worauf die Sicherheit des Beweises beruht. Argumentum ad hominem heißt ein gemeinfaßlicher Beweis, der dem Verständnis des Hörers angepaßt ist, dagegen ad veritatem ein Beweis aus objektiven, allgemein anerkannten Gründen; argumentum e consensu gentium heißt der Beweis aus dem, was von allen Völkern zu allen Zeiten angenommen wird; argumentum a tuto heißt der Sicherheitsbeweis, in dem man sich für etwas entscheidet, das nicht bewiesen ist, nach der Maxime: Wenn die Annahme auch nichts hilft, so schadet sie auch nichts. So beweisen manche z. B. das Dasein Gottes a tuto dadurch, daß sie davon ausgehen, es sei immer sicherer, an Gott zu glauben, als ihn zu verwerfen. – Das argumentum a priori entnimmt seine Beweisgründe den Vernunftgesetzen, das argumentum a posteriori der Erfahrung. – Argumentum achilleum heißt ein Trugschluß, argumentum e contrario ein aus Erwägung des Gegenteils sich ergebender Schluß. – Argumentieren heißt beweisen, schließen; Argumentation heißt Beweisführung, Schlußfolgerung; argumentös heißt reich an Stoff oder Beweisgründen. Vgl. Beweis.
Argutien (lat. argutiae) nennt man die Spitzfindigkeit der Rede; argutiös heißt spitzfindig, argutieren heißt spitzfindig reden, schwatzen.
Aristotelismus. Unter Aristotelismus versteht man 1. die Philosophie des Aristoteles (384-322). Sie ist neben Platons (427-347) System das erste und einzige große Lehrgebäude der griechischen Philosophie und umfaßt die Logik, die Metaphysik, die Naturphilosophie und Psychologie, die Ethik und Politik und die Ästhetik. Die Logik, die in einer Reihe von Schriften des Aristoteles behandelt wird, welche man unter dem Namen Organon zusammenfaßt ( katêgoriai, peri hermêneias, analytika protera, analytika hystera, topika, peri sophistikôn elenchôn), behandelt die Lehre von den Kategorien, den durch die Existenzformen bedingten Grundbegriffen des Denkens (Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Lage, Haben, Tun und Leiden, ousia oder ti esti, poson, poion, pros ti, pou, pote, keisthai, echeien, poiein und paschein), die Lehre von den Urteilen und die Lehre von den Schlüssen. Die Aristotelische Logik ist die Grundlage der Logik bis nahezu zur Gegenwart geblieben. – Die Metaphysik des Aristoteles, die er selber erste Philosophie (prôtê philosophia) nennt, setzt sich mit Platon über das Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen, der Idee zum Individuum auseinander. Nach Platon kommt der Idee höhere Existenz zu als dem Individuum, und das Allgemeine existiert als das wahrhaft Wirkliche, gesondert vom Einzelnen. Nach Aristoteles verdient das Allgemeine wohl einen höheren Wert als das Einzelne, hat aber keine gesonderte Existenz, existiert also nicht neben dem Vielen, sondern in dem Vielen. Die Metaphysik der Aristoten bestimmt sodann die Prinzipien des Seins. Die Grundformen des Daseins sind: Form oder Wesen (morphê, eidos, hê kata ton logon onsia, to ti ên einai), Stoff (hylê, to hypokeimenon), Ursache (hothen hê archê tês kinêseôs) und Zweck (to on heneka) (vgl. Met. I, 3, 983 a 26 ff.); reduziert werden aber diese vier metaphysischen Prinzipien auf zwei: Form und Stoff. Der Stoff ist nicht, wie Platon annahm, ein Nichtseiendes, sondern die Möglichkeit oder Anlage (dynamis), die Form ist die Vollendung der Anlage (entelecheia). Die Form fällt wenigstens bei organischen Wesen mit Zweck und bewegender Ursache zusammen. Die Bewegung ist der Übergang vom Möglichen zum Wirklichen. Das Bewegende und selbst Unbewegte ist die stofflose ewige Form, Gott, der göttliche Verstand (nous). – Die Naturphilosophie des Aristoteles handelt von der stofflichen in Bewegung oder Veränderung begriffenen Welt. Die Bewegung oder Veränderung besteht im Entstehn und Vergehn, in Zunahme und Abnahme, in qualitativer Wandlung und in der Ortsveränderung. Die Welt ist von endlicher Ausdehnung, aber ihrer Existenz nach ewig. Sie besteht aus dem Fixsternhimmel, der unmittelbar von der Gottheit bewegt wird, den Planetenhimmeln und der Erde, die im Mittelpunkt der Welt unbewegt ruht. Stofflich besteht die Welt aus dem Äther, dem Feuer, der Luft, dem Wasser und der Erde. Die Naturwesen bilden eine nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit gegliederte Stufenreihe von den Pflanzen zu den Tieren und zum Menschen. – In der Psychologie bestimmt Aristoteles die Seele als die erste Entelechie des physischen Leibes, welcher Leben der Anlage nach besitzt, womit er sie als Vollendung oder Erfüllung im Gegensatz zur Anlage, aber auch als nicht immer tätig, wie der göttliche Verstand es ist, sondern als nur immer im Körper vorhanden bezeichnen will. Die Seele ist die Form, die Bewegungsursache und der Zweck des Leibes. Bei der Pflanze ist die Seele nur das Ernährungsvermögen (to threptikon), beim Tiere besitzt sie außerdem das Wahrnehmungsvermögen, das Begehrungsvermögen und das Bewegungsvermögen (to aisthêtikon, to orektikon, to kinêtikon kata topon). Die menschliche Seele besitzt dazu den Verstand (nous) und bildet einen Mikrokosmos (eine Welt im kleinen). Der Verstand ist göttlichen Ursprungs und unsterblich. – In der Ethik bezeichnet Aristoteles die Glückseligkeit (eudaimonia) als das Ziel des menschlichen Strebens. Sie wird erreicht durch die vernünftige und tugendhafte Tätigkeit der Seele. Die Tugend ist die aus natürlicher Anlage durch Handeln herausgebildete Fertigkeit, das Vernünftige zu wollen. Die Tugenden sind entweder ethische oder dianoëtische. Die ethischen Tugenden wie Tapferkeit, Mäßigkeit, Freigebigkeit, Hochherzigkeit, Milde, Wahrheit, Gewandtheit im geselligen Verkehr, Freundlichkeit und Gerechtigkeit bestehen in der Besiegung der Begierden durch die Vernunft und sind stets ein Mittleres zwischen zwei Extremen. Die dianoëtischen Tugenden wie Vernunft, Wissenschaft, Kunst und praktische Einsicht sind die Ausbildungen der intellektuellen Anlagen des Menschen. – In der Politik bestimmt Aristoteles die Aufgabe des Staates. Der Mensch ist von Natur ein politisches Wesen (politikon zôon). Der Staat ist entstanden um des Lebens willen, hat aber seinen Zweck in dem sittlichen Leben, und seine Hauptpflicht ist die Bildung der Tugend und der Bürger. – In der Ästhetik steht Aristoteles auf formalistischem Standpunkt (vgl. Ästhetik). Das Schöne liegt in der Form. Die Kunst, welche Nachahmung ist, dient nach ihm der Unterhaltung, der zeitweiligen Befreiung von Affekten und der sittlichen Bildung. (Vgl. Ueberweg, Grundriß d. Gesch. d. Phil. I, §§ 45-50, Zeller, Gesch. d. griech. Philos. Bd. III.) Die Philosophie des Aristoteles ist demnach charakterisiert als logisch-begriffliche Verarbeitung des gesamten Wissensmaterials und Aufsuchung der obersten Prinzipien des Wissens. Ihr ganzes Streben ging darauf hin, die Sokratisch-Platonische Begriffsphilosophie zu einer die Erscheinungen, die Welt in ihrer ewigen Ordnung erklärenden spekulativen Theorie umzubilden. Sie hat hierdurch, wie durch die Unterordnung der praktischen Vernunft unter die theoretische und durch ihren dianoëtischen Tugendbegriff einen intellektualistischen Charakter angenommen. Dazu zeichnet sie sich aus durch ihre Universalität und durch die Fülle des empirischen Materials, die sie beherrscht und ordnet. In der Metaphysik ist Aristoteles realistischer und nüchterner als Platon, der die Ideen hypostasiert und die Ideenlehre poetisch ausschmückt, aber durch die Wertstellung, die dem Allgemeinen und den Ideen auch bei Aristoteles zuteil wird, und durch seinen Gottesbegriff, der auf Anaxagoras zurückgeht, rückt sein System doch mehr in die Systeme des Idealismus als die des Realismus ein, und durch die Anordnung der Welt nach dem Zweck-System wird sein System teleologischer Idealismus. In der Ethik ist Aristoteles Eudämonist, in der Ästhetik Formalist. Auf allen Gebieten der Philosophie hat er anregende Untersuchungen geführt, und für lange Zeiten ist er Ausgangspunkt der Philosophie geblieben. Aber die empirischen Fundamente seiner Philosophie sind unzureichend gewesen, und zur völligen Klärung der obersten Prinzipien hat es seine Philosophie nicht gebracht. Der Aristotelismus, als Philosophie des Aristoteles und als dominierende Weltphilosophie, ist erst durch den Kantianismus (s. d.) völlig überwunden worden.
Aristotelismus heißt 2. die Philosophie der Schüler des Aristoteles, d. h. die peripatetische Philosophie (s. Peripatetiker), die wesentlich an den Lehren des Meisters festhält.
Aristotelismus heißt 3. die arabische Philosophie seit dem 8. Jahrh. n. Chr., deren Hauptvertreter Avicenna (980 bis 1037) und Averröes (1126-1198) waren (vgl. Averroismus). Der arabischen Philosophie schloß sich die jüdische Philosophie des Mittelalters, vertreten durch Gabirol (geb. um 1020, † 1069 od. 70) und Maimonides (1135-1204), an.
Aristotelismus heißt 4. die christlich-scholastische Philosophie seit dem 12. Jahrh., die an die arabischen Bearbeitungen des Aristoteles anknüpft. Den Aristotelismus verband am innigsten mit der Kirchenlehre Thomas von Aquino (1225 bis 1274), dessen System das maßgebende für die katholische Kirche ward. (Vgl. Katholizismus und Philosophie und Neu-thomismus.)
Aristotelismus heißt 5. diejenige Strömung der Renaissancephilosophie, die die reine Lehre des Aristoteles im 15. und 16. Jahrhundert zurückzugewinnen versuchten. Sie spalteten sich in Alexandristen (s. d.), zu denen vor allen Petrus Pomponatius (1462-1530) und Averroisten, zu denen Achillinus (1463-1518) und Niphus (1473-1546) gehörten. Aristoteliker in dieser Form war auch Melanchthon.
Aristotelismus heißt 6. die Philosophie Adolf Trendelenburgs (1802-1872), der aber selbständig eine konstruktive, durch den Zweck geleitete Bewegung in das System des Aristoteles einfügte.
Arrhepsie (gr. arrhepsia), Gleichgewicht der Seele, Gemütsruhe, heißt der Gemütszustand, der durch die Zurückhaltung im Urteil von den Skeptikern angestrebt wurde (Diog. Laert. IX, § 74: Dia tês oun Ouden horizomen phônês to tês arrhepsias pothos dêloutai. Siehe Aoristie, Aphasie, Epoché, Ataraxie).
Art (lat. species, gr. eidos) heißt in der organischen Natur die Einheit verwandter Einzelwesen, welche ihre Eigenschaften aufeinander vererben. Sie ist den Individuen übergeordnet und von diesen nur durch die Zusammenfassung in Abart oder Rasse, Unterart und Spielart oder Varietät getrennt; dagegen ist sie der Gattung untergeordnet. So bezeichnet die Art Leo (Löwe) eine Tierart, die eine Reihe von Spielarten (Löwe vom Senegal, Berberlöwe, Löwe vom Kap der guten Hoffnung und Abessynien, persischer Löwe, Löwe von Gudscherat) in sich einschließt, während die Gattung Felis (Katze) ist. Die Art ist also von den Kategorien der Systeme des Tier- und Pflanzenreichs die wichtigste, weil sie die elementare systematische Einheit ist, die in der Regel nicht weiter auflösbar ist. Zur Bestimmung der Art werden die Merkmale verwendet, die noch bei einer großen Anzahl von Individuen konstant sind. Von den Arten der organischen Natur behaupteten John Ray († 1704), K. Linné († 1778) und G. Cuvier († 1832), sie seien die von Gott erschaffenen, voneinander abgeschlossenen und unveränderlichen Vereinigungen derjenigen Organismen, welche von denselben Eltern abstammen und einander ähnlich sind. Darwin (1809-1882) aber bestritt die Abgeschlossenheit und Unveränderlichkeit (Konstanz) der Arten und stellte die Theorie ihrer allmählichen Entstehung aus Varietäten auf: Die Arten sind konstant gewordene Varietäten. (On the origin of species by means of natural selection 1859.) Neuerdings streitet mit dem Darwinismus die Mutationstheorie. (Vgl. Darwinismus; Mutation.) Vgl. Fr. v. Wagner, Tierkunde, Leipzig 1897. – In der Logik heißt dagegen allgemein ein Begriff, der in einem höheren enthalten ist (z. B. Vogel in Tier), die Art, während der höhere Begriff die Gattung genannt wird. Das Verhältnis ist hier nur relativ. Der Artbegriff ist selbst wiederum für niedere Artbegriffe die Gattung; z. B. ist Vogel die Gattung, während Raub- und Wasservogel die Arten sind. Die Logik kennt hier keine Grenzen, da sich durch Hinzutun irgend eines Merkmals immer neue Arten bilden lassen, während in Wirklichkeit die Grenze da ist, wo Art und Individuum zusammenfallen. Logische Definitionen (s. d.) eines Begriffes bestehen in der Angabe des Gattungsbegriffes (genus proximum) und des Artunterschiedes (differentia specifica).
Artefakt (vom. lat. ars = Kunst, facio = machen) heißt Kunstprodukt, Kunsterzeugnis, Kunstwerk. Gegensatz dazu ist Naturprodukt.
Asëität (aseitas, mittelalt. lat.), Allgenügsamkeit, bezeichnet bei den Scholastikern die vollständige Unabhängigkeit Gottes von allen Dingen außer ihm selbst.
Asketik (v. gr. askêtikos = arbeitsam) heißt eigentlich die Arbeitsübung, dann in abgeleiteter Bedeutung die Tugendübung. Man nennt so den Teil der Ethik, welcher von den Mitteln, tugendhaft zu werden, von der Bezähmung und Läuterung der Triebe und Begierden handelt. Im besonderen versteht man unter Asketik (oder Askese) die Lebensweise der Mönchsorden im Mittelalter, die sich bestrebten, die sinnliche Natur durch Weltflucht, Entsagung, Zucht und Kasteiung und beschauliches Leben nach Möglichkeit abzutöten, was ihnen nur unvollkommen gelingen konnte.
asomatisch (vom gr. asômatos = unkörperlich) heißt körperlos, unkörperlich; Asómaton heißt ein körperloses Wesen, ein Geist, z. B. Gott. Für die Stoiker und Epikureer galt der obere Raum als asomatisch (Diog. Laert. VII, § 140 sagt von den Stoikern: 'Exôthen autou [= tou kosmou] einai to kenon apeiron. hoper asômaton einai ktl., X § 67, von Epikur: kath' heautou ouk esti noêsai to asômaton plên epi tou kenou). Asomatosis, Körperlosigkeit.
Asophie (gr. asophia) heißt Mangel an Weisheit, Torheit.
Asot (gr. asôtos) heißt Schwelger, Lüstling; Asotie heißt Schwelgerei.
assertorisch (v. lat. assertorius = das Urteil betreffend) heißt ein Urteil seiner Modalität (s. d.) nach, welches ohne jeden Zusatz etwas als wahr oder wirklich behauptet oder leugnet, während das problematische Urteil etwas als möglich, das apodiktische Urteil etwas als notwendig hinstellt. Das bejahende assertorische Urteil hat die Form: A ist B, das problematische: A kann B sein, das apodiktische: A muß B sein. Ein Beispiel für das assertorische Urteil ist: Ellipsen sind Kegelschnitte. Kant definiert: Assertorische Urteile sind solche, da das Bejahen und Verneinen als wirklich betrachtet wird (Kr. d. v. V. S. 74).
Assimilation (lat. von ad und similis), eigentl. Verähnlichung, heißt die Aufnahme fremder Stoffe in einen Organismus und ihre Umwandlung in seine Substanz. Die Assimilation findet nicht nur auf körperlichem, sondern auch auf geistigem Gebiete statt. Vgl. Assoziation.
Assoziation (aus dem Lat. von associare = beigesellen) heißt eigentl. Vergesellschaftung, gesellige Verbindung. – Ideenassoziation heißt diejenige natürliche Verbindung unserer Vorstellungen, welche ohne unseren Willen entsteht und die Wirkung hat, daß die Vorstellungen einander unwillkürlich hervorrufen. Schon Platon(427-347) und Aristoteles (384-322) kennen sie, aber erst die neuere Psychologie hat sie gründlicher untersucht. Am allgemeinsten aufgefaßt, ist die Ideen-Assoziation im Wesen nicht unterschieden von dem, was man Phantasie nennt, sofern darunter das nicht durch Wille und Vernunft gelenkte Spiel unserer Vorstellungen gemeint ist. Das Phantasieren des Kindes, des Dichters und Musikers, der Witz und das Wortspiel des geistreichen Menschen, die Bilder und Gleichnisse des Redners, das Gedächtnis und die Erfindungskraft des Gelehrten – alles hängt von der Ideenassoziation ab. Trotz ihrer scheinbaren Regellosigkeit lassen sich für die in dieser Weise bestimmte Assoziation Gesetze aufstellen, nämlich 1. das Gesetz der Zeitfolge und Gleichzeitigkeit (lex successionis et simultaneitatis): Vorstellungen, welche wir hintereinander oder zugleich empfangen, assoziieren sich und rufen einander hervor: So erinnern Orte an Ereignisse, welche dort vorgefallen sind, und gleichzeitige Ereignisse aneinander; Wenn jemand zwei Personen zugleich kennen gelernt hat, fällt ihm, sobald er die eine sieht, die andere ein; 2. das Gesetz der Ähnlichkeit und des Kontrastes (lex similitudinis et oppositionis): Einander ähnliche Vorstellungen von Personen, Sachen, Gegenden, Ereignissen rufen sich gegenseitig hervor; aber auch Gegensätze, z. B. die Vorstellung von Himmel und Hölle, Engeln und Teufeln, Tugenden und Lastern u. dgl. tun dasselbe; hierzu kommen auch noch die Korrelata, wie Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel, Ganzes und Teile, Subjekt und Objekt u. s. f. Eine fruchtbare Ideenassoziation ist die Voraussetzung alles künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffens. – Strenger philosophisch gefaßt hat den Assoziationsbegriff die empiristische Philosophie des 18. Jahrhunderts und ihre Nachfolger. Für sie ist nach dem Vorgange von Hartley (1704 bis 1757) und David Hume (1711-1776) Assoziation die Verbindung der Vorstellungen, die sich bei passivem Bewußtseinsstande bildet, und ihre Reproduktion. (Vgl. Hume, Inquiry concerning Human Understanding, Section III und Assoziationspsychologic.) Der so gefaßte Assoziationsbegriff war aber insofern nicht haltbar, als die von dem Empirismus bei der Assoziation als Einheiten zugrunde gelegten Vorstellungen keine Einheiten sind, sondern selbst aus Verbindungen hervorgehen, und auch insofern, als eine Reproduktion im strengen Sinne, eine unveränderte Wiederhervorbringung früherer Vorstellungen nicht stattfindet. Auch berücksichtigt der empiristische Assoziationsbegriff nicht die Verbindung der Vorstellungen mit Gefühlen und Bestrebungen. – Neuere, wie Wundt (geb. 1832), haben deswegen den Assoziationsbegriff einer Berichtigung unterzogen, indem sie darunter die passive Verbindung der Elemente unseres Bewußtseinsinhaltes verstehen. Wundt scheidet sie in Verschmelzungen, Assimilationen, Komplikationen und sukzessive Assoziationen. Die Verschmelzungen sind die festen Assoziationen psychischer Elemente, durch die alle in unserm Bewußtsein vorhandenen psychischen Gebilde erst entstehen. Durch die Assimilationen bilden sich Veränderungen gegebener psychischer Gebilde unter Einfluß der Elemente anderer Gebilde. Durch die Komplikationen verbinden sich ungleichartige psychische Gebilde, und durch die sukzessiven Assoziationen entstehen im Anschluß an die simultanen Verschmelzungen Assimilationen und Komplikationen Verbindungen zeitlich aufeinanderfolgender psychischer Gebilde. (Vgl. Wundt, Grundriß der Psychologie, Leipzig 1905, § 16, S. 271-307.)
Assoziationspsychologie ist eine Richtung der neueren Philosophie, die besonders in England entstanden ist, auf Hartley (1704-1757) und Hume (1711-1776) basiert und Männer wie James Mill (1775-1836), Stuart Mill (1806-1873), Herbert Spencer (1820-1904), Alexander Bain (1818-1903) und George Lewes (geb. 1867) zu ihren Vertretern gehabt und auch in Frankreich und Deutschland namhafte Anhänger gefunden hat. Die Schule der Assoziationspsychologen schließt die Metaphysik von der Psychologie aus und hält sich an das Studium der Erscheinungen des Seelenlebens. Sie bearbeitet dieselben beobachtend, experimentierend und vergleichend und beschränkt sich nicht auf das Leben des Erwachsenen oder des Menschen, sondern zieht jede menschliche Altersstufe und auch die niederen Organismen in die Untersuchung hinein. Es scheidet sie keine feste Grundlinie von der Physiologie. Sie findet in dem Bewußtsein eine ununterbrochene Reihe von Sinneswahrnehmungen, Vorstellungen, Willensregungen, Empfindungen etc. Die Grundlage alles Seelenlebens sind verschiedene und ähnliche Wahrnehmungen des muskularen, organischen, Geschmacks-, Geruchs-, Tast-, Gehörs- und Gesichtssinnes. Das Grundgesetz aller Seelenphänomene ist aber das Assoziationsgesetz, das in der Psychologie etwa dieselbe Bedeutung hat wie in der Physik das Attraktionsgesetz. Durch Assoziation verbinden sich entweder gleichartige Seelenvorgänge, z. B. sinnliche Wahrnehmung mit sinnlicher Wahrnehmung, Vorstellung mit Vorstellung, oder ungleichartige, z. B. Wahrnehmung und Willensregung, Empfindung mit Vorstellung etc. Die Assoziation erfolgt 1. zwischen dem Ähnlichen, 2. zwischen dem, was sich (zeitlich und räumlich) berührt. Durch Assoziation entstehen 1. die Aufeinanderfolge, 2. die Gleichzeitigkeit. Die Aufeinanderfolge ist das ganze Leben des Bewußtseins. Die Gleichzeitigkeit erwächst aus ihr da, wo die Reihenfolge der Glieder umkehrbar ist. Die Kausalität ist nichts weiter als die konstante und gleichförmige Aufeinanderfolge. Das, was unveränderlich vorausgeht, heißt Ursache, was unveränderlich folgt, Wirkung. Die Gesamtheit aller Beziehungen der Aufeinanderfolge ist die Zeit, die Gesamtheit aller Beziehungen der Gleichzeitigkeit ist der Raum. Ihre Unendlichkeit ist nur der subjektive Zwang, über jede gegebene Grenze hinausgehn zu können. – Die Assoziationspsychologie, deren stärkere Seite bisher die Bearbeitung der Erkenntnis, deren schwächere Seite die Bearbeitung des Willens- und Gefühlslebens gewesen ist, läuft auf einen erkenntnistheoretischen Standpunkt hinaus, der als physiologisch umgestalteter Kantianismus bezeichnet werden kann. Sie sieht in der Seele weder ein leeres Blatt, wie die Sensualisten es sehen, noch folgt sie den Rationalisten in der Lehre von den angeborenen Ideen und Fertigkeiten, noch sucht sie mit Kant auf dem Wege der Abstraktion ein Apriori zu finden; aber sie schreibt der Seele eine Spontaneität zu, deren Einzelheiten zum Teil durch Vererbung entstanden sind. Die Assoziationspsychologie ist ein großer Fortschritt der Psychologie bezüglich der Methode gewesen, aber sie ist überholt durch Berichtigung ihres Grundbegriffes, durch Gründung der Psychologie auf Physiologie durch Anwendung der Psychophysik und durch Ausbildung des Apperzeptionsbegriffs, und sie hat die Schwäche aller positivistischen Richtungen in der Philosophie. Sie verkennt, daß in den metaphysischen Untersuchungen doch erst der Abschluß aller philosophischen Probleme zu suchen ist. Ein gut über die Assoziationspsychologie orientierendes Buch ist das von Th. Ribot, La psychologie anglaise contemporaine. Paris 1875. Vgl. Herbert Spencer, Principles of Psychology 1855. 5. Aufl. 1890.
Astasie (gr. astasia) heißt Unstetheit, Unruhe; astatisch heißt unstet, unruhig. (Vgl. auch Abasie-Astasie.)
Asthenie (gr. astheneia) heißt Kraftlosigkeit, körperliche oder geistige Schwäche; asthenisch heißt kraftlos, schwach. Asthenisch nennt man eine Klasse von Affekten (s. d. ). Vgl. sthenisch.
Astralgeister heißen nach dem Glauben des Orients im Altertume Geister der Gestirne, nach dem Glauben des Mittelalters bald gefallene Engel, bald die Seelen Abgeschiedener, bald aus Feuer entstandene Geister.
Astralleib ist nach Paracelsus (1493-1541) ein unsichtbarer und ungreifbarer Leib, der als tätige Kraft und Lebensgeist im irdischen Leibe waltet. Der moderne Occultismus, d. h. das Studium der geheimnisvollen Vorgänge des Seelenlebens (Hypnose, Somnambulismus etc.), die durch die uns bekannten Naturkräfte nicht genügend erklärt werden, hält an der Annahme der Existenz eines Astralleibes oder Metaorganismus im einzelnen Individuum fest.
Astrologie (gr. astrologia), ursprünglich von gleicher Bedeutung wie Astronomie, heißt später die angebliche Wissenschaft oder Kunst, aus den Sternen das Geschick der Menschen zu deuten. Dieser uralte, noch heute nicht vollständig überwundene Aberglaube blühte vom 14. – 16. Jahrh., empfing aber durch das kopernikanische System den Todesstoß, durch welches die Erde zum Planeten unter Planeten herabsank. Vgl. Mensinger, Über ältere und neuere Astrologie. Berlin 1872. Häbler, Astrologie im Altertum 1879.
Ataraxie (gr. ataraxia) heißt Seelenruhe. Die alten Skeptiker suchten sie durch die Zurückhaltung im Urteil zu erreichen (siehe auch unter Arrhepsie) und stellten sie als das ethische Ziel ihrer Philosophie auf. Vgl. Skepsis.
Atavismus (lat. v. atavus Vorfahr) heißt Rückschlag. Hiermit bezeichnet man das Gesetz der Erblichkeit, nach dem gewisse körperliche und geistige Anlagen entfernter Ahnen in den späteren Nachkommen wieder hervortreten. Es gibt zwei Arten der Vererbung, die erhaltende (konservative), die darin besteht, daß ein Organismus die selbst ererbten Eigenschaften auf seine Nachkommen forterbt, und die fortschreitende (progressive), die dann stattfindet, wenn ein Organismus die selbst erworbenen Eigenschaften vererbt. Durch die erhaltende Vererbung können nun die Eigenschaften entweder schon auf die erste Generation der Nachkommen übergehen (ununterbrochene Vererbung) oder (gesetzmäßig oder gelegentlich) erst in einer späteren Generation oder bei einem einzelnen Individuum einer späteren Generation hervortreten. In diesem Falle redet man von einem Rückschlag oder Atavismus.
Ataxie (gr. ataxia), Ordnungslosigkeit, ist nach Wundts Erklärung (Grundz. d. physiol. Psychol. I, S. 97) die mangelnde Ordnung der Körperbewegungen bei erhaltener Kontraktionsenergie der motorischen Bahnen. Sie ist eine gewöhnliche Folge anästhetischer (empfindungsloser) Zustände der Bewegungsorgane des Menschen.
Atelie (gr. ateleia) heißt Zwecklosigkeit, Unzweckmäßigkeit.
Athambie (gr. athambia) heißt Unerschrockenheit, von Furcht freie Seelenruhe. Demokritos († 360 v. Chr.) betrachtete sie als das höchste Glück (Cic. de fin. V, 39, 87. Stobaios Ecl. II, 76).
Athanasie (gr. athanasia) heißt Unsterblichkeit. Athanatismus heißt Verewigung, Vergötterung und Glaube an die Unsterblichkeit. Athanatologie heißt Unsterblichkeitslehre.
Athaumasie (gr. athaumasia, athaumastia), Verwunderungslosigkeit (ouden thaumazein) allem gegenüber, was überrascht und auffällig erscheint, wie z. B. die Ebbe und Flut, die feuerspeienden Berge, sah Zenon, der Stoiker (ca. 350-258), als Kennzeichen des Weisen an. (Diog. Laert. 7, § 12f.) Horaz nimmt diese Gedanken auf Epist. I, 6, 1: Nil admirari prope res est una, Numici, solaque, quae possit facere et servare beatum. – Platon (427-347) dagegen sah in der Verwunderung den Anfang der Weisheit.
Atheismus (franz. athéisme v. gr. atheos = gottlos), Gottlosigkeit, bezeichnete bei den Alten die Verachtung der vom Staat anerkannten Götter, so daß Anaxagoras, Sokrates, Aristoteles u. a., ja später auch die Christen des Atheismus beschuldigt wurden. Allgemeiner versteht man unter Atheismus die Leugnung des Daseins Gottes, und es gibt einen theoretischen und praktischen Atheismus. Jener leugnet Gottes Dasein aus Prinzip, dieser aus Gleichgültigkeit. Die Wissenschaft hat es nur mit jenem zu tun, der die einseitige Anerkennung der greif- und sichtbaren Realität ist. Der Atheismus erwächst in der neueren Philosophie aus dem Pantheismus, wenn er Gott ganz im All aufgehn läßt (Ed. v. Hartmann), aus dem Sensualismus (Hume, Condillac, Bonnet), der als einzige Erkenntnisquelle die Sinnestätigkeit ansieht und in jedem psychischen Vorgang nichts als eine umgebildete Sinnesempfindung sucht, aus dem Skeptizismus (Hume), der jeden Glauben negiert, aus dem Positivismus (Comte), der alles metaphysische Wissen ablehnt, aus dem Naturalismus, der nur bei den Zeugnissen der Sinne und der äußeren Erfahrung stehn bleibt und außer der Kausalität und Natur nichts anerkennt, aus dem Materialismus (Mechanismus und Dynamismus), der dem Körper die Existenz zuspricht und dem Allgemeinen, der Idee, dem Geiste die Existenz abspricht (Franz. Philos. des 18. Jahrh.), und aus der materialistischen Ethik (Hedonismus, Eudämonismus, Utilitarismus), die das Streben der Menschheit nur durch ihre natürlichen Bedürfnisse, Triebe und Anlagen bestimmt sein läßt. Aber alle diese methodischen, erkenntnistheoretischen, metaphysischen und ethischen Richtungen der neueren Philosophie erfassen die Welt und das Dasein nur unvollständig. Die Welt der Sinneserfahrung ist nicht mehr als die halbe wirkliche Welt, und die eigenen Methoden und Schlußfolgerungen der Erfahrungswissenschaften drängen über das Sinnenbild der Natur hinaus. Die materielle Welt, für sich genommen, ist nichts anderes als die beharrliche Möglichkeit der menschlichen Empfindung, und die Zergliederung der Außenwelt führt überall zu unlösbaren Schwierigkeiten, die uns die Grenzen äußerer Erfahrung zum Bewußtsein bringen. Das Weltbild ist, solange wir bei den bloßen Naturobjekten und Naturvorgängen stehn bleiben, stets lückenhaft und unbefriedigend und fordert zu Ergänzung aus anderer Quelle heraus, ohne die unser metaphysischer Trieb nicht zur Ruhe kommt. Es gilt hier das Wort Bacons: Leves gustus in philosophia movere fortasse ad atheismum, sed pleniores haustus ad religionem reducere, das Reinhold Hoppe (Die Elementarfragen der Philosophie S. 83) so wendet: »Die Gottesleugnung beruht auf der Verschweigung von Tatsachen. Die Erfahrung der Existenz Gottes wächst mit jeder neuen Erkenntnis«. – Von den neueren Systemen sind entschieden atheistisch das Schopenhauers, E. v. Hartmanns und Fr. Nietzsches. Hier ist der treibende Gedanke der Pessimismus gewesen, der der Welt die Vollkommenheit abspricht und ihren Untergang fordert. Sie beruhen auf falschen Ansprüchen des Individuums und auf falscher Bilanz der Freuden und Leiden des Daseins, und auch ihnen gegenüber gilt der Satz: Der Gottesbegriff ist der Schlußstein der ganzen Philosophie, und Atheismus ist nur ein Resultat kurzsichtiger Einseitigkeit. Mit dem Atheismus hängen zusammen die Versuche, einen religiösen Kultus »ohne Gott« herzustellen, wie sie die Epikureer, Holbach, die französ. Revolution (Être Supreme), Dav. Strauß, Aug. Comte u. a. gemacht haben. Vgl. Hume, Dial. concern. Natural Religion. 1779. Schleiermacher, Reden üb. d. Relig. 1799. Ulrici, Gott u. d. Natur. 1875. F. A. Lange, Gesch. d. Materialismus 4. Aufl. 1881. A. J. Balfour, Die Grundlagen des Glaubens, deutsche Übersetzung von R. König. 1896. Reinhold Hoppe, Die Elementarfragen d. Philosophie. 1897.
Atheoresie (gr. atheôrêsia) heißt Unkenntnis, Unkunde.
Athesie (gr. athesia) heißt Unbeständigkeit, Bundbrüchigkeit.
Athesmie (gr. athesmia) heißt Gesetzlosigkeit, Zügellosigkeit.
Atom (gr. hê atomos = der unteilbare Stoffteil), das Unteilbare, heißt ursprünglich der kleinste Teil der Materie, welcher als das eigentlich Reale der Welt angesehen wurde. Leukippos und Demokritos (im 5. Jahrh. v. Chr.), die Begründer der atomistischen Lehre, definierten die Atome als kleinste, starre, unteilbare und undurchdringliche Körperchen (corpuscula), welche, ungeworden und unzerstörbar, sich in unendlicher Anzahl im leeren Raume befinden und sich nicht qualitativ, sondern nur quantitativ durch Gestalt, Lage und Anordnung voneinander unterscheiden. Zwischen den Atomen ist der leere Raum. Dieser ist die Voraussetzung für die Mehrheit der Atome und für ihre Bewegung, folglich für alle Veränderung. Den Atomen wohnt eine Bewegung seit Ewigkeit inne, die gleichmäßig schnell von oben nach unten geht. Die gewöhnlichen Dinge sind nur Anhäufungen von Atomen. Epikuros (341-270) hingegen, der die Lehre Demokrits erneuerte, wollte ihnen eine kleine Abweichung von der senkrechten Bewegung beilegen, um so die Verschiedenheit der Dinge und die Willensfreiheit zu erklären. Auch die Seele besteht bei ihm aus materiellen Teilchen, wenn auch aus sehr feinen, glatten, runden und daher beweglichen. Unsere Wahrnehmungen beruhen auf unendlich feinen stofflichen Abbildern der Dinge, die sich von ihnen ablösen und durch die Sinne in die Seele eindringen. Die Lehre Epikurs hat von den Römern nachdrücklich T. Lucretius Carus (98-55) in seinem Gedichte, De rerum natura, vertreten. – Diese physische Atomistik ward in der Neuzeit von Gassendi (1592-1655), Hobbes (1588 bis 1679), Diderot (1713-1784), Holbach (1723-1789) und jüngst von Vogt, Büchner und Moleschott verteidigt. – Die moderne Physik und Chemie bedient sich ganz allgemein des Hilfsbegriffs der Atome. Da aber die Teilung eines Körpers in kleinere Teile geometrisch ins Unendliche fortgesetzt werden kann, können die Atome nicht als wirkliche Grundbestandteile der realen Welt angesehen werden, sondern nur als Hilfsbegriffe der Forschung, als Denkmittel. Daher haben auch andere Philosophen die Atome verworfen und statt ihrer entweder geistige Einheiten oder kleinste Substanzteilchen oder Kraftzentren angenommen. So Giordano Bruno (1548 bis 1600), Leibniz (1646-1716), Herbart (1776-1841) und Lotze (1817-1881). – Nach neuerer naturwissenschaftlicher Anschauung sind die Atome Ansammlungen zahlreicher positiv und negativ geladener Teilchen, die Korpuskeln oder Monaden genannt werden, von der Größe 0,2 mm [1 mm d. h. Millimikron = 1/1000000 Millimeter]. Vielleicht besteht (nach Thomson) die Verschiedenheit der Atome nur in der verschiedenen Anzahl der Korpuskeln (s. d.), wodurch sich das verschiedene Gewicht der Atome erklären würde. Zusammengehalten werden die Atome kraft der elektrischen Attraktion der Korpuskeln. Letztere befinden sich in Wirbelbewegung, wodurch die zentrifugale Kraft entsteht, welche das Zusammenstoßen dieser elektrischen Monaden verhindert. Wahrscheinlich besteht die Elektrizität nur in der Wirbelbewegung der Korpuskeln. Vgl. Fechner, die physikal. und philos. Atomenlehre. 2. Aufl. Leipzig 1864. Vgl. Dynamismus, Monadologie, Homoeomerien, Molekül, Korpuskeln.
Atonie (gr. atonia) heißt die Abspannung, der Mangel an Spannkraft und Elastizität der tierischen Gewebe.
Atopie (gr. atopia) heißt Ungehörigkeit, Unschicklichkeit.
Atremie (gr. atremia), heißt der nervöse Zustand, bei welchem die Kranken jahrelang das Bett nicht verlassen und nicht zu gehn vermögen, obgleich ihre Bewegungsfähigkeit sonst normal ist.
Attraktion (lat. attractio) heißt Anziehung (vgl. d. W.).
Attribut (lat. von attribuo = beilegen) heißt eigentlich das Beigelegte, dann das Merkmal, die Eigenschaft, das Kennzeichen eines Dinges. Descartes (1596-1650) versteht unter Attributen die wesentlichen nicht wechselnden Merkmale der Substanz. Bei Spinoza (1632-1677) hat das Attribut den besonderen Sinn, daß darunter die denknotwendigen Prädikate der Substanz verstanden sind, welche der Verstand an der Substanz als deren Wesen ausmachend erfaßt. Die Substanz hat unendlich viele Attribute, aber unser Verstand kann nur zwei davon fassen, nämlich Denken und Ausdehnung; denn alles, was er begreift, ist entweder etwas Denkendes oder Ausgedehntes. Vgl. Modus. Diese Begriffsbestimmung Spinozas ist unklar und nicht widerspruchsfrei. Sie läßt zweifelhaft, ob die Attribute der Substanz nur vom Verstande der Substanz beigelegt werden und nur im Betrachter existierende Erkenntnisformen sind, oder ob sie als reale Eigenschaften der Substanz betrachtet werden müssen, aus denen diese besteht. Die letztere von K. Fischer vertretene Ansicht kommt der Auffassung Spinozas jedenfalls näher als die erstere, welche Erdmann verteidigt hat. – In den bildenden Künsten sind Attribute dem Hauptgegenstande der Darstellung beigegebene Zeichen bestimmter Eigenschaften oder Zustände, also Symbole, wie etwa der Blitz des Zeus, die Schlüssel des Petrus, das Schwert des Paulus.
Auffassung heißt die Aneignung einer Vorstellung oder eines Gedankens durch das individuelle Bewußtsein; Auffassungsvermögen heißt die Anlage dazu. Zur Auffassung, welche noch keine Beurteilung der Sache einschließt, gehört nicht bloß die Rezeptivität (Empfänglichkeit), sondern auch die Reproduktion und geistige Durcharbeitung. Von der Auffassung der Dinge, die etwas Individuelles an sich hat, hängt unser Urteil und auch unsere Handlungsweise ab.
Aufklärung ist das Streben des 18. Jahrhunderts, Klarheit des Urteils durch vorurteilfreies Denken zu verbreiten. Dies geschah durch philosophische Betrachtung, populäre, d. h. leichtverständliche Darstellung der Wissenschaft und durch Bekämpfung der Vorurteile und des Aberglaubens. Nachdem schon Bacon (1561-1626), Spinoza (1632-1677) und Locke (1632-1704) diese Geistesrichtung im 17. Jahrhundert vorbereitet hatten, wetteiferten im 18. Jahrh. deutsche, englische und französische Denker, die Philosophie des gesunden Menschenverstandes zu verbreiten. Zu ihnen gehören die »Freethinkers« in England, die Enzyklopädisten in Frankreich und die Rationalisten in Deutschland, denen Männer wie Friedrich der Große, Lessing, Mendelssohn, Nicolai beizugesellen sind. Da aber einzelne Denker, wie z. B. Bahrdt, Nicolai, Lamettrie und Holbach, ins Extrem gingen, alles Religiöse als Pfaffentrug, alles Übersinnliche als Aberglaube bekämpften, so kam die Aufklärung bei den Jüngeren im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in Mißkredit, und Hamann, Herder, Goethe, auch Kant und die Romantiker traten gegen den Rationalismus auf. Namentlich haben die älteren Romantiker der Richtung der Aufklärung ein Ende bereitet. Vgl. Kant: Was ist Aufklärung? Lecky, Gesch. d. Aufklärung in Europa; a. d. Engl. Leipzig 1873.
Aufmerksamkeit ist die mehr oder weniger absichtliche und anhaltende Hinlenkung des Bewußtseins auf eine zu erwartende Vorstellung, Vorstellungsmasse oder Sinnesempfindung, durch welche diese leicht, klar und deutlich aufgefaßt wird. Voraussetzung für sie ist das Interesse (s. d.), welches uns entweder unwillkürlich anzieht oder unseren Willen zu energischer Betätigung anspornt. Die beim Zustandekommen der Aufmerksamkeit zusammenwirkenden Vorgänge sind folgende: Eine äußere oder innere Reizung erzeugt eine Empfindung, Anschauung, Vorstellung, Erinnerung oder ein Phantasiebild. Dieses übt einen verstärkenden Einfluß sowohl auf die Empfindungstätigkeit als auch auf die Bewegungsmuskeln, in denen Spannungen hervortreten, aus. Die so erhöhte Bewußtseinsstärke ermöglicht die leichtere, schnellere, klarere und bestimmtere Erfassung neuer Reizungen und ihre bessere Verarbeitung. Man kann hierbei von einem sukzessiven Einrücken der Vorstellung in das Blickfeld und in den Blickpunkt des Bewußtseins reden. In der Aufmerksamkeit verbindet sich also wie in jedem Akt der Apperzeption (s. d.) immer Bewußtseins- und Willenstätigkeit. Je nachdem die hierbei erzeugte innere Willenstätigkeit geringer oder größer ist, kann man von unwillkürlicher und willkürlicher oder besser von passiver und aktiver Aufmerksamkeit reden. (Siehe Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, S. 253 ff. Grundriß der Psych. § 15.) Anhaltende Aufmerksamkeit ermüdet bald den Geist, einseitige schädigt ihn. – Die Aufmerksamkeit auf sich selber ist Selbstbeobachtung; Aufmerksamkeit im sittlichen Sinne heißt s. a. Rücksichtnahme auf andere. Vgl. Jean Paul, Levana § 133. Th. Ribot, Psychologie de l'attention. 1889.
Aufopferung ist die Verzichtleistung auf unseren eigenen Vorteil; sie ist die höchste Leistung der Liebe und bildet das Gegenteil zu der Handlungsweise der uns angeborenen Selbstsucht. Je selbstloser die Aufopferung geschieht, desto wertvoller ist sie. Bisweilen steigert sie sich zur Aufopferung des Lebens (Alkestis, Decius Mus, Winkelried und die Märtyrer). Vgl. Altruismus.
Aufrechtsehen (das). Auf der Netzhaut entsteht beim Sehprozeß ein umgekehrtes verkleinertes Bild des vor dem Auge befindlichen Gegenstandes. Trotzdem sehen wir den Gegenstand aufrecht. Die Erklärung dieses Vorgangs hat große Schwierigkeit gemacht; man hat ihn physikalisch, physiologisch oder psychologisch zu deuten gesucht. Cartesius (1596-1650) nahm eine die Umkehrung ausgleichende Nebeneinanderlagerung der Sehnervenfasern im Gehirn an. Kepler (1571-1630) erklärte den Vorgang aus dem Gegensatze der Kategorien von Aktion und Passion. Priestley (1733-1804) dachte, die Korrektur geschehe durch den Tastsinn. Schopenhauer (1788 bis 1860) läßt die Seele das Bild nach der dem eindringenden Strahl entgegengesetzten Richtung projizieren. – Die Schwierigkeiten des Problems schwinden, wenn man sich klar macht, daß die Seele zwar Gesichtsempfindungen, aber kein inneres Auge hat, um die Vorgänge auf der Netzhaut des äußeren Auges zu beobachten, daß sie nicht Netzhautbilder, sondern nur die zu ihr fortgepflanzten Erregungen wahrnimmt, und daß das Sehen darin besteht, daß der Sehende den qualitativ und intensiv bestimmten Inhalt seiner Netzhautempfindungen in gewissen Linien nach außen projiziert und in den Raum hineinversetzt. Wir sehen unmittelbar weder aufrecht noch umgekehrt, weder einfach noch doppelt; denn wir sehen zunächst weder Gestalten noch Gesichtsfelder, sondern nur Lichterscheinungen. Ebensowenig wissen die Gesichtsempfindungen etwas, sei es vom Orte ihres Bildes auf der Netzhaut oder von der Lage der Netzhaut selbst. Das Netzhautbild ist außerdem noch doppelt, konkav, mosaikartig und von dem »blinden Fleck« durchbrochen – was uns alles doch auch nicht stört. Durch die Erklärung des Aufrechtsehens ist die Theorie von Johannes Müller und Überweg, wonach die von uns gesehene Welt eine kleine auf den Kopf gestellte Welt innerhalb unseres Sehapparates ist, der eine viel größere, auf den Füßen stehende reale Welt, unabhängig von unserem Bewußtsein, gegenübersteht, widerlegt. (Vgl. Helmholtz, physiologische Optik, S. 64 ff.; Liebmann, zur Analysis der Wirklichkeit, S. 128 ff.; Wundt, Grundriß der Psychologie, § 10, 31.)
aufrichtig ist derjenige, welcher freiwillig und unaufgefordert seine Gesinnung zu erkennen gibt. Der Gegensatz von Aufrichtigkeit ist Verstellung oder Verschlossenheit.
Augenschein oder Evidenz bedeutet die über allen Zweifel erhabene, unmittelbare und anschauliche Gewißheit. Doch ist das Auge ebenso wie die anderen Sinne Täuschungen ausgesetzt. Vgl. Sinnestäuschungen, Illusion, Halluzination, Vision.
Ausbildung ist im weiteren Sinne die höchste zulässige Vervollkommnung einer Sache oder Person. Sie erfolgt mechanisch, wenn die Dinge äußerlich bearbeitet werden, organisch, wenn sie von innen heraus sich entwickeln. Ferner kann sie physisch oder geistig sein. Im engeren Sinne ist sie die höchste Entwicklung der Fähigkeiten und Anlagen des Menschen. Von der Bildung unterscheidet sich die Ausbildung durch ihre relative Vollendung.
Ausdehnung ist die allen Körpern zukommende mathematische Eigenschaft, einen gewissen Raum einzunehmen. In der Ausdehnung, nicht in der Raumerfüllung, sah Cartesius (1596-1650) das Wesen der einen Substanz, der Materie, während er das Wesen der zweiten Substanz, des Geistes, in das Denken setzte. Auch Spinoza (1632-1677) bezeichnete als Wesen der Materie die Ausdehnung, setzte aber Ausdehnung und Denken zu Attributen einer einzigen Substanz herab. Leibniz (1646-1716) setzte das Wesen der Substanz in die vorstellende Kraft und sah in der Ausdehnung nur eine verworrene menschliche Vorstellung des Wirklichen. Nach Kant (1724-1804) ist die Ausdehnung Anschauung a priori und besitzt transscendentale Idealität, aber empirische Realität. – Die neuere Physik versteht im Gegensatz zur Mathematik unter Ausdehnung die Raumerfüllung, die entweder mechanisch oder dynamisch gedacht werden kann. – Ausdehnbarkeit bedeutet die Fähigkeit der Körper, ohne Änderung ihrer Masse einen größeren Raum einzunehmen.
Ausdruck heißt die Darstellung unserer Vorstellungen oder Empfindungen durch sinnliche Zeichen, seien es Laute, Töne, Mienen, Gebärden, oder sei es ein Stoff (Marmor, Erz u. dgl.). So ist die Sprache (s. d.) Ausdruck unserer Vorstellungen. Ein Gesicht ist ausdrucksvoll, wenn sich das geistige Wesen der Person in seinen Zügen kundgibt.
Ausdrucksbewegungen sind Bewegungen des Körpers, durch die sich die Gemütszustände kundtun und welche die Mitteilung letzterer zwischen verwandten Wesen ermöglichen. Sie sind teils unwillkürlich, teils willkürlich. Wundt (geb. 1832) führt die menschlichen Ausdrucksbewegungen nach ihrem Ursprunge auf drei Prinzipien zurück, das Prinzip der Innervationsveränderungen, das Prinzip der Assoziationen analoger Empfindungen und das Prinzip der Beziehung der Bewegungen zu Sinnesvorstellungen. (Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, 504 ff.)
Ausgelassenheit heißt die höchste Stufe der Lustigkeit, welche nicht in den Schranken der Zucht und Sitte bleibt.
Ausnahme (lat. exceptio) ist die Aufhebung eines Gesetzes für den einzelnen Fall. Jede Ausnahme verringert die Gültigkeit eines Gesetzes. Werden die Ausnahmen zur Regel, so hört die Gesetzlichkeit des Vorganges auf. Vielfach entsteht aber der Schein der Ausnahme nur durch verkehrte Fassung des Gesetzes. So hat die ältere Sprachwissenschaft durch mangelhafte Fassung der Sprachgesetze fast überall Ausnahmen von den Regeln zulassen müssen, während die jetzige Sprachwissenschaft durch richtigere Fassung der Gesetze fast überall die Scheinbarkeit der Ausnahmen nachweisen kann. (Vgl. Gesetz, Hypothese.)
Aussage heißt 1. Urteil (s. d.), 2. Zeugnis in bezug auf eine Tatsache.
Ausschließung des Dritten (exclusio tertii) ist die Nichtzulassung eines Mittleren zwischen zwei Entgegengesetzten. Bei kontradiktorischen Gegensätzen gilt die Regel: tertium non datur (ein Drittes ist nicht vorhanden), die Sache ist entweder A oder Non-A. Dieser Satz vom ausgeschlossenen Dritten (principium exclusi tertii seu medii) gilt aber nur bei kontradiktorisch, nicht bei konträr Entgegengesetztem. Es gibt z. B. zwischen gut und nicht-gut kein Drittes, wohl aber zwischen gut und böse. Im allgemeinen kann man also nur sagen: Gegensätze schließen sich aus (contraria mutuo se excludunt). – Die Ausschließungssätze (propositiones exclusivae) behaupten 1. etwas von einem Subjekte mit Ausschließung aller anderen Subjekte, z. B. der Mensch allein besitzt die Kunst, oder 2. etwas mit Ausschließung eines Teils des Prädikates, z. B. Cajus hat Glück, außer im Spiele.
Außenwelt heißt die Gesamtheit aller Dinge unserer sinnlichen Wahrnehmung, die sich uns in Raum und Zeit darstellen und die zu unserem Innern einen Gegensatz bilden. Auf der Unterscheidung der Innenwelt von der Außenwelt beruht das Selbstbewußtsein und die Idee der Persönlichkeit. Der naive Realismus schreibt der Außenwelt die Existenz im vollen Umfange zu. Anders die Philosophie. Schon die Eleaten (c. 550-400) leugneten die Existenz der Vielheit, der Bewegung, des Werdens und der Veränderung. Die Atomisten Leukippos und Demokritos (im 5. Jahrh. v. Chr.) bestritten die Existenz des Qualitativen in der Außenwelt. Platon (427 bis 347) sah in der Materie ein Nichtreales. Locke (1632-1704) schied die sekundären Eigenschaften (Licht, Farbe, Ton usw.) von den primären (Größe, Gestalt, Zahl, Lage, Bewegung, Ruhe) und erkannte nur die letzteren als wirkliche Eigenschaften der äußeren Dinge an. Berkeley (1685-1753) bekämpfte die Lehre von einer an sich existierenden Körperwelt und setzte das Sein derselben als gleichbedeutend mit dem Vorgestelltwerden (esse = percipi). Für Leibniz (1646 bis 1676) sind die wahrhaft existierenden Wesen die Monaden, punktuelle Seelenwesen mit der Kraft der Vorstellung. Die Außenwelt und alles Körperliche besteht aus Monaden und wird nur in verworrener Vorstellung als räumlich gefaßt. Nach Kant (1724-1804) ist die Außenwelt nicht Ding an sich, sondern Erscheinung. Es kommt ihr Realität, aber nur empirische Realität zu. Das Ansich der Dinge ist nur ein unbestimmbares X. Nach Fichte (1762-1814) ist die Außenwelt, das Nicht-Ich, nur eine Setzung des Ichs, das Material unseres Pflichtbegriffes. Nach Hegel (1770-1831) ist die Welt die sich logisch entwickelnde Vernunft. Der Natur kommt nur die Stellung zu, daß sie die absolute Vernunft in ihrer Selbstentäußerung, die Idee in der Form des Anderssein ist. So hat also die Philosophie besonders in ihren idealistischen Systemen die naive Vorstellung von der Außenwelt vielfach beschränkt und umgestaltet. – Aber auch die moderne Physik, die im wesentlichen die Idee der Atomisten aufgenommen hat, führt alles Qualitative in der Außenwelt auf Quantitatives zurück und steht etwa auf dem Standpunkt, den Locke philosophisch fixiert hat. Die Existenz einer objektiven Welt wird aber, ohne daß dadurch ihr Wesen bekannt wird, bewiesen durch das Unfreiwillige und Ungewollte unserer Sinneswahrnehmungen.
Austerität (lat. austeritas) heißt Strenge, unbiegsame Hartnäckigkeit (der Tugend und Moral).
Autarchie (gr. autarchia) heißt Selbstherrschaft. – Autarch heißt Selbstherrscher.
Autarkie (gr. autarkeia) heißt die Selbstgenügsamkeit, welche die Kyniker und Stoiker dem Weisen zusprechen, indem sie sich auf Sokrates (469-399) beriefen, welcher diese Tugend für den Grundstein aller Moral erklärte. (Vgl. Xenophon, Memor. IV 5, 2 ff. Diog. Laert. VI § 11; VII § 127.) Sokrates bekannte seine Überzeugung mit den Worten: »Nichts zu bedürfen ist göttlich, so wenig wie möglich zu bedürfen macht uns Gott am ähnlichsten« (to men mêdenos deisthai theion einai, to de hôs elachistôn engytatô tou theiou. Xenophon, Mem. I 6, 10). Vgl. Bedürfnislosigkeit.
Authadie (gr. authadeia) heißt Selbstgefälligkeit.
Authentie (gr. authentia) heißt eigtl. die Machtvollkommenheit, dann (von Schriften) die durch Kritik festgestellte Echtheit. Authentisch heißt die Auslegung einer Schrift, welche entweder mit den eigenen Worten des Verfassers (verba ipsissima) oder in seinem Geiste geschieht. Im allgemeinen gilt der Grundsatz: Jeder ist der beste Ausleger seiner Worte (verborum suorum quisque optimus interpres). Vgl. Kritik.
Autochirie (gr. autocheiria) heißt das Hand an sich selbst Legen, der Selbstmord. Vgl. Selbstmord.
Autodidakt (gr. autodidaktos), eigentlich selbstgelehrt, heißt derjenige, welcher keinen regelrechten Unterricht genossen, sondern sich durch Bücher, Muster, Lebenserfahrung und Denkarbeit selbst gebildet hat. Selbständigkeit, Kraft und Gewandtheit des Geistes sind die Vorzüge – Einseitigkeit, Selbstüberschätzung und Eigentümlichkeit die Mängel solchen Studienganges.
Autodidachie heißt das Lernen ohne Lehrer.
autodynamisch (gr. autodynamos) heißt selbstkräftig, durch sich selbst wirkend.
Autognosie (aus dem Gr. geb.) heißt Selbsterkenntnis, Selbstprüfung; autognostisch heißt auf Selbsterkenntnis beruhend.
Autohypnose (aus dem Gr. geb.) heißt die durch eine Person an sich selbst erzeugte Hypnose (vgl. d. W.).
Autokratie (gr. autokrateia) heißt Selbst- oder Alleinherrschaft. Autokrator, Autokrat (russisch: Samoderzec, Titel des russischen Kaisers) heißt der Selbstherrscher.
Autoktonie (gr. von autoktonos = Selbstmörder) heißt Selbstmord (vgl. d.).
Automachie (aus dem Gr. geb.) heißt Selbstwiderspruch.
Automat (gr. automatos) heißt von selbst geschehend, zufällig; so heißt bei Aristoteles (384-322) to automaton der Zufall; dann heißt das Wort von selbst bewegend; daher wird so ein Kunstwerk genannt, welches irgend eine Bewegung scheinbar von selbst ausführt. Cartesius (1596-1650) nannte die Tiere Automaten, indem er ihnen fälschlich die Seele absprach, und Spinoza (1632-1677) und Leibniz(1646-1716) bezeichneten so die menschliche Seele. Automatisch, d. h. unabhängig von äußeren Reizen, in den Nervenzentren selbst entstehend, sind im Tier- und Menschenkörper z. B. der Herzschlag und die Bewegung der Blutgefäßmuskeln.
Autonomie (gr. autonomia), eigentl. Selbstgesetzgebung, hieß ursprünglich das Recht eines Staates, sich selbst zu regieren, also die Souveränität. Bei Kant (1724-1804) bedeutet es die Fähigkeit der Vernunft, sich selbst sittliche Gesetze zu geben, während Heteronomie der Zustand ist, in welchem die Vernunft das Gesetz anderswoher empfängt. Kants Kritik der praktischen Vernunft (1788) stellt die Frage, »ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne« (S. 30), und Kant beantwortet diese Frage, die gleichbedeutend ist mit der Frage, ob der praktischen Vernunft Autonomie zukomme, bejahend. Es gibt ein allgemeines Sittengesetz aus reiner Vernunft: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Aber die Autonomie der praktischen Vernunft ist nach Kant eine nur formale. Sobald der Wille auf ein bestimmtes Objekt des Begehrens gerichtet ist, ist die Bestimmung desselben empirisch und heteronomisch, durch das Prinzip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit gegeben.
Autopsie (gr. autopsia) heißt Selbstbeobachtung, eigenes Sehen und Wahrnehmen im Gegensatz zu den Berichten anderer.
Autoritätsglaube ist das blinde Vertrauen auf Autoritäten, d. h. auf angesehene Männer oder Bücher. Dieser Glaube ist, abgesehen von historischen Tatsachen, die man auf Grund von Zeugnissen annehmen muß, eine Unselbständigkeit der menschlichen Vernunft. Auch bei den Geschichtsquellen haben wir erst zu prüfen, ob ihre Verfasser die Wahrheit sagen wollten und konnten. Doch hat der Autoritätsglaube auch seine Berechtigung, teils für die, welche selbst zu urteilen unfähig sind, d. h. die Unmündigen (Kinder und Ungebildete), teils für den Forscher auf den Gebieten, wo er selbst keine eigenen Untersuchungen anstellen kann.
Autós épha (gr. autos epha, lat. ipse dixit): »Er selbst hat es gesagt.« Mit dieser Formel beriefen sich die Pythagoreer auf die Lehren ihres Meisters. Der Ausdruck zeichnet treffend den blinden Autoritätsglauben, das iurare in verba magistri (s. Cic. de nat. deor. I, 5, 10).
Autoskopie (aus d. Gr. geb.) ist s. a. Autopsie.
Autosuggestion (aus d. Gr. u. Lat. geb.) heißt die Selbsterzeugung der Suggestion (s. d.).
Autotelie (gr. autoteleia) heißt die Selbständigkeit, Unabhängigkeit.
Autotheismus (aus d. Gr. geb.) heißt die Selbstvergötterung des Menschen. Dem Hegelschen System ist sie nicht mit Unrecht vorgeworfen.
Averroismus. Im Zeitalter der Erneuerung der alten Philosophie teilten sich die Anhänger des Aristoteles in zwei Richtungen; die einen schlossen sich an den griechischen Erklärer des Aristoteles, Alexander von Aphrodisias (200 n. Chr.), der denselben naturalistisch ausgelegt, die anderen an den arabischen Erklärer Averroës (1162-1198) an, der Aristoteles pantheistisch aufgefaßt hatte. Die Alexandristen erklärten die Seele für sterblich, die Averroisten dagegen behaupteten, der allen Menschen gemeinsame vernünftige Anteil der Seele sei unsterblich. Der bedeutendste Alexandrist war Pietro Pomponazzi (1462-1530); die bedeutendsten Averroisten waren dagegen Achillini († 1519) und Nifo (1473-1546) in Padua. Vgl. Aristotelismus.
Axiopistie (gr. axiopistia) heißt Glaubwürdigkeit, vgl. Authentie.
Axiom (gr. axiôma), eigentlich Forderung, Grundsatz, heißt im weiteren Sinne ein unmittelbar einleuchtender Satz, der eines Beweises weder bedürftig noch fähig ist, der aber als Grundlage des Beweises für andere Sätze dient. So bestimmt den Begriff des Axioms Aristoteles (384-320) Analyt. post. I, 2 p 72a 14 ff. : amesou d' archês syllogistikês – legô, hên mê esti deixai' – hên d' anankê echein ton hotioun mathêsomenon, axiôma. Solche Axiome oder Prinzipien (s. d.) sind die Basis jeder Wissenschaft. Logische Axiome z. B. sind der Satz der Identität, des Widerspruchs, und des ausgeschlossenen Dritten; sie sind für jeden Menschen, der überhaupt zu denken vermag, unbedingt gültig. – Im engeren Sinne sind dagegen die Axiome im Gegensatz zu Prinzipien Sätze, die auf unmittelbarer Anschauung beruhen, während Prinzipien Denknotwendigkeit in sich einschließen. Die Mathematik und Physik beruhen auf solchen Axiomen. Nach Kant, der, wie es besser ist, den Begriff in dieser Beschränkung nimmt, sind die Axiome synthetische Sätze a priori von unmittelbarer, d. h. anschaulicher Gewißheit. Sie fassen sich in dem Satze zusammen: »Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive Größen«; auf sie gründen sich die Sätze der Geometrie (Kr. d. r. V. S. 162 f.).