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C.
ОглавлениеC bezeichnet in der Logik die Contraposition, d.h. diejenige Umkehrung eines Urteils (Vertauschung von Subjekt und Prädikat), bei der außer der Relation zwischen Subjekt und Prädikat noch die Qualität (s. d.) des Urteils verändert wird, die Quantität (s. d.) dagegen unverändert bleibt oder verändert wird und die Modalität (s. d.) keine Änderung erleidet. Zwischen dem ursprünglichen und dem neu entstandenen Urteil besteht eine Art Gegensatz, aus dem sich der Name Contraposition erklärt. Das bejahende Urteil: In allen Kreistangentenvierecken ist die Summe der Gegenseiten einander gleich, wird z.B. durch Contraposition in das verneinende Urteil umgewandelt: Alle Vierecke, in denen die Summe der Gegenseiten einander nicht gleich ist, sind nicht Kreistangentenvierecke. – Innerhalb der scholastischen Namen für die Schlußmodi (s. d.) bezeichnet c das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes. Wenn man nämlich die Modi der zweiten, dritten und vierten Figur auf die der ersten Figur zurückführen will, so hat man bei denjenigen Schlußmodi der zweiten und dritten Figur, deren Namen ein c im Inlaut enthält (Baroco und Bocardo) zunächst das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes für wahr anzunehmen und dann zu zeigen, daß diese Annahme mit einem Schluß nach Barbara (s. d.) in Widerspruch steht, daß sie mithin unmöglich ist und daß damit die Richtigkeit ihres kontradiktorischen Gegenteils, also des ursprünglichen Schlußsatzes, gesichert ist; c bedeutet demnach hier die Führung durch die dem Schlußsatz entgegengesetzte Behauptung oder durch das Unmögliche (ductio per contradictoriam propositionem sive per impossibile). Den Schluß z.B. nach Bocardo (s. d.): Einige Geladene sind nicht gekommen; alle Geladene sind meine Freunde; folglich sind einige meiner Freunde nicht gekommen (Mo P, Ma S, So P), reduziere ich auf Barbara, indem ich zunächst das kontradiktorische Gegenteil von (So P): Einige meiner Freunde sind nicht gekommen für wahr annehme, nämlich (Sa P): Alle meine Freunde sind gekommen. Nun würde aber aus diesem Satze (Sa P) und aus dem Untersatze: Alle Geladenen sind meine Freunde (Ma S) nach Barbara folgen: Alle Geladenen sind gekommen (Ma P). Dieser Satz steht aber im Widerspruch zu dem Obersatz (Mo P): Einige Geladene sind nicht gekommen. Also ist die Annahme, daß das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes von Bocardo, nämlich: Alle meine Freunde sind gekommen, richtig sei, falsch; daher muß der Schlußsatz in Bocardo: Einige meiner Freunde sind nicht gekommen, richtig sein. Ähnlich läßt sich Baroco (s. d.) auf Barbara zurückführen. Vgl. Überweg, System der Logik § 113. – In der Physik bedeutet c die Geschwindigkeit der Bewegung (Celeritas), z.B. in der Formel: c = s/t, welche besagt, daß die Geschwindigkeit eines Körpers gleich dem Quotienten aus dem durchlaufenen Räume (s) und der durchlaufenen Zeit (t) ist.
Calculus Minervae heißt der Stein der Athena (Minerva), durch welchen nach Aischylos (Eumen. 742/3) Orestes freigesprochen wurde, weil durch ihn die Zahl der verurteilenden und die Zahl freisprechenden Stimmen gleich werden anêr hod' ekpepheugen haimatos dikên, ison gar esti t' arithmêma tôn palôn, sodann bezeichnet der calculus Minervae einen vom Zufall oder vom Lose abhängigen Spruch, auch den Zufall selbst und das Gottesgericht. Die Abstimmung der Minerva ist dargestellt auf dem corsinischen Silberbecher, Baumeister, Denkm. d. kl. Alt. n. 1316. (Vgl. Christ, Gesch. d. griech. Litt. 3. Aufl., München 1898, S. 221.)
Calemes heißt der zweite Modus der vierten Schlußfigur, in dem der Obersatz allgemein bejaht, der Unter- und der Schlußsatz allgemein verneinen. Er hat die Form: PaM, MeS, SeP; z.B. Alles Irdische ist vergänglich; nichts Vergängliches macht dauernd glücklich; also ist nichts, was uns dauernd glücklich macht, irdisch.
Calvus (lat.) der Kahlkopf, (gr. phalakros) heißt ein Fangschluß des Eubulides (4. Jahrh. v. Chr.). (Vgl. Diog. Laert. II § 108.) Er besteht in der Frage: »Wieviel Haare maß man jemandem ausziehen, damit er kahlköpfig wird?«
Camestres heißt der erste Modus der zweiten Schlußfigur, worin der Obersatz allgemein bejahend, der Unter- und der Schlußsatz allgemein verneinend sind. Er hat die Form; PaM, SeM, SeP; z.B. Alle Körper sind ausgedehnt; kein Geist ist ausgedehnt; folglich ist kein Geist ein Körper.
Cardinaltugenden heißen die Haupttugenden, denen alle anderen untergeordnet sind. Platon (427-347), der die Tugend in der Tauglichkeit der menschlichen Seele zu dem ihr zukommenden Werke sah, stellte vier Haupttugenden auf: Weisheit (sophia, prudentia), Tapferkeit (andreia fortitudo), Gesundsinnigkeit (sôphrosynê, temperantia) und Gerechtigkeit (dikaiosynê, iustitia). Während die drei ersteren, der Einteilung der Seele in die erkennende, mutige und begehrliche entsprechend, Tugend einzelner Seelenkräfte sind, besteht die letzte Tugend in dem rechten Verhältnis der Seelenkräfte zueinander; sie bestimmt also den drei anderen ihr Maß. Aristoteles (384-322), für den die Tugend die aus der natürlichen Anlage durch Handeln erworbene Fertigkeit, das Vernünftige zu wollen, war, gab jene Einteilung auf und unterschied die ethische (tätige) Tugend von der dianoetischen (der Denktugend). Die ethische Tugend ist die Fertigkeit, die uns entsprechende Mitte zwischen zwei Extremen innezuhalten. Ihre Wurzel ist nicht, wie bei Platon, die Einsicht sophia, sondern die Mannhaftigkeit andreia. An sie schließen sich die anderen ethischen Tugenden: Gesundsinnigkeit sôphrosynê, Freigebigkeit und Großherzigkeit eleutheriotês, megaloprepeia, Ehrliebe megalopsychia, philotimia, Sanftmut praotês, Wahrhaftigkeit alêtheia, Freundlichkeit eutrapelia, philia, Gerechtigkeit dikaiosynê und Billigkeit to epieikes (Ethic. Nic. II, 7, p. 1107 a 28 ff.) an. Die dianoetischen Tugenden, die in dem richtigen Verhalten der denkenden Vernunft an sich und bezüglich der niederen Seelentätigkeiten bestehen, sind Vernunft, Wissenschaft, Kunst und praktische Einsicht. Sie gipfeln in der Theorie, der höchsten menschlichen Glückseligkeit. Die platonische Tugendlehre ist populär geworden und auch in die stoische Lehre und römische Philosophie übergegangen, die aristotelische hat sich weniger verbreitet. Plotin (205-270) stellte drei Klassen von Tugenden auf; bürgerliche (politische), philosophische (reinigende) und religiöse (vergöttlichende). Ambrosius (340-397) schloß den vier sog. philosophischen Kardinaltugenden Platons die drei theologischen: Glaube, Liebe, Hoffnung an, ebenso später Petrus Lombardus (†1164), der alle sieben aus der Liebe abzuleiten sucht. Schleiermacher (1768-1834) endlich unterscheidet erkennende und darstellende Tugenden; jene sind Weisheit und Besonnenheit, diese Liebe und Beharrlichkeit. Die Lehre von den Kardinaltugenden hat im allgemeinen für die Gegenwart wenig Bedeutung. Die reiche Gestaltung des Lebens verbietet jeden starren Schematismus in der Tugendlehre.
Cartesianismus ist die Lehre des Cartesius (1596 bis 1650) und seiner Schüler. Sie schreibt der Philosophie die rationalistische Methode vor und beginnt mit dem Zweifel an allem demjenigen Wissen, das vor dem philosophischen Denken erworben ist (de omnibus dubitandum). Sie geht von der Selbstgewißheit des Denkens (cogito, ergo sum), zu der Aufstellung der Klarheit und Deutlichkeit als Kriteriums der Wahrheit (omne est verum, quod clare et distincte percipio), zu der Annahme allgemeiner Kausalität (nihil ex nihilo fit), zu dem Nachweis der Existenz Gottes, zu der dualistischen Aufstellung einer unendlichen Substanz (deus) und zweier endlichen Substanzen, der ausgedehnten und denkenden, der Materie und des Geistes, und endigt in der mechanistischen Erklärung aller Naturvorgänge, die nur den Begriff von Druck und Stoß voraussetzt, sowie in der Scheidung von Leib und Seele am Menschen. Aus dem Cartesianismus hat sich der Occasionalismus (s. d.) entwickelt. – Am charakteristischsten für den Cartesianismus ist der scharfe Dualismus von Geist und Körper, Seele und Leib. Dem Prinzip des influxus physicus (s. d.) gegenüber war der Cartesianismus ein Fortschritt, an sich aber eine unhaltbare Idee. Ihn zu beseitigen, strebte die nachfolgende Philosophie (Spinoza, Leibniz, auch Kant).
Casualismus (nlt.) ist diejenige Lehre, nach der die ganze Welt durch Zufall (casus) entstanden ist und sich unter der Herrschaft des Zufalls entwickelt hat. So dachten sich z.B. Epikuros (342-270) und Lucretius (99-55) die Weltentstehung und Weltentwickelung.
Casuistik (franz. casuistique) heißt derjenige Teil der Moral, welcher von den Gewissensfällen (casus conscientiae) oder der Kollision der Pflichten handelt. Casuist ist derjenige Moralist, welcher solche Fälle zu lösen sucht. In Wahrheit kollidieren freilich viel weniger die Pflichten untereinander, als die menschlichen Wünsche. Spuren von Casuistik finden sich zuerst bei den Stoikern (um 260 v. Chr.). So stritten Diogenes und Antipater darüber, ob ein Kaufmann, der zur Zeit einer Hungersnot Getreide nach Rhodos bringe, aber unterwegs erfahre, daß mehr Zufuhr komme, dies sagen und einen geringeren Preis fordern solle oder nicht. Auch den Fall erwogen die Stoiker, wie sich zwei Schiffbrüchige verhalten sollten, die sich auf ein Brett retteten, das doch nur einen tragen könnte. Aber erst die Talmudisten und die Scholastiker haben diese meist fruchtlosen Untersuchungen fleißig ausgeführt. Bekannt sind von casuistischen Schriften die Summa Raimundiana des Raymund de Pennaforti (1176-1273), die Summa Astesana vom Franziskaner Astesanus und die Summa Bartolina vom Dominikaner Bartholomäus de Sancta Concordia. Auch die Jesuiten Escobar, Sanchez und Busenbaum sind als Casuisten bekannt.
casum sentit dominus (lat. den zufälligen Verlust trägt der Eigentümer) und casus a nullo praestatur (für den Zufall wird nicht gehaftet) sind zwei entgegengesetzte Sätze, deren Widerspruch andeutet, daß der Mensch für das, was zufällig aus seinen Handlungen entspringt, schwer Regeln aufstellen kann. Vgl. Zufall.
causa sui (lat.), Ursache von sich selbst, nannten die Scholastiker Gott. Sie wollten mit diesem Begriff sagen, Gott habe sich selbst geschaffen und sei durch nichts anderes bedingt. Auch Spinoza (1632-1677), Schelling (1775-1864) und Hegel (1770-1831) nahmen diesen Begriff auf. Spinoza setzte die causa sui und die Substanz (Gott und Natur, deus sive natura) einander gleich. Die erste Definition des ersten Teiles seiner Ethik lautet: »Per causam sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam, sive id, cuius natura non potest concipi nisi existens«. (Unter causa sui verstehe ich dasjenige, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder dasjenige, dessen Natur als existierend vorgestellt werden muß.) Hieran schließt sich der Nachweis, daß die Substanz Gott, Natur und causa sui ist. Schelling lehrt, daß Gott in sich den Grund seiner Existenz hat. Hegel sieht in jeder Ursache eine causa sui, die sich in den endlichen Dingen auseinandergezogen hat. So richtig aber Gott als absolut gedacht wird, so schließt doch der Begriff der causa sui den logischen Widerspruch in sich ein, daß durch ihn etwas zugleich als nicht existierend und als existierend gesetzt wird. Denn Ursache heißt im Gegensatz zur Wirkung nur dasjenige, was vor einem anderen als existierend gedacht werden muß. Vor allem aber beruht der Begriff der causa sui auf einer fehlerhaften Definition des Daseins, nach der das Dasein zum Wesen des Begriffs gehört. Erst Kant (1724-1804) hat in seiner Kritik der Beweisgründe des Daseins Gottes und vor allem des ontologischen Beweises (Kr. d. r. V., S. 592-602) den richtigen Begriff des Daseins aufgestellt und nachgewiesen, daß das Dasein kein Merkmal des Begriffs, sondern absolute Position ist. Er hat hierdurch den Begriff causa sui aufgelöst. (Vgl. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Königsberg 1763.)
Causalität (Ursächlichkeit) bezeichnet das Verhältnis von Ursache (s. d.) und Wirkung. Auf dem Begriffe der Causalität beruht die gesamte Naturwissenschaft. Auf dem Begriffe der Causalität beruht ferner auch eins der Assoziationsgesetze der Ideen. Die Gültigkeit dieses Begriffes hat David Hume (1711-1776) in seinem »Enquiry concerning Human Understanding« (London 1748) bestritten: Die kausale Verbindung der Tatsachen wird uns nach Hume weder durch Schlüsse a priori, noch durch Erfahrungen gegeben. Alle Causalitätsschlüsse beruhen vielmehr nur auf der Gewohnheit. Der Verstand wird, wenn sich ähnliche Fälle wiederholen, durch die Gewohnheit bestimmt, bei Erscheinung einer Begebenheit, diejenige, die sie regelmäßig begleitet, ebenfalls zu erwarten. Aber wir wissen nichts von dem inneren Band der sich begleitenden Begebenheiten. – Dem gegenüber hat Kant (1724-1804) in seiner Kr. d. r. V. die Apriorität der Causalität und der anderen Kategorien nachzuweisen versucht. Vgl. Ursache.
Causalnexus ist die Verbindung der Vorgänge durch die Begriffe von Ursache und Wirkung. Die Nachweisung des Causalnexus ist die Grundlage jeder wissenschaftlichen Betrachtung der Dinge.
Causalprinzip heißt der Grundsatz, nach dem jedes Ding seine Ursache haben muß: »Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt« (Kant, K. d. r. V., S. 189).
Cavillation (T. lat. cavillari = verspotten) heißt Trugschluß.
Celarent heißt der zweite Modus der ersten Schlußfigur, in dem der Obersatz allgemein verneint, der Untersatz allgemein bejaht und der Schlußsatz wieder allgemein verneint. Er hat die Form: MeP, SaM, SeP; z.B. Kein Körper ist ohne Gewicht; alle Gasarten sind Körper; folglich ist keine Gasart ohne Gewicht.
Cesare ist der dritte Modus der zweiten Schlußfigur mit allgemein verneinendem Ober- und Schlußsatz und allgemein bejahendem Untersatz. Er hat die Form: PeM, SaM, SeP; z.B. die Affekte beruhen nicht auf Vorsatz; die Tugenden beruhen auf Vorsatz; also sind die Tugenden nicht Affekte. (Arist. Eth. Nicom. II 4 p. 1106 a 2 orgizometha men kai phoboumetha aprohairetôs, hai de aretai prohaireseis tines, [pathê oun ouk eisin hai aretai]).
cessante causa cessat effectus (lat.), wenn die Ursache aufhört, hört die Wirkung auf, ist ein falscher mittelalterlicher Satz, der durch die richtige Fassung des Trägheitsgesetzes und des Begriffes der Bewegung umgestoßen ist.
Chaos (gr. chaos v. chainô gähne) bezeichnete bei den griechischen Dichterphilosophen den Urzustand der Welt, den man sich als rohe, ungestaltete, verworrene, ungeordnete Masse vorstellte (Ovid Met. I, 7: rudis indigestaque moles). Man dachte sich, daß das Chaos erst später durch ein höheres Prinzip: Streit, Liebe, Verstand, Gott u. dgl. geordnet und gestaltet worden sei. Den Gegensatz zum Chaos bildete der Kosmos (gr. kosmos), die gesetzlich geordnete Welt.
Charakter (gr. charaktêr v. charassô prägen = Gepräge) heißt in anthropologischer Hinsicht die bleibende Willensart des Menschen. Im weiteren Sinne hat jeder Mensch einen Charakter, auch der Charakterlose, dessen Eigentümlichkeit es ist, unbeständig zu sein. Im engeren Sinne heißt Charakter soviel als Willensstärke. Charakter im engeren Sinne ist also das Wesen des Menschen, wie es sich auf Grund angeborener Individualität durch Gewöhnung und selbsterworbene Fertigkeit zu vernünftiger, zusammenhängender und fester Selbstbetätigung entwickelt. Der feste Charakter zeigt sich in der Entschiedenheit und Konsequenz des Handelns nach Grundsätzen. Diese Konsequenz kann Entschiedenheit im Guten oder Bösen sein. Einen guten Charakter besitzt nur der Mensch, der seinen Willen durch sittliche Grundsätze leiten läßt. Nur er bleibt von Zerrissenheit des Gemüts, Zerfahrenheit des Begehrens und Unschlüssigkeit im Handeln verschont. Bei ihm vereinen sich Einsicht und Wille zur wahren sittlichen Freiheit. »Charakter im Großen und Kleinen ist, daß der Mensch demjenigen eine stete Folge gibt, dessen er sich fähig fühlt«, sagt Goethe (Spr. in Pr. 587). Kant (1724-1804) lehrt: »Von einem Menschen schlechthin sagen zu können: ›er hat einen Charakter‹ heißt sehr viel von ihm nicht allein gesagt, sondern auch gerühmt; denn das ist eine Seltenheit, die Hochachtung gegen ihn und Bewunderung erregt. Wenn man unter dieser Benennung überhaupt das versteht, wessen man sich zu ihm sicher zu versehen hat, es mag Gutes oder Schlimmes sein, so pflegt man dazu zu setzen: er hat diesen oder jenen Charakter, und dann bezeichnet der Ausdruck die Sinnesart. – Einen Charakter aber schlechthin zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach welcher du Subjekt sich selbst an bestimmte praktische Prinzipien bindet, die es sich durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat. Ob nun zwar diese Grundsätze auch bisweilen falsch und fehlerhaft sein dürften, so hat doch das Formelle des Wollens überhaupt, nach festen Grundsätzen zu handeln (nicht wie ein Mückenschwarm bald hierher, bald dahin abzuspringen), etwas Schätzbares und Bewunderungswürdiges in sich, wie es dann noch etwas Seltenes ist. – Alle anderen guten und nutzbaren Eigenschaften (des Menschen) haben einen Preis – das Talenteinen Marktpreis – das Temperament einen Affektionspreis – aber der Charakter hat einen inneren Wert und ist über allen Preis erhaben.« (Kant, Anthropologie S. 264f.) – Die allgemeine Verwendung des Wortes Charakter in seiner jetzigen Bedeutung datiert von La Bruyere's Schrift: Les caracteres de Theophraste et les moeurs de ce siecle 1688 her. Vgl. Smiles, der Charakter. Leipz. 1878. Th. Ribot, die Persönlichkeit, a. d. Frzös. v. E. Papst. Berlin 1894.
Charakteristica universalis (sc. ars) heißt allgemeines Zeichensystem. Leibniz (1646-1716) strebte danach, die philosophische Methode, um sie demonstrativ zu machen, in einen allgemeinen philosophischen Kalkül umzuwandeln, und so ein unbedingt gültiges Begriffssystem mit einer wissenschaftlichen Universalsprache zu schaffen, die in einem leicht verständlichen, den Begriffsinhalt sicher bezeichnenden Zeichensystem bestände. Diese Universalsprache ist also ihrem Wesen nach eine Mathesis, ihrer Außenseite nach eine Charakteristica universalis. In neuerer Zeit sind diese Bestrebungen von G. Frege wieder aufgenommen. (Siehe G. Frege, Begriffsschrift 1879. Grundgesetze der Arithmetik 1893). Auch von England, Amerika und Italien sind ähnliche Versuche ausgegangen (Boole, Jevons, Mc-Coll, Peirce, Peano usw.). Immerhin ist der Kreis der Gedanken, die durch eine solche Universalsprache ausgedrückt werden können, ein beschränkter, und nur Spezialwissenschaften, wie die Mathematik und Chemie, bedienen sich bisher mit Erfolg eines solchen Hilfsmittels. Vgl. Algorithmus.
charakterologisch heißt den Charakter betreffend. Charakterologie ist die Lehre vom Wesen und von dem Entwicklungsgang des Charakters.
Chemie ist die Lehre von den Eigenschaften und Veränderungen des Stoffes der Körper. Sie ist als exakte Wissenschaft jung und hat ihre Methode erst gegen Ende des 18. Jahrhunderte geschaffen. Ihre Vorläuferin ist die Alchymie.
chronometrische Hilfsmittel (Chronoskop, Chronograph) sind elektrische Registrierapparate, welche bis auf 1/1000 Sekunde sicher sowohl den Augenblick eines Sinneseindrucks wie den der dadurch hervorgerufenen Reaktionsbewegung des Beobachters angeben. Vgl. Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, S. 274 ff.
circulus vitiosus heißt der logische Fehler, der beim Beweisen (circulus in probando) unterläuft, wenn das zu Beweisende wieder als Beweisgrund gebraucht wird, also wenn A durch B, B durch C, C durch D etc., aber D wieder durch A bewiesen wird, wenn z.B. der Beweis für Gottes Dasein aus der Bibel, der Glaubwürdigkeit der Bibel aber daraus, daß sie Gottes Wort enthält, abgeleitet wird.
Civilisation ist derjenige Zustand in der Entwicklung der einzelnen Völker und der Menschheit, in welchem sie die Barbarei überwunden haben, zu geordneten gesellschaftlichen Verhältnissen aufgestiegen sind und geschichtliche Bedeutung gewinnen. Die Civilisation geht der vollen Kulturentwicklung eines Volkes voran und bildet die erste Stufe der Kultur.
clare et distincte (lat.) heißt klar und deutlich. Klarheit (d.h. Unterscheidung des Gegenstandes von allen anderen) und Deutlichkeit (d.h. Gegenwart, Bewußtheit und Verständlichkeit für den aufmerksamen Geist) sind nach Cartesius die Kennzeichen der Wahrheit.
Classification (franz. classification) oder Classifizierung heißt die übersichtliche Darstellung des gesamten Begriffsinhaltes eines Wissensgebietes mit Hilfe einer fortgesetzten Division (d.h. der Einteilung des Umfanges der Begriffe), welche von dem höchsten Begriffe bis zu den niedrigsten stetig fortschreitet. Ihr Ergebnis ist das System (s. d.). Die einzelnen Gliederungsstufen werden mit den Namen Reich, Kreis, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Unterart usw. bezeichnet. Zur Klassifikation gehört an jeder Stelle des Systems 1. der allgemeine Begriff, welcher eingeteilt werden soll, 2. der Einteilungsgrund (principium divisionis), 3. die Einteilungsglieder (membra divisionis). Ist der Einteilungsgrund willkürlich, so heißt das System künstlich (vgl. System); liegt er in der Natur der Sache, so heißt es natürlich. Die Klassifikation gestattet eine doppelte Ordnung des Systems. Analytisch ist sie, wenn sie vom Einzelnen zum Allgemeinen emporsteigt; synthetisch, wenn sie vom Allgemeinen zum Besondern herabsteigt. Die bekanntesten durch Klassifikation gewonnenen Systeme sind das natürliche Pflanzen- und Tiersystem. In jeder einzelnen Sprache liegt aber schon, durch die Worte vorbereitet, ein Keim zu einer Klassifikation sämtlicher Begriffe. Vgl. System.
Coefficient (franz. coefficient, nlt. coefficiens), mitwirkender Faktor, heißt der bestimmte oder konstante Faktor in einem Produkt, das außer diesem Faktor allgemeine oder variable (veränderliche) Faktoren enthält.
Coexistenz (franz. coexistence) heißt das Zusammenbestehen, das Zugleichsein. Die Coexistenz ist eine der Eigenschaften, die allem Räumlichen beiwohnt.
Colibat (lat. caelibatus) heißt die Ehelosigkeit. Sie kann entweder eine freiwillige oder eine erzwungene sein. Der Zwang kann im letzteren Falle ein politisch-sozialer, oder ein religiöser oder ein physischer sein. Namentlich aus religiösen Gründen ist meist im Orient und dann in der katholischen Kirche (seit 1074), nachdem schon lange die Virginität als besonders heilig galt, die Ehe verworfen worden. Auch Philosophen haben oft die Ehe verschmäht, so die Epikureer, Spinoza, Leibniz, Kant und Schopenhauer. Aber abgesehen von den Fällen der physischen oder ökonomischen Unfähigkeit zu heiraten, ist kein Mensch lediglich aus sittlichen Gründen verpflichtet, ehelos zu bleiben. Die Ehe ist vielmehr die moralische Vervollkommnung, die der menschliche Geschlechtsverkehr angenommen hat und der Normalzustand der Erwachsenen. Natur und Sitte legen aber bis jetzt bei Eingehung der Ehe dem Manne die Pflicht des Werbens, der Frau die passivere Haltung auf, so daß für die Frau die Ehelosigkeit schon die Zwangslage des Lebens ist, falls sie nicht geworben wird. In diesem Punkte sind Verschiebungen, soweit Konvention und Sitte in Betracht kommen, für die Zukunft wohl denkbar. Dagegen ist die »freie Liebe« unreine sittliche Verirrung.
cogito, ergo sum (ich denke, also bin ich) lautet der Fundamentalsatz des Cartesius (1596-1660), durch den er die Philosophie auf die Selbstgewißheit des Denkens gegründet hat. Wie die Skeptiker Montaigne und Charron ging er vom vollständigen Zweifel an allem in der Jugend erlernten Wissen aus; doch gerade durch dieses »methodologische Zweifeln« suchte er den festen Ausgangspunkt für die Philosophie, indem er schloß, daß der Mensch, wenn er auch alles in Zweifel ziehe, doch eins, nämlich daß er zweifelt, also denkt, dabei nicht bezweifeln könne. – Genau würde nun folgen: Ich denke, also wird gedacht; Cartesius aber wandte den Gedanken von der Tatsache des Denkens sofort auf ein denkendes, unausgedehntes Ich hin, dem er die Existenz beweislos zuschrieb, während nur die Existenz des eigenen Denkens für das zweifelnde Subjekt nachgewiesen war. Übrigens findet sich Ähnliches schon bei Augustin(Soliloqu. 2, 1). Vgl. die interessante Novelle unter demselben Titel in G. v. Ompteda »Vom Tode« 1893.
Coincidentia oppositorum, Zusammenfall der Gegensätze, nahm schon Anaximandros von Milet (geb. um 611 v. Ohr.) im Urstoff, dem Apeiron apeiron an; Nikolaus von Kues (1401-1464) ließ diesen Zusammenfall in Gott stattfinden, der zugleich das absolut Größte und Kleinste ist. Ihm folgen Giordano Bruno und Schelling.
Collision (lat. collisio, von collidere = zusammenstoßen) heißt der Zusammenstoß der Rechte oder Pflichten. Eine Kollision der Rechte untereinander kann stattfinden. So kollidieren z.B. die Rechte von A und B, wenn dieser eine Uhr kauft, die jenem gestohlen worden ist. Eine Kollision der Pflichten aber gibt es für den moralischen Menschen nur in seltenen Fällen und meist nur vorübergehend; denn durch sittlichen Takt findet er meist bald heraus, welche Pflicht die größere ist und daher Erfüllung heischt. Daher kommen auch die von der Casuistik (s. d.) ausgesonnenen Fälle meist in der Wirklichkeit gar nicht vor. Die Tragödie, wie die Poesie überhaupt, hat es aber oft mit solchen Kollisionen zu tun; in der Antigone des Sophokles hat z.B. Antigone zwischen der Pflicht gegen den toten Bruder und der Pflicht gegen den König zu wählen. In den Choephoren und Eumeniden des Aischylos kollidiert die Pflicht der Blutrache des Orestes mit der Pflicht der Pietät gegen seine Mutter. Doch auch in der Tragödie findet der Held meist den rechten Ausweg, der freilich ein solcher sein kann, daß seine Person zugrunde geht, während das sittliche Gesetz triumphiert.
Combination (mlt.) ist im allgemeinen Sinne die Verbindung des Zusammengehörigen in unserem Geigte. Im engeren Sinne schreibt man der Phantasie ein Kombinationsvermögen zu. In der Logik und Mathematik heißen Kombinationen die Verbindungen von zwei (Binionen, Amben), drei (Ternionen), vier (Quaternionen)..., n Elementen, die sich nicht nur durch die Reihenfolge der Elemente, sondern auch durch die darin enthaltenen Elemente voneinander unterscheiden. Die Anzahl der Kombinationen ohne Wiederholungen von n Elementen zur m-ten Klasse ist: [n(n-1)(n-2)...(n-m+1)] / (1*2*3*..*m), die Anzahl der Kombinationen mit Wiederholungen von n Elementen zur m-ten Klasse ist [n(n+1)(n+2)...(n+m-1)] / (1*2*3*..*m). Auf der Kombinationslehre beruht die von Stanley Jevons (The Principles of science, London 1874) konstruierte logische Maschine.
Common sense. Siehe Gemeinsinn.
comparativ (lat.), vergleichungsweise, nennt man die Gültigkeit eines Satzes, wenn dieser nur auf der Vergleichung mehrerer ähnlicher Dinge beruht, z.B.: Die Kinder (nicht alle!) sind leichtsinnig. – Unter komparativer Psychologie, welche von Burdach, Carus, Scheve und Bastian angebaut wurde, versteht man die Vergleichung tierischer und menschlicher Seelenzustände und der psychischen Vorgänge bei verschiedenen Völkern. – Komparative Grammatik heißt die von Franz Bopp (1791-1867) begründete Sprachwissenschaft, die durch Vergleichung der Sprachen die Verwandtschaft derselben und die Entstehung der grammatischen Formen überhaupt nachgewiesen hat.
complex (lat. v. complecti) heißt in der Logik ein zusammengesetzter Begriff, in der Mathematik eine Zahl von der Form a±bi, worin i = -1 ist. – Complexus heißt der Inhalt des Begriffes (s. d.). Vgl. Zahl.
Complication der Vorstellungen nennt W. Wundt mit Herbart die Verbindungen disparater Vorstellungen, wie z.B. zwischen Gesichtswahrnehmungen und Tastempfindungen (Wundt, Gr. d. phys. Ps. II, S. 369).
Conceptualismus (v. lat. conceptus = Zusammenfassen, Begriff) heißt eine Richtung des Nominalismus, welche durch Thomas v. Aquino (1225-1274) eingeleitet und durch Wilh. v. Occam (†1347) ausgebildet wurde. Während der strenge Nominalismus Roscellin's und Abälards die Möglichkeit allgemeiner Vorstellungen überhaupt bestritt und die Begriffe nur auf die sprachliche Bezeichnung einer Mehrheit konkreter Vorstellungen durch die Einheit des Wortes zurückführte, trat der Konzeptualismus für das Gegebensein allgemeiner Vorstellungen als psychischer Phänomene ein (universalia post rem!). Thomas v. Aquino ließ über den Konzeptualismus hinausgehend und dem Realismus zuneigend, das Allgemeine außer in den Begriffen auch im göttlichen Geiste und den Dingen gegeben , sein, W. v. Occam dagegen schrieb ihm streng konzeptualistisch nur begriffliche Existenz zu. Auch nach dem Falle der Scholastik ist dieser Gegensatz aufgetreten, indem Hobbes, Berkeley, Hume, Mill usw. für den Nominalismus, Locke, Reid, Brown für den Konzeptualismus Partei nahmen. So leugnet Hobbes (1588-1679) (de corpore 2, 10), daß die Allgemeinheit selbst irgend im psychischen Prozesse zum Ausdruck gelange; Berkeley (1685-1753) bezweifelt die allgemeinen Ideen (Treat. conc. the princ. of hum. knowl. Introd. X-XIV). Locke (1632 bis 1704) hingegen spricht ausdrücklich von allgemeinen Ideen, die, aus den konkreten durch Loslösung von den Bestimmungen des Raumes, der Zeit usw. entstanden, das den konkreten Sinnesvorstellungen Gemeinsame zusammenfassen und legt dem Erkenntnisvermögen geradezu die Funktion zur Bildung solcher Begriffe bei. (Locke, Essay concerning Human Understanding III, 3.) Vgl. Nominalismus, Universalien.
conclusio (lat.) heißt Schluß oder Schlußsatz (s. d.).
conclusio sequitur partem debiliorem (lat. der Schluß folgt dem schwächeren Teil) ist ein Satz der Logik, welcher besagt, daß, wenn eine der beiden Prämissen eines Syllogismus negativ oder partikulär ist, es auch der Schlußsatz sein muß. Vgl. Schluß.
concret (v. lat. concrescere = zusammenwachsen), eig. das Zusammengewachsene, heißt jeder unmittelbar aus der Anschauung gewonnene Begriff, dessen Gegenstand für ein von Natur selbständiges, ein zusammenhängendes Ganzes bildendes Ding angesehen wird. Hegel (1770-1831) spricht auch von einem »Konkret-Allgemeinen«, worunter er den Begriff versteht, der sich selbst zur Besonderheit und individuellen Bestimmtheit entwickelt, also ein Einzelnes, in welchem sich das Allgemeine darstellt. Vgl. abstrakt.
Concretianer heißen diejenigen Psychologen, welche behaupten, die Seele sei mit dem Leibe durch die Erzeugung beider gleichsam zusammengewachsen. Vgl. Traducianismus.
Concursus dei heißt die Mitwirkung Gottes bei der Verbindung der Vorgänge in der Seele und dem Leibe des Menschen. Eine solche Mitwirkung nahmen die Occasionalisten Clauberg, Louis de la Forge, Cordemoy, Geulincx (1625 bis 1669) und Malebranche (1638-1716) an, da sie jeden direkten Einfluß der Seele und des Leibes aufeinander leugneten. Bei Gelegenheit des leiblichen Vorganges rufte Gott in der Seele die Vorstellung hervor, bei Gelegenheit des Wollens bewegte Gott den Leib.
Conditio sine qua non (lat.) heißt die unerläßliche Bedingung. – Posita conditione ponitur conditionatum. (Wenn die Bedingung gesetzt ist, so wird auch das Bedingte gesetzt) heißt s. a. die Ursache bedingt die Folge.
conjunktive Urteile sind solche, in denen ein und demselben Subjekt mehrere Prädikate beigelegt sind, z.B. Die Kunst ist erheiternd, bildend und erziehend. Die allgemeine Form des konjunktiven Urteils ist: A ist B und C und D. usw. Vgl. copulativ.
Connex (lat. connexus) heißt Zusammenhang, Verbindung.
consecutiv (lat.) heißen die Merkmale eines Begriffs, welche aus anderen folgen. Im gleichseitigen Dreieck z.B. sind alle drei Winkel gleich; also ist die Gleichwinkligkeit ein konsekutives Merkmal des Merkmals Gleichseitigkeit beim Dreiecke.
Consectarium (lat. consectarium) heißt Schlußsatz (s. d.), aber auch Folgesatz, Zusatz, Corollarium oder Porisma.
Consensus gentium (lat.), die übereinstimmende Ansicht der Völker, heißt der Beweisgrund, dessen sich einer der Beweise für das Dasein Gottes schon in der alten Philosophie (Cicero) und dann oft später, doch nur mit beschränktem Recht, bedient hat. Er schließt auf das Dasein Gottes aus der Allgemeinheit des Gottesglaubens. Es ist nun zwar wahr, daß völlige Religionslosigkeit nur sehr selten selbst bei unzivilisierten Völkern vorkommt, aber die Gottesvorstellungen sind bei den verschiedenen Völkern so verschieden, daß sich aus dem allen Gemeinsamen keine brauchbare Gottesvorstellung ableiten läßt.
Consequenz (lat. consequentia v. consequi = folgen) heißt die Folgerichtigkeit des Denkens oder Handeins. Jene, die logische oder theoretische, verknüpft die Gedanken den Denkgesetzen gemäß; diese, die moralische oder praktische, bringt die einzelnen Handlungen mit den einmal angenommenen Grundsätzen in Übereinstimmung. Logische Konsequenz in einem System ist da vorhanden, wo sich alle Sätze des Systems als Folgerungen aus einem. Prinzip ergeben. Sie begründet nur die Widerspruchslosigkeit, nicht die sachliche Richtigkeit des Systems. Es ist daher notwendig, nicht nur die Konsequenz eines Systems, sondern auch das Prinzip, von dem ein Philosoph ausgeht, zu prüfen, um über sein System urteilen zu können. Praktische Konsequenz bringt Ordnung und System in das Leben der einzelnen Menschen und trägt zur sicheren Lebensführung bei.
Constabilierte Harmonie nannte der Theosoph Em. v. Swedenborg (1688-1772) die Ordnung des mechanisch-organischen Weltsystems, das er in seiner Schrift »Oeconomia regni animalis« 1740 darstellte. Vgl. Prästabilierte Harmonie.
Constante (lat. die Unveränderliche, C.) heißt in allen mathematischen und philosophischen Formeln im Gegensatz zur Variabeln (Veränderlichen) diejenige Zahl, die sich nicht verändert.
Constitution (lat. constitutio) heißt die körperlich-seelische Beschaffenheit des Menschen. Sie wird sowohl durch die Größe und Stärke und Lebensfähigkeit der einzelnen Organe, als auch durch das Geschlecht und das Temperament (a. d.) von innen heraus, sowie durch die geographischen und klimatischen Verhältnisse, unter denen der Mensch lebt, von außen her bestimmt.
constitutiv (lat. constitutivus v. constituere = bestimmen) nennt man die wesentlichen Merkmale eines Begriffs; konstitutive Sätze ferner heißen die grundlegenden, objektiv gültigen Sätze einer Wissenschaft, während regulativ diejenigen Sätze genannt werden, welche nur die subjektive Richtschnur zur zweckmäßigen Behandlung eines Erkenntnisobjekts angeben. So ist 2. B. nach Kants (1724-1804) Auffassung die Naturzweckmäßigkeit ein regulatives, aber kein konstitutives Prinzip der Forschung, und so ist nach ihm der Gebrauch aller Ideen innerhalb der theoretischen Philosophie nur regulativ, nicht konstitutiv; dagegen ist der Satz: »Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt« ein konstitutives Prinzip der Naturforschung.
Construction (lat. constructio v. construere zusammenstellen), Zusammenfügung, Aufbau, ist nach Kant (1724-1804) die Darstellung eines Begriffs in der Anschauung. Kant teilt dementsprechend alle Vernunfterkenntnis in die aus diskursiven Begriffen – Philosophie – und die aus der Konstruktion der Begriffe in der reinen Anschauung – Mathematik. (Kr. d. r. V., S. 832-851). Die Durchführung dieses Gedankens ist Kant für die Geometrie leicht gelungen. Er benutzt dazu den Satz von der Summe der Dreieckswinkel; für die Arithmetik hat Kant dagegen den Begriff der Konstruktion in den verfehlten Begriff einer symbolischen Konstruktion umbiegen müssen (Kr. d. r. V., S. 717), so daß sich seine Definition der Mathematik als unhaltbar erweist. (Vgl. C. Michaelis, über Kants Zahlbegriff, Berlin 1884.) – Schelling (1775-1864) verstand unter Konstruktion die Entwicklung der Begriffe und Urteile zu einem System und nannte seine Methode philosophische Konstruktion, wobei er nicht, wie man ihm wohl vorwarf, das Gegebene, die Natur, entstehn lassen, sondern das Besondere als Erscheinung im allgemeinen, das Reale im Idealen nachweisen und ableiten wollte. Allerdings gingen seine Schüler so weit, nach einem willkürlichen Schema das aus der Erfahrung Gewonnene zu ordnen. Bei ihnen spricht man daher mit Recht von einem Konstruieren der Geschichte und Natur, d.h. einer gewaltsamen Ableitung des Faktischen aus Begriffen. Hegel (1770-1831) setzte an die Stelle der Konstruktion die immanente Selbstbewegung des Gedankens, durch welche sich der Begriff betätigen soll.
Contemplation (lat. contemplatio Betrachtung), Beschaulichkeit, ist derjenige Zustand der Betrachtung, bei dem sich der Geist von allen äußeren Eindrücken freizumachen versucht, um sich in sein Inneres, seine eigenen Ideen oder in Gott zu versenken. Vgl. Mystik.
Contiguität (lat. contiguitas = die Angrenzung) heißt die Berührung in Raum und Zeit. – Auf der Berührung in Raum und Zeit beruht das eine der Assoziationsgesetze, das z.B. Alexander Bain (1818-1903) im Anschluß an Hume (the mention of one appartment in a building naturally introduces an inquiry or discourse concerning the others [Contiguity] Inquir. Sect. III), Hartley, James Mill usw. so ausdrückt: »Handlungen, Wahrnehmungen, Gefühlsregungen, die gleichzeitig entstehen oder sich unmittelbar folgen, haben das Bestreben, sich zusammen zu reproduzieren und so aneinander zu haften, daß, wenn hinterdrein die eine ins Bewußtsein tritt, auch die andere mit vorgestellt wird.«
Contingent (lat. v. contingere = berühren), benachbart heißen solche Artbegriffe einer Gattung, die in einer Reihe von Gegensätzen einander nahestehen, wie gelb und weiß (vgl. Beiordnung).
Contingenz (franz. Contingence von lat. contingere = sich ereignen) heißt Zufälligkeit, vgl. Zufall. Der kosmologische Beweis für das Dasein Gottes wird e contingentia mundi (aus der Zufälligkeit der Welt) folgendermaßen geführt: Die Welt im Einzelnen und als Ganzes ist nicht notwendig; nun aber muß man für sie als Ursache etwas Notwendiges annehmen, welches allbedingend, unbedingt und ein erstes ist; also verbürgt die zufällige Welt die Existenz eines absolut notwendigen, positiven und kausalen Wesens. Aristoteles (384-322) und im Anschluß an ihn Leibniz (1646-1716) und Wolf (1679 bis 1754) fordern in dieser Gedankenrichtung einen ersten Beweger, Cicero (43 v. Chr.), Diodor v. Tarsus (†394) und Augustin (†430) eine zeitlich erste allbedingende Ursache. Selbst Kant (1724-1804) hat trotz seiner kritischen Einwendungen dem kosmologischen Argument einen gewissen Wert beigelegt. Die Schulform lautet: Alles Existierende muß eine Ursache haben, die entweder ein durch sich selbst notwendiges Wesen oder wieder verursacht ist, bis zuletzt auf eine nicht zufällige, sondern notwendige Ursache zurückgegriffen wird. Dieses Wesen muß als ein allererstes und allerrealstes gedacht werden. Das Bedenkliche dieses Beweises liegt aber, wie Kant ausführt, namentlich darin, daß es die unendliche Kausalitätsreihe an einer Stelle willkürlich abbricht und daß die Identifizierung des schlechthin notwendigen Wesens mit dem allerrealsten ein unbewiesener Sprung ist. (Vgl. Kant, Kr. d. r. V., S. 603-620.)
Continuität (lat. continuitas) heißt Stetigkeit (s. d.); continuierlich heißt stetig.
contra vim non valet jus (lat.) heißt: Gegen Gewalt gilt kein Recht.
Contradictio (lat. contradictio) heißt Widerspruch. Principium contradictionis heißt der Satz des Widerspruchs. Er lautet: »Ein und derselbe Begriff kann nicht das nämliche zugleich sein und nicht sein.« Er ist also die Umkehrung des Identitätsgesetzes (a. d. Vgl. auch A = A). Der Satz des Widerspruchs hat nicht bloß subjektive, sondern auch objektive Gültigkeit: Widersprechendes kann nicht zusammen sein, ohne sich zu beschränken und aufzuheben. Hegel (1770-1831) hatte Unrecht, wenn er sagte, alles Existierende sei der daseiende Widerspruch. Aus dem Satze des Widerspruchs folgt der Satz vom »ausgeschlossenen Dritten« (s. d.). Vgl. auch Enthymem. – Contradictio in adjecto, der Widerspruch im Beigelegten, entsteht, wenn von einem Subjekt ein Prädikat ausgesagt wird, das ihm direkt widerspricht, z.B. der eckige Kreis, das hölzerne Eisen.
Contradiktorisch (sich widersprechend) nennt man zwei entgegengesetzte Begriffe, von denen der eine die Verneinung des anderen ist: A und Non-A. Häufig ist in der Philosophie der mathematische Gegensatz der positiven und negativen Größen irrtümlich mit dem kontradiktorischen Gegensatz verwechselt worden. Zur Klärung der Begriffe hat zuerst beigetragen Kants (1729-1804) Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen. 1763.
Contraposition (lat. contrapositio = Umwendung) heißt in der Logik diejenige Umkehrung (conversio) eines Urteils, bei welcher die Relation verändert wird(Vertauschung von Subjekt und Prädikat, von Bedingung und Bedingtem), zugleich aber auch das zweite der ursprünglichen Glieder (das Prädikat) die Negation in sich aufnimmt, und die Qualität des Urteils sich ändert. – Im kategorischen Urteil wird also bei der Kontraposition das kontradiktorische Gegenteil des Prädikats zum Subjekt gemacht, und die Qualität des Urteils geht in die entgegengesetzte über; im hypothetischen wird das kontradiktorische Gegenteil des bedingten Satzes zum bedingenden, und an die Stelle einer bejahenden Verbindung zwischen beiden Urteilsgliedern tritt eine verneinende und umgekehrt. Aus dem allgemein bejahenden kategorischen Urteil wird also ein allgemein verneinendes, aus: Jedes S ist P: kein Non-P ist S, und aus dem allgemein affirmativen hypothetischen ein allgemein negierendes, aus: Jedesmal wenn A ist, ist B, niemals wenn B nicht ist, ist A. – Aus dem allgemein verneinenden kategorischen Urteil wird ein partikulär bejahendes, aus: kein S ist P: Mindestens einige Nicht-P sind S, und aus dem allgemein verneinenden hypothetischen Urteil ein partikulär affirmierendes, aus: Niemals, wenn A ist, ist B: mindestens in einigen Fällen, wo B nicht ist, ist A. – Aus dem partikulär verneinenden kategorischen Urteil wird ein partikulär bejahendes, aus: Einige S sind nicht P: Einige Non-P sind S, und aus dem partikulär verneinenden hypothetischen Urteil ein partikulär affirmierendes, aus: Zuweilen, wenn A ist, ist B nicht: Mindestens in einigen Fällen, wenn B nicht ist, ist A. Besonders bejahende Urteile lassen sich nicht kontraponieren. Also wird durch Kontraposition aus A: E; aus E: 1; aus 0:1. 1 ist nicht zu kontraponieren.
contra principia negantem disputari non potest heißt: Gegen den, der die Prinzipien leugnet, läßt sich nicht streiten. Dieser Satz ist ein logischer Grundsatz für das wissenschaftliche Disputieren. Man muß sich zuerst mit dem Gegner über die Voraussetzungen einigen, auf Grund deren der Streit entschieden werden soll. Es hilft z.B. nichts, mit einem Menschen zu disputieren, der unsere Vernunft für unfähig hält, die Wahrheit überhaupt zu erkennen.
conträr (vom lat. contrarius entgegengesetzt) heißen die Begriffe, welche innerhalb derselben Gattung am weitesten voneinander abliegen, z.B. Anfang und Ende, a und z, schwarz und weiß, groß und klein, alt und jung, während kontradiktorisch diejenigen heißen, deren einer den anderen einfach verneint, z.B. A und Non-A, sterblich und nicht sterblich. Kontradiktorische Gegensätze entstehen nur bei einer zweiteiligen Einteilung, konträre bei einer mehrteiligen. Ein Mensch ist z.B. lebend oder tot, ein lebendiger ist entweder im Kindheits-, Jugend-, Mannes- oder Greisenalter. Auf der Vermischung des konträren und kontradiktorischen Gegensatzes beruht die antithetisch-synthetische Methode Hegels. Siehe R. Haym, Hegel und seine Zeit. Berlin 1857.
Contrast (franz. contraste) heißt die Gegenüberstellung sich widersprechender Anschauungen und Vorstellungen. Vorstellungspaare mit dem größeren Kontraste befinden sich in höherer Klarheit als solche mit dem geringeren Gegensatze. Jeder Kontrast erregt unsere Aufmerksamkeit, unterbricht die Eintönigkeit und ist mithin ein wichtiges ästhetisches Mittel.
Contrastgefühle sind nach W. Wundt solche, in denen sich Lust und Unlust so mischt, daß bald diese bald jene vorherrscht. Ein solches ist z.B. das Kitzelgefühl.
Conversion (lat. conversio v. convertere = umkehren) beißt in der Logik diejenige Umkehrung eines Urteils, bei welcher die Relation verändert wird (Vertauschung von Subjekt und Prädikat, Bedingung und Bedingtem). Im kategorischen Urteil wird durch Konversion das Subjekt zum Prädikat und umgekehrt. Im hypothetischen Urteil wird der bedingende Satz zum bedingten und umgekehrt. Es gibt drei Arten der Konversion: 1. die einfache Umkehrung ohne Quantitätsänderung (conversio simplex); 2. die Umkehrung mit Veränderung der Quantität (conv. per accidens); 3. die Umkehrung mit Veränderung der Qualität, wobei zugleich die Quantität des Urteils sich ändert, Kontraposition (s. d.). Allgemein bejahende Urteile sind nur dann einfach umkehrbar, wenn sie reziprokabel sind, d.h. wenn P dem S ausschließlich zukommt, z.B. Alle Fixsterne sind Sonnen – alle Sonnen sind Fixsterne. Allgemein bejahende Urteile, in welchen sich S und P nicht vollständig decken, sind nur unter Beschränkung der Quantität umkehrbar (conv. per accidens). Beispiel: Alle Eschen sind Bäume – einige Bäume sind Eschen. Allgemein verneinende Urteile sind rein umkehrbar; partikulär bejahende Urteile sind rein umkehrbar; aus partikulär verneinenden Urteilen kann durch Konversion überhaupt nichts gefolgert werden. Vgl. den Gedächtnisvers:
E, I simpliciter vertendo signa manebunt,
Ast A cum vertis, signa minora cape!
Er besagt: Kehrt man E, I einfach um, so bleibt die Quantität des Urteils, kehrt man A um, so ändert sich die Quantität.
coordiniert heißt beigeordnet (s. Beiordnung).
Copula, s. Satz.
copulativ (lat. copulativus v. copula = Verbindung) heißen diejenigen Urteile, welche nur ein Prädikat, aber mehrere Subjekte haben. Beispiel: Sowohl die Germanen als auch die Romanen und Slawen sind Indogermanen. Die negative Form heißt auch remotives Urteil: Weder Herodes noch Pompejus verdienen den Beinamen des Großen. Vgl. conjunctiv.
cornutus (lat.), der Gehörnte (gr. keratinês) heißt ein Fangschluß des Eubulides (400 v. Chr.). Er besteht in der Frage: »Hast du deine Hörner verloren?« Bei Bejahung schließt sich die Folgerung an: »Also hast du Hörner gehabt«; bei Verneinung: »Also hast du sie noch«. Der Name cornutus wird auch allgemein für einen Fangschluß gebraucht.
Corollarium (lat. corollarium = Anhang) heißt ein Folgesatz oder Zusatz. Ist z.B. erwiesen, daß drei Winkel eines Dreiecks = 2 R., so folgt daraus das Corollarium, daß nur ein Winkel im Dreieck ein rechter sein kann.
Corpuskularphilosophie heißt die Atomistik, weil sie Körperchen als letzte Bestandteile der Dinge annimmt. Vgl. Korpuskeln.
Corpuskeln, siehe Korpuskeln.
Correspondenz der Geister, d.h. Verkehr der Geister auf übersinnliche Weise, wird von einigen Philosophen, wie Schopenhauer, J. H. Fichte, Ulrici, und Mystikern, wie Perty, Schubert u. a. angenommen. Besonders behaupten die Möglichkeit einer solchen Korrespondenz die Spiritisten. Doch sind die Zeugen dafür meist fragwürdig in objektiver und subjektiver Hinsicht; zum Teil sind sie als Schwindler entlarvt worden wie M. Slade. Die von den Geistern gegebenen sogenannten Offenbarungen sind durchweg höchst platt, ja oft absurd. So wird mit Kant (»Träume eines Geistersehers« 1766) füglich jeder Vernünftige über die Frage im Klaren sein.
Correlata (Wechselbegriffe) heißen Begriffe, die miteinander so zusammenhängen, daß sie nicht ohne einander gedacht werden können. Solche Wechselbegriffe sind z.B. Ursache und Wirkung, Grund und Folge, Zweck und Mittel, Gott und Welt. Leib und Seele, Stoff und Kraft, Mann und Weib. Siehe Beiordnung.
Creatianismus (v. creo schaffe) heißt die von der alten Kirche (Ambrosius, Hilarius, Pelagius von Pictavium), später von Petrus Lombardus, Calvin, Calixtus, Musaeus, und von Neueren, z.B. Nasse, vertretene Ansicht, wonach der Leib des Menschen von den Eltern gezeugt, die Seele aber von Gott geschaffen und bei oder kurz vor der Geburt jenem eingehaucht werde. Doch widerspricht die Idee der Tatsache, daß sich die Geschichte der Seele bis in die Keimzelle zurückverfolgen läßt.
Criminalpsychologie heißt die gerichtliche Psychologie, welche diejenigen Fälle untersucht, in denen aus körperlichen, seelischen oder sittlichen Gründen die Zurechnung (s. d.) ganz oder teilweise ausgeschlossen scheint. Als medizinische Disziplin entstand diese Wissenschaft durch Metzger und Plattner in den zwanziger Jahren des 19. Jahrh. und wurde durch Hoffbauer, Grohmann, Heinroth u. a. fortgebildet. Vgl. Friedrich, System der gerichtl. Psychol. 2. Aufl. Regensburg 1842.
Crocodilinus sc. syllogismus, s. Krokodilschluß.
culpós (lat. v. culpa = Schuld) heißt eine strafbare Handlung, die nicht aus böslicher Absicht, sondern aus Fahrlässigkeit hervorgegangen ist. Gegensatz: dolós. Vgl. Zurechnung, Dolus.
Cultur (lat. cultura) heißt eig. die Pflege, Bearbeitung und Ausbildung einer Sache zu dem Zweck, sie zu irgend einer Verwendung brauchbar zu machen. Im weiteren Sinne ist die Kultur die Bearbeitung der ganzen Natur durch den Menschen und die Ausbildung seiner moralischen, intellektuellen und technischen Anlagen und Fertigkeiten. Sie folgt der Zivilisation als höhere Stufe der Entwicklung eines Volkes nach, hat aber ihre Grenzen darin, daß der Mensch die Naturkräfte wohl entdecken und benutzen kann, aber nicht zu ändern vermag. Gegenüber dem Naturzustande bildet die Kultur trotz aller ihrer Schattenseiten den höheren, wertvolleren Zustand der Menschheit.
Cynismus (gr. kynismos v. kyôn = Hund) bedeutet eine Auffassung und Führung des Lebens, welche alles, was über den Standpunkt des Bedürfnisses hinausgeht, verachtet. Bequemlichkeit, Luxus, vor allem Anstand, Sitte, Kunst, Wissenschaft und Bildung sind in den Augen eines cynischen Menschen nichts; ja er gefällt sich darin, sie geflissentlich zu verhöhnen. Der Name Cyniker (Kyniker) stammt daher, daß Antisthenes (geb. 444 v. Chr.), der Schüler des Sokrates, das Haupt der Kyniker, ca. 380 seine Schule im Kynosarges, dem Gymnasium für Nichtvollathener, eröffnete, hat aber auch eine besondere Färbung dadurch erlangt, daß man Diogenes v. Sinope (404-323), den Schüler des Antisthenes wegen seiner Gesinnung kyôn (Hund) nannte. Außer diesen beiden gehört der cynischen Schule noch Krates von Theben, dessen Gattin Hipparchia und deren Bruder Metrokles an. Antisthenes war Schüler des Sophisten Gorgias und im höheren Alter Schüler des Sokrates. Er lehrte, daß die Tugend das einzige Gut sei, daß die Lust verderblich wirke, und verlegte die Tugend in die Selbstbeherrschung und Bedürfnislosigkeit. So forderte er Rückkehr zur Einfachheit des Naturzustandes. Diogenes von Sinope übertrieb die Grundsätze seines Lehrers und verwarf mit den Unsitten seiner Zeit auch ihre Sitte und Bildung; so wurde er zu einem selbstgefälligen Sonderling, der sich der Richtung seiner Zeit entgegenstellte, den jedoch der Spott seiner Zeitgenossen nicht abhielt, nach seiner Weise naturgemäß, aber einflußlos zu leben. – Der bessere Kern der cynischen Lehre ist später in die Philosophie der Stoiker übergegangen; doch entwickelte sich daneben aus dem Cynismus ein hochmütiges und schamloses Bettlertum, an dem der Name der Cyniker haftete. Einen solchen Vertreter des Cynismus in seiner Zeit verspottet z.B. Lukianos in seinem Peregrinus Proteus.