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Kapitel II: Bei der Securitate Die Verhaftung
ОглавлениеDie Pforte ging lautlos auf und ich erkannte zwei auf mich gerichtete Waffenläufe. Dann hörte ich die leise Aufforderung, einzutreten, und den berüchtigten Satz: „Esti arestat!“ (Du bist verhaftet) Ich wurde von rechts und links gepackt und fühlte zwei Waffenläufe in meinem Rücken. Flinke Hände tasteten mich ab und nahmen mir das Fahrrad weg. Danach führte man mich durch den Garten zur linken Ende des Hauses, wo eine Tür unmittelbar in ein Wohnzimmer mündete. Im Haus brannte gedämpftes Licht. Es kam von einer Tischlampe, die zur Straße hin mit einer Zeitung abgeblendet war, das schwache Licht im Zimmer war von der Straße her nicht zu sehen.
Beim Betreten des Raumes erkannte ich mit dem ersten Blick Harry in der linken Ecke der Stube auf einem Stuhl sitzend. Ich grüßte die Anwesenden und fragte, mit wem ich die Ehre hätte. Ein Mann, zivil gekleidet, der bei einem Tisch saß, antwortete: „Wir sind die Securitate.“ Worauf ich bemerkte: „Dann bin ich beruhigt.“ „Wieso?“, fragte er mich. „Ja, sie hätten auch Banditen sein können, so wie sie mich mit ihren Waffen bedroht haben.“ Mit einem verschmitzten Lächeln meinte er: „Iti arde de glume, dar o săţi treacă:“ (Du hast Lust, zu spaßen, aber es wird dir vergehen) Der andere, wahrscheinlich auch ein Offizier, sagte nichts und wies mich in die rechte Ecke des Zimmers, wo ebenfalls ein Stuhl stand. Die Häscher, die mich bis zur Haustür geleitet hatten, verschwanden wieder in der Dunkelheit. Sie hatten Arbeitskleider an, und ich erinnerte mich an die in Overalls gekleideten Arbeiter, die uns vor einer Stunde in der Porumbescu-Straße aufgefallen waren. Ich vermutete, dass es sich auch bei diesen um Leute der Securitate gehandelt hatte, nur deren große Zahl von 20 bis 30 Mann wunderte mich. Nun saßen wir da, Harry und ich, in einem Zimmer, konnten höchstens Blicke tauschen, und auch das ging wegen der stark abgeschirmten Lampe schlecht. Irgendwann fragte mich der eine Offizier nach Fredi. Ich antwortete, dass ich nichts von ihm wüsste und ich eigentlich hergekommen sei, um ihn zu treffen. Ob er mir diese Antwort abnahm oder nicht, war nicht zu erraten, jedenfalls fragte er mich nichts mehr. Natürlich dachte ich an Fredi und hoffte, dass er meine Gefangennahme gesehen und sich aus dem Staub gemacht hatte.
Es mag gegen Mitternacht gewesen sein, als einer der Offiziere den Aufbruch befahl. Uns wurden Handschellen angelegt, man führte uns einzeln aus dem Haus und wir mussten zusammen mit zwei Begleitern und dem Fahrer einen Jeep besteigen. Obwohl ich gefesselt war, hielt während der gesamten Fahrt einer der Offiziere seine Pistole auf mich gerichtet. Wir fuhren in Richtung Stadtmitte. Als wir beim Capitol-Kino in die Loga-Straße einbogen, war klar, dass das Ziel unserer Fahrt der Sitz der Securitate sein musste. Ich kannte den Gebäudekomplex, bestehend aus dem ehemaligen deutschen Konsulatsgebäude und zwei weiteren Villen, darunter die bereits erwähnte Rieger-Villa, welche nunmehr der Staatssicherheit als örtliches Hauptquartier diente. Das gesamte Areal war gleich nach der Inbesitznahme durch die neuen Herren mit einer etwa drei Meter hohen Mauer umgeben worden. Der Wagen hielt vor dem großen Eisentor, welches keinen Einblick in den Hof gewährte. Auf das Hupen unseres Fahrers begann sich das Tor elektrisch gesteuert zu öffnen, während einer meiner Begleiter mir den Kopf hinunterdrückte, damit ich vom Hof nichts erkennen konnte. Trotzdem merkte ich, dass wir in Richtung des ehemaligen Konsulatsgebäudes steuerten, wo der Wagen in einem Raum hielt. Der Kerl, der mich unten hielt, drückte mir eine „Blinde Brille“ – sie hatte statt der Gläser Blechscheiben eingepasst – auf die Augen, bevor ich mich aufrichten durfte. Ich musste aussteigen, und jemand führte mich an der Hand. Wir erreichten eine Stelle, wo mir mein Begleiter sagte: „Pass auf, Treppen“, und ich merkte, dass wir hinunter in einen Keller stiegen. Er führte mich bis zu einer Tür, die er öffnete und mich hineinschob. Dann nahm er mir die Brille ab und er sagte: „Geh aufs WC, dort kannst du auch trinken.“ Er zeigte dabei auf den Wasserhahn nebenan. Ich hatte tatsächlich als Folge des vielen Radfahrens einen gewaltigen Durst. Nachdem ich meine leiblichen Bedürfnisse befriedigt hatte, setzte er mir erneut die Blechbrille auf und führte mich auf einer Treppe bis ins erste Obergeschoss. Dort öffnete er eine Tür und schob mich hinein. Als er mir die Brille abnahm, sagte er: „Genosse Kommandant, hier ist der Chef.“
Ich befand mich in einem größeren Raum, vermutlich dem ehemaligen Empfangsraum des Konsulates. In der Mitte stand ein massiver Schreibtisch, an dem ein etwa 40 Jahre alter massiger Mann saß. Hinter ihm befanden sich im Raum noch weitere acht bis zehn Männer, einige in Zivil, andere in Uniform. Wegen der speziellen Beleuchtung – ich wurde von zwei Tischlampen geblendet – konnte ich das „Empfangskomitee“ nur schlecht sehen, alle Personen saßen für mich im Halbdunkel. Vermutlich war es der „Boss“, der meinte: „Schaut ihn an, wie ein Panzer.“ Er meinte damit wohl mein Aussehen, denn ich war damals ein durchtrainierter Zehnkämpfer. Als ich auf seine Frage antwortete, dass ich ein Leichtathlet sei, meinte er: „Schade, ich dachte, du wärst Boxer und wir könnten ein Match gegeneinander austragen.“ Ich zog es vor, auf diese höhnische Bemerkung nicht zu antworten.
Es folgten Fragen über persönliche Daten, beginnend mit Namen, Alter, Schulbildung, dabei wurde vom „Boss“ besonders thematisiert, dass ich sieben Jahre lang Schüler der Banatia, einer deutschen Schule, war, und er klagte, welch schlimme Elemente aus dieser Schule kämen. Dann wurde ich über meine Eltern befragt und ich beteuerte, dass sie von meinen politischen Tätigkeiten keine Ahnung hatten. Ferner interessierten ihn unser Vermögensverhältnisse und mögliche Beziehungen zum Ausland. Ich erteilte ihm die nötige Auskunft, verschwieg jedoch meinen Onkel Fritz, Bruder meines Vaters, der schon Mitte der Zwanzigerjahre nach Argentinien ausgewandert war. Er stand in regelmäßigem Briefverkehr mit meiner Großmutter, und ich hoffte, dass zumindest diese Beziehung von der Securitate nicht erkannt werden würde, um meinem Vater überflüssige Befragungen zu ersparen. Es folgten weitere unzählige Fragen über die Sportschule, die dortigen Lehrer und die Schüler. Ob ich eine Freundin in der Schule oder sonst wo hätte, wollte man ebenfalls wissen. Die Fragen prasselten ununterbrochen auf mich ein, und ich bemühte mich, ruhig zu scheinen und nur überlegte Antworten zu geben. Wenn ich auf eine Frage allerdings nicht schnell antwortete, wurde ich auf ordinärste Weise aus dem reichen Wortschatz der rumänischen Sprache beschimpft. Es hagelte Drohungen und man stellte mir in Aussicht, erschlagen, erschossen oder gehängt zu werden. Mit zunehmender Dauer schalteten sich weitere der anwesenden Personen in die Befragung ein, die ebenso wenig an Kraftausdrücken sparten. Als ich bei einer Antwort vermeintlich zu lange zögerte, sprang ein junger Kerl, auch zivil gekleidet, hinter mich und begann, mich mit einer großen Pistole an Nacken und Kopf zu stoßen und zu schlagen. Unter ordinärsten Beschimpfungen drohte er, mir „das Hirn aus dem Kopf zu blasen“.
Seine Schläge und Stöße gegen den Kopf waren eigentlich nicht schlimm, denn er achtete offenbar darauf, mich nicht ernstlich zu verletzen, und schlug nur mit der Seite der Waffe zu, die Nackenstöße hingegen waren ziemlich heftig. Zur Abwechslung spannte er ab und zu die Waffe, als ob er sie laden wollte, drückte sie mir in den Nacken oder an die Schläfe und zog sie ab. Mir war klar, dass man mit dieser Behandlung bezweckte, mich zu verwirren und zu ungewollten Aussagen zu bringen, und genau das trachtete ich unbedingt zu vermeiden, wenngleich auch die Stöße und das metallische Geräusch mir zugegebenermaßen erheblich zusetzten. Die Folge war, dass ich meine Antworten noch weiter verzögerte, was dem „Boss“ nicht gefiel und ihn endlich veranlasste, den „Pistolero“ zurückzupfeifen. Aber die Fragen prasselten weiter auf mich ein: Wer meine Freunde in und außerhalb der Schule seien? Wer zur Organisation gehöre? Anfangs wollte ich von einer Organisation noch nichts wissen, wurde jedoch bald eines Besseren belehrt. Während immer neue Fragen gestellt oder bereits gestellte Fragen wiederholt wurden, kamen regelmäßig irgendwelche Kerle in den Raum und legten dem „Boss“ Zettel vor.
Irgendwann sagte er: „Es ist klar, du bist der Chef. Wer gehört noch zur Organisation und von wem bekamst du die Befehle?“ Was Freunde betraf, trachtete ich, solche zu nennen, die mir im Sport nahestanden, mit denen ich aber keine politischen Beziehungen hatte, und bemühte mich insbesondere, die Beziehungen zu Deutschen herunter zu spielen. Der Versuch, irgendwie als Einzelgänger zu erscheinen, gelang mir freilich nur bedingt, denn meine Vernehmer hatten Listen, auf denen anscheinend sehr viele Personen vermerkt waren. Mir fiel auf, dass viele dieser Personen nur mit dem Vornamen erfasst waren. Unter den vollständig bezeichneten Personen waren alle Lehrkräfte der Sportschule, wie etwa Professor Cornel Iovănescu, Dr. Catina, der Schularzt, oder die Professoren Eilhardt, Bejan und Lache. Von Letzterem wusste ich sehr wohl, dass er politisch „belastet“ war, weswegen er den Sportklub des Innenministeriums „Dinamo“ hatte verlassen müssen, unter anderem weil er mit einer deutschen Frau, noch dazu der Nichte des inhaftierten katholischen Bischofs Augustin Pacha, verheiratet war. Als man mich über all diese Lehrkräfte befragte, wunderte es mich sehr, dass die Professoren Parsch und Höckl, ebenfalls Deutsche, nicht erwähnt wurden. Speziell bei Höckl meinte ich zu wissen, dass er als politisch belastet galt. Jedenfalls war ich über das Ausmaß der Untersuchungen in unserem Fall überrascht. Meiner Schätzung nach waren mehrere Stunden vergangen, und noch immer führte der „Boss“ das Verhör. Wie ich später von ihm persönlich erfuhr, war er der berüchtigte Securitate-Offizier Aurel Moiş.
Anhand der Namenslisten kamen dann meine Schulkollegen und -kolleginnen an die Reihe. Dann kam die Frage aller Fragen: „Gibst du zu, dass du der Chef einer geheimen staatsfeindlichen Organisation bist?“ Ich versuchte zu verharmlosen, er aber schnitt mir das Wort ab und brüllte mich an: „Du bist der Führer („Führer“ sprach er deutsch aus) von Verbrechern, Feinden des sozialistischen Rumänien. Du hast deinen Leuten befohlen, auf unsere Organe zu schießen. Einer unserer Offiziere ist von dem Banditen Jasberenyi beschossen und schwer verwundet worden. Das war auf deinen Befehl, und wenn unser Mann stirbt, so wirst auch du zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.“ Ich muss gestehen, dass ich für den Moment perplex war und nichts zu erwidern wusste. Moiş setzte fort: „Gibst du zu, dass du Jasberenyi den Schießbefehl gegeben hast?“ Ich verneinte, dass ich jemandem einen ausdrücklichen Schießbefehl erteilt hätte. Darauf sagte er nichts, fragte aber weiter: „Wer hat dir befohlen, eine Organisation aufzubauen und Aktionen durchzuführen?“ Ich bestritt, jemals von irgendjemandem Befehle erhalten zu haben, was er mir vorläufig nicht recht zu glauben schien.
Fragen und Drohungen kamen am laufenden Band, darunter auch Fragen nach mir unbekannten Personen oder solchen, die ich nicht kennen wollte. „Bist du dir dessen bewusst, ein schweres Verbrechen begangen zu haben? Bist du dir bewusst, nur dann eine Überlebenschance zu haben, wenn du jetzt kooperierst und alle nennst, die in deiner Bande mitgemacht haben? Beginnen wir mit Jasberenyi. Gestehe, dass du ihn zum Flugblätterverteilen mit einer Pistole bewaffnet losgeschickt hast. Jetzt ist er jedenfalls schwer verwundet, und ob er am Leben bleibt, ist unklar. Wenn ja, dann wird er für immer ein Krüppel bleiben.“ Ich gab zu, Andreas Flugblätter und eine Pistole ausgehändigt zu haben, bestritt aber, ihm einen Befehl zum Schießen gegeben zu haben.
Nun wusste ich zumindest, dass es offenbar eine Schießerei gegeben hatte, bei welcher Andreas und ein Securitate-Offizier verwundet worden waren. Als ich Moiş meinerseits nach den näheren Umständen von Andreas’ Verhaftung fragte, sagte er nur: „Das wirst du noch erfahren.“ Übrigens gab ich zu, dass die bei Andreas gefundene Pistole mir gehörte, obwohl ich fälschlicherweise dachte, der illegale Waffenbesitz würde als besonders schwerwiegendes Verbrechen gewertet werden. Wie sich jedoch später anhand unseres umfangreichen „Sündenregisters“ herausstellte, wurden wegen des Waffenbesitzes die kleinsten Strafen verhängt. Um eine Zeit ging Moiş hinaus und an seiner Stelle führte ein anderer zivil gekleideter Offizier meine Vernehmung fort. Da ich sehr müde war, fiel es mir immer schwerer, prompt und glaubwürdig auf seine Fragen zu antworten. Wen wundert es: Die Nacht nach unserer Aktion hatte ich auch aus Sorge um Andreas kaum geschlafen, und die folgende Nacht draußen an der Temesch mit unzureichender Kleidung und einer sehr dünnen Decke war auch nicht besser. Dazu kamen die etwa 100 Kilometer, die wir in diesen zwei Tagen auf Fahrrädern zurückgelegt hatten. Nunmehr in der dritten Nacht ohne richtigen Schlaf, aber stattdessen mit dem pausenlosen Verhör, war ich nahe daran, vom Stuhl zu fallen.
Man gab mir zu trinken und spritzte mich mit Wasser ab. Dann kam Moiş zurück und brüllte, ich solle gestehen, dass alle Deutschen aus unserer und der dritten Klasse Mitglieder meiner „Bande“ seien. Ich zögerte noch, um Zeit zu gewinnen, während er weiterbrüllte: „Gib zu, dass außer Jasberenyi auch Brössner, Mildt, Prack, Hochstrasser und Bayer dabei waren.“ Die Namen Szilagyi, Stein, Zirkl und Winkler fielen noch nicht, aber auch das sollte sich bald ändern. Aufgrund eines der vielen Zettel, die man Moiş nach und nach vorlegte, schrie er mich aufs Neue an: „Warum gibst du nicht zu, dass auch Stein und Zirkl dabei waren?“ Eben dieses hatte ich kurz vorher noch verneint, aber meine Vernehmer waren nicht so leicht hinters Licht zu führen und befragten mich besonders intensiv über weitere Klassenkollegen deutscher Nationalität, wie etwa Eugen Warga, Feri Krassl oder Ladislaus Willems. Bezüglich der Letzteren schien es mir kurzfristig gelungen zu sein, die Vernehmer von deren Unschuld überzeugt zu haben, doch ich sollte mich irren: Ein Leutnant betrat den Raum und flüsterte Moiş etwas ins Ohr, worauf dieser sofort mit ihm den Raum verließ. Ein anderer Vernehmer begann, mir belanglose Fragen zu stellen, möglicherweise mit der Absicht, mich zu beschäftigen und mir das Nachdenken zu erschweren.
Moiş kam bald wieder und überschüttete mich schon beim Betreten des Raumes mit den übelsten Schimpfwörtern. Seine Sätze strotzten von Genitalien, Müttern und was es sonst noch im reichen Fundus des gemeinsten rumänischen Wortschatzes gibt. „Verlogenes Schwein“ war noch das Harmloseste, was ich zu hören bekam. „Jetzt wissen wir genau, dass auch Jakob Stein und Egon Zirkl zu deiner Bande gehören. Du verdienst nicht die Kugel, die du bekommen wirst. Ich werde verlangen, dass du gehängt wirst.“ Damals wusste ich noch nicht, wer von uns schon verhaftet war. Erst viel später erfuhr ich, dass der erste, der nach Andreas festgenommen wurde, Dietmar Brössner war, und dass bei dieser Verhaftung wie auch bei der Festnahme von Andreas Viktor Alexandrescu, genannt „Purschi“, dabei war. Während die Fragen ununterbrochen auf mich hereinprasselten, griff Moiş zu den mir abgenommenen Sachen, die unweit von ihm auf dem Tisch lagen. Ich hatte nahezu 500 Lei in meiner Brieftasche, ebenso meinen Sportausweis und die Anglererlaubnis. Meinen Personalausweis hatte man mir bei der Verhaftung abgenommen. Außerdem waren da noch ein Taschenmesser und mein Taschenspiegel. Er nahm den Spiegel in die Hand, hob ihn hoch und verkündete: „Hier befindet sich das größte Geheimnis dieses Banditen. Hier drinnen stecken die Geheimdokumente des Verbrechers.“ Es wurde ganz still, alle – auch ich – schauten voller Spannung auf seine erhobene Hand. Sichtlich ungeduldig wandte er sich an seine nächsten Nachbarn. „Gebt mir ein Messer!“ Dienstbeflissen sprang ein junger Offizier zu ihm und reichte ihm mein geöffnetes Taschenmesser. Moiş griff zu und machte sich daran, die Rückseite des Spiegels, eine weiche, mit Tuch überzogene Füllung, aufzuschneiden, da seine blühende Kriminalisten-Fantasie ihn verborgene Geheimdokumente hinter dem Spiegel vermuten ließ.
Mit Übereifer stach er in den Überzug, das Messer glitt ab und er schnitt sich tief hinein, quer über die ganze Handfläche. Während er das Messer fallen ließ und über Gott und die Welt zu fluchen begann, sprangen seine Mitarbeiter entsetzt herbei, jemand schrie nach einem Sanitäter, ein anderer nach einem Arzt. Gestützt von seinen Helfern verließ Moiş das Zimmer und kehrte erst nach einer Viertelstunde zurück, sichtlich bemüht, einen gefassten und heroischen Eindruck zu machen. In der Zwischenzeit hatten andere Neugierige den Spiegel untersucht, unter dem Tuchüberzug aber lediglich einige Lagen Krepppapier gefunden, sonst nichts. Zumindest gab Moiş es jetzt auf und sagte: „Jetzt ist Schluss, bringt ihn in eine Zelle, und morgen sprechen wir weiter.“ Dieses „morgen“ war freilich etwas unklar, denn es war ja schon längst der nächste Tag, der 14. September, angebrochen. Zum Abschied verpasste er mir noch einen mächtigen Fußtritt in meinen linken Oberschenkel, den ich noch lange spüren sollte.
Es war bestimmt schon 3 oder 4 Uhr morgens, als ich mit der Blechbrille auf den Augen in den Keller des gleichen Hauses geführt wurde. Nach dem man mir die Brille abgenommen hatte, fand ich mich in einer Zelle von etwa vier Meter Länge und zwei Meter Breite wieder. Ein kleines stark vergittertes Fenster mit Milchglas spendete zwar Licht, aber keine Luft. In der Zelle standen zwei Betten, jedes mit Strohsack, Decke und Kissen ausgestattet – sonst nichts. Ich legte mich sofort nieder, denn ich fühlte mich wie gerädert und war unendlich müde, fand vorerst jedoch noch keinen Schlaf. Ich war zu aufgewühlt, tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Frage war: Wie konnte es sein, dass die Securitate schon so viel über unsere Organisation wusste? Gab es Verrat? Es war nicht auszuschließen.