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Wir küssten in dieser Zeit das erste Mal ein Mädchen. Dietrich, Malte und ich hatten uns am Fluss verabredet und dort drei Mädchen aus unserer Klasse getroffen. Nebeneinander lagen wir auf unseren Handtüchern auf dem Gras, als Dietrich die Sprache auf Mädchen und Jungen brachte und Veronicas Freundin, Hanna, am Arm streichelte. Hanna reagierte hierauf, indem sie näher an Dietrich heranrückte und ihm ihrerseits über den Rücken fuhr. Wir anderen beobachteten die beiden, ich merkte, wie mir ein seltsames Gefühl durch den Körper ging, ein Gefühl, das ich häufig hatte, wenn ich allein war und an Mädchen dachte. Ich sah Veronica an und merkte, dass sie mir ebenfalls näher gerückt war. Wir waren allein am Ufer des Flusses, drei Jungen und drei Mädchen, alle anderen waren gegangen. Veronica beugte sich zu mir hinüber und küsste mich ohne weitere Worte auf den Mund, ein Kuss, den ich erwiderte, wobei ich meine Hände über ihren Rücken gleiten ließ, hinauf bis zu den Schultern und hinunter bis zu ihrem Po. Ich geriet in große Aufregung, hörte, wie auch die anderen sich küssten, als sich Veronica, ich hatte meine Hände langsam auf ihre Brüste gleiten lassen, plötzlich von mir löste und sagte: „Mehr geht jetzt nicht.“ Auch die anderen trennten sich, wir Jungen verbargen unsere erregten Geschlechter, indem wir uns mit unschuldigen Mienen auf den Bauch legten. Veronica hat mich danach nicht wieder geküsst, nichts folgte darauf, ebenso wenig wie bei Dietrich und Malte.

Diese Geschehnisse beschäftigten unsere jungen Gemüter. Nichts wussten wir wirklich von der Welt, wohl sahen wir die Bilder der Not in Afrika, in Asien in unseren Fernsehgeräten, dieses Unglück war von unserer Wirklichkeit aber zu weit entfernt, als dass es uns ernsthaft betroffen hätte. Vater erzählte von seinen Fällen, die von Bedrängnis und Armut handelten, wir Kinder nahmen diese Erzählungen als Ereignisse in einer fremden Welt an, die mit der unseren nichts zu tun hatte.

Heinrich Görgen, der wusste von dieser anderen Welt, lebte er doch darin, aber er ließ uns andere nicht teilhaben an seiner Armut, an seinem Neid auf die Unbeschwertheit der anderen. Allein kam er in die Schule, mit dem Fahrrad, ob Sommer oder Winter, in der Hitze und in klirrender Kälte, mit einem dünnen Mantel bekleidet, ohne Taschengeld, über das wir anderen in ausreichender Menge verfügten. Jeden Morgen fuhr er hin, 14 Kilometer, und jeden Mittag zurück, wieder 14 Kilometer, ohne auch nur ein einziges Mal zu klagen. Ja, Heinrich Görgen erfuhr früh den Unterschied zwischen arm und reich, und wie es ist, zu den Armen zu gehören.

Rudolf Mittelbach hätte geschossen

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