Читать книгу Comanchen Mond Band 3 - G. D. Brademann - Страница 8
1. Kapitel
ОглавлениеDem zunehmenden Mond fehlte nur noch ein kleines Stück zu seiner vollen Größe. Sein Licht verblasste jetzt jedoch allmählich im Morgengrauen. Obwohl viele von der kleinen Antilopenbande noch schliefen, standen bereits erste Frühaufsteher unten am Fluss, um den neuen Tag zu begrüßen. Im heraufziehenden Morgenlicht lagen die Wälder im Osten noch in dichten Nebel gehüllt. Davor weideten ihre Pferde – etwa 800 – in den Hügeln; hier hatte sich der Nebel bereits verzogen. Pferdejungen krochen zwischen ihren Beinen hindurch; junge, übermütige Hengste – Junggesellen – kabbelten sich miteinander, und der Leithengst in Light-Clouds Herde hob den Kopf. Das große, schwere Kavalleriepferd, auf dem Summer-Rain vor acht großen Wintern halbnackt und schwerverletzt zu diesem Volk gekommen war, stand in stolzer Pose etwas abseits. Ihm schien seine bevorzugte Stellung bewusst zu sein, denn Light-Cloud setzte mit ihm die Züchtung fort, die sein Vater Three-Bears begonnen hatte und die ihm den Neid so manches Kriegers einbrachte. Der helle Beinbehang des Pferdes flatterte im Morgenwind, mutwillig und voller Tatendrang schüttelte er die hellblonde, gewellte lange Mähne. Es war ein Anblick, der jedes Kriegerherz höher schlagen ließ.
Einige Männer holten gerade ihre Lieblingstiere, um mit ihnen wie immer auf der Ebene zu arbeiten; die Ausbildung konnte den ganzen Tag über dauern. Andere, die die Nacht über bei ihren Pferden gewesen waren, grüßten verschlafen. Gray-Wolf hinkte aus Richtung Fluss herbei, also hatte er die Nacht in seinem Tipi verbracht. Auf seinem groben Gesicht mit der großen Nase erstrahlte ein Lächeln. Gerade eben kamen Storm-Rider und Summer-Rain zurück aus den Bergen, wo sie fast einen vollen Mond verbracht hatten. Gray-Wolf rief ihnen einige freche Bemerkungen zu und sparte nicht mit unmissverständlichen, deftigen Handbewegungen. Auch andere hatten ebenfalls eine reiche Fantasie, was das betraf. Storm-Rider ritt an ihnen vorüber, ohne sich etwas daraus zu machen; lediglich seine Mundwinkel zuckten belustigt. Summer-Rain neben ihm tat so, als hielte sie sich die Ohren zu, doch auch sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie ritten um das hohe Felsgestein, das im Abstand von etwa zwölf Pferdelängen zu den Hügeln im Südosten aufragte. Dann verschwanden sie an der sich daran anschließenden Mauer aus wie Wächter aussehenden Felsen, die die Sicht zum dahinterliegenden Fluss abschirmten. Sie ritten weiter, der Biegung des Flusses folgend, an den danach bis zur Mitte reichenden Schieferplatten vorbei, die eine Überquerung dort unmöglich machten.
Noch bevor sie die ersten Tipis sehen konnten, griff Storm-Rider nach Summer-Rains Hand. „Mach dir nichts draus“, meinte er, „sie hören bald schon damit auf.“
Natürlich, wenn sie ein neues Opfer finden, dachte sie belustigt.
„Wir sollten gleich wieder umkehren“, meinte er in einem so ernsthaften Ton, dass sie es fast glaubte und für einen winzigen Moment auch hoffte. Er blickte zu ihr hinüber – wachsam, besorgt. „Du bist jetzt meine Frau, und ich bin dafür da, allen Ärger von dir abzuhalten. Wenn du es wünschst, werde ich mit denjenigen reden, die es nicht lassen können, dich zu belästigen.“
„Musst du nicht, Storm-Rider, du bist zwar mein Ehemann, doch ich kann für mich selbst sprechen.“
Da hatte er es wieder: Mit dieser hier würde er es nicht leicht haben. Seine Hand loslassend sagte sie: „Ich muss zuerst zu Großmutter. Sie wird das von mir erwarten.“ Damit wendete sie Whirl, ihre Gescheckte, und ritt einfach weiter, einen verblüfften Storm-Rider hinter sich lassend. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als ihr nachzublicken – wohl wissend, dass er beobachtet wurde. Nun ja, sie sollten keine Ursache haben, über seine Ehefrau schlecht zu reden. Leise vor sich hin pfeifend machte er sich zum Tipi seiner Eltern auf.
Indessen kam Summer-Rain dem ihrer Großmutter näher. Das schlechte Gewissen plagte sie. Doch so langsam sie auch ritt, hinter der nächsten Flussbiegung stand ihr Zuhause. Das stimmte so nicht mehr – denn jetzt war sie die Ehefrau eines angesehenen Kriegers und würde ein eigenes Zuhause haben. Hinter dichtem Buschwerk lugten die Planen von Großmutters Tipi hindurch. Summer-Rain beugte sich tief auf den Rücken ihrer Stute und zog den Kopf ein. Es hatte sich nichts verändert; alles war noch genau so wie bei ihrem, nun ja, etwas überstürzten – oder vielleicht konnte man sagen: unüblichen – Aufbruch, und nun würde sie sich die Vorwürfe der alten Frau anhören müssen.
Tief luftholend hielt sie ihre Gescheckte an. Noch bevor sie absteigen konnte, wurde die Klappe des Tipis zurückgeschlagen – ziemlich heftig sogar – und ihre Großmutter schlüpfte heraus. Zwei Herzschläge lang blickten sie einander in die Augen, dann siegte die Wiedersehensfreude bei Großmutter und sie stand neben der Stute, die Arme zu ihrem Liebling hochgereckt. Summer-Rain ließ sich von ihrem kleinen Mustang gleiten, beide Hände um Großmutter geschlungen. Tränen kullerten über die Wangen der alten Frau, während sie sie an sich drückte. Sie ließ sie unbeachtet und tätschelte ihrer Enkelin – nun ja, eigentlich ja ihrer Nichte – den Rücken. Dann trat sie plötzlich einen Schritt zurück, Summer-Rain forschend betrachtend. Ihr einstiger kleiner Blue-Butterfly war jetzt eine verheiratete Frau. Sie trug ihr Hochzeitskleid – natürlich – ihr Aufbruch war ja so eilig gewesen, dass sie nichts anderes mitnehmen konnte. Doch es sah ganz danach aus, als hätte sie es kaum getragen. Großmutter fragte sich insgeheim, ob sie überhaupt Kleidung gebraucht hatte. „Du solltest dich umziehen“, brachte sie heraus; es klang nicht streng und doch irgendwie vorwurfsvoll.
Wortlos drehte sich Summer-Rain zu ihrer Gescheckten um, löste einen Lederbeutel vom Hals des Mustangs und reichte ihn Großmutter. „Dort drin sind mein Schmuck und alles, was mich an den Tag meiner Hochzeit erinnern wird. Verwahre es für mich, bis ich ein eigenes Tipi habe.“ Ihr Ton war sachlich, sie war etwas enttäuscht über die ersten Worte der alten Frau nach so langer Trennung. Zwischen ihnen entstand eine gedrückte Stimmung. Sie würden reden müssen, dachten beide gleichzeitig.
Summer-Rain war nicht mehr das kleine Mädchen, das ihres Schutzes bedurfte. Jetzt war sie eine verheiratete Frau und traf ihre eigenen Entscheidungen. Großmutter seufzte – hatte sie das nicht schon immer getan? Doch sie war doch noch ihr kleines Mädchen, ihr kleiner Blue-Butterfly – das würde sich auch nie ändern; Summer-Rain würde immer zu ihr kommen können, egal, was auch passierte. Diese Erkenntnis kam ihr jetzt, genau in diesem Augenblick – und da war der alten Frau, als hätte ihr jemand den schweren Stein, der auf ihrem Herzen lag, hinweggerollt.
Summer-Rain würde immer ihre Summer-Rain bleiben – ihr kleiner Liebling.
„Mein Tipi war immer dein Zuhause“, sagte Großmutter deshalb jetzt sanft, den Beutel entgegennehmend. „Für dich ist dort auch in Zukunft ein Platz. Doch ich weiß, dass ihr ein eigenes Zuhause braucht.“ Bevor sie noch weiterreden konnte – denn sie hatte längst dafür gesorgt – erschien wie herbeigezaubert Dark-Night. Großmutter ließ die beiden jungen Frauen allein und verschwand in ihrem Tipi.
Die kleine Mexikanerin begrüßte Summer-Rain überschwänglich, dann lächelte sie sie an und deutete mit der Hand flussabwärts. „Großmutter hat gemeint, wenn du schon einen so angesehenen Krieger wie Storm-Rider heiratest, dann musst du auch mit ihm in ein Tipi einziehen, das seiner Stellung entspricht. Sie hat keine Mühe gescheut und für alles gesorgt.“
Kaum hatte sie das ausgesprochen, da erschien Großmutter auch schon wieder. „Es sollte eine Überraschung werden, Dark-Night, du Plappermaul“, kam es leicht verärgert von ihr. „Ich habe nur das Nötigste getan. Da du es ja nicht abwarten konntest, bis die Geschenke vor deinem Tipi liegen, hat sich niemand die Mühe gemacht, welche zu bringen. Jetzt musst du selbst sehen, woher du die Töpfe für euer Essen nimmst, Comes-Through-The-Summer-Rain.“
Dark-Night wechselte einen vieldeutigen Blick mit Summer-Rain. Doch Großmutter konnte es nicht lassen, hinzuzufügen: „Aber ich kann dafür sorgen, dass sich das ändert, ich leihe dir gern einen von mir.“
Summer-Rain verbiss sich eine Antwort. Oh ja, Großmutter hielt noch immer die Zügel in der Hand, und das würde sich auch in hundert Wintern nicht ändern. Die alte Frau machte ein Zeichen, ihr zu folgen, und Summer-Rain ging mit Dark-Night hinter ihr her, die Stute mit sich führend. Flussabwärts, kurz vor der nächsten Biegung, hatte Großmutter mit Hilfe von Dark-Night und Moon-Night, Storm-Riders Mutter, ein prächtiges Tipi aufgebaut. Storm-Riders Kriegszeichen waren aufgemalt worden – ein steigendes Pferd, und vor dem Eingang stand ein dreibeiniges Holzgestell, auf den er seinen Schild stellen konnte. Mit großen Augen betrachtete Summer-Rain ihr neues Zuhause. Es hatte zwölf Stangen, wie sie sehr wohl bemerkte, und war perfekt eingerichtet. Sie stand noch voller Staunen davor, da erschienen bereits einige ihrer Leute, um ihr doch noch Geschenke zu bringen. Als wäre überhaupt nichts geschehen und heute ihr Hochzeitstag, kamen sie von allen Seiten herbei. Bald schon türmten sich die Reichtümer ihres zukünftigen Haushalts vor dem Tipi auf. Sie würde Großmutters Topf nicht brauchen, dachte sie, während sie das alles betrachtete. Es verging nur kurze Zeit, da erschienen ihre Freundinnen, beladen mit Geschenken – die meisten zwar nur mit Kleinigkeiten, doch am Ende häufte sich all das vor dem Eingang ihres Tipis. Es gab ein herzliches Willkommen, dann zogen sie sich wieder zurück. Jemand lud ein Bündel Feuerholz ab, eine alte, fast zahnlose Frau machte Feuer. Dann, als es brannte, nickte sie Summer-Rain ehrerbietig zu und war weg. Bevor sie es sich richtig versah, war ihr Zuhause ein Zuhause.
Jeder zeigte auf seine ganz eigene Weise und mit seinen Möglichkeiten, wie sehr er sich über die Hochzeit von Storm-Rider und Summer-Rain freute. Auf die, die es nicht taten, konnten die beiden ganz gut verzichten. Großmutter und Dark-Night legten letzte Hand an, dann verschwanden auch sie.
Inzwischen hatte sich Storm-Rider kurz bei seinen Eltern gemeldet. Danach war er weitergeritten, um Gray-Wolf zu suchen. Unterwegs kam ihm Light-Cloud entgegen, der ihn freundlich begrüßte – was nicht unbedingt selbstverständlich war. Erleichtert darüber, dass er ihm nichts mehr nachtrug, wollte er den Schwager schon zum Abendessen einladen, doch da fiel ihm ein, dass er nicht mal wusste, wo das stattfinden sollte. Weiterreitend machte er sich wieder auf die Suche nach Gray-Wolf. Erst nach der Begegnung mit Light-Cloud wurde ihm so richtig bewusst, dass es für ihn und seine Frau noch kein eigenes Zuhause gab. Diese Sorge schob er erst einmal weit von sich, denn eigentlich war das die Sache der Familie von Summer-Rain. Sollte er umkehren, um sich bei Moon-Night danach zu erkundigen? Nein, das konnte warten; zuerst musste er mit seinem Freund reden, musste von ihm erfahren, wie alles an diesem bestimmten Tag abgelaufen war und ritt auf Summer-Wind weiter zur Pferdeherde. Er brauchte lange, dann fand er Gray-Wolf endlich weitab davon. Summer-Wind näherte sich ihm offen genug, doch Gray-Wolf war so in seine Arbeit mit einem seiner besten Kriegsponys vertieft, dass er ihn nicht bemerkte. Storm-Rider glitt von seinem Mustang, gab ihm einen leichten Klaps auf die Flanken und ließ ihn laufen. Der Hengst würde sich nie weiter als einige Schritte von ihm entfernen – es sei denn, er erlaubte es ihm ausdrücklich.
Gray-Wolf blickte kurz auf, nickte ihm flüchtig zu, ließ sich jedoch nicht stören. Er stand vor seinem Pferd, in einer Hand ein Stück roten Stoffes, in der anderen die lange Leine aus Rohleder, die an einen einfachen, geflochtenen Halfter geknotet war. Der Stofffetzen diente nur dazu, dem Pferd zu signalisieren, dass es etwas zu lernen gab. Gray-Wolf ließ die Leine und den Stofffetzen fallen und blickte auf ein Wiegenbrett, das nur einige Schritte von ihm entfernt gegen einen Stein lehnte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem kleinen Wesen, das darin zusammengeschnürt lag. Storm-Rider trat näher heran. Sein Kindskopf von Freund beugte sich mit einem so besorgt-fürsorglichen Blick zu seiner Tochter hinunter, dass er ihm nur erstaunt zusehen konnte. Andererseits wiederum, wenn er genauer darüber nachdachte, kannte er Gray-Wolf als einen durchaus feinfühligen Mann.
Trotz seiner vielen Späße und der Leichtigkeit, mit der er bisher sein Leben gelebt hatte, wusste er jetzt, nach all dem erfahrenen Leid, wo sein Platz war. Gray-Wolf hatte Verantwortung übernommen, so viel stand fest.
Wie er seiner Tochter mit einem Finger an der Wange entlang strich, das berührte Storm-Rider zutiefst. „Du hast die Kleine bei dir, wie ich sehe“, stellte er überflüssigerweise fest.
Ohne den Finger von der Wange zu nehmen, wandte sich Gray-Wolf zu ihm um. „Sie soll rechtzeitig lernen, wie man Kriegsponys trainiert“, sagte er und meinte es durchaus ernst.
Das Baby gluckste und griff nach seinem kleinen Finger. Gray-Wolf sah seine Tochter an, als wäre sie das schönste Kind auf der Welt. Voller Stolz erwartete er anscheinend, dass der Freund das ebenfalls bemerkte. Allerdings hatte der anderes im Sinn, als die Schönheit eines Babys zu bewundern. Enttäuscht, da nichts von ihm kam, erhob sich Gray-Wolf und holte den Stofffetzen.
„Wie hat Light-Cloud reagiert, als du ihm meine Mustangs so einfach vor sein Tipi statt vor das von Summer-Rain gestellt hast?“
Gray-Wolf, erst einen Blick auf seine Tochter werfend, die zufrieden vor sich hin krähte, drehte sich zu ihm um. „Oh, mach sowas nie wieder, Storm-Rider. Ich habe so viele Ängste ausgestanden wie schon lange nicht mehr. Du hast dir da etwas erlaubt, das hier so schnell keiner vergisst.“
„Ich hab auch nicht vor, so etwas noch einmal zu tun, mein Freund. Summer-Rain wird die einzige Frau bleiben, die ich jemals will.“ Gray-Wolf schnaufte unwillig. „Old-Antelope war ziemlich aufgebracht“, stieß er heftig hervor.
„Great-Mountain musste ihn beschwichtigen. Die beiden sind anschließend bei Großmutter gewesen, um sich von ihr mit einem Festmahl milde stimmen zu lassen. Du bist ihr also mindestens eine Antilope schuldig, wenn nicht gar einen zarten Büffelbullen. Dein Vater und deine Mutter waren auch dort; jeder hat so getan, als wäre nichts Besonderes passiert. Dass ich nicht lache, der Kuckuck legt manchmal die Eier in ein fremdes Nest, und nun tut man so, als hätte die kleine Vogelmutter dem zugestimmt.“
Storm-Rider schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. „Dein Vergleich macht mich klein. Ich bin ein Falke, Gray-Wolf – ein Falke, und Light-Cloud ist keine kleine Vogelmutter.“
Gray-Wolfs Gesicht verzog sich, und er konnte sich das Lachen, das tief aus seiner Kehle hervorbrach, nicht verkneifen. Ja, wenn er an diesen Tag zurückdachte, wurde ihm noch immer das Herz weit. Acht Pferde hatte Storm-Rider für Summer-Rain hergegeben, und er hatte sich zu etwas hinreißen lassen, was er niemals selbst gewagt hätte. An diesen Streich würde er sich noch lange erinnern.
Anstatt sich für sein eigenmächtiges Handeln die Verachtung seiner Leute einzuhandeln, war Storm-Riders Ansehen womöglich noch gestiegen.
Die meisten konnten nur fassungslos den Kopf schütteln; ältere Mitglieder der Antilopenbande waren anfangs zwar schockiert gewesen, dann aber, die Zahl der Pferde bedenkend, hatten sie das Ganze als eine der vielen mutwilligen Aktionen Storm-Riders abgetan. Ihm, einem ihrer besten Krieger, wurde so manches verziehen. Am Lagerfeuer sprach man noch lange darüber, lachte, malte sich Light-Clouds Gesicht aus und schmückte alles mit allerhand Fantasie. Schließlich wurde das zu einer dieser Geschichten, die man bei Festlichkeiten zum Besten gab.
„Sei beruhigt, mein Freund“, strahlte Gray-Wolf ihn an. „Light-Cloud hat zuerst getan, als müsste er dir folgen und dich auf der Stelle umbringen, doch dann hat er die Pferde genommen und alles war gut – du hast ihn ja selbst noch gesehen.“
Während sich Gray-Wolf die Lachtränen mit der Handkante wegwischte, musterte er den Freund. Oh ja, Storm-Rider sah glücklich aus – glücklich und zufrieden. Dann wurde er wieder ernst, und ein Gedanke, der ihm eben durch den Kopf schoss, trübte seine Freude. Dream-In-The-Day – wie glücklich wäre er auch mit ihr geworden! Jetzt war alles anders, doch dafür konnte er Storm-Rider nicht verantwortlich machen. „Du hättest Light-Cloud sehen sollen. Während er deine Pferde zu seiner Herde brachte, ist er erst einmal den Hauptweg auf- und abgeritten. Beinahe wäre er vor Stolz geplatzt“, erinnerte er sich, die anderen Gedanken verdrängend – es nutzte ja doch nichts, der Vergangenheit nachzutrauern. Sein Lächeln war offen, und herzlich umarmte er den Freund. „Willkommen zurück, Bruder“, raunte er ihm zu, ihn an sich pressend.
Storm-Rider erwiderte die Umarmung ebenso herzlich, froh, dass er ihm keine nachträglichen Vorwürfe machte – die ganze Sache hätte auch für den Freund schlecht ausgehen können. Von dieser Seite her hatte er das gar nicht bedacht.
Erst jetzt betrachtete er das Kriegspony seines Freundes genauer. Sachkundig umkreiste er es, griff mal nach seinen Beinen, mal betastete er das Maul, bog ihm den Kopf zur Seite, erfühlte seinen Widerstand. „Du wiederholst die Übungen, die du schon seit einigen Monden mit ihm machst“, stellte er am Ende seiner Untersuchungen fest. Der Mustang, ein tief rotbrauner Hengst mit dunkler Mähne, stampfte mit der Vorderhand den Boden direkt neben seinen Füßen; es gefiel ihm anscheinend nicht, was man hier mit ihm machte.
„Er will noch mehr lernen – siehst du, er ist ungeduldig“, rief Storm-Rider und fasste nach dem Kopf des Tieres, das sich gegen diese Berührung jetzt wehrte. „Du liebst braune Augen bei deinen Mustangs, Gray-Wolf“, meinte er, den Hengst anblickend. Er ließ den Kopf des Mustangs los und lachte, während der sich rückwärts aus seiner Reichweite entfernte. Dann machte er sich den Spaß und ging ihm nach, während er weiterredete. „Ich halte davon nichts; ich finde, diese Pferde sind verschlagen. Wenn du nicht aufpasst, hast du ein Loch im Hintern, sobald du ihnen den Rücken kehrst.“ Als er sich zu Gray-Wolf umdrehte, strafte sein breites Grinsen seine Worte Lügen. Es war nicht ernst gemeint – nur ein Spruch unter Pferdekennern, denn er liebte auch Pferde mit braunen Augen.
Jetzt blieb der Hengst stehen, die seinen auf Gray-Wolf gerichtet und seine Ohren bewegten sich lebhaft. Er ist unsicher, wussten beide Männer – er zögert. Soll er weglaufen oder bleiben? Aber die Arbeit mit Gray-Wolf liebte er. Ja, er liebte diesen Mann dort, der schon lange sein Bruder war.
Storm-Rider erkannte es nach einem letzten Blick auf ihn. Dem Mustang den Rücken kehrend, kam er zu Gray-Wolf zurück.
„Deine Pferde haben nicht alle blaue Augen“, meinte der, seinen Hengst mit einem leisen Ruf zurückholend. „Einige von ihnen sind auch nicht so zuverlässig, wie du es gerne hättest, und so viel ich weiß hat dich das eine oder andere auch schon mal in den Hintern getreten oder noch viel Schlimmeres.“
„Weil ich nicht so viel Zeit mit ihrer Ausbildung verbringen kann, mein Freund, wie du oder wie Light-Cloud. Summer-Wind ist mein liebstes Kriegspony; er ist für mich wie ein Bruder. Vielleicht sollte ich es ja so machen wie Old-Antelope manchmal und meine besten Pferde abwechselnd zu mir ins Tipi holen. Ich glaube aber nicht, dass das meiner Frau gefallen würde!“
Beide grinsten sich wie zwei Jungen an, die eben über einen Streich nachdachten. Es war ein befreiendes Gefühl, so unbeschwert und sorglos hierzustehen und miteinander über belanglose Dinge zu reden. „Mocking-Bird würde mich zusammen mit dem Pferd aus dem Tipi werfen, wenn ich das auch nur in Erwägung zöge.“ Gray-Wolf musste lachen. Dann, kurz zögernd, sprach er aus, was ihn belastete; schließlich waren sie seit ihrer Kindheit schon die besten Freunde. „Es ist nicht immer leicht, mit ihr auszukommen, doch langsam wird es besser. Sie sieht es nicht gern, wenn ich mich selbst um meine Tochter kümmere; sie meint, dass das ihre Aufgabe sei.“ Mit dem Kinn deutete er auf das Wiegenbrett. „Ich muss das tun, denn es drängt mich danach. Dieses Kind ist wie ein unsichtbarer Faden, der sie und mich verbindet.“
Storm-Rider wusste, wen er meinte, und schaute zu dem Wiegenbrett. Die Kleine schlief, an ihrer Faust nuckelnd. „Mocking-Bird wird das wissen, sie ist ja nicht dumm. Ich weiß, dass sie dir fehlt, doch jetzt ist Mocking-Bird deine Ehefrau, und du solltest ihr das zeigen. Lass die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein, denn Mocking-Bird leidet darunter, nicht die erste Frau in eurem Tipi zu sein. Solange du den Schatten der anderen nicht hinausgehen lässt, wird sie nicht glücklich sein.“
„Ja, ja, ja – ich weiß.“ Gray-Wolf seufzte. Er wusste, dass das stimmte, wusste, dass er das ändern sollte – aber es war schwer.
„Was stellst du eigentlich mit ihrem Sohn an, nimmst du ihn auch mit zu deinen Pferden?“
„Das tue ich“, beantwortete Gray-Wolf seine Frage, froh, diesmal das Richtige getan zu haben. „Er ist mein Sohn!“
„Und wo, bitte schön, ist er jetzt? Ich sehe ihn nicht.“
„Versetz dich in meine Lage“, suchte Gray-Wolf nach einer Erklärung. „Die alten Männer können gute Ratschläge geben und die Frauen halten sich ja damit auch nicht zurück. Mocking-Bird leidet, ich weiß; doch es ist alles nicht so einfach. Eigentlich hatte ich nur für meine Tochter eine Mutter gesucht, und Mocking-Bird erschien mir dafür geeignet. Du weißt das, wir haben lange genug darüber gesprochen. Was das alles für Folgen für mich haben würde, dass hab ich nicht bedacht.
Ich habe nicht nur die Verantwortung für eine neue Frau, sondern auch für ihren Sohn. Ich bin nicht rücksichtslos oder ungeduldig, wie manch ein anderer Mann es mit einer zweiten Frau vielleicht wäre, aber ich brauche Zeit. Versteh doch, warum ich da manchmal mit meiner Tochter allein sein möchte. Ich liebe Mocking-Birds Sohn auch – das ist es nicht. Aber diese Kleine hier ist einfach mehr für mich. Es ist nicht richtig, ich weiß, aber es ist nun einmal so.“
Seine ehrlichen Worte berührten Storm-Riders Herz. Wie würde er selbst sich denn an seiner Stelle fühlen? Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, so kurz nach dem Tod von Dream-In-The-Day sich eine neue Frau – aus der Not heraus, nicht aus Liebe – zu nehmen. „Mach ihr ein Kind, Gray-Wolf“, platzte es aus ihm heraus. Ja, dachte er, das ist die Lösung.
Gray-Wolf musste schlucken. Dann jedoch sagte er leise: „Sie meint das auch.“
Storm-Rider war erleichtert. Sie sprechen also miteinander, dachte er – das konnte ein Anfang sein.
„Dein Pferd langweilt sich“, wechselte er das Thema. „Du solltest ihm neue Tricks beibringen. Sieh dir an, wie er die Oberlippe hochzieht. Er will dir zu verstehen geben, dass das hier endlich weitergehen soll. Tu dich mit Light-Cloud zusammen – ihr beide seid wahre Pferdekenner.“
„Du weißt es noch nicht?“ Die etwas gedrungene Gestalt seines Freundes straffte sich.
„Was weiß ich noch nicht?“
„Er kümmert sich um den Fremden, einen Weißen. Er ist einen halben Mond nach dem Tag, an dem ich acht Pferde vor das falsche Tipi stellen musste, hergekommen. Großmutter wollte, dass er in ihrem Tipi wohnt – sie wäre so lange zu Dark-Night und Light-Cloud gezogen. Aber das hat er abgelehnt und sich in der Nähe der Pferdeherde – dort, wo die Felsengruppe ist – ein Lager eingerichtet. Er kommt und geht, wie es ihm gefällt; niemand stört sich daran. Wenn er Wild bringt, verteilt es Great-Mountain, ansonsten beschäftigt er sich mit seinen beiden Pferden.“
„Was will ein weißer Mann denn hier?“ Auf Storm-Riders Stirn erschienen zwei tiefe Falten. Ein fremder weißer Mann also! Das konnte nichts Gutes bedeuten, vielleicht sogar Ärger. Warum hatte ihm Light-Cloud, dem er ja vorhin erst begegnet war, nichts davon gesagt? Oder seine Eltern?
Das erschien ihm seltsam.
„Er spricht unsere Sprache“, unterbrach Gray-Wolf seine Gedanken.
„Er ist auf der Suche nach seinem Sohn hierher gekommen und hat auch nach Summer-Rain gefragt. Doch zuerst solltest du mit ihm sprechen.“ Als hätte er über nichts Wichtiges geredet, bückte er sich nach der Leine. Sein Pferd schenkte ihm sofort die volle Aufmerksamkeit. Auch das rote Tuch, das er wieder in der Hand hielt, tat seine Wirkung.
„Sein Sohn?“ Ein eisiger Schauer lief Storm-Rider den Rücken hinunter, während es ihm dämmerte.
„Du meinst, er sucht Running-Fox?“ Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, da hielt er sich auch schon die Hand vor den Mund; die Namen von Toten benutzte man nicht leichtfertig.
Gray-Wolf nickte bedächtig. Ernst sagte er: „Besser, du reitest gleich zu ihm.“ Überflüssigerweise deutete er in die Richtung, in der die Felsen von hier aus zu sehen waren.
„Nein!“ Storm-Rider blickte hinüber zum Fluss, wo er Summer-Rain vermutete. Nein, das ging nicht. Er konnte das nicht tun, denn sie würde ihm das niemals verzeihen. „Zuerst sollte meine Ehefrau mit ihm reden“, beschloss er deshalb. Auf einmal hatte er es eilig, fortzukommen.
Gray-Wolf wollte ihn halten, doch dann ließ er es bleiben. Ich sollte ihm da nicht reinreden, dachte er. Der Freund musste selbst wissen, was er tun sollte. Ein leiser Pfiff, und Summer-Wind stand neben Storm-Rider.
„Aber du weißt schon, dass Summer-Rain dann mit ihm allein sein wird“, konnte es sich Gray-Wolf dann doch nicht verkneifen, zu sagen.
„Und wenn schon, wir haben schon lange keine Geheimnisse mehr. Ich vertraue ihr, sie wird niemals etwas tun, das ich nicht auch gutheißen würde.“
Von Summer-Winds Rücken herunter rief er dem Freund noch einen Ratschlag zu: „Lass deine beiden Kinder zusammen aufwachsen. Dein Herz ist groß genug für zwei – was sage ich, auch für drei Kinder und deine neue Frau. Wo ist das Problem? Mach aus deinem ersten Sohn einen guten Mann und einen würdigen Krieger. Nimm ihn das nächste Mal mit auf die Jagd, damit machst du auch Mocking-Bird eine Freude.“
Gray-Wolf musterte ihn belustigt. „Machst du Witze? Der Junge ist kaum zwei Winter alt!“
„Ich weiß.“ Storm-Rider lachte. Dann wurde er wieder ernst: „Reich mir deine Tochter mal hoch, ich bringe sie zu ihrer Mutter; so gehst du für heute allem Ärger aus dem Weg, denn mir wird sie wohl kaum böse Blicke zuwerfen. Du darfst deine Tochter nicht deinem Sohn vorziehen; das geht so nicht. Bring ihm ein Geschenk mit, wenn du hier fertig bist.“
„Ein Geschenk? Woher soll ich das denn nehmen?“ Mit einer hilflosen Geste zeigte er auf die Ebene vor ihnen.
Doch Storm-Rider hatte sich das schon längst überlegt. „Meine Black-Cloud hat ein Fohlen. Das kannst du dir als kleine Entschädigung für all den Ärger, den du durch mich gehabt hast, holen. Es wird Mocking-Birds Herz erfreuen, wenn sie sieht, dass es für euren Sohn ist.“
Gray-Wolfs Augen weiteten sich ungläubig. „Du bist wahrhaftig ein großzüger Mann, Storm-Rider!“
Der machte lediglich ein belustigtes Gesicht – er war heute in Geberlaune. „Nun reich mir schon das Wiegenbrett hoch“, rief er aus, ihm die Hand entgegenstreckend.
Gray-Wolf bückte sich und gab es ihm. Erstaunt beobachtete er, wie fürsorglich Storm-Rider damit umging. Im Gegensatz dazu konnte dieser Mann ohne jegliche Empfindung töten und hatte so manchen Kriegszug gegen die Texaner angeführt. Bei jedem dieser blutigen Einsätze musste man sich aufeinander verlassen können; die unzähligen Narben auf ihrer beider Körper zeugten davon. Dabei war das Risiko immer ein Leben gegen ein Leben gewesen, und er hatte seines nicht nur einmal ihm zu verdanken. So jemanden wie diesen Mann dort auf seinem wunderschönen Kriegspony Freund nennen zu dürfen, machte Gray-Wolf stolz.
Doch das war es nicht allein, was ihm jetzt durch den Kopf schoss. Wieder dachte er an seine erste Frau Dream-In-The-Day. Ihr Vertrauen zu ihm war auch grenzenlos gewesen. Dann wurde ihm klar, dass er damit aufhören musste. Heute war ein neuer Tag, eine andere Zeit angebrochen. Dieser Freund dort hatte recht, denn er musste endlich Dream-In-The-Day loslassen. Einen letzten Blick auf seine Kleine werfend, die sanft in ihrem Wiegenbrett schlief, in Storm-Riders Armbeuge gebettet, sagte er zu ihm hoch: „Das steht dir außerordentlich gut, mein Freund.“
„Ah, du hast wohl gedacht, ich wüsste nicht, wie man ein Baby hält?“ Storm-Rider lachte.
„Na ja, irgendwie schon, aber da brauche ich mir jetzt ja keine Gedanken mehr darüber zu machen, denn du machst das richtig gut“, rief er ihm nach, denn Storm-Rider ritt bereits auf Summer-Wind mit seinem Kind in den Armen zurück zum Fluss.
Gray-Wolf bedachte noch einmal Storm-Riders Worte. So viel Einfühlungsvermögen hätte er ihm gar nicht zugetraut. Bisher war er ihm immer nur oberflächlich, was Frauen oder Kinder betraf, vorgekommen. Oh ja, der Freund hatte sich verändert. Oder vielleicht war er ja schon immer so gewesen und hatte es nur nicht gezeigt? Er ist wie ein Fels, sagte sich Gray-Wolf – wie ein harter Fels, den der Blitz erst spalten muss, um sein inneres Glänzen zum Vorschein zu bringen.
Eine Weile stand er noch, in tiefes Nachdenken versunken, und genoss das Gefühl der Freude über das Glück seines besten Freundes. Er würde sich das Gesagte zu Herzen nehmen – Mocking-Bird sollte keinen Grund mehr haben, sich zu beklagen, und ein Fohlen für unseren Sohn würde das Übrige tun. So mit sich im Reinen wandte er sich wieder der Ausbildung seines Mustangs zu. Das rote Tuch in der Hand schwenkend signalisierte er ihm, dass es etwas Neues zu erlernen gab. Mit Neugier und unbändiger Freude, die so charakteristisch für diese Mustangs ist, nahm der kleine Hengst die Herausforderung an. Eines seiner Ohren drehte sich voller Interesse dem seitlich von ihm stehenden Mann zu. Seine Augenbrauen hoben sich, Muskeln und Sehnen spannten sich an – man hätte tausend Gedanken in seinem Gesicht lesen können.
Aufmerksame Augen, denen nicht die kleinste Bewegung entging, beobachteten, was als Nächstes kam. Gray-Wolf gab ihm Sicherheit bei sämtlichen Übungen, denn Sicherheit war alles, was der Mustang jetzt brauchte. So arbeitete der junge Krieger mit ihm weiter, bis die Sonne genau über ihnen stand – wiederholte wieder und wieder, was zuvor bereits geklappt hatte. Gray-Wolf sparte dabei nicht mit Lob und Anerkennung, denn auch das war wichtig. Jede neue Übung, jede neue Herausforderung wurde mit einem Eifer angenommen, der sie beide immer enger zusammenbrachte. Bis sie sich bei dem, was sie taten, gegenseitig zu übertreffen versuchten. Sein Mustang bekam ein Gespür für ihn und ahnte bereits jeden weiteren Schritt einen winzigen Augenblick vorher. Sie waren auf dem besten Weg, eins zu werden – eins im Denken und im Handeln. Es war nicht ihr erster Ausbildungstag, oh nein, das hier dauerte nun schon viele Monde.
Nun aber war der Zeitpunkt gekommen, an dem Gray-Wolf eine Entscheidung traf. Sanft strich er seinem Pferd über den Kopf und lehnte sein Gesicht dagegen. So standen sie lange, bis sich ihre Gedanken miteinander verbanden, und das würden sie von jetzt an immer. Ein Pulsschlag, ein Atem würden sie zukünftig sein. Als er das Seil aus dem aus Pferdehaaren geflochtenen Halfter löste und dann auch diesen noch entfernte, entspannte sich der Mustang. Mit einem geschmeidigen Satz, seine Flanke dabei leicht berührend, nur das Haarbüschel am Widerrist erfassend, glitt Gray-Wolf auf seinen bloßen Rücken. Sofort suchten seine Knie die Kuhle unter den Schultermuskeln, wo er seine Schenkel bequem hineinschmiegen konnte. Gray-Wolf saß sehr aufrecht – ohne Zügel, ohne Sattel, hatte kein anderes Hilfsmittel als die Bindung zwischen ihm und seinem Pferd.
Würde das reichen? Oder war es noch zu früh?
Den Oberkörper leicht nach rechts neigend, verlagerte er so ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Seine Augen visierten fest einen Punkt weit im Westen an – dort, wo die Ausläufer der Berge begannen – und band sich das rote Tuch um die Augen. Routinemäßig balancierte er den Schwerpunkt aufs Neue aus, seine Schultern bewegten sich nicht, nur sein Oberkörper zog sich ein winziges Stück nach vorn. Der kleine Mustang machte, frei von jedweder Aufforderung, die ersten Schritte – zuerst nur zögerlich, mit seinem Empfinden in den Gedanken seines Reiters, dann setzte er sicher ein Bein vor das andere.
Gray-Wolf sagte kein einziges Wort – brauchte es auch nicht. Ohne die Hände als Hilfe zu benutzen, blind, nur mit der Kraft seiner Gedanken und dem aufgebauten Vertrauen zwischen ihnen, tat das Pferd genau das, was er von ihm erwartete. Über die Ebene auf den Fluss zu galoppierend, fand es ohne zu zögern den Übergang an einer seichten Stelle und preschte, die Entscheidung seines Reiters bereits vorausahnend, auf die andere Seite, dann weiter auf das Ziel zu, das Gray-Wolf mit sehenden Augen zuvor angepeilt hatte. Ihre Gestalten verschmolzen zu einer, während sie im flimmernden Licht der Sonne verschwanden. Der wunderbar in all seinen Bewegungen dahingleitende Mustang wandte sich mit traumwandlerischer Sicherheit den Bergen zu. Ein nicht enden wollender Jubelruf von Gray-Wolf, der ein Pferd unter sich hatte, dem er sein Leben anvertrauen konnte, drückte all das aus, was er in diesem Moment fühlte – was Comanchen fühlten, wenn sie auf ihren Mustangs in die Weite ihrer Plains hinausritten. Es ist unmöglich, das nachzuempfinden – für uns Weiße jedenfalls.
Der Wind zauste Gray-Wolfs von ihm selbst aus Trauer um seine geliebte Dream-In-The-Day abgeschnittenen Haare, wehte ihm die seines Mustangs gegen die Schenkel und ließ ihn den Luftzug spüren, der über ihn und das Land dahinstrich. Noch einmal schrie er seine Lebensfreude hinaus, sein Glück, diesen Mustang unter sich spüren zu dürfen, seine ganze Sehnsucht.
Gras stob hinter dem Mustang hoch, der dahingaloppierte, als gelte es, bis ans Ende der Zeit zu laufen. Der Krieger Gray-Wolf hätte in dem, was er jetzt empfand, diese Welt umarmen können.