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4. Hand des Todes

67 nach Christus - Winter (29. Januarius)

Imperium Romanum – Rom

Zwei Ereignisse traten fast zum gleichen Zeitraum ein. Lartius, der Kopf der Adler der Evocati, wollte schon an einen Glücksfall glauben. Dem aber widersprachen weitere, ebenfalls bei ihm eingegangene Botschaften, die von ihm aber keinesfalls als günstig erachtet werden konnten.

Endlich traf Kunde von seinen Boten zum Kaiser ein. So richtig eine Botschaft war es aber nicht, weil Veturius plötzlich höchst persönlich vor ihn trat. Verwundert, irritiert und letztlich neugierig, starrte Lartius den verloren geglaubten Sohn an und stellte leise nur eine einzige Frage.

„Bist du allein… oder lebt Pollio noch?“

„Herr, noch lebt er…, aber er scheut sich, dich durch das Tor aufzusuchen…“ gab der Evocati Auskunft.

„Sicher hat er Gründe, die du mir mitteilen wirst…“ forschte Lartius nach.

„Er scheut die Öffentlichkeit, will er doch noch so einige gute Jahre auf dieser Welt wandeln….“ grinste Veturius und der Aquila kam sich verspottet vor.

„Was sollte ihn hindern?“ fragte Lartius trotzdem freundlich, spürte dennoch aufsteigenden Zorn.

„Herr, die Gefahr! Er ist nicht mehr so unbekannt, wie vor unserer Begegnung mit dem Göttlichen… Aber Herr, das muss er dir selbst berichten!“

„Dann schleppe ihn hierher! Ziehe ihm einen Sack über den Kopf, binde ihn mit Stricken, wirf ihn auf einen Gaul und bringe ihn her!“

Veturius merkte, dass er seinen Auftrag wohl falsch begonnen hatte. Der Aquila war zornig.

„Herr, du willst also mich töten… Wäre das nicht ein unbedachter Zug nach unseren Mühen?“ Vorsichtig trat Veturius zwei Schritte zurück, falls sich Ungemach entladen sollte.

„Hast du Angst vor deinem Gefährten?“ Lartius Frage klang überrascht.

„Herr, wenn er in Zorn gerät, wüsste ich nicht, wessen Zorn mir erträglicher wäre, der Deinige oder…“

„Verflucht, Veturius, sollte ich dich einfach umbringen lassen… “ Lartius brauste auf und beruhigte sich plötzlich.

In dieses Abklingen hinein, wagte der Evocati einen Vorstoß.

„Herr, sollte nicht der berichten, der ein Ereignis erlebte? Kann der Bericht eines Anderen, der weit entfernt weilte, nicht ein verzerrtes Bild ergeben? Pollio bittet dich, ihm einen Weg zu zeigen, damit er dich möglichst unbemerkt aufsuchen kann… Er rechnet damit, dass Tigellinus Spione in Rom auf ihn lauern…“

„Warum, Kerl, drückst du dich nicht gleich klar aus? Also befindet er sich nicht in Rom…“ mutmaßte Lartius und blickte den Evocati forschend an. „Wenn du also vor mir stehst und er sich scheut, scheint dich keiner unserer Feinde zu kennen… Bei Pollio sieht das dann wohl anders aus?“ lenkte der Kopf der Evocati ein.

„So ganz richtig ist das auch nicht, nur…“

„Wage nicht zu viel Veturius!“ fluchte Lartius. „Spann mich nicht auf die Folter, Evocati!“

„Präfekt Tigellinus kennt mich und gehört zukünftig wohl eher nicht zu meinen Freunden… Zu meinem Glück weilt der aber noch immer beim Kaiser. Pollio aber sahen zu viele von dessen Männern und Einige von denen schwirren sicher auch um deinen Adlerhorst, wie die Motten um das Licht… “

„Also will Pollio selbst berichten?“ Veturius nickte.

Lartius stand aus seinem Stuhl auf, schritt zur Tür, zog an der Glocke und eine seiner Bediensteten erschien.

„Rufe den Aquila Denter!“ befahl er.

Es dauerte nicht lange und der Verwalter schob sich durch die Tür.

„Geh mit Veturius und lass dir erklären, wo sein Gefährte auf euch lauert. Dann entlass Veturius! Morgen, zur vierten Stunde, hole mir seinen Gefährten auf geheimen Wegen hierher! Durch das Tor kann er nicht!“ Der Aquila nickte seine Bereitschaft. Er brauchte nicht zu viele Erklärungen.

Die Männer gingen. Mit dem Ort des Versteckes wollte Lartius sich selbst nicht befassen. Außerdem drängte seine Zeit. Er erwartete einen Besucher, der sicher schon, in dem eigens diesem Mann vorbehaltenen Raum, wartete.

Der Senator und Konsul früherer Jahre erhob sich aus dem Korbsessel, in dem er die Zeit des Wartens überbrückte.

„Senator, es freut mich, dir erneut zu begegnen…“ Lartius reichte dem Mann zur Begrüßung beide Hände und bat diesen danach, erneut Platz zu nehmen. „Es ist einige Zeit her, dass du mich mit deiner Aufmerksamkeit beehrtest…“ begann der Kopf der Adler der Evocati.

Lartius erinnerte sich seiner Vorbehalte bei ihrer ersten Begegnung. Die Erscheinung und das Wesen des Gastes harmonierten auch an diesem Tag noch immer nicht. Die imposante Gestalt eines starken, älteren Herrn kontrastierte mit der Bescheidenheit und Zurückhaltung des Mannes. Fasziniert nahm Lartius auch diesmal zur Kenntnis, dass sich der Senator, trotz seines klaren Verstandes und einer nie verhehlten eigenen Beurteilung von Sachverhalten, in den Dienst Roms stellte und als Botenläufer zumeist sehr unangenehmen Pflichten nachkam.

Marcus Suillius Nerullinus überbrachte Forderungen zum Tod.

„Ich bin betrübt, Aquila, dir den Auftrag zu überbringen, der den Tod eines Mannes beinhaltet!“ Suillius Nerullinus drückte sich leise und gewählt aus.

„Wer ist der Unglückliche?“ Lartius passte seine Sprechweise dem Gast an, scheute aber keinerlei Klarheit in seinen Worten.

„Lass mich zuerst etwas weiter ausholen…“ begann der Senator vorsichtig.

Mochte Suillius Nerullinus anfangs noch unsicher gewesen sein, ob er diesem Evocati tatsächlich vertrauen durfte, so wusste er andererseits auch, dass gerade ihm ein Vertrauter fehlte… Er war zu klug, um sich darüber hinwegzutäuschen, dass auch er wenigstens einen vertrauensvollen Mann benötigte, dem er seine persönlichen Wahrheiten offenbaren konnte. In seiner Umgebung, der von Senatoren Roms, durfte er diesem Wunsch nicht erliegen… Dort lag der Verrat und die Missgunst zu nah an jeder scheinbaren Freundschaft…

Lartius nickte seine Zustimmung zur verhaltenen Ankündigung seines Gastes.

Noch einmal wog Nerullinus seine Bedenken, gab sich dann einen Ruck und sprach aus, was ihn beunruhigte. „Ich persönlich halte diesen Auftrag für falsch! Wie du aber weißt, bin ich nur der Bote. Dir ist bekannt, dass mich mein Standpunkt in dieser Sache nicht hindern wird, dessen Erfüllung von dir zu fordern… Bedauerlich ist, dass dir die Möglichkeit fehlt, eine Aufhebung des Auftrages einzufordern. Die, die hätten im Vorhinein Widerspruch einlegen können, sind weit, zu weit entfernt…“

„Du sprichst von zu vielen Bedenken…“ wagte Lartius einen Einwand.

„Das muss ich, denn wenn das Ergebnis vorliegt, wird dich Zorn treffen…“

„Du machst mich neugierig…“ Lartius wurde von Unruhe erfasst, überspielte die sich einstellenden Bedenken jedoch mit einer Spur Humor.

„Es wird doch wohl nicht der Kopf des Kaisers sein…“

„Nun, diesmal noch nicht! Wobei mir scheint, dass dieser Tag auch nicht mehr in weiter Ferne liegen könnte…“ bekundete der Senator.

„Senator, mach keine Witze…“ brauste Lartius auf.

„Nein, keinesfalls! Du kennst doch den Spruch: ‚Ist der Kater aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen…’ Manche Rede im Senat ist nur deshalb etwas forscher, lauter und unverschämter, weil Kaiser Nero in der Provinz weilt…“ Nerullinus überging den Namen der Provinz und den Anlass der göttlichen Reise. „Ich persönlich empfinde Beschämung, denke ich an den Grund der Reise. Ist es doch die erste Reise, des die Welt beherrschenden Kaisers… Sollte diese nicht Roms Politik und der Wirtschaft dienen, oder das Ansehen Roms befördern?“

„Tut es Letzteres nicht vielleicht doch?“ fragte Lartius leise zurück.

Nerullinus schüttelte entschieden seinen Kopf.

„Kaiser vor ihm genossen Achtung wegen Roms Legionen… Was sollte eine Kithara bewirken? Ich empfinde Beschämung, sehe ich das Bestreben des Princeps…“ Plötzlich brach Nerullinus ab, besann sich und fügte an: „Sollten dich meine Worte verwirren, dann vergiss diese einfach… “

Lartius vernahm Bedauern.

„Irre ich mich oder siehst du in mir einen Mann, der deine Geheimnisse mittragen könnte…“ bot sich der Evocati an, als er das Zögern und die Verunsicherung des Gastes spürte.

Sie hüllten sich in Schweigen. Nerullinus brach es nach einiger Zeit.

„Es ist nur wenig ruhmvoll, was unser Göttlicher betreibt, genauso aber auch sind die Taten des Senat nicht geeignet, Roms Macht zu erhärten… Bist du täglicher Zeuge der Denunziationen, hörst Klagen und Gegenklagen und vernimmst dabei den Neid der römischen Senatoren, versinkst du im Zweifel an der Rolle des Imperium Romanum… “ Nerullinus verharrte erneut.

„Wie kann solcher Hass, solcher Neid wegen Unsinnigkeiten, zu Roms Glanz, in den Augen seiner Feinde, beitragen? Betrachte Roms Größe, unsere Grenzen und wisse, dass überall der Feind darauf wartet, dass wir uns im Inneren des Reiches selbst zerfleischen. Liegt der Tag des Zorns, gegenüber einem wenig an Roms Ruhm interessierten Kaiser, nicht mehr fern, so wird auch der Tag des Zerbersten dieses Reiches kommen. Ich bin kein Prophet, dennoch zum Sehen, Hören und Begreifen fähig…“

„Du sprichst gewaltige Worte aus, Senator… Wenn ein kluger Mann, in deiner Position, eine solche Einsicht findet, was soll ich, als Hand des Todes und Verderbens, dann daraus ableiten?“ Lartius blickte seinen Gast aufmerksam an. Er fühlte sich nicht herausgefordert. Dennoch spürte er eine Niedergeschlagenheit, die ihn zu Boden zu drücken versuchte.

Der Kopf der Adler der Evocati sprach nie über eigene Befürchtungen. Obwohl nicht ein einziges bedenkliches Wort seine Lippen verließ, pflichtete er dem Gast bei. Auch Lartius sah den Verfall römischer Ordnung. Doch war es nicht so, dass Roms Oberschicht nur das tat, was ein Kaiser zuvor zum Beispiel erhob? Waren die Morde oder Verurteilungen nicht oft von Angst, Neid und Hass getragen, bei denen persönliche Gründe den Vorwand schufen? Deshalb auch verstand Lartius die Bedenken dieses Senators.

„Es ist nicht eben nur so, dass dieses kleinliche Gezänk als das Einzigste oftmals zum Tod führte… Unter diesem Mantel der Denunziation werden noch andere Eisen geschmiedet, von denen ich dir sicher nichts erzählen muss… Mich befremdet der Drang des Senats zur Macht. Wird dieser doch, wenn es auf beiden Seiten Legionen geben sollte, sicher auch Kampf, Mord und Totschlag hervorbringen? Das Schlimme daran wird sein, dass sich dann erneut römische Legionen gegenüberstehen… “

Es brach aus Nerullinus hervor wie eine Sturmflut. „Stelle dir einmal vor, römische Legionen kämpfen gegeneinander, nur weil die Einen dem Kaiser und Andere dem Senat folgen… Gab es dies nicht schon einmal?“ Nerullinus ließ offen, an welche Ereignisse er dachte.

„Ich danke dir für deine Offenheit! Doch dies ist es sicher nicht, weshalb du zu mir gekommen bist?“ Lartius versuchte eine Ablenkung. Mit Nerullinus seine Sorgen und Bedenken zu teilen, stand ihm nicht im Sinn. Wohl nahm er gern auf, was der Andere zum Ausdruck brachte. Er selbst würde sich nur soweit öffnen, dass Nerullinus dies als Ausdruck seines Vertrauens annahm, nicht aber soweit gehen, dass dem Senator Wissen zu seiner wirklichen Einstellung zur Kenntnis gelangte.

„Nein, wahrlich nicht!“ Der Senator stieg auf den Einwurf ein. „Ich hätte mir den Weg gern erspart! Er wird weder dem Mann, noch dir Ruhm einbringen, eher Zorn und vielleicht auch Strafe…“ brach es wütend und unbeherrscht aus dem Boten hervor. „Zweifellos besitzt Rom heute noch verdienstvolle Männer…“ setzte er fort „… doch deren Zahl wird schwinden, greifen Andere nach einer Macht, die ihnen nicht zusteht! Der Rat, den du kennst, fordert das Leben des Legat Lucius Verginius Rufus!“

Der ausgesprochene Name bewirkte ein Aufstehen des Aquila. Es war mehr eine unbewusste Reaktion, die er im Augenblick nicht zu beherrschen vermochte. Also umkreiste er den Tisch, die Korbsessel und seinen Gast. Als Lartius erneut saß, bekannte er: „Das wird nicht einfach sein… “

„Warum? Er ist doch nur ein Legat wie jeder Andere?“ verwunderte sich Nerullinus.

„Nein, Senator! Du warst es selbst, der eine Einleitung zum Auftrag für erforderlich hielt… Wäre Verginius Rufus nur ein Legat wie jeder Andere, wäre es nicht weiter schwierig… Wenn ich die Kommandeure in den Exercitus Germania betrachte, scheint dieser nicht nur die Zuneigung des Kaisers zu besitzen, sondern auch noch die Achtung seiner Centurionen und Milites… An einen solchen Mann heranzukommen, dürfte schwierig und langwierig sein…“

Lartius vermied es in diesem Augenblick an Tremorinus und dessen Nähe zum Opfer zu denken… Er gab sich einen sichtbaren Ruck, sprang erneut auf, umkreiste Tisch, Sessel und Gast, um letztlich in der Feststellung zu landen: „… aber es ist möglich! Will es der Senat, muss ich wohl handeln, egal was du für Bedenken trägst…“

Lartius umging die Tatsache, dass es ihm selbst gar nicht schmeckte. Nicht nur der Senator war betrübt, bei ihm stieg die Wut. Immerhin kannte er Verginius Rufus… Plötzlich wusste er, wer hinter dieser Forderung steckte.

Es war diese eine Erkenntnis, die ihm die innere Ruhe und Gelassenheit zurückbrachte. „Fordert der Senat Fristen?“

Überrascht blickte Nerullinus auf. „Sofort!“ brachte er verwundert zum Ausdruck.

„Nun, sofort ist heute oder morgen… Morgen ist unmöglich! Eine Dekade auch zu kurz… ein Monat… eher unwahrscheinlich… ein Halbjahr, das wird gehen…“ bekannte der Aquila.

„Du hast ein Quartal vergessen…“ warf der Senator ein.

„Habe ich das?“ fragte Lartius verwundert. „Ein Quartal…“ Der Kopf des Adlers versank im Überdenken. „… ist zumindest eine Herausforderung… Also streben wir, wenn es dir recht ist, ein Tertial, beginnend am heutigen Tag, an?“

„Ich bin nicht für ein Überstürzen und Misslingen… So werde ich berichten…“ Nerullinus erhob sich.

Erfreut vernahm Lartius des Boten Einsicht und die Zubilligung von Geduld. Sie wussten Beide, dass sie ein Spiel trieben, dem der Senat widersprechen konnte.

Ging Lartius davon aus, dass auch der Senator keinen Drang zur Eile verspürte, würde dieser alle Bemühungen einsetzen, um einen späten Termin durchzubringen. Mit der Art ihres Gespräches hatten sie den Vorgang umrissen, ohne sich in irgend einer Art, als der einer zuverlässigen Ausführung, zu binden.

Der Senator verabschiedete sich und würde der Senat keinen Widerspruch einlegen, galt es die Tat im Zeitraum von vier Monden zum Abschluss zu bringen.

Innerlich tobte Lartius. Diese alten Männer im Senat, die nichts zu Wege brachten, als sich selbst gegenseitig zu denunzieren, anzuklagen und umzubringen. Sie glaubten, dass sie ein Recht hätten, nützlichen Männern den Tod zu bescheinigen…

Er würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen…

Weil er die Berichte seiner Evocati entgegennahm, von Neros Zuneigung zum unverfänglichen Legatus Legionis wusste und das Machtstreben der Brüder Scribonius aufgedeckt hatte, erkannte er den wahren Grund für diesen Auftrag. Welcher der Brüder Scribonius auch immer dahinter steckte, war dabei gleichgültig.

Irgendeiner der wissenden Senatoren schien geplaudert und ein Geheimnis Roms an Unbedarfte weitergegeben zu haben. Diese Wissenden saßen im geheimen Rat des Senat.

Dort musste er ansetzen, um dem Mann eine Schlinge zu drehen, der den Brüdern Scribonius den Hinweis auf die Adler der Evocati zugeflüstert hatte.

Lartius verließ den wenig gastlichen Raum und suchte sein Arbeitzimmer auf.

Auf seinem Schreibtisch fand er eine versiegelte Botenrolle vor. Er brach das unversehrte Siegel und erkannte in den ersten Dokumenten, die er aufmerksam las, die Herkunft der Schreiben.

Epaphroditos schrieb ihm im Auftrag Kaiser Neros.

Nach den üblichen Floskeln lobte der Secretarius das Vorgehen Pollios beim Überbringen seiner Botschaft. Die nachfolgende Passage entschuldigte, wenn auch nur angedeutet, die inzwischen vergangene Zeit. Verstand Lartius richtig, lag die Schuld dafür im Zögern des Kaisers.

Dann wurde der Secretarius sehr ausführlich. Ein paar seiner Evocati sollten sich zu Vespasian bemühen, um dort zu ‚Auge und Ohr’ zu werden.

Was sich dahinter verbarg, bestätigte eine Vermutung, die sich aus Gerüchten herleitete. Einer der Feldherren, ob nun Corbulo oder Vespasian, soll die Juden züchtigen… Bisher fehlte ihm jede Bestätigung für des Kaisers Auswahl.

Wenn Kaiser Nero aber eine solche Vorgehensweise in Betracht zog, sollte der Ruf nach seinen Evocati Sinn machen… Verwunderung hegte er nur deshalb, weil ein gleicher Ruf zur Beobachtung Corbulos ausblieb…

Dafür forderte der Secretarius ein weiteres Paar der Adler der Evocati für den Legatus Legionis Fabius Valens an.

Nero begann jedem seiner Feldherrn mit Misstrauen zu begegnen. Es schien dem Aquila, als ob sich der Kaiser um die Macht, der von ihm selbst berufenen Legaten und Feldherren, Sorgen machte… Lartius erkannte die Zeichen, die für die Angst und Unsicherheit des Göttlichen sprachen. Steckte vielleicht doch Nero selbst auch hinter dem Auftrag zur Ermordung des Verginius Rufus? Wie ein höhnisches Lachen drängte sich dieser Gedanke in seinen Kopf. Nein, Unsinn! Wo läge ein Grund dafür?

Dies war der Moment, von dem an, den Kopf der Adler, Unruhe erfasste. Begegnete Nero seinen selbst Auserwählten mit Misstrauen und ließ diese ausspionieren, dann sollte auch er, mit seinen Evocati, bald das Ziel solcher Bemühungen werden… Doch wer könnte der Ausführende sein? Schnell begriff er, dass dann der Präfekt Tigellinus in diese Rolle schlüpfen würde und wappnete sich gegen eine weitere Bedrohung aus dieser Richtung.

Alle diese schier unzähligen Möglichkeiten, mit deren Wahrscheinlichkeit und genauso mit deren Unmöglichkeit, ja allen eintretenden oder ausbleibenden Tendenzen, schufen ein Gewirr vieler Fragen. Lartius wusste nur zu wenige Antworten, die er sofort zu geben in der Lage war.

Also brauchte er mehr Informationen, die ihm die Evocati und auch andere Zuträger, die gar nicht wussten, wen sie mit ihren Botschaften fütterten, beschaffen mussten. In dieser Erkenntnis schuf er in der jüngeren Vergangenheit eine Fülle von Handlungen, die eine sorgfältige und umfassende Planung erforderten. Weil niemand den Quell dieser Aufträge kannte und auch kaum einer der Mitbeteiligten wusste, wer hinter all den Vorgängen steckte und welchem Ziel die Bemühungen folgten, blieben auch die Ergebnisse verborgen.

Lartius nahm sich Zeit bis zu seinen Entschlüssen. Er durchdachte seine Möglichkeiten, beurteilte die politische und auch die Lage an den Grenzen des Imperium, schätzte die Personen seines Interesses ab und weil er dies in aller Gründlichkeit vollzog, schälte sich eine Vorgehensweise heraus, die zum Erfolg aller Aufträge führen musste.

Dann aber, am darauf folgenden Morgen, saßen ihm Pollio und Veturius gegenüber. Aquila Denter schleuste die Evocati über die Cloaca Maxima ein.

„Ihr seht gut aus… War das Überbringen meiner Botschaft an den Kaiser so leicht für euch, dass euch Erholung zukam?“ eröffnete Lartius das Gespräch.

„Herr, eher wohl nicht! Es war unmöglich an den Princeps heranzukommen, immer stand Präfekt Tigellinus neben ihm…“ begann Pollio seinen Bericht. „Dein Befehl lautete, die Botschaft nur in Neros Hände zu geben! Weil wir dies verfolgten, gelangten wir zu keiner Zeit so nah an den Kaiser heran, dass dies möglich war. Tigellinus bewachte jeden Atemzug des Princeps und sein Hass auf mich schloss jede Möglichkeit eines Gesprächs aus. Bis wir unsere Absichten anpassten…“

„Du machst mich neugierig…“ warf Lartius ein.

„Bisher versuchten wir unerkannt zum Kaiser zu gelangen… Wir wählten dann aber eine andere Vorgehensweise…“

„Pollio, auch dein Gefährte versuchte mich hinzuhalten… Komme zur Sache!“ Lartius schien ungehalten.

„Wir stellten uns in aller Öffentlichkeit! Kennst du den Diolkos?“

„Ich hörte einmal davon, weiß aber nicht, ob das eine erlogene Geschichte ist… “

„Den Diolkos gibt es! Selbst der große Kaiser Augustus nutzte einst den Weg übers Land, um mit seiner Flotte Markus Antonius und Cleopatra überraschen zu können… Ich kannte diesen Weg der Schiffe, weil ich in meiner Jugend genau dort lebte… Also nutzten wir mein Wissen… “

Pollio berichtete. Er sprach aus, was er erlebte, was seine Augen sahen und seine Ohren hörten…

Der Kopf der Adler hörte geduldig zu.

Dann, als Pollios letztes Wort verklungen war, hüllte sich der Aquila in ein langes Schweigen.

Pollio und Veturius spürten, dass sich ihr Schicksal entschied.

Glaubte Lartius die gesprochenen Worte, musste er einen Weg finden, der ein Ergreifen Pollios verhinderte. In Rom, vielleicht auch überall südlich des Rubikon, durfte sich Pollio nicht mehr blicken lassen…

Hielt der Aquila dagegen die Schilderung für übertrieben, dann machte er sich, daraus folgernd, weniger Sorgen um seinen Getreuen. Ein darauf aufbauender Leichtsinn könnte, unter diesen Umständen, aber unweigerlich zum Tod eines wertvollen Evocati führen…

Lartius war selbst lange genug ein Handelnder, um Gefahren einschätzen zu können. Auch über ihm hielt einst jemand eine schützende Hand… „Ich wusste, als ich dich beauftragte, dass du einen Weg finden würdest… Nur kannte ich den Grund nicht, der dir einst Neros Zorn einbrachte… Es waren deine soeben gehörten Worte, die mich darüber aufklärten. Du schwiegst darüber und führtest einen für dich ganz besonderen Auftrag aus, ohne dessen mögliche Folgen zu bedenken. Tigellinus kannte dich schon und er hasste dich… Es gibt nur Wenige, die diesen Hass bisher überlebten… Er wird dir die Schmach niemals vergeben! Auch dir nicht, Veturius!“

Wieder tauchte Lartius im Schweigen unter.

Sich besinnend, schickte er beide Evocati weg und verlangte, für den Folgetag, deren erneutes Erscheinen.

Der Verwalter erhielt den Auftrag, für die Versorgung der Männer und ein Nachtlager zu sorgen. Er zögerte, dem Befehl Lartius nachzukommen. Obwohl der Mann kein Wort sprach, wusste der Kopf der Adler, was sein Aquila aussprechen wollte.

Ein kurzes Schütteln mit dem Kopf reichte aus, um des Verwalters Bedenken zu zerstreuen. Lartius wusste, dass von diesen beiden Evocati keine Gefahr für ihn ausging. Er brauchte Zeit für einen Plan, der von Vernunft getragen war und Erfolg bringen musste. Weder der Senat, noch der Princeps sollten den geringsten Verdacht hegen…

Lartius war zu einer neuen Erkenntnis gelangt, in der sich viele Ereignisse verdichteten. Nicht nur Pollios Schilderung erlebter Gefahren, auch sein bisheriges Wissen über die Bestrebungen der Statthalter in der Germania oder die Botschaften der Gallier, auch des Senator Nerullinus vorgetragenen Bedenken und Ansichten, bewirkten das Aufkeimen von Misstrauen und gipfelten in der Vermutung, dass weder der Kaiser in Achaea, noch der Senat in Rom, die aufziehende Gefahr zu erkennen vermochten. Selbst wenn dort irgend eine Gefahr wahrgenommen werden würde, ergäbe sich kaum eine Erkenntnis zur vollständigen Bedrohung…

Vielleicht sah Nero den Aufstand der Juden als eine Gefahr, vielleicht erkannte er die generell existierende Bedrohung durch die Parther oder auch den Zusammenhang zwischen den Brüdern Scribonius und dem Senat… Immerhin hatte er selbst ihn nachdrücklich auf diese letztere Gefahr hingewiesen und auch die Wünsche der Gallier in den Brenntiegel der Zukunft geworfen…

Ein kluger Kaiser, ein Kaiser, der seine Macht erhalten wollte, musste selbst die Notwendigkeit des Abbruchs seiner Reise durch die Provinz erkennen und sich der politischen Lage dort stellen, wo er seine Machtmittel am Besten einsetzen konnte. Dieser Ort war Rom!

Doch nichts ließ darauf schließen, dass Nero seine Reise abbrach…

Es gab keine Nachricht des Princeps an ihn, die der Bedrohung vom Senat und den Brüdern Scribonius Rechnung trug, keine Hinweise zu den Aktivitäten in Gallien, außer der Forderung, für Augen und Ohren im Umfeld des Legat Valens und des Feldherrn Vespasian zu sorgen…

Lartius fühlte sich zu unbedeutend, als das er, ohne Stütze durch den Kaiser, Entscheidungen über die Zukunft des Imperiums treffen durfte. Dennoch gewann er die Einsicht, dass der Senat, aus eigenem Machtstreben, einen falschen Weg einschlug und der Kaiser lieber Kithara spielte, als seine Herrschaft zu festigen…

Der Kopf der Adler sah keinen anderen Weg, als seine begrenzten Möglichkeiten zum Einsatz zu bringen und vorerst auf Zeitgewinn zu spielen.

Des Kaisers Wille zur Beobachtung des Legat und des Feldherrn stellte für den Kopf der Adler keine Herausforderung dar. Was aber sollte sein Vorgehen, im Auftrag zur Ermordung des Legat Verginius Rufus, auszeichnen, wollte er selbst doch dessen Tod auf keinen Fall und konnte dennoch, dem Befehl zur Ermordung, kaum ausweichen… Sollte er den Kaiser aufmerksam machen?

Falls der Befehl vom Kaiser selbst kam, so ganz konnte Lartius dies nicht ausschließen, wäre das dann wohl seine letzte Anfrage an den Princeps… Alle seine Überlegungen mündeten immer wieder im Zwang zum Gewinn von Zeit.

Noch immer im Zustand des Abwägens seiner Entscheidungen, Pollio und sein Gefährte verbrachten inzwischen geduldige Tage und Nächte im Adlerhorst, traf zwei Tage später ein Bote aus Germanien ein.

Neue Nachrichten, in Form mehrerer Schreiben, alle von Tremorinus verfasst, brachten etwas mehr Licht in das Dunkel aller Bestrebungen.

Lartius erfuhr, dass sich der junge Hermundure zum neuen Statthalter der Provinz Lugdunensis aufgemacht hatte und auch, dass die Brüder Scribonius, als Statthalter in Germania, einen neuen Angriff auf den Legat Verginius Rufus anstrebten. Die Nachrichten seiner Evocati aus der Colonia und aus Mogontiacum aber bezeugten, dass seinen Männern nichts entging.

Letztlich stieß er auf das Ersuchen des Legat, seinen Obertribun Tremorinus behalten zu dürfen. Dieses Dokument entstammte dem Willen des Legat. Es trug dessen Siegel. Wusste Tremorinus, welcher Wunsch in diesem Dokument formuliert war?

Lartius befand, dass dies keinen Unterschied machte. Nun, dieses letzten Dokumentes würde er sich bedienen, wenn es ihm angenehm erschien…

Warum sollte er dies dem Kaiser in der Provinz zustellen? Womöglich entschloss sich ein verärgerter Nero, aus welchem Grund auch immer, für eine andere Vorgehensweise… Besser, er reichte den Antrag an den Princeps weiter, wenn er ihm in die Augen blicken konnte und in der Lage war, zuvor die Stimmung Neros zu erkunden…

Ein weiterer Tag und eine Nacht vergingen in Überlegungen, dann rief er den Boten aus Germania und befragte ihn zu den Schwierigkeiten einer winterlichen Reise und ob er diesen Weg auch anderen Evocati zutraute.

Der Gefragte zögerte nicht, versicherte, dass er zwar nicht die vorgeschriebenen Wege nutzte, aber dennoch einen Pfad gefunden hätte, der die gefahrlose Überquerung der Alpen, auch im Winter unter Schnee und Eis, ermöglichte. Er habe einen Wegekundigen verpflichtet, der ihn und seinen Gefährten am Rande der Berge erwarten würde. Nur sollte der Aufenthalt in Rom nicht über die Dauer eines Monates hinausgehen.

Mitunter staunte Lartius, wie sich schwierig erscheinende Sorgen in Wohlgefallen auflösten…

Die Legende vom Hermunduren

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