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1. Aufstieg

67 nach Christus - Winter (2. Januarius)

Imperium Romanum – Provinz Lugdunensis

Ein Mann stand im Bug der Bireme, die von kräftigen Ruderschlägen der Rojer flussauf getrieben wurde. Er betrachtete das Wasser des breiten Flusses, der den Namen Rhodanus trug, blickte zu beiden Uferlinien und nahm die sanften Hügel sowie die Wälder in sich auf. Irgendwie war er beeindruckt, weil sich in ihm ein Gefühl von Heimat aufbaute, das so aber nicht richtig war.

Diese Heimat lag weiter in Richtung der untergehenden Sonne, in Aquitanien. Burdigala, hieß die große Stadt am Fluss Garonne, aus deren Nähe seine Mutter stammte. Sein Vater war römischer Senator, deshalb fehlt ihm, weil er sein Leben ausschließlich in Rom oder zumindest in dessen Nähe verbrachte, jedwedes Wissen zu diesem Teil seiner Vergangenheit.

Gaius Iulius Vindex war auch Senator Roms. Er absolvierte den Cursus Honorum. Als sein Vater das Zeitliche segnete, war er alt und reif genug, dessen Stelle im Senat auszufüllen.

Zuerst diente er, wurde anschließend Tribunus Angusticlavius und mit seinem achtundzwanzigsten Jahr zum Quästor berufen. Wenig später starb sein Vater, was ihn in den Senat erhob.

Nicht dass dieser Vorgang automatisch erfolgt wäre, nur besaß er das Alter, die erforderliche Qualifikation und war im Cursus Honorum so weit gekommen, dass seiner Aufnahme nichts mehr im Wege stand. Der Senat Roms entschied sich für ihn. Der Tod des Vaters war nur ein geringer Vorteil. Später erreichte er noch das Amt eines Ädil und der Senat bestimmte ihn letztlich zum Praetor.

Er hatte gerade sein sechsunddreißigstes Lebensjahr erreicht.

Folgte sein Vater als stiller Parteigänger Kaiser Claudius, wich Vindex davon kaum ab. Nur bevorzugte er Kaiser Nero.

Im Cursus Honorum, gleich in welchem Amt und welcher Funktion, vollzog er, was seiner Position zukam, blieb still und unauffällig, hob sich nicht von Anderen ab und schuf auch keine Aufmerksamkeit heischenden Fälle. Betrachtete er selbst sein bisheriges Wirken, so überschritt er zu keiner Zeit die Grenze, die Aufmerksamkeit auf seine Person lenkte.

Dennoch wurde er, vor etwas mehr als einer Dekade, aufgefordert, im Domus Aurea zu erscheinen.

Gaius Iulius Vindex war inzwischen ein gestandener Mann, wenn ihm auch die Vorzüge fehlten, die außerordentliche Persönlichkeiten schufen. Er besaß eine Frau und zwei Kinder, die an der Stufe eines werdenden Erwachsenen ankamen und nun wurde er gerufen. Fürchtete er den Weg zum Kaiser Roms, oder zumindest zu dessen Stellvertreter? Nein, warum auch? Er war sich keiner Verfehlung bewusst…

Mit ihm trafen noch andere Männer ein, alle wie er, Senatoren. Er kannte sie, was zur gegenseitigen Begrüßung veranlasste und auch die Frage hervorrief, warum ausgerechnet Ihnen der Ruf des Kaisers galt.

Keiner kannte die genaue Antwort. Wohl aber waren Gerüchte an ihre Ohren gelangt… Doch wer baute schon auf solche Nachrichten?

Ein Bediensteter brachte sie in einen Audienzraum, wo sie von Helius und dem Praefectus Praetorio, Gaius Nymphidius Sabinus, erwartet wurden. Helius, so wusste Vindex, war mit der Führung der Staatsgeschäfte beauftragt worden, während Kaiser Nero die Provinz Achaea bereiste.

„Senatoren Roms, unser gottgleicher Kaiser erwählte euch zu Aufgaben, die euch ehren sollen, euch verpflichten und euch zu begnadeten Vertretern seines Imperium erheben.“

Helius klatschte in seine Hände und vier weitere Bedienstet erschienen. Die Männer gruppierten sich vor den vier Gerufenen und warteten.

„Was erwartet euch?“ Helius antwortete selbst. „Für Jeden von euch liegt eine Bireme unserer Flotte bereit, die euch dorthin bringen wird, wo die neue Aufgabe euch erfordert! Ihr habt drei Tage Zeit, eure Angelegenheiten in Rom zu ordnen! Von heute an, am Morgen des vierten Tages sticht jede Bireme mit Einem von euch in See!“

Der Freigelassene und zur Vertretung des Kaisers Berufene besann sich einen Augenblick.

„Ihr werdet das Dokument eurer Berufung zur Kenntnis nehmen und euch sofort entscheiden, ob ihr diese Verpflichtung anerkennt, dann den Schwur leisten und von mir entlassen…“ Helius zögerte.

„Jeder von euch hat das Recht abzulehnen…“ fügte er an.

Vindex wusste, was dies bedeuten würde und sicher auch jeder der Männer neben ihm…

„Lasst mich euch einen Rat geben…“ hob der Freigelassene an.

Auch Helius schien sich der Besonderheit dieses Auftritts bewusst. Ein Freigelassener ließ Senatoren vor sich erscheinen… Fand der Kaiser keinen berufeneren Mann, diese Pflicht zu erfüllen?

Der Senat schied zur Übergabe der Urkunden aus, dennoch wäre selbst der Präfekt der Prätorianer angemessener gewesen, dieser aber stand nur hinter dem Freigelassenen…

Vindex begriff die ihn erhebende Ehre. Doch warum musste ein Freigelassener diese überreichen? Hatte Rom keine besseren Männer? Oder verband der Kaiser mit dieser Ernennung noch andere Ziele… Vielleicht war mit der Berufung eine Drohung verbunden, die besagte, dass kein noch so ehrenvoller Mann sich über einen Freigelassenen erheben sollte… Vindex wischte die sich ihm aufdrängenden Gedanken zu den Widersprüchen dieser Berufung einfach hinweg. Er würde sich später dafür Zeit nehmen dürfen, so dachte er damals und hörte dem früheren Sklaven des Kaisers aufmerksam zu.

„Ordnet eure Verhältnisse in Rom, befindet vorerst, eure Familien hier zu belassen und übernehmt eure Pflichten… Erst dann ruft eure Angehörigen und bedenkt zu jeder Zeit, dass es nur unserem göttlichen Kaiser Nero zusteht, euch im Amt zu belassen oder abzurufen… Ihr könntet, wie schon Andere, Jahre lang dort verbleiben… Oder auch nach nur wenigen Monaten zur Rückkehr gezwungen sein, weil ihr für unfähig oder unwürdig erkannt worden seid…“

Vindex wusste, dass sich keiner melden würde, der auf seine Berufung verzichten wollte… Er selbst sah keinen Grund, wenn ihm auch die an die Berufung gebundene Bedrohung irritierte. Vielleicht war es auch eine notwendige Bemerkung, weil Andere sich zu sehr Erhoben fühlten…

Es gab noch eine andere Überlegung, die weit mehr zur Beunruhigung beitrug. Wohin würde ihn der Kaiser senden? Er erinnerte sich flüchtig, dass auch Numidia zur Auswahl stand…

Obwohl er zu keinem Zeitpunkt glaubte, für eine Wahl zum Procurator oder gar Legatus Augusti in Frage zu kommen, waren ihm die zur Neubesetzung stehenden Provinzen bekannt. Numidia wäre nur nicht seine erste Wahl…

„So…“ hörte er von Helius und sah ihn in die Hände klatschen, was die Bediensteten veranlasste, die Urkunden zur Berufung zu übergeben.

„Öffnet und lest!“ befahl der frühere Sklave.

Helius ließ ihnen Zeit, so schien es Vindex, obwohl ihm zuerst die Zeilen förmlich verschwammen und er jedes Gefühl für die Zeit verlor.

Dann sah er den Namen der Provinz: Lugdunensis!

Er hätte jubeln können… Es gab nur wenig mehr, dass ihn glücklich gemacht hätte… Einzig Aquitania wäre in der Lage gewesen, diese Freude zu übertreffen, nur Aquitania stand nicht zur Auswahl. Er brauchte Zeit zur Besinnung, hörte im Nebel der Betroffenheit Helius Stimme: „Lehnt einer von euch ab?“ und hatte Not, seine Freude zu beherrschen.

Die größte und wichtigste Provinz Galliens war ihm zugefallen…

Fast im selben Augenblick meldete sich, irgendwo in seinem Kopf, eine leise flüsternde Stimme: ‚Wieso gerade dir?’ Erst verstand er die Stimme nicht, dann aber überschwemmte ihn eine Erkenntnis und seine Zuversicht nahm Formen an. War er nicht ein dem Kaiser treuer Mann? Selbst seine Unscheinbarkeit… Da hörte er die flüsternde Stimme erneut.

‚Treu ja, aber auch blass, unscheinbar… unbedeutend… ohne Rückrat…’

Vindex erschrak, was ihm sein Genius zuzuflüstern begann. Er wusste, dass er diese Bedenken würde nicht wieder abschütteln können… Was auch immer sich dahinter verbarg, würde ihn quälen und vor sich hertreiben… Er hatte solche Anwandlungen schon oft erlebt und bezwungen, auch wenn der Einfluss sich in seinen Nacken bohrte, ihn marterte und zu beherrschen drohte.

Inzwischen hatte er gelernt, mit dieser Bedrohung umzugehen…, diese Stimme in seinem inneren Ich abzuwürgen und sich über jede von deren Einflüsterungen zu erheben. Vindex straffte sich.

„Leistet den Schwur auf das Imperium Romanum und Kaiser Nero, den Senat und das Volk von Rom!“ forderte der ehemalige Sklave. Ein Bediensteter hielt ein Fascis auf beiden Armen, waagerecht vor jeden neuen Statthalter.

In dem die rechte Hand des Mannes auf das Bündel gelegt wurde, schwor der Erwählte, mit den einfachen Worten: „Ich schwöre!“

„Im Portus Romae liegt für jeden ein Schiff…“ hörte er. „Es ist eure Sache, wann ihr ablegt…, wer euch begleitet, welche Route ihr wählt und wann ihr ankommt… Nennt den Trierarchus eure Provinz und den Rest, bis zur Ankunft, übernimmt der jeweilige Trierarch. Meldet sich am vierten Tag einer der Trierarchus bei mir, ist eure Provinz verfallen… und der Präfekt wird euch einen Besuch abstatten…“ Helius nickte hinter sich und Vindex begriff, dass der Freigelassene sich seiner Rolle bewusst war.

Er nickte seine Zustimmung, wie die Übrigen auch.

„Eine letzte Bemerkung von mir! Der Vorgänger wird euch nicht erwarten… Er wird die Geschäfte nicht übergeben, aber dessen Gefolgsmänner stehen für euch bereit… Übernehmt, wem ihr vertraut, schickt weg, wen ihr glaubt nicht zu brauchen… Ihr seid die Statthalter dieser Provinzen und haftet mit eurem Kopf gegenüber dem Kaiser für jeden Vertrauten, sind es nun übernommene Männer oder von euch selbst Gestellte! Geht! Ich wünsche euch Glück und Erfolg!“

Als Vindex das Domus Aurea verließ, war er glücklich über die vom Freigelassenen dürftig gestaltete Berufung. Bei Nero wäre das nicht so leise vor sich gegangen. Insofern gefiel ihm diese Zeremonie, obwohl diese der falsche Mann leitete.

Sein Genius schien diese Kritik auch wahrgenommen zu haben. Er meldete sich sofort mit einem hämischen, leisen Lachen…

Vindex beglückte sein Weib mit dieser Berufung und merkte, wie sich deren Figur straffte. Sie hatte wohl nicht mit einem derart günstigen Ereignis gerechnet und als ihr bewusst wurde, welche Provinz ihrem Gatten zugesprochen worden war, begann sie erst Wünsche zu äußern, dann Forderungen aufzumachen und letztlich verfiel sie in ein hektisches Treiben. Sie verstand nicht, dass sie und die Kinder vorerst in Rom blieben. Er wollte auch keine Erklärungen dazu abgeben, denn er wusste, dass er dann verloren hätte.

Dann tauchte sein fast siebzehnjähriger Sohn auf.

Vindex hegte den Verdacht, die Mutter hätte ihn geschickt. Er verschloss sich vor dessen erstem Wort, hörte aber nach außen hin, scheinbar interessiert zu. Der Sohn beklagte den Verbleib. Dennoch hörte Vindex kein Wort, dass der Mutter Aufbegehren stützte.

„Vater, du bist einzig für deine Treue zum Kaiser gerufen worden… Deine mir bekannte außerordentliche Klugheit, dein Selbstverständnis, deine Bescheidenheit sind es nicht, die dich zur Wahl brachten… Diese Vorzüge hätte ein Nero nicht einmal bemerkt. Es ist die Treue deines Vaters und deine eigene Treue zum Kaiser, die ihn bewogen, dich zu erwählen… Ich hörte von Unruhen in Gallien… Was also braucht er dort…“ Der Sohn ließ die folgenden Worte ins Schweigen fallen.

Vindex war aufmerksam geworden.

„Du bist dem Kaiser zugeneigt und stehst für ihn im Senat! Er aber wird eines Brandes bezichtigt, den er kaum zu verantworten hätte, würde er Rom nicht nach seinen Vorstellungen neu aufbauen wollen… Gönnte er sich dabei nicht ein Domus Aurea, obwohl ihm das Geld dafür fehlt, blieben ihm wohl Vorwürfe erspart… Trotzdem schenkte er den Achaier den Erlass ihrer Steuern, dafür schröpft er Gallien etwas mehr und dorthin gehst du… Was meinst du, wie du empfangen wirst?“

„Rom herrscht in Gallien!“ erwiderte der Vater, mit Härte in der Stimme.

„Und… bist du Rom?“ Vindex bemerkte, dass der Sohn ein Ziel verfolgte.

„Was erhoffst du dir mit deinen Worten?“

„Dich begleiten zu dürfen!“ lautete des Sohnes Antwort.

„Ich werde darüber nachdenken…“ Er entließ den Sohn, musste er sich doch erst einmal über weit wichtigere Dinge Klarheit verschaffen und sich vor allem darum kümmern…

Er dachte an kluge, starke und treue Männer und ging deren Namen sowie deren Erscheinung, Wissen und Einstellung durch, sonderte aus und entschied sich für sieben Personen, die er zur Ausübung seiner Macht zu brauchen glaubte.

Dann widmete er sich seinem Schutz. Er würde in Lugdunum eine Kohorte vorfinden und keine Legion. Deren Kommandeur bestimmten Andere, vielleicht nicht mal der Kaiser… Würde der Mann sich ihm anpassen oder Front gegen ihn machen? Es sei, wie es sei, schloss er und befand, dass zehn seiner Männer zum Schutz ausreichen sollten…

Also wählte er nach Verstand, Können, Mut und Treue.

Würde einer der von ihm berufenen Männer zögern, ihm zu folgen oder gar ablehnen? Vindex wusste es nicht.

Als er mit einem Schreiber kurze Botschaften an die Auserwählten verfasste, fiel ihm auf, dass nur zwei wirkliche Römer darunter waren. Die Mehrzahl gehörte zu den Galliern, Aquitanier, Sequaner, Haeduer, Treverer und merkwürdiger Weise fanden sich auch zwei Germanen darunter, sowie auch zwei Griechen…

Als er die Einladungen zu einem abendlichen Essen in seiner Hand wog, war er sich sicher, die richtigen Männer erwählt zu haben.

Sie kamen alle.

Vindex sprach über seine Berufung, legte seine Vorstellungen zu den schon jetzt absehbaren Aufgaben dar, nannte bestimmte Verpflichtungen und wagte den Versuch der Zuordnung zu einzelnen Männern. Letztlich fragte er, ob es Einen gäbe, der nicht bereit wäre, ihn in seine Provinz zu begleiten…

Zuerst starrten sich alle an, knieten dann nieder und zeigten damit ihre Bereitschaft an. Innerlich jubelte Vindex, erschrak jedoch, als in der sich in diesem Augenblick öffnenden Tür sein Sohn erschien.

„Vater, warum fragst du nicht auch mich?“ Sein Blick streifte die Runde der knienden Männer. „Im Augenblick bin ich wohl neben dir der Größte im Raum…“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „… aber ich bin auch der Jüngste und wohl die Meisten deiner Erwählten sind älter, viele auch Größer, alle wesentlich Erfahrener, auch sicher Nützlicher als ich und dennoch würde dir etwas Fehlen, ließest du mich zurück…“

„Was wäre das, mein Sohn?“ polterte er.

„Die Jugend, die Unbekümmertheit und das Wagnis…“ Der Bursche war um eine Antwort nicht verlegen.

„Du hast zu viel gewagt, mein Sohn! Hinaus!“ donnerte der Vater.

„Warte, Vindex!“ meldete sich eine Stimme.

Beide Vindex erstarrten, der Eine mit Wut im Blick und der Andere mit Hoffnung im Sinn. Der Mann, der sprach, war Grieche.

„Es gehört schon Mut dazu, den Vater vor solchen Männern herauszufordern… Hast du seinen Wunsch schon gekannt oder hast du ihn gar bereits abgelehnt?“

„Wir sprachen darüber, doch ich sagte nur zu, darüber nachzudenken… “

„Und hast du?“ fragte der Grieche.

„Nein, noch nicht…“ gab Vindex zu.

„Dann mache ich dir einen Vorschlag…“

„Ich höre…“ Vindex war vom Auftreten dieses Mannes überrascht.

„Lass die Männer, die eben vor dir knieten, darüber abstimmen… Nein, nicht vollständig…“ lenkte er ein als sich Vindex Miene verfinsterte.

„Sagen wir, es sind mehr als drei Viertel für den Jungen, kommt er mit. Sind es weniger als die Hälfte, bleibt er in Rom… Was dazwischen liegt, bleibt bei deiner bisherigen Entscheidung…“

„Warum?“ Vindex zeigte Verblüffung.

„Zuerst einmal ist er dein Sohn… Er ist ein wichtiges Stück deiner Familie! Zum Zweiten wird er sehr viel lernen, zum Dritten besitzt er Mut und versteht sich auszudrücken… Letztlich besitzt er dein Vertrauen, oder… “

Vindex nickte und traf, selbst in dieser Lage, eine bemerkenswerte Entscheidung. Siebzehn Männer beugten ihr Knie vor ihm…

„Sind nur drei Männer von euch gegen ihn, wird er bei seiner Mutter bleiben… Wer von euch lehnt die Begleitung meines Sohnes ab?“

Vindex starrte jeden der Erwählten an, als würde er bitten, betteln oder flehen, aber keiner von denen ließ sich erweichen.

„Gut, ihr habt so entschieden… Dennoch stelle ich eine Bedingung!“

„Welche, Vater?“

„Die Zustimmung deiner Mutter!“

Es schien, als hätte der Sohn diese Ausflucht schon vorhergesehen. Er beugte einfach sein Knie.

Vindex verstand, dass der Sohn diese Verhinderung längst, in seinem Sinn, aus dem Weg geräumt hatte. Als er an diesem Abend sein Weib sprach, versicherte sie ihm, dass sie ihre Zusage von der Entscheidung des Vaters abhängig machte und hoffte, er würde ablehnen… Der Sohn spielte Vater und Mutter gegeneinander aus und bekam seinen Willen.

Jetzt standen sie gemeinsam im Bug der Bireme und starrten auf die sich nähernde Stadt. Der Fluss teilte sich. Sie folgten dem linken Arm stromauf.

Lugdunum wirkte, vom Wasser aus, prächtig. Es lag auf einem Hügel, am linken Ufer. Vom Fluss, vom Landesteg aus, stieg das Land teilweise sanft und an anderer Stelle wesentlich heftiger an.

Als sie das Ufer erreichten, warteten schon Vertreter der Stadt, die Ala der Auxiliaren Roms und auch Würdenträger der Statthalterschaft.

Die Planke wurde ausgelegt und Vindex betrat als Erster das Land. Ihm folgten seine sechs Fasces mit ihrem Rutenbündel.

Vindex ging, gefolgt von seinen Begleitern, auf das wartende Empfangskomitee, bestehend aus dem bisherigen Stab des Statthalters und den Oberen der Stadt zu. Als er am Präfekt der Kohorte ankam, die seitlich des Weges angetreten war, machte Vindex Front zum Signum, und zur ‚Offenen Hand’. Sein Blick begegnete den Augen des Präfekt und die gegenseitige Musterung begann.

Die nachfolgende Begrüßung war kurz, endete in einer Vorstellung der Oberen der Stadt und seiner sieben Ratgeber, die er für einzelne Funktionen seiner Herrschaft vorsah, ohne deren Stellung oder Aufgabe zu benennen. Seinen Sohn überging er. Was sollte es, mit dem jüngeren Vindex Eindruck schinden zu wollen… Gaius Iulius Vindex war angekommen.

Was sollte er vom Empfang denken… Die beste Einstellung erschien ihm, weder zu viel Anteilnahme zu zeigen, noch die Dürftigkeit zu beklagen. Nüchtern, möglichst ohne Emotionen, sollte er sein Amt damit beginnen, die Bedingungen in der Provinz kennenzulernen und auch die Männer zu beobachten, die bisher das Wohl der Provinz hegten.

Der neue Legatus Augusti begann sich in sein Amt zu stürzen. Vindex brauchte nicht lange, um einen Anfang zu finden. Er hörte den bisherigen Verantwortlichen zu, ließ seine sieben Ratgeber an jeder Beratung teilnehmen und registrierte die Bemühungen seiner Gefährten, Klarheiten zu erzwingen.

Dieses Vorgehen zeigte zwei unterschiedlich zu bewertende Aspekte. Einmal hörte jeder seiner Männer, was die Vorgänger mit welchen Mitteln zu erreichen suchten und weil jeder der Ratgeber Forderungen aufmachen durfte, Fragen stellen konnte, erkannte er, wer sich, unter seinen Männern, in welcher Sphäre auskannte und sich interessierte.

In ihm entstand ein Bild über deren zukünftige Verwendung.

In diesen Gesprächen war auch zu merken, welcher der Vorgänger im Amt an seiner bisherigen Aufgabe hing und wer nur darauf bedacht war, sich die eigene Nase zu vergolden…

Vindex hatte zu wenige fähige Männer mitgebracht.

Wie sollte er auch wissen, was ihn in dieser großen Provinz erwartete? Hatte er zu wenige eigene Männer, sollte er unter den verbliebenen Amtsträgern die erwählen, die ihm den besten Eindruck boten. Er achtete auf Sachkenntnis, Handlungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und auf die Männer, denen gleichgültig war, wem sie dienten…

Er nahm sich viel Zeit, in die auch das Kennenlernen des Praefectus Cohortis hineingehörte. Nach fast einem Monat beriet er sich mit seinen Begleitern und verteilte anschließend die Pfründe.

Während der Vater seiner neuen Aufgabe gerecht zu werden versuchte, trieb sich der Sohn in diesem Teil der römischen Welt herum. Es war eine andere Art der Neugier, die ihn anspornte.

In Rom waren seine Möglichkeiten eingeschränkt, immerhin bewachte ihn die Mutter. Hier besaß der Vater zu wenig Zeit und beauftragte einen seiner erwählten Männer mit der Sicherheit seines Sohnes.

So ergab sich der Umstand, dass der Sohn diese Stadt und Teile der Provinz aus einer ganz anderen Sicht kennenlernte…

Die Legende vom Hermunduren

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