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Оглавление4. Der Bote der Evocati
66 nach Christus - Sommer (20. September)
Imperium Romanum – Rom
Am Morgen dieses gleichen Tages ritt Belletor in den Adlerhorst ein. Er passierte das Tor, traf auf den Pferdeknecht, ergriff seinen Sattel und zwängte sich, mit diesem im Arm, in den Korridor zum Arbeitszimmer des Mannes, der sein Ziel war. Vor der Tür verharrte er, veränderte die Lage des geschulterten Sattels und klopfte. Unaufgefordert in des gefährlichen Mannes Arbeitsraum zu treten, wagte er sich nicht.
„Komm rein, Belletor!“ hörte er, kurz nach dem sich die Tür öffnete, die ihm bekannte Stimme erklang und die Gestalt des Kopfes der Adler der Evocati, den Rahmen der Tür füllte.
„Was schleppst du dort mit dir herum?“
Belletor betrat den Raum, erkannte die Einrichtung und legte den Hörnersattel neben dem Kamin ab.
„Sollte deine Botschaft an mich ein Sattel sein…“ Aus der bekannten Stimme glaubte Belletor Spott zu vernehmen.
Die folgenden Worte klangen wieder nüchtern. „Setz dich! Hast du eine gute Reise gehabt?“
Belletor nahm das Angebot, sich setzen zu dürfen, an. Er wusste, das nun folgende Gespräch könnte sehr lange dauern und dabei zu sitzen war weit angenehmer. Zumal er auf den guten Falerner Wein wartete, an den er sich sehr gern erinnerte.
„Du bist recht schweigsam, Legionär…, hat dich etwas verärgert?“
„Nein, Herr! Die Reise war deshalb gut, weil ich einen guten Begleiter besaß… “
„Wo ist Tremorinus?“ Lartius, der Kopf der Adler der Evocati, klang überrascht.
„Herr, dort wo er sein sollte… in Mogontiacum!“
„Wer war dann dein Begleiter?“
„Ein Freund, Herr!“
„… und er verließ dich erst vor unserem Tor…“
Belletor lächelte. Sollte ihm der Adler eine solche Dummheit zutrauen? Sicher wohl nicht und dennoch, diese Frage zu unterlassen, wäre Leichtsinn. Deshalb schüttelte er langsam seinen Kopf.
„Ich weiß, so dumm bist du nicht!“ Auch der Aquila lächelte.
„Können wir zum Schluss noch einmal auf meinen Begleiter zurückkommen, Herr?“
„Ja doch…“ Der Aquila, dessen römischer Name Lartius lautete, wirkte etwas ungeduldig. „Wie geht es unserem Tribun?“
„Dem geht es Bestens, der wird ständig älter, aber auch reifer und legt langsam sogar seine Prahlerei ab. Als ich ihn zum letzten Mal in voller Fahrt erlebte, kamen wir gerade in Mogontiacum an…“ Schemenhaft glitt die Aufschneiderei seines Gefährten in Tanicus Taverne durch seine Erinnerung.
„Dann scheint es bei euch wohl heiß herzugehen?“
„Das kann leicht so bezeichnet werden…“ Belletors Erinnerungen schweiften erneut ab. Er sammelte sich und ergänzte: „Herr, ich weiß nicht, was du bisher über so einige Vorfälle in Mogontiacum gehört hast, deshalb fehlt mir der richtige Anfang…“
„Dann gehe ruhig davon aus, dass du der einzige Bote von dort bist…“ erwiderte Lartius und lächelte erneut.
„Herr, so richtig kann ich das kaum glauben…“ wagte Belletor einzuwerfen. „Immerhin lebst du fast Tür an Tür mit dem Kaiser Roms und ich kann mir kaum vorstellen, dass unser aller Widerpart am Rhenus sich noch nicht bei Kaiser Nero gemeldet hätte, um sich über unseren Legat zu beschweren…“ Belletor sah, wie der Aquila aufhorchte.
„… und wenn dem so wäre? Glaubst du unser Göttlicher ruft mich wegen einer Kleinigkeit, die in irgend einer Legion vorfällt?“
Entweder Belletor täuschte sich oder der Kopf der Adler wirkte irritiert. „Herr, ist der beabsichtigte Mord an einem Legat solch eine Kleinigkeit?“
Bisher glaubte Lartius nur an eine kleine Plänkelei mit seinem Evocati, obwohl er schon vermuten durfte, dass dessen plötzliches Auftauchen einen wichtigen Grund besaß. Aber einen Mord an einem Legat…
Andererseits stimmte es, sein letzter Besuch beim göttlichen Nero lag schon über einen Monat zurück. Das war zwar kein zu langer Zeitraum, dennoch verwunderte er sich über die recht plötzlich bekannt gewordene Reise nach Griechenland. Merkwürdigerweise erfuhr er erst davon, als alles bereits entschieden und somit zu spät war, auf bedenkliche Entwicklungen verweisen zu können… Seine Bitte um eine Audienz wurde seinerzeit entschieden zurückgewiesen.
Lartius sinnierte über die Zusammenhänge nach. Wusste der Kaiser vielleicht gar nichts von der Zuspitzung in Mogontiacum? So wie auch er selbst, erst jetzt aus Belletors Worten, von diesen vernahm? Wenn der Kaiser davon Kenntnis hätte, dann wäre er doch sicher gerufen worden?
Plötzlich begriff Lartius eine unterschwellig auf ihn und das Imperium zurollende Gefahr. Der Kaiser wusste nichts! Der Kaiser trieb sich in Griechenland herum um Siege in Wettkämpfen zu erringen… Hier aber würden alle möglichen Würmer aus ihren Löchern kriechen und wenn dann in Mogontiacum ein kleiner Stein ins Rollen kam, konnte sich dieser hier in Rom zu einer Lawine erweitern… Wusste der Senat vielleicht gar mehr als er oder sein Kaiser?
Halt, stoppte sich der Aquila selbst und blickte Belletor neugierig an.
„Wer sollte ermordet werden?“ fragte er vollkommen sachlich.
„Verginius Rufus war das Ziel!“ Lartius sprang überrascht auf.
Das war schlimmer als er vermuten durfte. Beherrscht setzte er sich schnell wieder in seinen gewaltigen Arbeitsstuhl.
„Mir scheint, du solltest der Reihe nach und alles Wesentliche berichten. Fang damit an, wer diese Tat versuchte…“
„Gut Herr, eigentlich begann alles damit, dass der Statthalter, Scribonius Proculus, unseren Legat, Verginius Rufus, zur Teilnahme am Stapellauf einer neuen Liburne aufforderte und sich dies im Nachhinein als eine Falle herausstellte… “
Belletors Bericht dauerte Stunden.
Geduldig hörte der Kopf der Adler der Evocati zu, unterbrach nicht, stellte keine Fragen, goss aber stets vom Wein und Wasser nach, wenn der Inhalt in Belletors Pokal zur Neige ging.
„Bist du nun fertig?“ Das waren Lartius Worte, als er ein Ende des Berichts zu erkennen glaubte. Belletor nickte.
Lartius stand auf und zog an einer neben der Tür befindlichen Schnur. Ein Weib erschien.
„Wir haben Hunger, tische auf!“ befahl Lartius und Belletor gewahrte bald die Bemühungen zweier Weiber, eine reichliche Tafel zu bestücken. Die Weiber nutzten dazu des Aquila Arbeitstisch und es schien, als geschähe dies oft.
Lartius hatte sich erhoben und war zum Fenster getreten.
Ein Blick durch dieses sagte Belletor, dass es dort nicht viel zu sehen gab. Also wappnete er sich mit Geduld.
Der Tisch war gedeckt und der Aquila setzte sich.
„Greif zu, Freund und ziere dich nicht…“ forderte Lartius ihn auf und Belletor sah keinen Grund, die Köstlichkeiten auf der Tafel zu missachten.
Zum Bericht schwieg sein Gegenüber.
Trotzdem Belletor mit den Speisen arg beschäftigt war, entging ihm nicht, dass Lartius langsam, geduldig und sorgfältig wählend, aß. Also nahm er das gleiche Recht für sich in Anspruch. Der Ältere lehnte sich nach einiger Zeit, wohl gesättigt und zufrieden, zurück. Die anschließende Beobachtung ließ Belletor über sich ergehen.
Erst als der Aquila das Erlahmen in Belletors Bemühungen gewahrte, sprach er ihn wieder an.
„Warum Legionär beschützte ein Germane den Legat? Hast du beim Alter des Hermunduren nicht etwas untertrieben? Wenn das, was du sagst stimmt, verstehe ich den Grund für seine Handlungen nicht…“
„Herr, jedes Wort zu diesem Hermunduren Gerwin stimmt. Er ist zu jung für sein Wissen und Begreifen, zu jung für seine Erfahrung im Kampf, beherrscht zu viele Waffen und kann wirklich ohne Waffe töten… Das Schlimmste aber ist, dass er immer im Voraus weiß, was sich ereignen könnte… Ich habe nie erlebt, dass keine seine geäußerten Voraussichten zutraf… “
„Hat dieser Bursche wirklich erfahrene Triarii ohne Waffen besiegt?“
„Herr, wenn ich es doch sage…“
„Bemerkenswert, ungewöhnlich, verblüffend…“ murmelte der Aquila vor sich hin. Dann raffte er sich auf und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Bemühungen der Kelten um Legionen am Rhenus.
„Dieser Eporedorix, dieser Vergobret, machte sowohl Verginius Rufus und auch dem Statthalter Angebote?“
„Legat Fabius Valens soll auch betroffen sein…“ ergänzte Belletor.
„Ja, ja, ich habe schon verstanden…“ unterbrach ihn der Aquila.
„Die beiden Brüder Scribonius, Proculus und Rufus, Statthalter in den beiden Germania Exercitus, buhlen um des Senats Gunst und wenn Verginius Rufus nicht so ein Sturkopf wäre, hätte der Kaiser längst zumindest sieben Legionen verloren, ob nun an die Gallier oder nur an den Senat, wäre nahezu gleich schlimm…“ fügte der Aquila nachdenklich hinzu.
Belletor nickte einfach, was sollte er schon zu diesen Folgerungen sagen… „Herr, ich habe noch Botschaften für dich.“
„Na dann her damit!“ fuhr der Adler auf.
Belletor schnappte seinen Hörnersattel, zückte einen seiner Dolche und trennte die größeren Hörner am Sattel auf. Er reichte dem Aquila beide Botschaften.
„Herr, die eine Botschaft ist Tremorinus Bericht und das andere Dokument ist ein Schuldgeständnis des Statthalters…“
„Ein Schuldgeständnis, dass der Statthalter dem Legat überreichte… Das kann ich kaum glauben… Du hast es bisher nicht erwähnt! Wie gelangte Verginius Rufus an dieses Geständnis…“
„Herr, erlaube mir auch dazu zu berichten…“
„Warte einen Moment, Belletor, lass es mich erst lesen…“
„Sehr ungewöhnlich…“ quittierte Lartius den gelesenen Text und ließ das Schreiben an einem Ende los, worauf sich dieses wieder aufrollte.
„Herr, Gerwin schaffte es doch, sich der Bedrohung durch die Triarii der Legio IV Macedonica, die der Statthalter gegen ihn schickte, zu entziehen… “
„Ja doch, Belletor, das habe ich begriffen… Weiter…“ drängte Lartius.
„Was, Herr, denkst du, musste Scribonius Proculus befürchten, käme er nicht sehr schnell mit einem Ansinnen zu Legat Verginius Rufus?“
Belletor wartete auf eine Äußerung des Adlers, der aber schwieg, so dass er selbst eine Antwort bieten musste.
„Der Hermundure brachte die besten Kämpfer der Macedonica verschnürt zum Legat. Beide trugen keinerlei Verletzung! Beide waren zum Töten ausgesandt worden und kannten den Auftraggeber… Sprach nur Einer, war Scribonius gescheitert und zog auch seinen Bruder mit in den Abgrund…“ Lartius schien begriffen zu haben, denn er nickte auf bedächtige Art.
Belletor trank und besann sich, bevor er seinen Bericht fortsetzte.
„Ist Verginius Rufus des Kaisers Mann in Germanien, der Tötungsversuch scheint dies zu bestätigen, muss er weichen, sollte die Absicht der Brüder Scribonius gelingen, die Legionen vom Rhenus dem Senat zu überantworten. Der Angriff aber war gescheitert, weil es den Hermunduren gab…“ Belletor nahm sich Zeit und der Adler folgte nachsinnend dessen Worten. „Also musste der Hermundure weg, doch auch dies scheiterte! Der Bursche brachte auch noch die besten Zungen mit, die er bekommen konnte…“ Der Evocati grinste den Aquila an. „So kamen zwei verfehlte Missetaten zusammen und Scribonius Proculus verglich deren Bedeutung und mögliche Wirkungen … Möglicherweise gelangte er zu der gleichen Folgerung, wie Tremorinus…“
„Nun spann mich nicht auf die Folter, Miles!“ fluchte Lartius.
„Die erste Missetat war nicht mehr zu beweisen, denn von den Tätern lebte keiner mehr! So Herr, musste Scribonius Proculus doch glauben? Die einzige Ausnahme war dieser Julius Tutor…“
Dieser Zusammenhang erschloss sich Lartius aus Tremorinus Schreiben und Belletors Bericht.
„… doch dessen Parteinahme galt doch den Brüdern Scribonius!“ setzte der Bote nach, als er die Schlussfolgerung des Aquila zu erkennen glaubte.
„Außerdem war Tutor inzwischen längst bei Proculus Bruder in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Schließlich hatte er doch selbst für dessen ungehinderte Flucht gesorgt, als er diesen Mann ausgerechnet an den Präfekt der Treverer Auxiliaren, einen Mann Namens Montanus, übergeben ließ…“ Belletor lauerte auf das Erkennen auch dieser Zusammenhänge. „Selbst wenn Scribonius Proculus also zugab, nicht ganz so unbeteiligt gewesen zu sein, ließe sich diese Beteiligung doch im richtigen Augenblick herabmildern und letztlich zu einem erpressten Zugeständnis umdeuten…“
„Das aber scheint in dieser Sache nicht alles zu sein?“ unterbrach ein misstrauischer Aquila Belletors Bericht.
„Ja, Herr! Erst einmal überlebten zwei Treverer Auxiliaren den Angriff auf unseren Legat und wurden sofort vom Hermunduren überredet, den Auftraggeber preiszugeben. Er hatte wohl sehr stichhaltige Argumente…“
In Belletors Händen zeigte sich einer seiner spitzen Dolche und der Kopf der Adler verstand.
„Beide Treverer waren vom Hermunduren, im vorangegangenen Kampf, ziemlich heftig verletzt worden. Also beließ der Legat den Treverern das Leben. Der Hermundure versprach Heilung und sorgte für deren Sicherheit. Diese beiden Männer lebten noch, als sie das vorläufige Ziel ihrer Flucht erreichten…“
„Zum Anderen…“ forderte Lartius. Die gefangenen Treverer interessierten ihn nicht sonderlich.
„…gibt es da noch einen Irrtum des Scribonius…“ ergänzte Belletor.
„Welchen? Lass dir nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen…“ beklagte sich der Ältere. Der Kopf der Adler der Evocati hatte so richtig Feuer gefangen und hechelte förmlich von Ereignis zu Ereignis.
Lartius schien auf ein Ziel ausgerichtet zu sein, welches Belletor nicht sehen konnte. Der Aquila drängte vorwärts, sog jedes Wort des Boten förmlich in sich auf, verglich, vervollständigte, verwarf und folgte den inneren Zusammenhängen der in Mogontiacum abgelaufenen Ereignisse mit einer Inbrunst, die Belletor in Unruhe versetzte und gleichfalls in den Bann zu ziehen drohte.
Indem Belletor erneut trank, sich dabei Zeit nahm, wirkte er auf sich und den Adler beruhigend. Lartius, gezwungen aus der Negierung seiner Umgebung auszubrechen, starre Belletor an.
„Mann…“ fluchte er „… zwinge mich nicht, dir Beine zu machen…“
„Herr, du verlierst dich! Die Ereignisse sind längst geschehen. Du kannst nichts mehr beeinflussen oder gar verhindern…“
Die leise gesprochenen Worte waren ein Wagnis. Belletor empfand die Gefahr und dennoch drängten die Worte über seine Lippen.
Diese leise Botschaft kam beim Aquila an.
„Verzeih meine mangelnde Beherrschung!“ Lartius lehnte sich völlig entspannt zurück. „Trotzdem setze fort!“
„Zwischen Verginius Rufus und diesem Tutor lief ein Spiel der Täuschung ab, das vom Hermunduren geschickt gesteuert wurde. Tutor war, ginge er nicht darauf ein, ein toter Mann… Trotzdem würde er aber zuvor zum Verräter seines bisherigen Herrn werden… Beides gefiel ihm nicht und dennoch blieb zumindest eine der Bedrohungen…“ Belletor nippte an seinem Pokal.
„Den möglichen Folterungen des Germanen ausweichend, ließ Tutor sich in ein Netz verstricken, dass am Ende eigentlich nur seinen Tod bringen kann… Entweder er geht als Spion zurück in das Lager der Brüder Scribonius und berichtet an Verginius Rufus jede Gefahr, jedes Ereignis und auch jede beabsichtigte Tat der Brüder oder wir offenbaren seinen Verrat… Wie sollte sich Tutor herauswinden können?“ Belletor lächelte und löste damit weitere Verspannungen im Aquila.
Den Aquila anblickend, ergänzte Belletor. „Gingen doch der Legat, Tremorinus und der Hermundure, mit dem Tutor, zum Statthalter und klagten diesen, vor dessen Angesicht, des Verrats an Rom an, ohne auf dessen Beteiligung am Überfall einzugehen…“
Lartius stutzte und fast hätte er seine Verwunderung in Worte gefasst, erkannte jedoch rechtzeitig, dass der Bote noch mehr dazu berichten wollte.
„Tutor fand keine Gelegenheit, das Spiel zu offenbaren. Machte er erst einmal mit, war sein späteres Umschwenken, zurück auf die Seite der Brüder, fragwürdig? Was denkst du, Herr, wie Scribonius Proculus darauf antworten würde? Tutor kennt doch die Eigenschaften der Brüder, die zuweilen sehr schnell und sehr im Zorn handelten… Wer, wenn nicht er, wusste vom Jähzorn der Brüder, die wichtige Fragen oft erst stellten, wenn eine Antwort unmöglich geworden war. Tutor aber wollte leben…“
Der Miles machte eine Pause und trank einen Schluck vom Wein.
Der Kreis der abgelaufenen Handlungen schloss sich und Belletor wagte es jetzt endlich, dem Aquila freien Blickes zu begegnen. Bisher bestimmte immer Vorsicht sein Verhalten. Er öffnete sich immer nur soweit er unbedingt musste. Doch in diesem Augenblick, in dem er dem Kopf der Adler einen äußerst wichtigen Trumpf zuspielen konnte, schien er den Anderen in sein Innerstes eindringen lassen zu wollen.
„Herr, das alles erkannte der Hermundure und nutzte es aus! Gerwin sah auch, dass Tutor gern wagemutig spielte, klug und verschlagen war… Also wurde Tutor vom Legat nur des Verrats an Rom beschuldigt und von Scribonius Proculus dessen Verurteilung gefordert! Vom Überfall auf Verginius Rufus war keine Rede! Tutor dagegen, vermochte die List des Legat nicht zu zerstören, wollte er selbst Leben… Er konnte nicht über Gefangene sprechen und wo der Legat diese verbarg! Genauso wenig durfte er nur den geringsten Verdacht aufkeimen lassen, einen Verrat begangen zu haben…“
Lartius nickte andächtig und Belletor blieb in seiner Schilderung.
„Was wusste und was dachte Scribonius Proculus?“
Belletor erhielt sich mit dieser Frage des Aquila Aufmerksamkeit. „Sicher glaubte Scribonius, dass der Grund der Anklage im Vorwurf von Tutors Verrat an Rom lag, schließlich blieb der Überfall unerwähnt… Also widerstand Tutor der Befragung und der Folter durch den Legat Verginius Rufus! Scribonius Proculus musste davon überzeugt sein, dass seine und seines Bruders Sicherheit nicht im Zweifel standen und die Bestrebungen mit dem Senat gleichfalls im Dunkel verblieben…“
Wieder nickte der Adler.
„Scribonius sorgte deshalb, im Glauben an Tutors Treue dafür, dass dieser entkommen konnte und trägt in sich die Sicherheit, dass dieser Mann den Angriff auf unseren Legat, unter günstigeren Vorzeichen, wiederholen könnte… Tutor nutzte seine Gelegenheit und weil er der Einzige ist, der weiß, dass es noch lebende Zeugen für den Überfall gibt, wird er um seines Lebens Willen jetzt und zukünftig schweigen…“
„Schlau eingefädelt… diese Sache… Ihr habt also einen Spion im Lager der Brüder!“
„Herr, so ist es und dennoch sind wir nicht sicher, dass der Spion nützlich sein wird…“
„Nun mein Freund Belletor, macht euch deshalb keine Sorgen… Jetzt hängt dieser Tutor auch an meiner Angel…“ Lartius schwieg.
„Herr, andererseits wähnt sich Scribonius Proculus in Sicherheit, denn sonst hätte er doch niemals das Eingeständnis der Schuld geschrieben? In der Gewissheit, dass eine Beteiligung am Überfall, käme sie dennoch irgendwann zur Sprache, geleugnet werden könnte, konnte er letztlich seine Beteiligung daran zumindest andeuten…“
Lartius, der Kopf der Adler der Evocati, hörte seinem Evocati aufmerksam zu.
„Scribonius war sich eines Fehlers zu keiner Zeit bewusst, glaubte er doch, mit Tutors und der Triarii Freiheit, den Legat zweimal übervorteilt zu haben…“ Einmal in die Schilderung eingetaucht, setzte Belletor ungehindert fort. „Verginius Rufus hielt ihn in diesem Glauben und schlug vor, zwei gleichartige Geständnisse zu unterzeichnen. Scribonius ging, im Überschwang seiner Siege, darauf ein, weil er wohl glaubte, eines der Dokumente selbst zu erhalten… Darin aber täuschte er sich und erst dann wurde er misstrauisch. Von diesem Zeitpunkt an schien er zu begreifen, dass ihn unser Legat von nun ab in der Hand hielt…“
Lartius stand auf, trat ans Fenster und starrte hinaus. Er schwieg und dachte nach. Es dauerte. Dann setzte er sich erneut.
Belletor vermutete, fortsetzen zu dürfen.
„Ich wurde von Tremorinus im Nachhinein von den Vorgängen in Kenntnis gesetzt und hoffe, dessen Instruktionen richtig ausgeführt und dir alle Nachrichten vollständig überbracht zu haben, Herr. Tremorinus sagte mir, dass er vermute, dass der Statthalter in Mogontiacum sich weniger um die Gefahr ihrer Bemühungen mit dem Senat sorgt, sondern weit mehr, dass ihn der eigene Bruder für einen ausgemachten Dummkopf halten könnte… Das sei aber nur eine Vermutung…“
Belletor ließ sich nicht mehr aufhalten. Er wollte es hinter sich bringen.
„Herr, Tremorinus vermutet weiter, dass Scribonius inzwischen weiß, dass die in den Händen des Legats befindlichen Geständnisse unterschiedliche Wege nehmen könnten. Das eine Schreiben würde zweifellos in Rom eintreffen und bei Erfordernis in des Kaisers Hände gelangen. Die Folgen für die Brüder Scribonius wären verheerend. Das andere Geständnis könnte aber in der Colonia, in der Nähe seines Bruders, auf eine Übergabe warten…“ Belletor steuerte auf eine ihm von Tremorinus vorgegebene Folgerung zu, auf die er den Adler aufmerksam machen sollte. Er wartete bis ihn Lartius erwartungsvoll anblickte.
„Herr, letztere Tatsache veranlasst Tremorinus zu glauben, dass Scribonius Proculus seine verhängnisvollen Fehler verschweigen wird und der Hoffnung nachhängen könnte, dass sein Schweigen und sein Verschonen des Legat Verginius Rufus bald in Vergessenheit geraten könnte… Scribonius Proculus befindet sich in der Hand unseres Legat! Er wird zukünftig sehr darauf bedacht sein, nicht des Legat Wut herauszufordern…“
Es entstand ein Schweigen. Belletor empfand, dass der Blick seines Gegenüber in eine unerfindliche Ferne eintauchte. Es war, als würde Lartius in einer anderen Welt wandeln und deshalb hütete er sich, den Kopf der Adler dort zu stören. Bald jedoch fand der Adler zurück.
„Höre Belletor, ich muss das Alles erst einmal gründlich studieren, dann darüber nachdenken und mir einen Weg ausdenken, wie deine Botschaft diesmal zum Kaiser kommt. Nero ist nicht in Rom! Hast du eine Unterkunft?“ Belletor nickte.
„Gut, dann sehen wir uns morgen, zur vierten Stunde des Tages!“
Damit war Belletor verabschiedet, nahm seinen Sattel auf und verließ den Raum.
Lartius verharrte in seiner sitzenden Position und dachte nach. Der Zustand währte sehr lange und die Zeit in seiner Wasseruhr schritt voran.
Dieser Zeitmesser bestand aus zwei gläsernen Zylindern, deren Unterster den Oberen, mittels einer kleinen aus Marmor bestehenden, reich verzierten Säule, aufnahm. Die Säule gab dem oberen, nicht so ganz gleichmäßigen Zylinder, der unten eher schmaler und oben breiter wurde, den notwendigen Halt. In diesem befindliches Wasser trat am unteren Ende des oberen Zylinders aus und so senkte sich der Wasserspiegel im oberen Glas, was an einer vorn aufgebrachten Markierung deutlich zu erkennen war. Wie das Wasser ausfloss, vergingen die Stunden. Ein Blick zum Kamin, wo dieser Zeitmesser stand, brachte ihm die Dringlichkeit seiner nachfolgenden Handlungen in Erinnerung.
Lartius wusste, dass seine kleine, kaum Unterarm lange Wasseruhr ein Beutestück war, die einer der Adler aus Griechenland mitgebracht hatte. Es war ein ihm durchaus nützliches Gerät, mit dem er die Zeit abschätzen konnte und dennoch war er sich bewusst, nur eine ungefähre Zeitangabe treffen zu können. Diese Wasseruhr war der Horare Temporales, der unterschiedlichen Stundenlänge zwischen Sommer und Winter nicht ausreichend angepasst.
In diese Uhr versunken, durchdachte er die Ereignisse in Mogontiacum. Nicht nur das Vergehen einer fast vollständigen Stunde, sondern auch die ihn umgebende Dämmerung, schreckten ihn auf. Er erhob sich, zupfte an der Schnur neben der Tür und ein Bediensteter tauchte auf.
„Hole mir den Aquila Denter!“ forderte er und setzte sich erneut in seinen prunkvollen Stuhl.
Der Aquila Denter, der Verwalter dieses Adlerhorstes, ein Nachfahre des einstiegen Besitzers dieses großartigen und sehr nützlichen Hauses, betrat den Raum.
„Herr, du hast gerufen?“
Lartius war noch immer vom Auftreten des Mannes beeindruckt. Der Aquila, ein Nachfahre einer früher angesehenen Familie von Senatoren, nannte ihn Herr und führte seine Befehle aus. Dabei kam Lartius aus dem Dunkel der Niederungen Roms…
„Rufe Callisunus und lass mir Licht bringen…“
„Ja Herr, sofort!“ Die Tür wurde zugezogen und bald für das Anzünden der Öllampen erneut geöffnet.
Lartius verblieb, in seinen Gedanken versunken. Keiner seiner Bediensteten störte sich daran.
Die in Mogontiacum eingetretene Lage veranlasste ihn, Unterstützung anzufordern. Der Streit zwischen dem Statthalter und dem Legat Verginius Rufus, die Versuche der Gallier sich der römischen Legionen am Rhenus zu bemächtigen, die Bemühungen des Senats, das Verhältnis der Kräfte zwischen Kaiser und Senat zu korrigieren, erforderten seinen Einfluss. Er allein und seine beiden, in Mogontiacum eingesetzten Spione konnten unmöglich alle Handelnden im Auge behalten.
Eine weitere Stunde schien vergangen zu sein, als die dritte Klaue der Adler der Evocati bei ihm klopfte. Auf seine Aufforderung hin, betrat Callisunus den Raum.
„Herr, du hast nach mir schicken lassen…“
„Setz dich und höre zu!“
Callisunus tat, was ihm befohlen wurde.
Lartius kam sofort zur Sache.
„Die Situation am Rhenus scheint sich zuzuspitzen. Belletor tauchte bei mir auf und brachte zahlreiche Botschaften…“ Lartius erinnerte sich, dass sein letzter Besuch beim Kaiser nur wenig mehr als einen Monat her war.
„Kaiser Nero ist irgendwo in Griechenland und muss die Botschaften erhalten, die Belletor brachte!!“
„Herr, übergib mir diese Botschaften und schon sind diese auf dem Weg… “
„Nein, zuerst fertigen wir Abschriften, dann erstelle ich ein weiteres Dokument und erst dann wird dein bester Mann die Botschaft befördern! Diese Dokumente dürfen nur persönlich an den Kaiser übergeben werden. Sollte dein Mann nicht zum Kaiser durchgelassen werden, muss er sich etwas ausdenken. Keines der Dokumente darf in andere Hände fallen…, auch nicht in die des Epaphroditos, des Kaisers Secretarius! Versagt der Mann und Nero erhält Kenntnis davon, rollen unsere Köpfe… “
„Ich höre und gehorche! Wann soll ich kommen, um die Dokumente in Empfang zu nehmen?“
„Du kommst Übermorgen, zur dritten Stunde mit dem Paar deiner Evocati, welches diesen Auftrag ausführen wird!“
Callisunus machte Anstalten, sich zu erheben.
„Bleib sitzen, wir sind noch nicht fertig!“ wies in Lartius zurecht.
„Ich benötige drei weitere Paare unserer Evocati!“
„Was müssen diese Männer tun, was sollen sie beherrschen und wohin führt sie deren Weg?“ Callisunus brauchte genauere Angaben.
„Das erste der Paare kommt von dir. Diese Männer schickst du zu Scribonius Rufus in die Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Der Statthalter ist in Dinge verstrickt, die eine Gefahr für Rom darstellen. Es könnte direkte Kontakte zum Senat geben, Mittelsmänner eingesetzt werden oder Besuche von Senatoren angezeigt sein… Auch Boten der Kelten aus Gallien könnten zu ihm vordringen wollen… Ich will alles wissen, was Scribonius Rufus macht, wen er trifft, mit wem er speist, wer seine Nächte füllt und wo er herum kommt! Bei Scribonius Rufus gibt es einen Präfekt oder was auch der Kerl immer darstellt… Sein Name ist Julius Tutor. Auch für diesen Kerl trifft zu, was ich vom Statthalter forderte!“
„Herr, ich habe verstanden!“ Wieder versuchte Callisunus seinen Aufbruch.
„Sei nicht so ungeduldig… Wir sind längst noch nicht fertig! Außerdem will ich, dass deine Männer auch Fabius Valens, den Legat der Legio I Germanica ausspionieren. Für diesen Legat gilt das Gleiche!“ Callisunus nickte in die entstandene Pause hinein.
„Dazu sollen deine Evocati ein Netz aus Spionen aufbauen, das bis dicht an die Männer heranreicht. Keiner von deren Schritten darf ohne unsere Beobachtung vollzogen werden. Statte deine Männer mit reichlichen Mitteln aus. Bestecht, droht oder tötet, wenn erforderlich, aber berichtet jede Einzelheit. Die drei zu Beobachtenden dürfen nichts bemerken, werden von unseren Evocati nicht getroffen, nicht mal per Zufall, auch nicht bedroht und auf keinem Fall gefährdet. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
„Ja Herr!“
Diesmal machte Callisunus keine Anstalten, sich entfernen zu wollen.
„Die verbleibenden Paare werden von der ersten Klaue kommen. Ihr Auftrag wird die Überbringung aller Botschaften sein.“
Callisunus verstand. „Herr, wie bringen wir die Männer zusammen, woran werden diese sich erkennen?“ wagte Callisunus einzuwerfen.
„Das ist eine kluge Frage, mein Freund…“ Lartius griff unter seine Tunica und zog das kleine Eichenblatt hervor.
„Nun, wen konntest du ermitteln, der gleich mir dieses Blatt trägt?“
„Nur dich, weil du es mir zeigtest… Die kleine Narbe am Finger aber besitzen noch der Aquila Denter und dein Venustinius.“
„Nun, es sind noch zwei Andere und für die Männer in der Verwendung in Germanien habe ich noch ein paar Ketten…. Du brachtest mich, mit deiner Frage, jedoch auf einen Gedanken…“ Lartius stand auf und zupfte an der Schnur neben der Tür. Kurz darauf steckte eine der Frauen den Kopf durch die Tür.
„Rufe den Aquila Denter!“ wies er an und das Weib zog sich zurück.
Kurz darauf erschien der Gerufene.
„Setz dich und höre zu!“
„Aquila, wenn ich dich entlasse, rufst du Novius Fadus zu mir. Ich brauche einige Männer von ihm. In zwei Tagen führst du Callisunus und seine Begleiter auf einem kurzen Weg zu mir! Sie kommen zur dritten Stunde. Am Tag darauf, zur gleichen Stunde, werden drei weitere Paare unserer Evocati eintreffen. Du sorgst dafür, dass sich diese Männer nicht begegnen und bringst sie in getrennten Räumen unter. Erst werde ich mir diese Männer ansehen, dann brauche ich einen größeren Raum, um die miteinander vertraut zu machen, deren Aufgaben sich gleichen und die an gleicher Stelle eingesetzt werden… Ich weiß, unsere Paare arbeiten immer allein, dennoch erfordern schwierige Lagen auch angepasste Entscheidungen. Dort wo die Männer wirken sollen, entstand jüngst eine solche wenig befriedigende Lage… “
Lartius erhob sich, streckte seine Glieder und entließ seine Bediensteten mit den Worten „Nun ergreift eure notwendigen Schritte und lasst uns anschließend dem Schlaf huldigen…“
Ein Blick durch das Fenster verriet Callisunus, dass er wohl seinen eigenen Adlerhorst in der Dunkelheit aufsuchen musste.