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6. Der Kniefall

66 nach Christus - Sommer (22. September)

Imperium Romanum – Mogontiacum

Am wohl letzten sonnigen Sommertag traf der Reitertrupp Irvins an Eponias Taverne ein. Fast zur gleichen Zeit legte, unweit der gleichen Taverne, Boiuvarios Liburne an, so dass sich die Männer, die sich vor Tagen trennten, erneut vereinten.

„Was, ihr seid eben erst eingetroffen, Irvin?“ forderte Boiuvario den Krieger der Hermunduren heraus. „… und dies, obwohl euer Weg nur halb so lang ist… Bei welcher Schönen bist du eingekehrt?“

„Von wegen Schöne… Einige Chatten statteten uns in der Nacht einen Besuch ab… Ihnen gefielen wohl unsere Pferde und vielleicht waren sie auch auf unsere Ohren erpicht…“

„… die sind doch noch dran, an deinem sturen Hermundurenschädel… “ lachte Boiuvario lauthals.

„Na, das will ich doch hoffen, immerhin kann ich den Spott deiner Worte vernehmen und solltest du noch weiter auf mir herumhacken, schneide ich dir deine verfluchte Zunge heraus und füttere sie den Schweinen… “

„Das kannst du unmöglich ernst meinen… Womit sollte ich dann die schöne Heilerin Wilgard beglücken…“ Boiuvario lachte über den vorläufigen Abschluss ihres fröhlichen Geplänkel.

Boiuvario fühlte sich seit Tagen als Sieger. Nicht nur dass er im Kampf um die Gunst Wilgards einen Fortschritt erzielte, auch seine Mannschaft auf der Liburne fügte sich immer besser zusammen. Das Lager der Nacht zu errichten, einen Angriff abzuwehren, die Einheit der Ruder zu finden und mit enormer Schnelligkeit über das Wasser zu pflügen, deutete darauf hin, dass seine Auswahl der Männer richtig war und das Zusammenwachsen der Besatzung langsam Formen annahm.

Viator und Paratus, die schweigsam der Begegnung lauschten, als die beiden unterschiedlich reisenden Gruppen im Hof der Taverne aufeinander trafen, begrüßten die Ankömmlinge eher ruhig.

„Nun, mein Freund, was erbrachte deine Begegnung mit dem Mann, der uns allen ein schnelleres Laufen beibrachte?“ Viator reichte Aulus den Arm zum Gruß und erwartete eine Erwiderung, die ihn möglichst kurz über den Verlauf diese Treffens unterrichtete.

Der Angesprochene überlegte, wie er die erkannte Forderung des Legionärs beantworten sollte.

„Es begann störrisch, so wie bei der Zähmung eines Esels…, setzte sich fort, als wollte man in den Sattel eines galoppierenden Pferdes springen und endete in einer Botschaft für Gerwin…“

„Soll ich daraus entnehmen, dass du ihn zügeln konntest und in deine Fügsamkeit zu zwingen vermochtest…“

„Nein, Viator, das trifft es nicht annähernd…“ bedachte sich Aulus. „Ein kluger, aber wütender Mann begegnete mir und als ich ihn verließ waren wir bei Weitem keine Freunde, obwohl sich ein gegenseitiges Verstehen andeutete…“ Aulus wirkte nachdenklich.

„Ich gestehe, dass ich der ersten Begegnung mit Unruhe entgegen sah… Gerwin sah voraus, was mich erwartete und insofern war Notkers Gegenwart für mich ein Gewinn, weil ich dann auch in Irvin eine Hilfe fand…“Aulus wirkte nachdenklich. „Gaidemars Wut galt uns drei, spaltete sich deshalb wohl auch auf und weil er mit seinen Stammesoberen wohl ein paar Schwierigkeiten bekam, die er nicht erwartete, mäßigte er sich uns gegenüber… Dennoch Viator, sollten wir uns den Rest aufsparen, bis auch Gerwin das Ergebnis hören kann. Es macht nicht sonderliche Freude, alles mehrfach zu erzählen… Also wappne dich mit Geduld und sende Gerwin einen Boten, auf das er zu uns eilt… “

Viator verschwand kurz, einen der jungen Burschen der Taverne zu beauftragen, die Legion aufzusuchen. Nach seiner Rückkehr riss er erneut das Wort, mit einer Frage an Irvin, an sich. „Du hattest Ärger, wie ich hörte?“

„So lässt es sich zusammenfassen… Ein paar junge Chatten glaubten, weil sie in der Anzahl etwas zahlreicher waren und die Überraschung der Nacht nutzen konnten, uns überfallen zu dürfen… Vier so junge Burschen, wie der da…“ Irvin wies auf seinen jungen Begleiter. „…und ein noch junger Krieger glaubten, unsere Pferde sowie ein paar Ohren für den Pfad der Ehre gewinnen zu können… Was mich ärgert ist die Tatsache, das zwei der wirklich noch jungen Kerle deshalb starben…“

„Dann müsstest du doch zwei Gefangene oder gar drei von denen aufbieten?“ warf Viator ein. „Oder kann ich nicht mehr zählen?“

„Der Krieger ist tot! Ihm gilt meine Wut für seine Dummheit, die jungen Burschen aber bedaure ich…“

„Du hast keinen Grund! Sie überfielen euch… Was musstest du glauben…“ warf Viator ein.

„Ich weiß Graukopf, dennoch bin ich wütend…“ Irvins Trauer hielt sich zwar in Grenzen, war aber dennoch von allen wahrzunehmen.

„Dieser Pfad der Ehre ist Unsinn…, aber was steht es mir zu, dies zu verurteilen, so lange sich Mütter nicht gegen diese Art des Todes, für ihre jüngeren Söhne, wehren?“

„Recht so, vergiss diese Begegnung… Aber dennoch scheint mir noch ein Gefangener zu fehlen und warum trägt der junge Chatte keine Fessel?“ verwunderte sich der Römer.

„Er ist gefesselt, nur siehst du diese nicht…“

„Irvin, ich bin weder blind, noch ohne Erfahrung… Ich sehe keine Stricke… “

„Das stimmt Graukopf, die Fessel, die ihn bindet, ist viel fester als jeder Strick.“

Viator schüttelte den Kopf, starrte erst Irvin, dann Aulus und zum Schluss Paratus an. „Siehst du, womit er den Chatten band?“

Paratus schüttelte den Kopf.

„Der da hat einen Zwillingsbruder und denk dir, ausgerechnet diese Beiden überlebten und dann auch noch unverletzt… Wenn sie auf dem Pfad der Ehre waren, würden sie, ließe ich diese Knaben frei, glauben, sie müssten weiter kämpfen… Ließen sie das und kehrten sie zur Sippe zurück, erwartete sie der Spott jedes Jungmannes und Kriegers… Also drohte uns Begleitung bis Mogontiacum. Wir müssten zuletzt auch diese Beiden zu ihren Göttern schicken, wagten sie es noch einmal… Glaube mir, nichts hätte die Kerle hindern können… “

„Du aber scheinst einen Ausweg gefunden zu haben?“

„Ich hoffte es zumindest… Den Einen behielt ich, ihm droht die Sklaverei! Den Anderen schickte ich zum Fürst der Mattios…“

Viator schüttelte den Kopf. Er verstand nicht…

„Ach, du kennst den Freund der Hermunduren unter den Chatten nicht?“ lächelte ihn Irvin an.

„Chatten und Hermunduren, sagt man, sind sich nur in einer Sache einig und dies ist ihre Todfeindschaft…“

„Gut, dass ihr Römer davon überzeugt seid…“ Irvins Lächeln wurde breiter. „Es stimmt schon, dennoch pflegen Gerwin und Gaidemar eine Freundschaft zum Fürst der Mattios, einem Teilstamm. Warum soll ich mich dann ausschließen?“

Viator verstand trotzdem kein Wort und das zeigte er durch seinen verständnislosen Blick, sein mit dem Kopf schütteln und einem hilflosen abwinken.

„Graukopf überlege einmal… Die Chatten auf dem Pfad der Ehre siegen oder sterben! Der wahnsinnige Krieger brachte diese viel zu jungen Burschen dazu, den Pfad zu beschreiten und weil wir deren Überzahl töteten, können diese Beiden nicht mehr aufhören.“ Irvin gönnte Viator eine Pause, um dem Gedanken folgen zu können.

„Wäre noch ein Dritter am Leben, würde deren Mehrzahl der Sippe berichten, so sind es nur zwei Überlebende, die dadurch zu Feiglingen wurden… Sie sind für die Sippe und den Stamm zu Verlorenen geworden, so wie ihr auch einst… “

Viator starrte ihn an, auch wegen Irvins letzter Bemerkung.

„Lasse ich sie gehen, greifen sie uns so lange an, bis sie unsere Ohren vorweisen können oder sterben lieber… Keiner von uns und diesen jungen Kerlen sollte, wegen der Dummheit eines chattischen Kriegers, sterben…“

„Das habe ich begriffen!“ fachte der Graukopf. „Doch was hat das mit fehlenden Fesseln und dem Fürst zu tun?“

„Swidger verbot den Pfad der Ehre zu uns Hermunduren. Er würde jeden seiner Krieger strafen, der unsere Freundschaft beschmutzt. Auch wenn die beiden Überlebenden keine Mattios sind, wird er sie verstehen und ihnen helfen. Der Fürst verachtet den Pfad der Ehre…“ Als er merkte, dass Viator noch immer nicht überzeugt war, fügte er noch an: „Diese Beiden sind Zwillinge, die sich darüber stritten, wer zuerst gefoltert werden sollte. Warum wohl?“

Viator schüttelte, Unwissen bezeugend, den Kopf.

„Was dem einen Zwilling angetan wird, spürt auch der Verschonte! Sie lieben einander, schicke ich also den Einen zu den Mattios und drohe bei Versagen oder Flucht, oder was auch immer ein Scheitern hervorbringt, mit Tod oder Sklaverei, nutze ich die Verbundenheit der Brüder… Den Ersten behalte ich in meiner Obhut und kann ihn die Dummheit der Chatten aufzeigen, den Zweiten lehrt die Gefahr, die mögliche Erniedrigung oder was auch immer ihm begegnet…“

„Du bist ganz schön durchtrieben… Meinst du, dass es dir gelingt, sie vom Pfad abzubringen? Werden sie, falls wieder vereint, nicht das bisherige Ziel verfolgen?“ Viator blieb skeptisch.

„Nein! Wie soll uns der Zwilling finden? Es gibt nur einen Chatten, der dies vollbringen kann und nur der Fürst kennt diesen Mann… Will der Chatte zu uns, braucht er zuerst Swidgers Vertrauen…Der junge Chatte ist zum Lernen und Begreifen gezwungen, sonst findet er uns nicht… Der Krieger der Chatten bringt ihn nicht zu mir, wenn der junge Chatte es nicht verdient… Ich aber bin überzeugt, treffen sich die Brüder, so führt sie deren Weg zum Fürst der Mattios zurück, um ihren Dank zu bezeugen. Der Fürst wird sie, mit ihrer Geschichte, zu deren Teilstamm bringen und glaube mir, dieses Ergebnis bewirkt zwei Dinge. Einmal gerät der Pfad der Ehre ins Zwielicht und zum anderen ernten beide junge Chatten Ehre…“

„Wenn du davon überzeugt bist…“ Viator winkte ab.

„Graukopf…“ erzwang Irvin noch einmal dessen Aufmerksamkeit. „…selbst wenn dies so nicht eintritt, bleiben die jungen Chatten und auch wir am Leben. Wir behalten unsere Ohren und den beiden Burschen schlägt keine Verachtung entgegen, wenn sie zurückkehren und ihre Erlebnisse berichten… Dennoch werde ich ihnen raten, die Hilfe der Mattios anzunehmen… “

„Was wirst du jetzt tun?“

„Essen und dann schlafen… Morgen brechen wir auf und reiten zur Villa!“

Nach der Auseinandersetzung mit Viator löste sich das Treffen auf.

Boiuvario verließ den Hof der Taverne, um seine Waren per Schiff zu Finley und dem Handelshof des Amantius zu bringen. Irvin und seine Begleiter suchten den kleineren Gastraum auf, in dem Eponia Freunde zu beköstigen pflegte.

Viator und Paratus übernahmen die Pferde, brachten Futter, Wasser und striegelten die Tiere. Anschließend schufen sie Ordnung in dem Zimmer, dass Freunden für gewöhnlich als Stätte für ein Nachtlager zur Verfügung stand.

Eponia brachte, was ihre Küche hergab, versorgte Irvin und dessen Begleiter, inbegriffen auch Aulus, bis sich die Tür zu dem Raum öffnete und Gerwin eintrat. Hinter dem neuen Gast schoben sich auch Viator und Paratus in den Raum.

Sie alle hatten sich tagelang nicht gesehen, auch wenn mit dem jungen Chatten und Simo, dem Sugambrer, Fremde unter ihn weilten.

Jeder fand einen Hocker oder Platz auf der an der Wand stehenden Bank. Es war wie fast immer, die Blicke der Wartenden schwenkten zwischen Gerwin und Viator hin und her.

Gerwin riss die Aufmerksamkeit an sich. Er schob Simo eine Wachstafel zu und lächelte.

„Ich halte, was ich verspreche, Simo!“

„Wie konntest du den Legat überzeugen, sich an seine Zusage zu halten? Ich wäre auch so schon zufrieden…“

„Demnach bist du gut aufgenommen worden?“

„Am Anfang wusste ich nicht so recht, was ich tun sollte, dann wurde es besser und zum Schluss verließ ich mit Sven und Ingo auch Freunde…“

„Und Gaidemar… “

„… war mir nicht zugetan. Er hörte sich an, was ich zu berichten wusste und fluchte erbärmlich… Dann warf er mich nahezu aus seinem Haus. Sven sah mich und nahm mich mit. Ihm erzählte ich dann noch einmal, was schon Gaidemar hörte. Irgendwann sprach sich meine und deine Geschichte herum. Die Jungmänner, die Krieger in der neuen Siedlung und in der Gefolgschaft erwiesen mir die Ehre, obwohl doch du der Held warst… Nur Gaidemar mied mich. Aber mir war er auch gleichgültig…“ erklärte Simo mit einem kleinen Anflug des Bedauerns in seiner Stimme.

Gerwin hörte und nickte langsam mit dem Kopf. „Was willst du nun tun? Du hast eine Honesta Missio, kannst also zu deiner Mutter, ihr vom Tod deines Bruders berichten und niemand in deiner Sippe hat das Recht, dir den Dank Roms zu missdeuten… Du bist sicher, zumindest soweit du dir deine Rechte auch nicht nehmen lassen wirst… Immerhin bist du nun ein römischer Bürger und wer aus deiner Sippe, könnte dies von sich behaupten?“

„Ja, ich gehe zu meiner Mutter, werde ihr den Tod meines Bruders schildern und sie dann bitten, mich zu begleiten…“

„Wohin wirst du gehen?“ Gerwin blieb neugierig.

„Zurück zu Sven und einem Mädchen…“ Simo offenbarte seine Absicht. Warum sollte er diese verschweigen?

„Wann brichst du auf?“

„Am Morgen!“

„Ich wünsche dir Glück auf den Weg, deiner Mutter Gesundheit und euch Beiden immer ein Lächeln deiner Götter…“

Gerwin wandte sich an Irvin. „Du bringst einen Chatten mit zu uns? Warum?“

„Es ergab sich so. Sie waren auf unsere Pferde und Ohren scharf…“

„Sie?“ Gerwin forderte mehr zu wissen.

„Es waren fünf und bevor du schimpfst, sie sind keine Mattios und kamen in der Nacht… “

„Wo ist dann der Rest? Waren sie alle so jung, wie der da?“ Gerwin deutete mit dem Kopf in des Chatten Richtung.

Der Chatte hatte dies kaum gehört, als er voller Zorn aufsprang. „Du bist auch kaum älter…“

„Setz dich hin und schweige, wenn Krieger sprechen! Danke deinen Göttern, dass du lebst! Für gewöhnlich lassen Irvin und Notker nicht viel von einem Feind übrig…“

Notkers Hand griff den Arm des Chatten. „Das, Werno, ist Gerwin! Fordere ihn nicht heraus, niemals…“ In seiner Stimme lauerte der Ernst des Todes.

Der Blick des Chatten irrte zwischen Notker, den er zu fürchten schien, und Gerwin hin und her.

„Du erinnerst dich? Wenn du mich fürchtest, solltest du Gerwin meiden… Seinen Zorn zu erregen, halte ich für einen unglücklichen Gedanken… Siehst du die anderen Männer?“

Der Gefragte nickte.

„Was glaubst du, sind diese?“

Der Gefragte zuckte mit der Schulter.

„Diese drei sind römische Veteranen…“ Notker zeigte auf Viator, Aulus und Paratus. „Simo war ein römischer Auxiliar und überlebte als Einziger einen furchtbaren Kampf. Nun, Irvin und mich kennst du bereits… Aber alle schweigen, wenn Gerwin spricht… Was glaubst du, warum das so ist?“

Wieder zuckte die Schulter.

„Wir alle schulden Gerwin unser Leben und das, obwohl du recht hast! Er ist nicht älter als du und ich!“

Der junge Chatte, mit dem eigenartigen Namen, knickte fast ein. Er senkte seinen Blick. Notker hatte ihm bereits von Gerwin erzählt. Er selbst mochte keine Hermunduren, war aber glücklich, nicht einem von Notkers spitzen Messern begegnet zu sein. Dem Erlebnis dieser einen Nacht zollte er mit Hochachtung seinen Tribut.

„Irvin, du hast meine Frage noch nicht beantwortet…“ mahnte Gerwin. Die Unterbrechung durch den jungen Chatten wirkte nicht auf ihn.

„Drei sind tot! Nur sein Zwillingsbruder lebt…“ Irvin sprach die für ihn traurige Wahrheit aus.

„Ich sehe ihn nicht?“ erklärte sein jüngerer Freund.

„Er ist bei Swidger!“

Gerwins schwieg eine Weile. Plötzlich baute sich Spannung bei denen auf, die die Zusammenhänge bereits kannten.

Gerwin blickte den Chatten an. „Zwillingsbrüder, auf dem Pfad der Ehre gescheitert…“ Er winkte ab. „Wo ist der Krieger?“

„Tot!“

„Gut, Irvin, ich würde den Hund sonst jagen müssen…“ Er unterbrach sich selbst, fügte dann aber an, was er auszusprechen beabsichtigte. „… dann soll sich der Bruder bewähren und den hier erziehst du zu einem ordentlichen Krieger…“

„Nur wenn er es annimmt…“

„Er sollte sich glücklich schätzen, das er noch lebt und die Gunst seiner Götter auch deshalb zu schätzen wissen, weil er auf dich traf… Ein anderer Hermundure hätte nicht nur seine Ohren genommen und jetzt genießt der Bursche noch die Gelegenheit, dich als Freund zu gewinnen… “

Irvin nickte zuerst, lenkte dann aber ein. „Wohl eher Notker…“

„Ist das nicht das Gleiche? Ich sehe, ihr Beide vertragt euch wieder? Was für Merkwürdigkeiten doch hin und wieder geschehen…“

„Idiot!“ zischte Notker.

Gerwin lächelte ihn an und die zuvor aufgebaute Spannung entwich, als wäre sie bedeutungslos geworden.

„Nun habt ihr euch ausreichend verständigt? Es gibt weit wichtigere Erkenntnisse, als das, was wir bisher hörten… Viator, kannst du die Beiden…“ Aulus deutete auf Simo und den Chatten „… für die Nacht unterbringen?“

Viator schob seinen Hocker zurück und winkte den Bezeichneten. Er brachte sie in die kleine Hütte am Hof und zeigte ihnen das hintere Zimmer.

„Höre mal, Chatte!“ sprach er den Jüngeren an. „Du solltest dein Glück schätzen… Irvin ist ein kluger und ein starker Mann. Ich kämpfte selbst schon zweimal gegen ihn… Den ersten Kampf konnten wir wegen der unglücklichen Umstände nicht zu Ende führen… Den Zweiten unterbrach Gerwin, als wir uns fast töteten… Jetzt siehst du ihn an meiner Seite… und ich, ein Römer, bin glücklich über den Freund…“

„Ihr seid schon, so scheint mir, ein merkwürdiger Haufen… Römer, Hermunduren, Sugambrer…“

„… Chatten, Kelten, Aresaken, Vangionen… Habe ich etwas vergessen?“ vollendete Viator des jungen Chatten Aufzählung. „Es ist nicht wichtig, woher du kommst, sondern wohin du gehst, Chatte! Darüber denke nach, wenn du deinen Bruder wieder umarmst und du wirst ihn umarmen, wenn er seine Prüfung besteht…“

„Hier könnt ihr Schlafen!“ fügte er nach einer kurzen Pause an und zog die Tür zu. Eine einzelne brennende Kerze erhellte den dürftigen Raum mit der Lagerstadt.

Der Chatte wandte sich dem Sugambrer zu.

„Du scheinst diese Kerle besser zu kennen…“

„… zumindest so gut, dass ich mich nie in deren Weg stellen würde…“

Für einen Moment zögerte der Sugambrer. „Ich war in der aussichtlosen Lage, meinen Arm mit der Spatha nicht mehr heben zu können, als ich Gerwin vor mir sah. Er sagte: ‚Gib auf, Auxiliar! Du kannst nicht gewinnen!’ Bei diesem Zusammentreffen war er mein Feind. Ich gab auf… Dafür sah ich ihn dann in einem Kampf, wie ich ihn noch nie zuvor erlebte… Er war für einen römischen Tribun einfach zu schnell…“

„Du schuldest diesem Gerwin deinen Dank?“

„… und mein Leben in mehrfacher Form, einmal weil er mich damals schonte und zum Anderen halte ich jetzt ein Dokument in der Hand, dass mich zu einem glücklichen Mann macht…“

Der Sugambrer entkleidete sich ein wenig, zog seine Stiefel aus und streckte sich auf dem Lager aus.

Der Chatte schien diese Geste zu verstehen. Er folgte dem Vorbild.

Inzwischen saß Viator wieder auf seinem Hocker.

Die Verlorenen und deren frühere Feinde, die Hermunduren, waren unter sich.

„Was sollte ich noch wissen?“ begann Gerwin, als wieder ihm das Sprechen zu fiel.

„Ich war wütend auf dich und Notker!“ begann Irvin.

„Warum?“ fragte Gerwin leise.

„Du gabst mir einen Auftrag, der mir widerstrebte und Notker verließ mich, wo ich ihn brauchte…“

„Und?“ Gerwins Frage besaß keine Billigung der Wut.

„Erst ging ich zu Baldur Rotbart, dessen Rat schien mir wenig glücklich… Ratmars Gedanke brachte mir mehr… Dann suchte ich Degenar auf. Dessen Ratschlag verstand ich und wusste ihn auszunutzen.“

„Du hast dich mit Gaidemar angelegt?“ Gerwin stellte es einfach fest.

„Woher weißt du?“ Irvin wirkte irritiert.

„Du wirkst entspannt, glücklich, selbstzufrieden…“

„Bin ich das?“ Irvin blickte an sich hinab. „Ich sehe davon nichts…“

„Doch, doch… Du bist nicht mehr der Jungkrieger der Hermunduren… Du bist Irvin, der Krieger!“

„Woran erkennst du das?“ brauste Irvin auf.

„An dir! Du wirkst ganz anders! Der Streit mit Gaidemar stärkte dich und hob dich aus seiner Hörigkeit… Ich habe das auch durchgemacht. Nur mir stand Gaidemar dabei nicht gegenüber, so wie dir…“

„Er hat Gaidemar seine Stellung in unserem Stamm zugewiesen… Wir kennen nur den Herzog des Krieges und sonst jeder seinen Eldermann oder Hunno…“ warf Notker ein.

„Du hast was… du hast seine Macht gebrochen?“ Jetzt lag das Erstaunen auf Gerwins Seite.

„Ja! Aber nicht allein!“ Irvin zog sich in Bescheidenheit zurück.

„Ehre, wem Ehre gebührt! Nicht du, Gerwin, bezwangst Gaidemar, sondern Irvin!“ verkündete Notker und grinste in die Runde. Er fühlte in sich Stolz auf Irvin.

„Ich höre und glaube! Wer führt unseren Stamm jetzt?“ Gerwin platzte vor Neugier.

„Ein Rat der Ältesten mit drei Männern…“ warf Irvin ein.

„Du warst dabei? Wer sind diese Männer?“ Gerwin wollte es ganz genau wissen.

„Ich war nicht dabei!“ wies Irvin ihn ab. „Sie wählten den Gefolgschaftsführer, wer auch immer das ist…, also Richwin, dann Gaidemar und zuletzt Brandolf…“

Gerwin nickte. „Also hat sich nichts geändert…“ folgerte der junge Hermundure.

„Das wird sich zeigen…“ mutmaßte Aulus. „Dein Pate steckte noch andere Nackenschläge ein… Er ist inzwischen bescheidener geworden…“

Gerwin wandte seine Aufmerksamkeit Aulus zu.

„Es begann wohl mit Richwin, der Gaidemar angriff, was zu dessen Verschwinden führte… Ich erfuhr hiervon von seinem Weib. Als er zurückkehrte, gingen die Ältesten. Er wirkte verändert, sagte Ragna. Er gestand den Ältesten zu, nur noch Eldermann und Hunno seiner Sippe zu sein…“ Aulus besann sich.

„Dann war da noch der Zwist zwischen Irvin und Notker. Der Eine ging, um in deiner Nähe zu sein und der Andere fühlte sich im Stich gelassen… “

„…im Stich gelassen…“ echote Gerwin.

„Wie sagte mir Irvin, er erhielt von einem Freund voller Zorn einen Auftrag, den ihm der andere Freund im Zorn danken könnte… Das Versprechen zu erfüllen und die Freundschaft zu erhalten, war unmöglich. Aber auch Notkers Auftritt war sehr wirkungsvoll und ihm gelang, was allen unmöglich erschien…“

„Du spannst mich auf die Folter…“

„Notker zwang Gaidemar zum Kniefall!“

Mit einem Ruck stand Gerwin. „Vor wem?“ fragte er überwältigt.

„Vor Irvin, vor Notker und dir!

Dieser Abend wurde noch sehr lang, weil weitere Einzelheiten herumgereicht wurden, sich verdichteten und letztlich zu Erkenntnissen führten, die in Gerwins Kopf eine Fülle von Empfindungen aufbauten.

Aber nicht nur im Inneren des jungen Hermunduren vollzog sich ein Prozess, der Freundschaften aufwertete, Feindschaften besser erkannte und wusste, wie er mit Jedermann fortan umgehen musste.

Gerwin reifte durch das Hören.

Fühlte er sich in der Vergangenheit manches Mal auch allein gelassen, erkannte er jetzt, dass jede Handlung eines Freundes immer auch den Umständen Rechnung trug, die auf Verhaltensweisen, Worte oder gar Versprechen wirkten.

Nicht immer erschlossen sich ihm Handlungen der Freunde. Bezog er aber jetzt weitere Umstände mit ein, klärte sich manches verzerrt erscheinende Bild. Die Erkenntnis zur wahren Freundschaft, zur Aufgabe des eigenen Ich, wenn der Schutz des Freundes dies abforderte, hallte nicht nur in Gerwin wieder.

Das gleiche Gefühl durchzog auch seine Freunde und in dem auch Aulus mit seiner Vergangenheit abschloss, Irvin seinen Zorn auf Gaidemar abmilderte und Notker zur absoluten Gleichwertigkeit aufschloss, verfestigte sich das Bündnis aus Römern und Hermunduren.

Es wäre verfehlt zu denken, dass sich Viator und Paratus diesem Prozess entziehen würden. Unter diesen Verbündeten und Freunden gab es keine Herkunft mehr, es zählte nur noch deren Gemeinsamkeit.

Die Legende vom Hermunduren

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