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5. Der Kopf der Evocati

66 nach Christus - Sommer (21. September)

Imperium Romanum – Rom

Zur vierten Stunde des neuen Tages stand Belletor erneut vor der Tür des Aquila. Er klopfte, wurde hereingerufen und fand sich neben einem Secretarius wieder. Der Adler und der Fremde steckten ihre Köpfe über einem, auf dem Tisch liegenden Dokument, zusammen.

„Gut, das du pünktlich bist!“ kommentierte Lartius sein Eintreten, nach einem kurzen Blick zu seinem Zeitmesser auf dem Kamin. „Wir haben sehr viele Dinge zu durchdenken und brauchen dein Wissen, um uns verständlich und exakt zu den Vorgängen in Mogontiacum ausdrücken zu können. Ein missverständliches Schreiben, an unseren göttlichen Kaiser, könnte leicht zu falschen Folgerungen führen und genau das heraufbeschwören, was wir zu verhindern trachten…“

Der Adler blickte seinen Boten an und schien sich fast, für dessen notwendige Mitarbeit, entschuldigen zu wollen.

„Es ist nun mal so, dass du der Einzige bist, der an den Vorfällen beteiligt war. Dieser Germane, den du immer nanntest, scheint einen außerordentlichen Einfluss auf den Legat Verginius Rufus zu besitzen und bei allen meinen bisherigen Überlegungen erschloss sich mir nicht so richtig, warum dies eintrat? Der Hermundure war beim Überfall auf Verginius Rufus dabei, dann sei, nach deinen Worten, der Legat Schuld am Überfall auf des Germanen Stamm… Was stimmt hier nicht oder was übersehe ich?“

„Herr, du entsinnst dich an den von Verginius Rufus befohlenen Überfall des Titus Suetonius auf eine Sippe der Hermunduren. Der Legat schickte zur Aufbringung von Sklaven Kohorten seiner Legion in das Gebiet jenseits des Rhenus?“

„Ja doch, was hat das mit diesem Germanen zu tun?“ fuhr Lartius dazwischen.

Belletor gewann den Eindruck, dass der Adler gereizt wirkte.

„Titus Suetonius, des Legat und Statthalter Britanniens Gaius Suetonius Paulinus Neffe, befehligte den Überfall und trug die Schuld am Tod der Eltern des jungen Hermunduren. Der Hermundure sah aus unmittelbarer Nähe, was sich zutrug und rächte sich. Er tötete den Tribun Titus Suetonius und geriet in die Gefangenschaft der Männer, die vom Schlachtfeld im Gebiet der Hermunduren entkommend, als wohl Einzige überlebten. Dann aber, den eigentlich Schuldigen suchend, erkannte der junge Hermundure, dass der Frieden seines Stammes mit Rom ausgerechnet von dem Legat abhing, den er als schuldig erkannte. Er hatte zwei Möglichkeiten. Er konnte den Legat töten und sein Stamm müsste erneut Roms Rache fürchten, oder er schützte den Legat mit seinem eigenen Leben, wenn dieser ihm den Frieden schwor…“

„Unsinn, so denken Germanen nicht!“ fauchte Lartius.

„Herr, verzeih wenn ich widerspreche! Genauso denkt Gerwin und wer von uns Beiden kennt den Burschen wohl besser…“ antwortete Belletor, nicht weniger beleidigend wirkend.

„Herr, erinnere dich doch meiner Worte am Anfang meines Berichtes… Gerwin ist zu klug für sein Alter…“ dämmte Belletor seine Worte ein.

Lartius Augen funkelten Zorn, dann aber, bevor dieser auszubrechen vermochte, milderte sich sein Blick. Es stimmte, so begann Belletors Bericht am Vortag… ‚Zu jung, zu klug und zu gut im Kampf…’ erinnerte er sich.

Lartius fand sich unter einem gehörigen Druck wieder. Die Ereignisse in Mogontiacum und die Abwesenheit des Kaiser zwangen ihn zu zwei Dingen. Erst einmal benötigte er einen exakten, aber dennoch sehr kurzen Bericht an den Kaiser, der bewirkte, dass Nero die richtigen Erkenntnisse gewann und diese mit richtigen Schlüssen in die Tat umsetzte. Dies zu erzielen erforderte, die Launen des Kaisers einrechnend, alle Fakten aufzuführen sowie Recht und Schuld richtig zuzuordnen. Jeder Fehler dabei könnte verheerende Folgen zeigen… Er wusste, wie vorschnell Zorn in Nero die Oberhand gewann. Ein einmal toter Freund oder Gefährte, wenn Nero diesen erst einmal zum Schuldigen erklärt hatte, könnte nie wieder ins Leben zurückgerufen werden… Darüber hinaus musste er Schritte wagen, die falls diese im Nachhinein nicht des Kaisers Anerkennung fanden, zu seinem Verderben beitragen könnten… Was würde dann aus den vielen treuen Evocati werden, denen er vorstand?

Der Kopf der Adler war ein Mann, der aus den Tiefen des römischen Abschaums kam. Er war unwissend, naiv und unschuldig, als er die Gedärme eines Gefährten auf den Boden klatschen sah. Seine Wut darüber machte ihn zum Mörder. Also begann seine Rache und damit der Weg seines Aufstiegs, bis zum Kopf der Adler der Evocati. Doch er war Römer und kein Barbar… Mit diesem Aufschrei in seinem Inneren war eine Erkenntnis verbunden, der er bisher noch nie begegnet war…

Lartius begriff, dass zwischen seiner Wut, die ihn letztlich in die Verantwortung der Evocati führte und der Wut des jungen Hermunduren, der die Ermordung seiner Eltern aus der Nähe verfolgen musste, kein zu großer Unterschied bestand.

Die Zielstrebigkeit seiner eigenen Rache führte ihn in die Fänge der Adler der Evocati. Die gleiche Zielstrebigkeit, so erinnerte er sich an des Belletors Schilderung, brachte den jungen Hermunduren in die Hand der fliehenden Römer.

Warum sollte der junge Germane dann nicht auch begreifen, dass der Frieden seines Stammes ausgerechnet von dem Feldherrn abhing, der Kohorten zu seinem Stamm schickte? Von diesen Verlorenen lernend, mit der römischen Welt zusammentreffend, verstand Lartius plötzlich, trat im Wesen des Hermunduren ein Sprung ein, der weit über das Denken sonstiger Germanen hinausging. Lartius erkannte die Motive und es erschloss sich ihm, zu welcher Art der Beherrschung seines Zorns der Hermundure vorgedrungen sein musste…

„Du meinst, der Hermundure war in der Lage seinen Hass auf den Legat zu zügeln und diesen darüber hinaus beim Überfall zu beschützen?“ Seine Frage drängte sich in sachlichem Ton über die Lippen.

„Herr, selbst Verginius Rufus bestätigte unter Zeugen, dass er nur zwei der angreifenden Auxiliaren hatte töten können, während sie doch noch Weitere getötet fanden. Denen aber wären Dolche zum Verhängnis geworden… und mit Dolchen kämpfte nur der Hermundure…

Der Aquila dachte über Belletors Worte nach. Wenn dies so war, er hegte inzwischen keine Zweifel mehr, sollte er sich diesen jungen Hermunduren selbst einmal ansehen…

Im gleichen Augenblick erschloss sich ihm, dass dies wohl kaum möglich war… Wie gelänge es ihm dann, den Hermunduren für seine Zwecke einzuspannen? Über diese Frage sollte er noch einmal nachdenken.

Dann waren da noch diese Verlorenen… Vom Schlachtfeld geflohen, von der Legion gejagt und, trotz der Bedrohung, wohl dennoch treue Römer… Ein merkwürdiger Trupp… War er einem der Kerle schon einmal begegnet? Lartius kramte in seinen Gedanken und fand dennoch keine Erinnerung.

Machte es überhaupt Sinn, den Hermunduren und die Verlorenen zu erwähnen? Sprach er über deren Flucht vom Schlachtfeld, könnte dies zu deren Tod führen…

Lartius begriff den Vorteil, über diese Männer zu wissen. Mit den wichtigen Vorfällen aber standen diese Männer wohl nur am Rande in Verbindung… Durch diese Überlegungen hervorgerufen, irrten sämtliche Gedanken zu den Vorfällen, Positionierungen und wer ist wessen Feind, durch seinen Kopf, stießen sich ab, vereinigten sich und fanden letztlich eine Ordnung, die er auf wenige Kernaussagen zusammenfassen konnte.

Die Brüder Scribonius verloren des Kaisers Gunst und suchten beim Senat Ersatz. Das grenzt an Verrat! Verginius Rufus, als Mann des Kaisers, stand im Widerspruch zum Statthalter Scribonius Proculus! Sollte die Macht des Kaisers in den Legionen am Rhenus gebrochen werden können, musste Verginius Rufus weichen. Deshalb das Attentat der Wegelagerer! Diesen Angriff führte ein Treverer Präfekt der Auxiliaren, der in des Legats Hände fiel und dann von diesem, mittels einer Täuschung, zur Freiheit gelangte und als zukünftiger Spion in das Lager der Brüder Scribonius zurückkehren konnte. Dieser Präfekt und zukünftige Spion, mit dem Namen Julius Tutor, gehörte zu den Untergebenen des Scribonius Rufus, des Statthalters des Exercitus Germania Inferior. Tutor berichtete, im Austausch für sein Leben, von Bemühungen der Kelten Galliens, sich Zugriff zu den Legionen am Rhenus verschaffen zu wollen… Dieser Mann wisse von einem Angebot der Gallier an Scribonius Proculus und auch Scribonius Rufus…

Lartius erkannte diese Überlegungen als Kern der Ereignisse, die er so auch dem Kaiser zu verstehen geben sollte. Welche Lücken wies das Gespinst auf, wo verließ die Darstellung die Wahrheit und unter welchen Aspekten drohte ihm selbst und den Evocati Gefahr?

Er war, aufgrund seiner Erfahrungen, zu einem klugen Mann gereift, der sich in der Politik und bei Intrigen inzwischen sehr gut auskannte. Ob Nero die Abwendung der Brüder Scribonius von ihm und deren Zuwendung zum Senat, als Verrat erkannte, sollte er dem Kaiser selbst überlassen…

Musste er zum Grund, warum das Attentat auf den Legat Verginius Rufus scheiterte, weitere Angaben machen? Lartius überlegte und entschied sich dagegen. Warum sollte ein so befähigter Legat wie Verginius Rufus, mit seinen zuverlässigen Legionären, nicht den Sieg über einen Haufen Wegelagerer erringen, auch wenn sich unter denen Treverer Auxiliaren fanden?

Musste er den Präfekt der Treverer, der in den Verdacht der Teilnahme kam, schützen?

Lartius entschloss sich dagegen. Der Befehl an den Präfekt kam mit Sicherheit vom Statthalter. Was interessierte ihn schon dieser Präfekt Montanus? Kam dieser mit Scribonius Proculus unter die Räder, dann war es eben so…

Würde Nero wissen wollen, wie die Täuschung des Statthalters gelang, die letztlich diesen Tutor zwang zum Spion zu werden?

„Nein, denn Julius Tutor erkaufte sich sein Leben doch mit einer wichtigen Information zu den Bemühungen der Gallier. Sicher gefiel Nero der neue Spion und wenn er diese Möglichkeiten etwas ausbaute, würde dieser Tutor sicher überleben und sich auch noch gegenüber den Galliern ausnutzen lassen…

Wich er in einer der Darstellungen von der Wahrheit ab? Lartius verneinte diese Möglichkeit.

Wen brachte er in das Zentrum von Neros Zorn? Nur die Brüder Scribonius, denen der Kaiser schon jetzt nicht mehr zu trauen geneigt war, weil auch er inzwischen begriffen zu haben schien, dass die Machtkonzentration von mindestens sieben Legionen in deren Händen ein schwerwiegender politischer und auch militärischer Fehler war…

Mit seiner Darstellung bestärkte er den Kaiser darin, die Statthalter machtlos zu stellen. Dies konnte nur zum Vorteil ausschlagen… Gleichzeitig hob er Verginius Rufus im Wohlwollen des Kaisers etwas an. Auch dies schien ihm nützlich.

Lartius prüfte, ob er etwas Wesentliches übersehen haben könnte…

Noch ein paar Fragen zum Hermunduren und zu den Verlorenen, die er nicht erwähnen musste, reichten aus, um die Gedanken seines Beraters Belletor etwas in die Irre zu leiten.

Lartius entließ Belletor und forderte ihn auf, am Folgetag erneut vorzusprechen. Er nannte ihm die vierte Stunde des Tages.

Dann widmete er sich ausschließlich dem Secretarius und diktierte diesem den Bericht an den Kaiser in Griechenland. Mit einigen Hinweisen zu Duplikaten aller drei Schreiben, entließ er den Mann.

Lartius war zufrieden. Sein erlangtes Wissen zu den Ereignissen in Mogontiacum ging weit über die berichteten Zustände hinaus. Er wusste aber auch, dass er eine Position einnahm, die ihm zum Verhängnis werden konnte, würde sich Nero, bei dessen Sprunghaftigkeit, dem Wohle der Brüder Scribonius zuneigen. Das Risiko ging er ein, hielt er doch eine derartige Wendung für unwahrscheinlich.

Würde der Kaiser seinen Gedankengängen folgen, müsste die Ablösung der Brüder Scribonius unmittelbar bevorstehen. Der Kaiser brauchte treue und zuverlässige neue Feldherren in Germanien. Einer der dafür in Frage kam, war Verginius Rufus. Also könnte er dem Legat, für eine von diesem früher ihm gegenüber erbrachte Gunst, einen Dienst erweisen. Wozu das einmal nutzen konnte, brauchte er gegenwärtig nicht zu bedenken…

Lartius dachte auch darüber nach, wen er noch gefährden könnte und gelangte zu dem Schluss, dass es niemand Anderen treffen dürfte.

Einen Augenblick bedachte er noch, dass der Legat Fabius Valens in den Bemühungen der Gallier genannt worden war. Sollte er diesem Legat einen Vorteil bei der Nachfolge des Statthalters in Niedergermanien verschaffen? Seine Überlegung wies diese Möglichkeit ab.

Würden die Brüder abgelöst und Valens zum Statthalter berufen werden, könnte dieser die Vorherrschaft über die Legionen am Rhenus erlangen. Dies erschien ihm eher als ungünstig, wenn er die Bemühungen der Gallier berücksichtigte.

Besser wäre dann in Niedergermanien wohl ein Statthalter, der neben Verginius Rufus verblasste und von den merkwürdigen Angeboten der Gallier keine Kenntnis besaß.

Bliebe einzig noch die Frage, ob Nero, bezüglich der Gallier und ihren Absichten, etwas unternehmen würde… Sicher würde Nero einen derartigen Versuch der Verleitung zum Verrat beantworten. Was lag in diesem Falle nahe?

Lartius gelangte zu der Schlussfolgerung, dass es wohl auch den Statthalter der Provinz Gallia Lugdunensis treffen würde, denn der erwähnte Stamm der Haeduer, zu dem dieser Vergobret gehörte, siedelte in dieser Provinz. Andererseits bestimmte der Senat über einen neuen Statthalter. Er hatte den Vergobret der Haeduer mit Absicht im Schreiben genannt. Der Kaiser sollte wissen, wer an der Spitze der Gallier für Unruhe sorgte.

Lartius fühlte sich mit den veranlassten Schritten auf dem richtigen Weg. Jetzt musste er nur noch in Germanien für Ruhe sorgen und wenn dies so nicht gelang, einen solchen Fluss von Nachrichten ermöglichen, dass sowohl sein Kaiser, sein Senat, an den er in diesem Zusammenhang auch noch dachte, und er selbst über ausreichend Wissen zu den Ereignissen verfügten.

Er brauchte neue Netze von Spionen und auch eine andere Herangehensweise. Bisher war es oft so, dass er Männer lieferte, die eine Tat ausführten oder auch verhinderten. Nur Beobachten und Berichten kam sehr selten vor. Dafür bedurfte es spezieller Fähigkeiten, eines großen Maß an Geduld und auch Findigkeit dabei, Andere für sich spionieren zu lassen.

Lartius wusste, warum er für diese Aufgabe Evocati der dritten Klaue anforderte. Die übrigen beide Paare waren nur Boten. Deren Qualifikation konnte deshalb niedriger angesetzt werden. Sie mussten weder Morden, noch selbst Beobachten. Ihnen gedachte er zu, sämtliche in Germanien anfallenden Nachrichten auf schnellstem und sichersten Weg nach Rom zu befördern.

Für diese Zwecke hätte er auch den Cursus Publicus einsetzen können. Die Schnelligkeit der Beförderung wäre sicher noch größer. Andererseits traute er den Anforderungen der Sicherheit viel weniger. Wie schnell und leicht konnten wichtige Nachrichten verloren gehen? Noch weit gefährlicher wäre es, gelangten in dieser Art beförderte Nachrichten in die falschen Hände… Nein, er bevorzugte einen eigenen und zumal sehr sicheren Weg durch eigene Evocati.

Er hatte Novius Fadus, die erste Klaue seiner Adler rufen lassen und ihm die Aufgabe gestellt, zwei weitere Paare der Evocati auszuwählen und ihm zuzuführen. Eine Erklärung zur Aufgabe sowie der Zeitpunkt und Ort der Einweisung wurden genannt und Fadus veranlasst, dass er sich nach neuen Evocati umsehen sollte.

Lartius war entschlossen, den Kurierdienst zwischen Mogontiacum und Rom einzurichten. Ihm schwebte vor, dass zwei Paare sich abwechseln sollten. Während das Eine auf dem Weg nach Rom und zurück unterwegs war, stand für alle Fälle ein zweites Paar zur Verfügung. Sicher ergab sich, in Abhängigkeit der Dringlichkeit zu befördernder Nachrichten, ein gewisser Rhythmus.

Novius Fadus würde ihm die richtigen Männer bringen. Eine Nachricht sollte keinesfalls länger als vierzehn Tage unterwegs sein und Belletor brachte ihn auf die Idee, die Botschaften in den Hörnern eines Sattels befördern zu lassen…

Deshalb beauftragte er einen seiner Adler mit der sofortigen Beschaffung neuer Hörnersättel.

Bisher war es den Adlern der Evocati verwehrt, größere Kontakte untereinander zuzulassen. Jeder Evocati kannte seinen Vorgesetzten und seine Aufgabe. Die Richtigkeit dieses Verfahrens bestätigten bisher erzielte Erfolge. Das Evocati bis zum Kopf der Organisation vordrangen, war eher eine Ausnahme. Eigentlich war er der Erste, dem diese Ehre zuteil wurde.

Lartius war, zumindest in einigen Teilen der Organisation, zu Veränderungen veranlasst. Dies hing auch mit der anderen Art mancher Aufträge zusammen. Örtliche Spione zu dingen, war bisher keine Gewohnheit. Eine ständige Nachrichtenkette zu stellen, erschien, bis zu den Ereignissen in und um Mogontiacum, kein Erfordernis. Er erkannte, das die Schwierigkeit mancher Aufträge auch ein anderes Vorgehen erzwangen. Lartius passte sich an.

Wollte er eigentlich besonders wichtige Evocati durch sein Eichenblatt ehren und sich ihm verpflichten, wurde jetzt aus dieser Idee ein Zeichen der Zusammengehörigkeit. Es war nicht so, dass er die grundsätzliche Vorgehensweise veränderte, er schuf nur eine größere, einer Aufgabe zugeordnete Gruppierung.

Die beiden folgenden Tage im Adlerhorst waren durch eine gewisse Unruhe beeinträchtigt. Männer kamen und gingen.

Erst verabschiedete Lartius die nach Griechenland reisenden Evocati.

Trebius Pollio war ein erfahrener Mann und insofern eine gute Wahl, weil Kaiser Nero ihn kannte. Der Adler machte ihm und seinem Begleiter Tullus Veturius die Gefahr, in die sie sich begaben, deutlich. Seinen Worten, sich von Niemand, gleich wer es sei, aufhalten zu lassen und unbedingt so schnell wie möglich zum Kaiser zu gelangen, verdeutlichte den beiden Boten die Dringlichkeit. Mit ganz anderen Worten beschwor er dann die Männer, die Botschaft nur Nero selbst zu übergeben, nicht irgend einem Secretarius und auch nicht Epaphroditos, dem ersten Secretarius des Kaisers. Keinesfalls aber durfte die Botschaft dem Präfekt der Prätorianer, Tigellinus, bekannt werden! Dann schickte er die Evocati auf die Reise.

Am Morgen des Folgetages trafen, fast zur gleichen Zeit, die übrigen Evocati ein. Auch Belletor betrat erneut den Adlerhorst.

Aquila Denter ließ die Ankommenden in unterschiedliche Aufenthaltsräume führen, die in diesem Gebäude reichlich zur Verfügung standen, und den Kopf der Adler benachrichtigen.

Lartius rief eine seiner Bediensteten und erteilte ihr den Auftrag zur Wundversorgung. Anschließend suchte er die ausgewählten Evocati auf, ließ diese sich nach einem jeweils nur kurzem, unbedeutendem Gespräch die Ketten mit dem Eichenblatt umlegen und forderte anschließend zum nochmaligen, sofortigen Abnehmen auf.

Es geschah, was kommen musste. An strikte Ausführung von Befehlen gewöhnt, schaffte es dennoch keiner der Männer, die Kette erneut zu öffnen oder gar vom Hals zu reißen.

Dafür schnitten sich sechs Männer in den jeweils rechten Zeigefinger ihrer Hand. Das alle die gleiche Verletzung davontrugen, lag auch daran, dass Legionäre grundsätzlich mit der rechten Hand ihren Gladius zogen. Also griffen alle auch einheitlich mit dieser Hand zur Kette, schoben, in Verkennung der Widerborstigkeit und Schärfe des Metalls, den Zeigefinger darunter und schnitten sich, je nach aufgewendeter Kraft, tief in den Finger.

Die Wunden begutachtend, grinste Lartius die Überraschten an, rief das Weib zur Wundversorgung und brachte die so geprüften und überlisteten Männer in den vom Aquila ausgewählten, größeren Raum.

Als letzter erschien Belletor.

Das Fluchen, ob der Verletzung, war längst verklungen. Evocati kannten den Schmerz, zumal dieser eher unbedeutend ausfiel…

Lartius begrüßte die Männer.

„Evocati, ihr kennt mich nicht, aber ich euch! Ihr alle dient mir, denn ich bin der Kopf der Adler! Seht euch ruhig gegenseitig an, denn ihr werdet alle an einem sehr schwierigen, sehr gefährlichen und sehr neuen Auftrag arbeiten. Ich gebe euch den Auftrag, ich der Aquila!“

Lartius gab den Männern Zeit, sich mit der Lage abzufinden.

In dem er sich selbst als ‚Aquila’ bezeichnete, tauchte er in der Anonymität unter. Was sollte die Männer ein Name interessieren? Und wenn es dennoch ein Name sein musste, warum dann nicht dieser, der letztlich nur eben ‚Adler bedeutete. Sollten sie ihn Adler nennen, denn er war doch der Adler!

„Ich will euch sagen, was ihr voneinander wissen müsst und was euch nicht zu interessieren hat! Gleichfalls sage ich euch, wer wem Befehle erteilt.“ Wieder wartete er einen Augenblick.

„Jeder von euch kennt seinen Partner, dort wisst ihr alles übereinander. Hier kennt ihr nur eure Vornamen und nur mit diesen sprecht ihr einander an! Der Mann dem ihr gehorchen werdet, ist Belletor.“ Der Genannte gab ein Zeichen, so dass dieser zu erkennen war.

„Ihr wisst, warum das so ist! Vor euch liegt eine lange Reise nach Germanien, nach Mogontiacum. Ihr werdet die Reise zum Ziel getrennt aufnehmen. Jedes Paar erhält einen anderen Weg. Diese Wege sind immer einzuhalten, damit wir euch, falls ihr einmal aufgebracht worden seid, finden können…“

„Der Mann, dessen Befehle ihr ausführt, ist der Evocati Belletor! Er wird bei Notwendigkeit, unter diesem Namen, innerhalb der Legio XXII Primigenia gefunden! Euer Ziel der ersten Reise ist eine Taverne an der Straße nach Mogontiacum. Folgt der Straße am Fluss Rhenus und in der Nähe des Vicus Weisenau stoßt ihr auf ‚Tanicus Taverne’. Ihr reitet zwangsläufig daran vorüber. Ein Schild mit diesem Namen klärt jeden Gast auf… Das Gasthaus ist neu, der Wirt ein früherer Centurio. Er ist, nach Belletors Schilderung, ein guter und ehrlicher Mann. Dieser Tanicus kennt Evocati, aber nicht die Adler. Begegnet ihm ehrerbietig, doch offenbart nicht euren Auftrag und wer ihr seid. Gebt ihr einen Namen an, dann stimmt der Vorname und alle weitern Namen sind falsch!“

Lartius wartete, bis die Männer diese Anweisungen verdaut hatten.

„Ihr erkennt euch untereinander an den Narben, die ihr an den Fingern davon tragen werdet. Verzeiht meine Hinterlist. Belletor, halt jedem einmal deine Pranke vor die Nase, damit ein jeder die kleine Narbe erkennt. Männer mit solcher Narbe verdienen Vertrauen. Davon gibt es hier im Adlerhorst, mit mir nur vier. In Mogontiacum kommt noch ein Mann dazu, der noch über Belletor steht! Seinen Namen braucht ihr nicht wissen! Belletor kennt den Mann, das genügt!“ Lartius wartete auf Einwände oder Fragen. Die Männer aber blieben still.

„Ihr alle seid eigentlich nur Boten wichtiger und sehr vertraulicher Nachrichten. Ihr erhaltet versiegelte Dokumente, die ihr sicher befördert. Belletor, tritt doch einmal nach Nebenan. Dort liegen einige Sättel, die deinem gleichen. Hole dir einen!“

Belletor tat wie geheißen und knallte den Sattel vor den Evocati auf den Tisch.

„Zeige den Männern, wo du die Nachricht verbirgst!“

Belletor zückte einen seiner Dolche und schnitt die Nähte der Hörner auf. Plötzlich lagen kleine hölzerne Gefäße auf dem Tisch. Lartius, der diese zuvor in der Hand hielt, schob Belletor eines zu.

Der Evocati verstand und fügte das Gefäß in das freigelegte Horn.

„Geht und holt euch die übrigen Sättel!“ Es entstand etwas Unruhe, die sich aber schnell wieder legte. Diese Evocati waren erfahren und auch diszipliniert.

„Schneidet alle das jeweils linke größere Horn auf und verstaut die Holzschachteln. Belletor wird euch später zeigen, wie der Sattel vernäht und die Naht unkenntlich gemacht wird. Doch jetzt lasst die Sättel!“

Er wartete. Als ihm alle wieder ihre Aufmerksamkeit schenkten, setzte er fort. „Es ist immer das linke hintere Horn. Achtet darauf, dass eine neu gezogene Naht den Ort der Botschaft verraten kann…“ Lartius dacht auch an diese Kleinigkeit.

„Wenn ihr in der Taverne des Tanicus ankommt, lasst euch ein Zimmer geben und wartet dort, bis euch Belletor holt. Er wird euch unterbringen und wird euch alles Notwendige, was ihr vor Ort zu beachten habt, dort zeigen.“ Die Männer nickten und gaben so ihr Verständnis kund.

„Erteilt euch Belletor einen Befehl und übergibt Dokumente, erwarte ich diese innerhalb von nur vierzehn Tagen hier in Rom, in diesem Adlerhorst. Ihr reitet ein, übergebt euer Pferd und kommt mit dem Sattel zu mir. Einer der Bediensteten wird euch führen.“

Lartius gab erneut Gelegenheit zum Stellen von Fragen. Als diese ausblieben, stand er auf.

„Belletor, zeig den Männern, wie der Sattel vernäht wird, Faden und Nadeln findest du nebenan! Dann kommst du mit Ancus und Mamercus zu mir. Die Ledermappen vor euch enthalten die Passwege, die euch zugeordnet sind. Prägt sie euch ein! Jede Nachricht wird immer vom ganzen Paar befördert. Ein letzter Wink von mir…“ Lartius wartete, bis sich alle wieder ihm zuwandten.

„Ihr könnt mit zwei Pferden die ganze Strecke reiten oder euch auf eurem Hinweg eine Kette aufbauen… Es ist euch überlassen… Vierzehn Tage…“ warf er noch einmal in den Raum und zog sich zurück.

Unter Belletors Anweisung dauerte es nicht lange, die Sättel zu vernähen.

Die Nähte in der Angleichung begutachtend, gab er noch den Hinweis Russ oder Asche zu verwenden. Dann forderte er die Männer, die der Adler genannt hatte auf, ihm zu folgen.

Lartius wartete schon.

„Setzt euch! Eure Aufgabe ist wesentlich umfangreicher und es erfordert einige Zeit, euch die ganze Sache zu verdeutlichen. Ihr drei reitet gemeinsam. Zu euch wird noch ein Mann stoßen, der nicht zu uns gehört, aber dennoch Belletor von Mogontiacum bis Rom begleitete. Sage uns, was wir zu diesem Mann wissen sollten…“ Er wandte sich an Belletor.

„Herr, sein Name ist Sextus Sicinius Sexinius! Sexinius reicht aus. Er ist jünger als wir und war einst ein Centurio der Legio XXII Primigenia. Seine Verletzung in einem Kampf war so schwerwiegend, dass ihn selbst beste Freunde für tot hielten. Eine alte germanische Heilerin fand ihn und flickte ihn zusammen. Erschreckt nicht, falls ihr einmal seine Narben seht… Ich habe schon Einiges erlebt, aber so etwas sah ich noch nie lebendig… Dass der Mann noch lebt, grenzt an ein Wunder. Er ist ein ruhiger Gefährte, leicht zu handhaben, nur sollte ihn keiner reizen. Ich weiß, dass er den Tod nicht fürchtet und auch, dass er treu zu einem Freund, sowie zu Rom, steht. Das sollte genügen! Vielleicht noch eine Sache. Er ist mein Freund und darüber hinaus Mitglied einer Gruppe Gleichgesinnter, für die er in den Tod geht, falls dies erforderlich wäre… Dies beinhaltet, dass seine Freunde ihm den gleichen Dienst erweisen werden… “

Lartius nickte und damit war Sexinius Vorstellung abgeschlossen.

Der Rest des noch langen Tages diente der Erklärung des Auftrages. Es wurde nicht nur ein sehr langer, sondern auch ein sehr anstrengender Tag für die erwählten Evocati.

Die Legende vom Hermunduren

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