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Оглавление2. Brückenschlag
66 nach Christus - Sommer (19. September)
Imperium Romanum – Mogontiacum
Die begonnene Reise in den Süden gestaltete sich vom ersten Tag an als wenig schwierig.
Belletor war für Sexinius ein angenehmer Gefährte, der sich von ihm kaum unterschied. Das den neuen Gefährten irgend etwas merkwürdiges umschwirrte, fühlte der frühere Centurio bald.
Sexinius erinnerte sich, dass Gerwin wieder sehr schnell den Rückweg zur Legion antrat.
Deshalb, nun ständig auf ihr gemeinsames Vorhaben ausgerichtet, beobachtete er seinen zukünftigen Begleiter und war nicht auf dessen vollständige Verwandlung vorbereitet.
Belletor entledigte sich seiner Uniform und übergab deren Teile, einschließlich der von ihm genutzten Parma, an die Wirtin der Taverne.
Das dieser dabei recht geschickt vorging, gefiel Sexinius.
Belletor sprach Eponia mit freundlichen Worten an, rühmte ihre Schönheit und wusste im Vorhinein, dass eine so gelobte Frau einer freundlichen Bitte wohl kaum widerstehen könnte. Eponia nahm die Kleidung und Ausrüstung entgegen, lächelte und damit war die Sache abgeschlossen.
Allein ihr Lächeln war geneigt, so empfand es zumindest Sexinius, den Graukopf Viator um diese Frau zu beneiden…
Aus dem eher unscheinbar wirkenden Legionär Belletor war ein Handelsreisender geworden, der mit seiner neuen Kleidung, lederner Bracae, dunkelblauer Tunica und Chlamys eine Wandlung vollzog.
Zwei Dinge fielen Sexinius im Vorgang des Umkleidens auf.
Das Erste war der am Körper des Legionärs verborgene Schmuck.
Um den Hals des neuen Gefährten hingen zwei Ketten. Die Eine trug einen Ring, der dem früheren Centurio nicht gänzlich unbekannt erschien. Die zweite Kette war wohl etwas feiner gearbeitet. An ihr prangte ein kleines Eichenblatt als Anhänger. Mehr aber beeindruckte Sexinius der am linken Oberarm getragene Ring, der sich oberhalb des Oberarmmuskels auf die Haut presste.
Belletor bemerkte den Blick und das Erstaunen.
„Etwas Eitelkeit ist auch einem ansonsten armen Legionär wie mir sicher gestattet…“ grinste Belletor ihn an und glaubte damit die Angelegenheit als abgeschlossen.
Zweifellos wäre dies auch so geblieben, begegnete Sexinius nicht schon einmal ein Ring wie der an der etwas gröberen Kette.
„Mir gefällt dein Armreif und auch die Kette mit dem Eichenblatt erscheint mir sehr wertvoll… Den anderen Ring aber sah ich schon einmal bei anderen Legionären… Ich hatte selbst einen solchen Mann in meiner Centurie und kann mich gut seiner Ehrenhaftigkeit erinnern… Das allein wirft die Frage auf, wie du zum Ring der Evocati gekommen bist? In meiner Erinnerung hatten sich deine Worte eingegraben, dass du noch einige Tage zu dienen hättest… Verzeih meine Verwunderung und meine Neugier… “
„Du kennst diese Art Ringe?“ Belletor bemerkte seinen Leichtsinn. Er stutzte ob seiner Unvorsichtigkeit und wurde sich dann bewusst, dass er diese Art Schmuck auf der gesamten Reise hätte kaum vor den Augen des Gefährten verbergen können. Er spielte auf Zeit, denn die Antwort musste weiterer Neugier vorbeugen und für endgültige Verhältnisse sorgen.
„Mein Evocati trug solchen Ring… Er aber war stolz darauf und zeigte ihn am Finger… Zweifellos bist auch du stolz auf die dir verliehene Ehre, zumal du schon Evocati zu sein scheinst, während du noch dienst? Andererseits schmückte der Ring deinen Hals, aber unterhalb der Tunica…“ Sexinius sah Belletor damals lächelnd an und wartete auf eine Erklärung.
„Woran liegt dir mehr, Sexinius?“ erwiderte Belletor.
„Was meinst du?“ Der frühere Centurio reagierte verwirrt.
„Ist es mein Vertrauen und meine Achtung, an der dir mehr liegt oder zwickt dich die Neugier?“ knurrte Belletor.
„Ich ziehe Achtung und Vertrauen vor…“ blaffte Sexinius zurück. „… dennoch erscheint mir wichtig, dass diese Vorzüge keine einseitige Sache sind…“ führte er seine Antwort danach zu Ende.
Sie starrten sich für einen Augenblick an. Die Fronten waren markiert.
„Wie hältst du es mit Geheimnissen?“ Noch immer stand der Augenblick im Feuer einer Bewährung. Belletor spürte es. Er brauchte Zeit, sich eine gute Antwort zurechtlegen zu können und durfte dabei dennoch kein Wort über seine Geheimnisse verlauten lassen.
Sexinius, mit Unverständnis zum Sinn der Frage geschlagen, antwortete und baute selbst die Brücke, über die Belletor bedenkenlos schreiten konnte.
„Meine Geheimnisse sind eines Freundes würdig… Geheimnisse, die mir nicht allein gehören, bedürfen der Zustimmung der Anderen…“ hörte Belletor und verstand.
„Dann gehen wir davon aus, dass die Antwort auf deine Fragen erst erfolgt, wenn ich Andere um Rat ersuchen konnte…“ Belletors Miene zeigte Freundlichkeit.
Damit war dieser Teil der Überraschung, daraus folgender Neugier und Zweifel, vorerst zerstreut. Belletor begriff, dass der Gefährte seine Worte im Kopf behalten würde und erkannte auch die Antwort, die eines Freundes würdig war. Dennoch wusste er, dass Sexinius ständig auf Aufklärung lauern würde…
Die zweite Verwunderung befiel Sexinius, als er die ledernen Armbänder an den Unterarmen des neuen Gefährten bemerkte. Diese Armbänder trugen zwei spitze, schlanke Dolche. Gleiche Armbänder kannte er von Gerwin. Bisher waren ihm diese beiden Waffen, unter der Tunica und ihren langen Ärmeln, entgangen.
„Ich sehe, auch du bevorzugst spitze Dolche?“ fragte er Belletor. „Gerwin trägt seine Dolche ebenso wie du…“
Der Angesprochene nickte nur. Dann entschloss er sich jedoch, eine Erklärung anzufügen. „Was meinst du, wo ich dies sah? Ich lies mir die Armbänder nach seinen Mustern anfertigen… Ich dachte mir, als Handlungsreisender mit einem Gladius zu viel Aufmerksamkeit zu erregen…“
„Du verlangst aber nicht von mir, mich gleichartig zu kleiden? Denn dies, mein Freund, ist mir nicht möglich. Ich trage, was ich besitze, auf meiner Haut!“
Belletor schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle, wie du dich kleidest… Wir sollten lediglich unser gemeinsames Auftreten in Tavernen und den Siedlungen, durch die wir reiten werden, festlegen…“
„Was schwebt dir vor?“ Sexinius lauerte.
„Wenn du in mir den Händler erkennst, käme für dich die Rolle meines Schutzes in Frage…“ Belletor blieb zögerlich und wartete ab, wie Sexinius dessen Unterordnung annehmen würde.
„Das erscheint mir sinnvoll…, zumindest, wenn wir nicht unter uns der gleichen Gepflogenheit folgen…“ hörte er ehrliche Worte.
„Dann machen wir das so!“ bestimmte der Evocati.
Die letzte Verwunderung suchte Sexinius heim, als Belletor seinen Hörnersattel in die Hütte schleppte und sorgfältig die Nähte des Leders auftrennte. Neugierig sah er dem Gefährten zu.
Es waren die hinteren Hörner, die Belletor bearbeitete. Nachdem die Nähte offen waren, erkannte Sexinius im oberen Teil der Hörner kleine, eingelassene Holzkapseln.
Belletor entnahm die Kapseln und öffnete deren lederne Verschnürung, klappte zwei Hälften auseinander und zwängte die zusammengerollte Erste ihrer schriftlichen Botschaften, in die Holzkapsel. Ebenso verfuhr er mit dem anderen Schriftstück und dem zweiten Sattelhorn. Dann vernähte er, in geduldigen Stichen, seine Hörner, begutachtete seine Bemühungen, holte sich vom Feuer erkalteten Ruß und bearbeitete die Nähte und die Sattelhörner. Als er fertig war, verwies er Sexinius auf sein Machwerk und fragte ihn, ob dieser etwas sah, was er selbst nicht wahrzunehmen vermochte.
Sexinius untersuchte den Sattel und fand nichts zu beanstanden.
„Damit weißt du, wo die Botschaften verborgen sind und kennst die Bedeutung meines Sattels.“ Der Gefährte deutete auf den Sattel. „Sollte mir also etwas Widersinniges geschehen, findest du die Botschaften! Darüber hinaus findest du noch etwas. Trennst du die Naht des vorderen Bocks links auf, findest du eine Beschreibung des Ortes, zu dem diese Botschaften gelangen sollten. Der Ort und der Mann, für den die Botschaften bestimmt sind, ist dort beschrieben.“
„Sollen die Botschaften nicht zum Kaiser?“ Sexinius Frage klang verwundert.
„Sehe ich oder du etwa wie ein Bote einer Legion aus?“ knurrte der Legionär. „So wie wir aussehen, gelangen wir nie zum Kaiser und was würde aus einer Botschaft, die dessen Bedienstetem nicht gefällt? Auch wenn der Mann den Inhalt nicht erfahren wird, ohne die Siegel zu brechen, weiß er doch, woher das Dokument kommt… Das allein könnte schon reichen, um diese Botschaften erst zu lesen und anschließend verschwinden zu lassen…“
Belletor lauerte auf eine Erwiderung. Er wartete vergebens. Weil dem so war, fügte er damals noch an: „Der Mann, den ich aufsuche, übergibt die Botschaft persönlich an den Kaiser.“
Damit waren die Gespräche zwischen ihnen, vor Beginn der Reise, beendet.
Der Abend mit Viator und Paratus brachte einige neue Erkenntnisse zu den Verlorenen und deren Erlebnissen im Land der Hermunduren, ein kräftiges Mahl und einen trefflichen Falerner aus Kampanien.
Am Morgen begann ihr Ritt in den Süden.
Belletor war nicht gewillt, Mogontiacum noch einmal zu durchqueren. Er wollte die Aufmerksamkeit nicht erneut auf sich lenken und überließ deshalb Sexinius die Führung, der sich in dem Gebiet ihrer Wahl etwas besser auskannte. Am dritten Tag erreichten sie die römische Straße am Rhenus.
Bisher vermieden sie Tavernen, wohl auch deshalb, weil es in dem durchrittenen Gebiet keine gab. Dafür lernten sie sich besser kennen.
Der tägliche Ritt und das abendliche Feuer waren Gelegenheiten zum Führen langer Gespräche. Sie nutzten die Zeit und so gelangte jeder der Reiter zu einem Wissen über das bisherige Leben des Anderen.
Was die Kindheit oder die Jugend anbetraf, schienen beide annähernd Gleiches erlebt zu haben. Es gab nur einen kleineren Unterschied.
Sexinius stammte aus einer Familie, die es in Rom zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte, während Belletor, soweit dieser sich erinnern konnte, mit seinem Vater von einer Arbeit zur Nächsten wanderte.
Belletor kannte keinen Ort, an dem er länger als ein paar Monde weilte. Anfangs fand der starke und willige Mann, der sein Vater war, gute Arbeit. An seine Mutter konnte sich der Knabe nicht erinnern…
Dann veränderte sich der Vater. Er war des ständigen Unglücks überdrüssig, wurde launisch, ungerecht und vor allem zornig. Ab dieser Zeit führte sie der Zorn des Vaters immer tiefer in die Ausweglosigkeit. Der Vater arbeitete schlechter, was sich in kürzeren Zeitabständen zwischen den einzelnen Arbeitsstellen ausdrückte.
Mitunter unzufrieden, verabschiedete sich der Vater mit einem Faustschlag, wenn dieser sich ungerecht behandelt fühlte. Er hatte Streit mit Anderen, gleich ihm Hoffnungslosen, und auch da flogen oft Fäuste. Manches Mal zogen sie so schnell weiter, dass der Vater vergaß, den geschuldeten Lohn einzufordern. Wenn dennoch einige Sesterze den Weg in seine Hände fanden, dann verschleuderte er diese in so mancher üblen Taverne. Sein Vater wurde ein Säufer.
Kaeso Belletor kannte nur einen einzigen guten Freund: den Hunger!
Als den Vater dann ein anderer, ebenso mitteloser Trinker von seinem Leid befreite, in dem er diesem einen Dolch in die Brust stieß, war Kaeso Belletor von der täglichen Prügel zwar befreit, allerdings auch gezwungen den Freund ‚Hunger’ noch eindringlicher zu umarmen.
Also begann er zu stehlen. Das aber brachte ihn in Rom in Gefahr und ein Ausweg zeichnete sich nicht ab…
In dieser Phase seines Daseins begegnete ihm ein alter Mann, der ihn beim Stehlen ertappte. Er hätte sich dem Festhalten des Alten, durch einen einzigen Stoß, entziehen können. Immerhin war er als fast Vierzehnjähriger dafür kräftig genug und der Alte viel zu schwach, sich nach einem Angriff auf den Beinen halten zu können…
Es war die einfache Frage des Alten, die ihn zum Einhalten zwang.
„Du hast Hunger?“
Er musste zu dieser Zeit wirklich einen ausgemergelten Eindruck hinterlassen haben, deshalb nickte er nur und der Alte nahm ihn mit.
Von da ab ging es ihm gut und fast zwei Jahre vergingen. Der Alte war eigentlich nicht ganz so alt. Er war krank und wusste, dass er bald sterben würde. Davon sprach der Mann jedoch nicht und Belletor wunderte sich nur, dass zwei Dinge ständig auftraten. Es stand immer Essen für ihn bereit und der Alte wälzte sich Nachts unter Schmerzen.
Belletor ergründete nicht, was den Alten zur Güte ihm gegenüber veranlasste und welches Leiden diesen plagte. Die Nachbarn kümmerten sich weder um den Alten, noch um ihn. Als er dann den Alten tot auf seinem Lager liegend fand, nahm er den letzten Rest des Brotes, die wenigen Münzen aus der Schale und verließ das Haus.
Die Münzen reichten nur wenige Tage und danach griff wieder der Hunger nach ihm. Er trieb sich herum, suchte nach einer Arbeit, die er zu leisten vermochte oder war schon manchmal mit einem Kanten harten Brotes, das er sich zumeist zu Unrecht ergattern konnte, zufrieden.
Sein Weg führte ihn oft zum Forum Boarium und dem dort befindlichen Portus Tiberinus, wo er hoffte, eine Arbeit finden zu können. Der Viehmarkt, unmittelbar in dessen Nähe, könnte andererseits dabei behilflich sein, durch eine andere, weniger glückliche Beschäftigung beim Kotauflesen, einen Kanten Brot zu erlangen.
Kaeso Belletor war nicht glücklich über diese niedrige Tätigkeit und dennoch froh, wenn dann, nach den Mühen des Tages, ein zumeist nur den Kühen gestohlener Brotkanten seinen Hunger stillte.
Er war am untersten Ende der Besitzlosen Roms angelangt und überlegte deshalb nicht lange, als er auf Werber der Legionen stieß. Plötzlich fiel ihm ein, dass schon lange über des Kaisers Absicht gemunkelt wurde, Britannien zu erobern. Er wusste weder wo das lag, noch begriff er, zu was er sich verpflichtete, als er den Werber ansprach.
Der ältere Mann in der Uniform der Legionen blickte ihn traurig an.
„Junge, ich würde dich schon gern nehmen… Doch sieh dich mal genau an… Du siehst verhungert aus. Die Lumpen, die du Tunica nennst, würde kaum ein Sklave tragen und wer sollte bestätigen, dass du einer Berufung in Roms große Legionen würdig wärst? Hast du einen Vater, der für dich bürgt? Kennst du Verwandte, die dich gern loswerden wollen und dafür Bürgschaft leisten? Du scheinst trotz allem kräftig zu sein, wirst, so scheint mir, auch nicht auf den Kopf gefallen sein und dennoch nimmt dich keiner… Geh Junge, ich kann dir nicht helfen…“
Belletor nahm seinen ganzen Mut zusammen, blickte in die gütigen Augen des Optio und fragte ihn, ob er wüsste, wohin er ihn schicken würde?
Der Werber für Roms Legionen, der schon sehr viel gesehen und erlebt hatte, oft schon solche Abweisungen durchführte, stutzte. Zumeist war diese Art Hungerleider nicht befähigt, eine solche vernünftige Frage zu stellen. Er rang mit sich und knurrte letztlich nur: „Wohin?“
„Auf den Viehmarkt, Scheiße auflesen…, damit Roms Straßen sauber sind… Weil es dafür weder Brot noch Münzen gibt, klaue ich den Rindern ein Stück von dem Brot, das man diesen Tieren vors Maul wirft… Herr, weißt du noch etwas?“
„Sprich!“
„Wenn mich der Viehhändler oder einer seiner Knechte fängt, habe ich die Wahl zwischen Prügel und dem Verlust der Hand, mit der ich stahl…“
„Du lügst!“ entfuhr es dem Optio.
„Komm mit und sieh zu. Ich beweise es dir!“
„Warte!“
Es war, seit dem Tag, als ihn der Alte beim Stehlen erwischte, der erste wieder gute Tag…
„Warte, bis wir abziehen!“ schnauzte der Optio, sich grob und unnahbar gebend. „Ich kann dich nicht aufnehmen, ohne ein Zeugnis. Auch kenne ich dich nicht. Also wirst du vorerst kein Probatus!“ Diese Entscheidung des Optio trug die Züge einer Endgültigkeit. Der Ältere besann sich einen Augenblick und verkündete dann eine Absicht.
„Dafür mache ich dich zu meinem Diener… Der Vorgänger lief mir davon. Erfüllst du deine Aufgaben, bürge ich dann für dich und du kommst in die Legion. Bist du faul oder nachlässig, werde ich dich erziehen!“ verkündete der Optio das Ende seiner Überlegungen.
„Du meinst prügeln?“ erwiderte Belletor.
Der Optio nickte. „Ich sagte ‚erziehen’, wo ist das ohne Prügel möglich?“ knurrte er.
„Ist mir egal… Nur wie lange dauert das, bis du Zeugnis für mich ablegst?“
„Längstens ein Jahr… Du bist noch etwas zu jung für die Legion oder hast du dein achtzehntes Jahr schon erreicht?“
Belletor schüttelte den Kopf. „Werde ich auch bei dir nicht hungern müssen?“ richtete er seine verzweifelte Frage an den Legionär.
„Nein! Du bekommst nur zu essen, nichts anderes!“
„Ich folge dir, Herr!“ lautete damals seine Antwort und er bereute es nicht. Er bekam zu essen, eine Tunica aus dem Bestand der Legion und jeden Tag irgendwelche Aufträge.
Mal war es die Reinigung der Unterkunft, dann das Reinigen der Uniform des Optio, dann die Pflege aller Uniformen der ganzen Truppe der Werber. Später kam die Pflege der Pferde hinzu und bald durfte er Botengänge ausführen.
Stellte er sich geschickt an, bekam er zu Essen. War der Optio unzufrieden, gab es Prügel und mitunter kein Essen. Er gewöhnte sich daran und wusste den Luxus bald zu schätzen. Weil er Helle im Kopf war, zuverlässig und gewissenhaft, nahmen die Tage der Prügel und des Hungers schnell ab.
Er wuchs, wurde kräftiger und lernte nicht nur den Aufbau der Legion, sondern auch noch einige wichtige Befehle kennen. Besonders gefiel es ihm, Botengänge auszuführen. Er kam mit anderen Dienstleuten zusammen, hörte dies und jenes und begann seinen alten Optio zu schätzen. Auf diese Art bemerkte er gar nicht, dass das versprochene Jahr zu Ende ging.
Plötzlich eröffnete ihm der Optio, dass er für ihn bürgen würde. Das Zeugnis hätte er längst verfasst, ließe ihn aber nur ungern ziehen… Einen so guten Burschen habe er noch nie besessen… Er wäre traurig über die Trennung, aber ein Versprechen ist eben nun mal ein Versprechen…“
Damit entließ ihn der Optio. Belletor überlegte noch eine Nacht lang, ob er nicht eventuell doch bleiben sollte, gelangte aber zu dem Schluss, nicht ewig Diener sein zu wollen. Einmal wollte er ‚Herr’ sein und zog es deshalb vor, den Optio zu verlassen.
Der Abschied am Morgen war kühl. Er sah es in den Augen des alten Optio.
„Herr, ich danke dir für deine Güte!“ verabschiedete Belletor sich. „Wenn du wieder einmal solch einem Streuner wie mir begegnest, erweise ihm die gleiche Ehre… Ich wäre dir auch dafür dankbar…“ Belletor wandte sich ab und wollte sich in die Horde der Probatus einreihen, als ihn der Alte am Arm zurückhielt.
„Ich will dir noch einen guten Rat geben, mein Junge!“
Belletor horchte auf und spürte die Wärme des Optio.
„In der Legion wird man dich schinden, schlagen, zwingen und erniedrigen. Du wirst die Vitis des Centurio mehr fürchten als den Feind… Deine Kameraden lauern auf Schwäche, auf Fehler, auf Angst und auf dein Versagen, um selbst daraus Vorteile zu gewinnen… Viele gute Kerle zerbrachen schon daran… Dann ist da noch der Feind, ein gefährlicher Feind, brutal, ohne jede Hemmung und vor allem zielt er mit seinen Waffen auf dein Leben… Es gibt nichts, was dich schützt! Glaube an Götter… oder auch nicht… Zumeist sind sie nicht dabei, wenn du ihrer bedarfst… Das Einzige was wirklich hilft, ist ein echter Freund!“
Belletor war, ob der Wahrheiten des Optio, erschüttert. Für einen kurzen Augenblick schien er zu schwanken.
„Den Freund suche, mein Junge, denn nur der hält dir den Rücken frei, steht im Kampf an deiner Seite und hilft auch in größter Not… Hast du ihn gefunden, schütze ihn mit deinem Leben! Er wird dir den gleichen Dienst erweisen…“ Diesen Rat wollte der damals noch sehr junge Belletor stets beachten.
In diesen gemeinsamen Gesprächen erfuhr Sexinius auch, wie und wo Belletor und Tremorinus aufeinander stießen und woraus sich die Erfüllung der Freundschaft, so wie vom Optio vorausgesehen, ergab.
Sexinius erkannte noch einen anderen Umstand, der Belletor auszuzeichnen schien. Der Legionär mochte knurren, bellen und sogar beißen, aber einen guten Rat beherzigte er stets. Das hatte ihm der Optio, mit seiner Weissagung, eingebläut.
So wie sie sich auf Gemeinsamkeiten einigten, war auch Sexinius verpflichtet, seinen Weg bis zur Legion und über die danach folgenden Tage, Monde und Jahre zu erzählen.
Auf diese Weise erfuhr Belletor von einer glücklichen Kindheit im Schoße einer Familie, von Sexinius jüngerer Schwester und deren plötzlichem Tod, von dessen allzu früh verstorbenen Eltern, die den Tod der Schwester nicht zu verwinden mochten.
Das Mädchen war nur vierzehn Jahre alt geworden, als ein rücksichtsloser Wagenlenker, auf einer von Roms Straßen, das Mädchen überrollte. Der Kerl floh und die Schwester starb an ihren Verletzungen. Der Rücksichtslose konnte entkommen und wurde, trotz heftiger Suche, nie gefunden. Zu dieser Zeit war Sexinius schon Probatus.
Sexinius, von einem Hauslehrer ausgebildet, konnte Lesen, Schreiben und Rechnen, verstand sich auf das Führen des Wortes und weil er aus gutem, wenn auch nicht ritterlichem Haus stammte, stand ihm in der Legion ein guter Weg offen.
Schon in seiner Zeit als Probatus stach er hervor. Er war schnell vom Begriff, mutig, ausdauernd, abgeklärt und was ihn besonders im Kreis Gleichgesinnter auszeichnete, auch noch witzig, ohne auf Fehlern oder Schwächen von Kameraden herumzureiten.
Aus dem Probatus wurde ein Miles Legionarius, der, was nicht zu oft vorkam, schnell die Achtung seiner Gefährten errang. Das Glück verschlug ihn in eine der besseren Kohorten.
Schon im dritten Jahr wurde er zum Optio berufen und als der Centurio in einem Gefecht blieb, dessen Nachfolger. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade im vierundzwanzigsten Lebensjahr.
In diesen jungen Jahren Centurio und noch dazu in einer Centurie der Principes, der dritten Kohorte der Legio XXII Primigenia, stellte einen außerordentlichen Glücksfall dar. Sexinius war stolz auf seinen Erfolg. Trotzdem erhob er sich nicht über Andere. Im Gegenteil, er fühlte eine Verpflichtung, die seine Berufung im Nachhinein erklärte. Durch sein Verhalten suchte er die Rechtfertigung seines Aufstiegs auch in den Augen der bisherigen Kameraden.
Dann kam Viator und mit ihm Paratus, der Stinker. Der Geruch des Sizilianers schreckte ab. Den beiden Neuen, nicht wirklich Neulinge in der Legion, schlug Ablehnung entgegen. Viator mochten die Miles, aber Paratus trennte ihn ab.
Statt sich der Belästigung durch den Geruch zu entziehen, was von ihm gefordert wurde, zeigte Viator, den bisher in seiner Centurie Bestimmenden, die kalte Schulter. Als diese den Versuch unternahmen, den Stinker loszuwerden, stellte sich Viator vor den Gefährten und warnte die drei Mutigen.
Durch das Lachen der bisher dominierenden Legionäre seiner Centurie aufmerksam geworden, verfolgte er das Schauspiel, ohne selbst gesehen zu werden. Er sprach nie über das, was er sah und noch immer erinnerte er sich der gehörten Worte.
„Tritt zur Seite, Miles! Wir wollen den Stinker entmannen und ihn samt seiner Coglioni nach Sizilien zurückschicken…“ Der Wortführer der Drei brüstete sich im Lachen.
„Dann musst du und diese Faccia di Cazzio an deiner Seite erst einmal an mir vorbei…“ Der Miles schwieg und vollendete dann: „… ich wüsste wirklich nicht, wie dies gelingen sollte….“
Die Worte waren kaum ausgesprochen, als der Angriff begann. Der Wortführer sprang vorwärts, griff nach seinem Pugio, statt sich zu schützen. Vielleicht glaubte er den Einzelnen überrennen zu können.
Der Faustschlag zertrümmert des Angreifers Nase, seinen Oberkiefer und das Jochbein. Der Kerl lag, wie von der Hand der Götter getroffen, strampelnd auf dem Rücken.
„Wollt ihr beidem Stronzo euch daneben packen? Seid ihr wirklich solche Faccia di Culo?“
Der Angriff verebbte.
„Siehst du, Paratus, ist doch besser so, als würdest du diese Stronzo zu Brei verarbeiten! Mit einem Schlag deiner Pranke wäre der Kleine doch nie wieder aufgestanden… Schleppt den Idioten zum Valetudinarium! Mögen euch die Götter eine gute Ausrede für den Grund seiner Verletzung geben… Denn sonst schneidet ihm der Pilus Prior seine Coglioni ab.“
Der Verletzte brauchte einige Zeit zur Genesung und wurde dann zu einer anderen Legion versetzt. Für solch einen Kerl besaß Sexinius keine Verwendung und sein Pilus Prior fand auch, dass der Kerl keine Zierde seiner Kohorte sei.
Kurze Zeit später hatten sie ihr erstes gemeinsames Gefecht und der Sizilianer erwies sich als der entscheidende Miles. An dessen linker Seite fand sich zuerst sein Gefährte Viator ein und dieser rief in die Meute der Römer hinein „Der Mutigste von euch an des Sizilianers rechte Seite!“
Im selben Augenblick stand er selbst dort und von diesem Tag an gab es die rechte und die linke Flanke des Stinkers…
Was war mehr von Wert, ein Makel des Geruchs oder ein nahezu unbezwingbarer Legionär?
Sexinius besaß noch oft die Gelegenheit, Gestank zu ertragen. Er wusste, stank es in seiner Umgebung, konnte ihm nichts geschehen. Nur an dem Tag, als ihn seine Götter riefen, beging er den Fehler, den Sizilianer fortzuschicken. Urplötzlich brach der Angriff der Germanen, auch noch mit überlegenen Kräften, über sie herein.
Sexinius kämpfte, bis die Welt um ihn vollkommen schwarz wurde. Als er aufwachte, grinste ihn einst die alte Kräuterfrau an…
Am zwölften Tag erreichten Belletor und Sexinius den Rand des großen Gebirges, überwanden die hohen Berge und standen bereits zehn Nächte später vor Roms Mauern.
Ein Thema hatten sie bisher beide gemieden. Was würde werden, durchquerten sie das Tor in Roms Stadtmauer? Es war kein Wunderwerk der Baukunst, was ihnen den Zugang zu Rom verwehrte. Schon etwas vom Zahn der Zeit gestreift, machten die Mauern und auch das Tor einen verwitterten Eindruck.
Vor der sich zum Durchqueren zusammendrängenden Masse der Reisenden, ob sie nun aus der unmittelbaren Umgebung stammten, Tagelöhner, Marktverkäufer oder Handelsreisende waren, Vieh an Stricken nach sich zogen oder möglichst unerkannt in die Stadt zu schlüpfen beabsichtigten, griff Sexinius in die Zügel des Pferdes seines Begleiters.
„Warte noch Belletor!“ hielt er seinen Gefährten auf. „Wie stellst du dir den weiteren Ablauf vor?“
„Ich reite zum Ziel und du suchst uns eine geeignete Bleibe. Wir treffen uns, zur ersten Stunde der Nacht, an dem Ort, an dem wir uns trennen werden.“
Belletor wusste, dass ihn Sexinius nicht bis zum Ziel begleiten durfte. Also dachte er auf dem gesamten Weg bis Rom über eine Lösung nach und fand diesen vollständig unverfänglichen Grund für eine Trennung.
„Weißt du, mein Freund…“ Sexinius wusste diese Worte zögerlich zu äußern und erlangte dadurch die volle Aufmerksamkeit Belletors.
Sie standen Pferd an Pferd, im Sattel sitzend, etwas abseits der sich drängenden Meute, die das Stadttor durchschreiten wollte.
„… seit dem Beginn unseres Weges sprachen wir nicht mehr über deinen Schmuck und die Geheimnisse…“
Sexinius gab dem Freund Zeit, sich auf eine Entscheidung einzustimmen. Inzwischen wusste er, dass Belletor niemals überhastet oder gar unüberlegt handelte.
„… wir mieden beide diese Dinge und jeder von uns dachte darüber nach, wie er eine zeitliche Trennung voneinander vollziehen konnte, ohne den Gefährten zu kränken. Meinerseits gelangte ich zu dem Schluss, dass du der bist, der den Zielort der Botschaft kennt und deshalb die Dokumente dort abliefern sollte! Ich wiederum muss nicht wissen, welcher guten Verbindung du dich bedienen kannst, wenn dein Ziel sogar bis zum Imperator vordringen kann… Dafür gewinne ich einige Tage Zeit, um nach möglichen, noch lebenden Mitgliedern meiner Familie suchen zu können…“
Belletor nickte versonnen, grinste ihn an und erwiderte: „Ich wusste bisher einen klugen Begleiter gewählt zu haben, dass du der Vorhersehung fähig bist, war mir dennoch unbekannt…“
„Wie meinst du deine Worte?“ Sexinius war verwirrt.
„Ganz einfach. Es stimmt, was du sagtest! Ich dachte darüber nach, wie ich mich von dir trennen könnte, ohne dich zu verärgern… Den Mann den ich aufsuche, musst du nicht unbedingt kennen. Besser wäre es, ich könnte ihn erst aufsuchen, mit ihm über deinen wertvollen Dienst sprechen und dann mit seinem Einverständnis handeln…“ Belletor war erleichtert, erneut einen Brückenschlag nutzen zu können, den ihm Sexinius anbot.
„Wie lange wirst du brauchen?“ Sexinius richtete ihre Überlegungen auf einen konkreten Zeitpunkt aus. „Du solltest dir die Zeit nehmen, die du brauchst, aber nicht trödeln… Zurück müssen wir wieder über die Berge und je später dies geschieht, desto heftiger wird die Kälte, mal vom Schnee und möglichen Stürmen abgesehen…“
Belletor nickte. Er dachte ebenso und prüfte in Gedanken, wie lange sein kürzester Aufenthalt beim Kopf der Adler der Evocati beanspruchen sollte.
„Ich glaube, dass drei Tage reichen dürften… Höre, mein Freund, wenn wir das Tor hinter uns haben, folge mir. Ich führe uns zu einer Taverne, in der wir uns, am Abend in drei Tagen, wiedersehen werden…“
Sie handelten, wie beschlossen. Vor der Taverne trennten sich ihre Wege. Belletor wartete, bis Sexinius seinen Ritt durch die Menschenmassen fortsetze und blickte dem Verschwindenden, in Gedanken versunken, nach. Dann zupfte er am Zügel seines Pferdes und gab dem Tier eine andere Richtung.