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3. Intrigante Spiele

66 nach Christus - Herbst (7. December)

Imperium Romanum – Exercitus Germania Superior

Als Legat Verginius Rufus vor seinem Zelt eintraf, erwartete ihn dort der junge Hermundure.

„Danke, Herr!“ hörte der Legat Worte, deren Bedeutung er sofort begriff.

„Suche Gaurus und fordere ihn auf, bei mir zu erscheinen! Er soll seine Funktionen beim Mahl einem Anderen übergeben. Wir haben Wichtigeres zu tun!“

„Ja, Herr, sofort!“

Einem der Posten am Zelt befahl der Legat, den gefangenen Treverer Präfekt Tutor vorzuführen. Der Mann solle jedoch warten, bis Gaurus und Gerwin bei ihm eingetroffen wären. Der Legionär bezeugte verstanden zu haben und so trat der Legat ein, goss sich einen Pokal voller Wein und trank.

„Herr, dürfen wir eintreten?“

„Kommt schon und sucht euch einen Sitzplatz! Tut es, auch wenn ich stehe! Mich durchdringen im Augenblick zu viele Gedanken, als dass ich meinen Hintern zur Ruhe zwingen könnte…“

Es war nicht das erste Mal, dass Gerwin saß, während der Legat seine Füße voller Unruhe durch den Raum trieb.

Gaurus kannte diese Verfahrensweise jedoch nicht und scheute sich.

„Setz dich hin, Gaurus, du stehst im Wege!“ fauchte ihn dafür der Legat an und der Pilus Prior wich aus.

Die Lederwand am Eingang des Zeltes flog auf und von einem Tritt gesteuert, landete Tutor vor dem Tisch, hinter dem der Legat auf und ab schritt.

Der Präfekt erhob sich, klopfte den Schmutz von seiner Kleidung und wandte sich an den Legionär. „Verdammt, Milites, hier bin ich schon freundlicher behandelt worden…“

„… was offensichtlich ein Fehler war oder wie würdest du deinen neuerlichen Versuch bewerten, mich in das Reich der Toten zu senden…“ schnauzte ihn der Legat an.

„Wer behauptet, dass ich das wollte?“ raunzte der Treverer zurück und schien keineswegs verunsichert.

„Ich!“ erreichte ihn eine Stimme aus dem Hintergrund. Tutor schien diese Stimme schon mehrfach gehört zu haben.

„Na klar doch! Wie könnte es auch anders sein… Du bist doch immer der, der mir ein Bein stellt…“ Tutor blieb um eine Antwort nicht verlegen, während er sich langsam zu Gerwin umwandte.

„Weißt du verlogener Bastard, eines sonst stolzen Volkes der Treverer, dass ich dich hätte schon längst zu deinen Göttern schicken können…“ zwang sich Gerwin, in Ruhe zu verkünden.

„Warum tust du es dann nicht? Mir scheint, du brauchst mich noch einmal…“ Die Antwort des Präfekt ließ nicht lange auf sich warten.

„Wenn es darum geht, dein begrenztes Denken dafür auszunutzen, auch den nächsten Plan unseres Feindes vorher auszuspähen, könntest du recht haben… Oder meinst du, du bist mir nur dank eines Zufalls in die Hände gelaufen…“ Gerwin grinste den Kerl an.

„… was doch dein übersteigertes Selbstbewusstsein dir so alles vorgaukelt, Germane…“ grinste der Treverer zurück.

„Ach Treverer, du bist aber doch zu dämlich, um wahre Hintergründe auch nur im Ansatz zu erkennen… Ich bin stolz auf deine begrenzten Fähigkeiten, deinen Kopf zu gebrauchen…“

So beleidigt, schoss Tutor auf den noch immer sitzenden Gerwin zu. Weil er ohne jede Fessel war, schien sein Angriff von Erfolg zu künden. Doch dann lag er, in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit, mit weit gestreckten Armen auf dem Rücken und wusste nicht, welchem Umstand er diese neuerliche Schmähung verdankte.

„Früher schienst du mir besser in Form, Treverer!“ Der beißende Spott trieb den Präfekt zurück auf seine Beine.

„Sei dir sicher, einmal schlägt auch meine Stunde…“ fauchte Tutor den Hermunduren an.

„Ich freue mich schon darauf, denn diesen Moment werde ich genießen… Es sollte dann aber kein Zeitpunkt sein, wo ein Anderer…“ Gerwin nickte in die Richtung des Legats. „… seine Hände zum Schutz über dich legen könnte…“

Gerwin schmähte den Treverer mit Absicht. Er wusste, dass dessen Hass eine Anfeuerung für neue widerwärtige Taten war. Sollte dieser Treverer Präfekt ihnen noch einmal nützlich werden, brauchten sie zwei Dinge: Einmal musste der Treverer den Legat fürchten und zum Anderen ihn selbst hassen!

Beide Empfindungen würden Tutor erneut zur Unachtsamkeit verleiten, wenn es ihm auch diesmal gelang, die Zuneigung seines Statthalters im Exercitus Inferior aufrecht zu erhalten.

Tutor war bei Weitem nicht so dumm, wie ihn Gerwins Beleidigung hinstellte… Nur weil der Treverer bisher nicht wusste, woraus sich Gerwins Überlegenheit herleitete, nutzte der junge Hermundure diesen Vorteil weidlich aus und reizte den Gefangenen.

Der Legat und Gerwin aber waren sich in dem Punkt einig. Sie brauchten ihr Vorgehen auch nicht immer wieder neu abzustimmen, weil beide genau bedachten, welche Rolle ein jeder von ihnen in diesem Spiel der Täuschung und Verleitung auszufüllen hatte.

Nur Gaurus wusste dies nicht und so flog sein Kopf einmal in Gerwins und dann in Tutors Richtung und irgendwie empfand er, dass ihm wichtige Einzelheiten unbekannt waren. Wie sollte es auch anders sein?

Gaurus wusste nichts von ihren bisherigen Begegnungen und schon gar nichts vom Ausspähen an der Grenze zwischen den beiden römischen Territorien am Rhenus.

„Könnt ihr euer beiderseitiges Treiben etwas einschränken? Mir liegt nicht allzu viel an einer Feindschaft zwischen euch…“ warf der Legat zwischen die sich Reizenden.

„Herr, du kannst doch nicht Willens sein, diesen Halunken von einem Treverer noch einmal entweichen zu lassen…“ Gerwin erschien aufgebracht.

„Was schlägst du dann vor, Gerwin?“

„Binde ihm einen Strick um den Hals und lass den Kerl vom Carnifex so lange und so weit hochziehen, dass sich sein Hals streckt… Haucht der Kerl dann seinen letzten Zug aus, haben wir eine Ratte weniger in der Meute deiner Verfolger… Du solltest nicht vergessen, Scribonius Rufus Dank zu sagen, damit der weiß, welcher Dummheit seines treuen Hundes er den neuerlichen Fehlschlag verdankt… Vielleicht nimmt der Scribonius dann das Ende des Strickes in seine Hand und zieht so lange daran, bis dieser Treverer für immer zu Krähen aufhört…“

Das genau war der Augenblick, in dem Tutor seine erneute Gelegenheit wahrnahm, dem erwünschten Urteil des Germanen zu entgehen.

Er stürzte um den Tisch herum auf den Legat zu, kniete sich vor diesen und umfasste dessen Füße. In dem er auf unverkennbare Weise um dessen Schutz ersuchte, rief er: „Nein, Herr, nur dass nicht! Nicht zu den Brüdern! Noch einmal gelingt mir nicht, sie zu täuschen! Diesmal hängt mich selbst Rufus… Nichts und Niemand könnte und würde mir zur Seite stehen! Nein Herr, schick mich nicht zurück!“

In diesem Moment krachte des Legat Knie seitlich an den Kopf des Treverers, der sofort nach Hinten umkippte und in einer Umnachtung landete.

Tutor umfing die Schwärze einer flüchtigen Bewusstlosigkeit, die er sehr schnell abzuschütteln vermochte. An seine Ohren drangen Worte, die erst dröhnten, dann leiser wurden und letztlich fast sanft klangen.

„Meinst du nicht, dass der Kerl uns noch einmal nutzen könnte?“ vernahm Tutor des Legats Frage und stellte sich vorsichtshalber weiterhin bewusstlos.

„Was kann der Bursche schon für einen Nutzen bringen? Verlogen und feige, wie der Kerl ist… Du gewährst ihm erneut deine Gunst, Herr, und der Kerl entkommt zu Scribonius Rufus. Dort schmiedet er doch sofort einen neuen Plan, dich zur Strecke zu bringen. Unterbreitet er dies dem Statthalter, wird der doch umgehend zustimmen und erneut den Treverer beauftragen… Der Gauner fällt sofort wieder in die Gunst seines Herrn und du schwebst erneut in Gefahr…“ wagte Gerwin als Bedenken nachzuschieben.

„Aber Gerwin, erinnere dich…“ rief Verginius Rufus aus. „… Scribonius Proculus ist bereits aus dem Ringen raus. Den haben wir fest in der Hand. Begehrt dieser auf, landen die Geständnisse, die ich verwahre, sofort bei seinem Bruder… Ich kann mir nicht vorstellen, dass Scribonius Rufus ihm dann noch einmal verzeiht…“

„Das mag sein Heer, doch Tutor ist in einer Freiheit, die er nicht verdient und wem gibt er die Schuld an seinem Scheitern? Doch wohl dir und mir, Herr! Wem also gilt seine Aufmerksamkeit? Was glaubst du, wird der Kerl Scribonius Rufus wohl berichten…“

„Du bist aber auch wieder einmal begriffsstutzig, mein junger Hermundure…“ warf der Legat Gerwin an den Kopf.

„Wieso?“ Diese Antwort war von Überraschung und Verunsicherung getragen. Tutor spürte es deutlich.

„Es ist doch unser Vorteil, wenn Tutor den nächsten Angriff führt.“ belehrte der Legat.

„Seine Denkweise, sein Vorgehen kennen wir doch? Oder meinst du, der Kerl kann über seinen Schatten springen und plötzlich in einer Art vorgehen, die wir nicht vorauszusehen in der Lage sind? Pah, der Kerl ist doch ein Idiot… Wir geben ihm einen angeblichen Auftrag und schwören ihn erneut ein! Dann lassen wir ihn fliehen… Du bekommst das schon hin! Alles Andere läuft dann in unserem Sinne…“

„Herr, wenn der Kerl jedoch zum Fliehen zu dämlich ist… Dann dabei auch noch umkommen sollte?“

„Dann haben wir eine Sorge weniger und auch keinen Schaden, nur…“

„Herr, was meinst du?“ fragte Gerwin erneut, Unsicherheit spüren lassend.

„Scribonius Rufus würde in diesem Fall wohl einen anderen Mann beauftragen, uns zu Fall zu bringen… Will er die Macht am Rhenus, will er vielleicht auch noch das Imperium Gallicum, was ihm die Gallier mit der großen Zahl ihrer Krieger schmackhaft machten, dann muss er uns, speziell mich, beseitigen… Nimmt er einen Anderen für seine Pläne, wissen wir nicht wer der Kerl ist, was er für Fähigkeiten besitzt, welcher Mittel er sich bedienen würde und hätte vielleicht zu viele leichtere Ansätze… Bei Tutor wissen wir fast alles oder gibt es etwas, was uns entgangen sein könnte?“

Verginius Rufus zeigte eine Entschlossenheit und Überzeugung, die Gerwin vorgab, zu beeindrucken.

Noch immer lag Tutor zu des Legat Füßen und schien in seiner Ohnmacht vor Schmerz zu stöhnen.

„Herr, ich habe dennoch Bedenken…“ wagte Gerwin einen scheinbar letzten Vorstoß.

Der Legat merkte erneut auf und war geneigt, Gerwins Worte zu übergehen. Er sprühte Gift aus. „Gerwin, es reicht!“

„Herr und wenn er sich nun an meinen Stamm wendet? Das gleiche Spiel, das wir ihm angedeihen lassen, könnte er doch auch mit unserem Kriegsherzog umsetzen, wenn er mich dabei benutzt?“

Die Antwort war überraschtes Schweigen. Es verging Zeit.

„Pah, dafür ist der Kerl zu blöd! Da kommt der Treverer nie darauf…“ Der Legat lachte aus vollem Hals.

Des Legat Urteil war niederschmetternd, beleidigend und von den schon lange lauschenden Ohren des Treverers aufgenommen worden.

„Herr, es wird ihm leicht fallen, mich als Verräter meines Stammes hinzustellen und Gaidemar, der ohnehin schon in Zorn auf mich verfallen ist, zu einem Bündnis zu gewinnen… Schon zu lange verweile ich bei dir und habe sämtliche Aufforderungen zur Rückkehr verstreichen lassen, als dass mir mein früherer Pate je würde verzeihen können… Er wird glauben, ich verriet meinen Stamm für das glorreiche Leben bei dir, für den Luxus, den du mir bietest“

„Pah, Gerwin, Unsinn! Hole einen Eimer Wasser, damit wir den Kerl erwecken können… Nun geh schon!“ Verginius Rufus zeigte sich unwillig.

Gaurus saß vom Anfang bis Ende des Vorgangs still in seinem Korb und verfolgte das Vorgehen aufmerksam. Ihm war aufgrund mancher Mimik nicht verborgen geblieben, welches diabolische Spiel der Legat und der Hermundure trieben. Der Treverer dagegen konnte Gerwins Minenspiel nicht sehen, denn er lag mit dem Rücken zum Hermunduren und selbst wenn er, bei seiner Lage, ein Auge öffnen könnte, würde er nicht ohne das Drehen des Kopfes auch nur ein Lächeln des Legats, geschweige denn vom Hermunduren, einfangen können.

Auch der Treverer erkannte, dass manches, was seine Ohren vernahmen, ihm nicht geheuer erschienen. Das sie ihn als zu beschränkt erkannten, bekümmerte Tutor nicht. Die Empfehlung zur Flucht wollte er sich merken… Was er verstand war die Befürchtung, dass sich sein Statthalter eines neuen Mannes bedienen könnte, den diese verfluchten Hunde nicht kennen würden… Deshalb konnte er nachvollziehen, warum sie mit dem Angebot einer Flucht spielten…

Trotzdem ergab sich ein Widerspruch zwischen der Möglichkeit zur Flucht und den für ihn wichtig erscheinenden Hinweis auf des Hermunduren Paten. War da wirklich ein Mann, der Zorn auf den Hermunduren empfand? Stimmte diese Aussage, dann konnte er sich doch den Zorn des Mannes zu Nutze machen… Er merkte sich jede Einzelheit, nur warum erwähnten sie in seiner Anwesenheit diese Gefahr?

Tutor grübelte nur wenig darüber nach, sah er sich mit seiner Aufmerksamkeit doch für das Zuhören gebunden. Trotzdem begriff er, dass sie wirklich davon ausgingen, dass er noch immer bewusstlos war.

Eine Prüfung mittels eines Blickes, ob diese Vermutung stimmen könnte, schied aus. Also musste er den Worten vertrauen. In dem er glaubte, den Besinnungslosen bis zur Vollendung gespielt zu haben, immerhin erteilte der Legat den Auftrag, ihn mit Wasser zu wecken, gewann er die Überzeugung, sich bei den beiden Sprechern für die vielen Hinweise bedanken zu dürfen. Tutor grinste innerlich und war voller Vorfreude, dem Germanen eine Überraschung bescheren zu dürfen.

Dieser verdammte Hermundure schien auch eine Schwachstelle zu besitzen… Es sollte ihm doch wohl gelingen, seinen Statthalter erneut zu beeindrucken, ein völlig neuartiges Vorgehen zu unterbreiten und den nächsten Angriff, mit Hilfe des Stammes der Hermunduren, zum Erfolg zu führen…

Scribonius Proculus zeigte er sich besser nicht wieder… Er traute dem Bruder seines Herrn nicht mehr und sollte vielleicht auch dessen Tod mit berücksichtigen… Immerhin schien der Bruder in der Macht des Legat gefangen, was auch immer dieser denkt, zu besitzen… Aber nein, dies würde ihm Scribonius Rufus nie verzeihen… Nun denn, schloss er, bliebe nur noch das Entkommen… und wappnete sich auf die Überraschung eisig kalten Wassers. Er sollte auch dies noch hinnehmen, um die Kerle in absoluter Sicherheit zu wiegen…

Der Schwall erfasste ihn nicht unvorbereitet. Also sprang er nicht wütend auf, wie es sonst seinem Jähzorn entsprach, sondern rekelte sich, bis er aufschrak und sich irgendwie gehetzt, bis zumindest auf sein Knie anhob.

„Schön, dass du wieder unter uns weilst… Ich hatte dich wohl mit dem Knie am Kopf getroffen und ein kleines Unwohlsein herausgefordert… Dass du aber mehrere Augenblicke und kaltes Wasser brauchtest, um wieder aufzuwachen, kann ich mir nur schwerlich erklären…“ äußerte Verginius Rufus nachdenklich und voller Misstrauen.

Der Legat griff zu. Nicht zur Tunica des Mannes, sondern zum Hals und ergriff dessen Gurgel, woran er ihn auf die Beine zog.

„Ich werde wohl dem Rat meines jungen Hermunduren folgen… Du bist zu nichts mehr nütze und stellst eine Gefahr für mich dar! Knüpfe ich dich auf oder nagle ich dich ans Kreuz?“ Verginius Rufus gab sich unschlüssig.

„Von den Brüdern wird mir sicher kaum einer Gram sein… Bedenke ich unseren viel geliebten Kaiser, verleiht er mir für den Tod, eines solch verräterischen Hundes von Treverer, vielleicht noch eine Auszeichnung…“ Verginius Rufus holte Luft, besann sich kurz und setzte sein Schimpfen fort.

„Immerhin bist du der Bote des Verrates und willst Rom den Galliern zuschanzen… Oder was meinst du, wird der Vorschlag deines Imperium Gallicum, mit dem Übertrag zur Macht an mich, sonst bedeutet haben… Ich habe dich längst durchschaut, Präfekt vom Stamm der Treverer… Den Vorschlag hast du mir nur unterbreitet, weil ich dich schon am Hals gepackt hielt und du dein schäbiges Leben retten wolltest… Brachtest du diesen Vorschlag von deinen keltischen Freunden etwa zu Scribonius Rufus?“ Die Zusammenhänge schienen auf der Hand zu liegen. Deshalb nutzte Verginius Rufus seine Kenntnisse zur Verunsicherung des Präfekt.

„An dir ist nichts Römisches… Du bist ein Lügner, ein Verräter und scheust auch Eidbruch nicht… Lasse ich dich Laufen, plauderst du wohl möglicherweise über deine einstige Absicht, schmeichelst dich mit diesem Wissen erneut bei deinem Herrn ein… Nun, das muss wohl nicht sein… Was bevorzugst du, kreuzen oder hängen?“ Aus Verginius Rufus Mund troff Häme, Zorn und Verachtung.

„Du beschäftigst dich mit falschen Vorstellungen, Legat!“ fauchte der Präfekt.

„Du kannst mich nicht ans Kreuz nageln, denn ich bin römischer Bürger! Hast du das vergessen?“ entgegnete der Treverer mit Hohn in seiner Stimme. „Außerdem bin ich Präfekt Roms…“

„… und du vergisst, dass Verrat mit dem Tod bestraft wird… Was macht es schon, wenn der Richter auf Hängen oder den Gladius entscheidet, statt das Kreuz für dich verräterischen Hund zu bevorzugen…“

„Wache!“ rief er. „Bringt den Kerl weg, lasst euch nicht von dessen schneller Zunge bezirzen und wenn, nagle ich euch an das Kreuz! Wacht aufmerksam über den Kerl, sonst nehmt ihr dessen Platz bei der Hinrichtung ein! Geht!“

Der Legat stieß den Treverer erneut von sich und wandte sich ab. Er griff nach seinem Weinpokal und lauschte den Geräuschen, die das Wegbringen des Treverers begleiteten.

Gaurus begriff nichts mehr. Zu schnell wechselten Vermutungen, Vorwürfe, Erwiderungen, Anfeindungen, Andeutungen und Glaubhaftes zwischen den sich Streitenden. Nur eines Umstandes war er sich sicher. Nichts was er hörte, war mit den Minen von Gerwin und dem Legat vereinbar.

Das Schweigen im Zelt hielt an, bis plötzlich im Lager Lärm ausbrach.

„Herr, er ist fort!“ ließ sich Gerwin vernehmen.

„Dann hast du seine Fähigkeiten richtig eingeschätzt… Zwei Mann reichten nicht aus… Hoffen wir, dass unseren guten Burschen nicht mehr als ein paar Beulen bleiben…“

Der Zeltvorhang schob sich zur Seite und einer der Begleiter des Treverers tauchte auf.

„Herr, der Treverer ist geflohen!“ Die Faust des Mannes traf seine linke Brust.

Gaurus glaubte für einen Augenblick, dass sein Mann wohl jetzt den Platz des Geflohenen einnehmen dürfte..

„Wie ist es deinem Gefährten ergangen?“ fragte Verginius Rufus, Anteil nehmend.

„Herr, ein Schlag mit der Faust ins Gesicht und in den Nacken, mir einen Fußtritt in den Magen und der Kerl saß schon auf einem dort stehenden Pferd, bevor wir zu uns kamen…“

„Ich hoffe, es war kein zu guter Gaul, oder…“

„Nein Herr, der würde es nicht weit schaffen… Den Rest muss der Kerl dann wohl laufen…“

„Nun, mein wackerer Miles, dass wird nicht geschehen! Ein Mann wie der Präfekt Tutor weiß sich zu helfen… Aber ihr Beiden habt euch einen guten Becher verdient. Nimm also diese Karaffe und bringe sie mir wohlbehalten, aber leer zurück… Schick zuvor noch Decurio Arpatis zu mir…“

„Ja, Herr, sofort!“

Die Karaffe verschwand, mit der Hand an deren Griff, und kurz darauf meldete sich der gerufene Decurio.

„Herr, melde mich wie befohlen!“ schmetterte Arpatis und nahm eine auffassungsbereite Stellung ein.

„Wie viele Becher hast du schon in dir?“

„Zwei oder drei vielleicht…“

„Also mindestens doppelt so viele… Das ist gut!“ Verginius Rufus kratzte sich am Kopf. „Bedauerlicherweise ist der gefangene Treverer soeben entkommen… Traust du dir zu, den Kerl mit deinen Männern zu verfolgen?“

„Aber ja, Herr!“ Die Faust des Mannes flog auf dessen linke Brust.

„Na, nicht so schnell… Weißt du, ich habe dabei besondere Vorstellungen…“

„Herr, ich höre!“

„Ich hoffe, deine Männer waren noch etwas gieriger bei der Schlacht um das Weinfass… Also nimm sie mit, zeige ihnen, dass das unbändige Saufen nicht in deinem Sinne ist, ziehe lärmend durch das Unterholz und scheuche den Geflohenen. Er darf ruhig den Eindruck gewinnen, dass du es ernst meinst, aber im Grunde möchte ich, dass der Kerl rennt oder reitet, solange und schnell ihn dessen Füße tragen… Ich will also, dass der Kerl entkommt! Bekommst du das, mit deinen Säufern hin? Falls notwendig, nimm noch ein kleineres Fass mit… Nur pass auf, dass du bei diesem Spaß keinen Mann verlierst! Der verdammte Treverer ist gefährlich… Und nun troll dich, Decurio! Am Morgen sehe ich dich wieder…“

Der Legat trank erneut vom Wein in seinem Pokal.

„Nun Gerwin, wären mir diese beiden Trottel aus dem Tonlager recht…“ erklärte Verginius Rufus seine Bereitschaft für die bisherige Führung des Tonlagers.

„Gern, Herr!“ Gerwin verließ das Zelt.

„Herr…“ ließ sich Gaurus vernehmen. „… ich verstehe wohl nicht so ganz… Warum der ganze Aufwand?“

Verginius Rufus grinste den Pilus Prior vertraulich an.

„Gaurus, mein Lieber, in Rom nennt man das eine Intrige! Hier ist es einerseits ein Spaß, den wir uns gönnen… Andererseits ist es bittere Notwendigkeit, die da bedeutet: Beschäftige deinen Feind!“

„Herr, du lässt den Treverer entkommen obwohl du ihn hängen müsstest…“

„Nun, mein lieber Pilus Prior, der Kerl ist verbrannt, ein Lügner, ein Verräter und dennoch für Wert befunden, sich erneut bei seinem Herrn einschmeicheln zu dürfen…“ Der Legat lächelte hintergründig.

„Was wird er dort alles tun müssen, um sein erneutes Versagen zu vertuschen… Aber er wird es schaffen und dem Scribonius vorgaukeln, mich erneut piesacken zu können. Wir gaben ihm ein paar Hinweise, in welche Richtung er denken, ein paar schmerzliche Wahrheiten, die seinen Hass kitzeln sollten und wenn er tut, was wir ihm aufzeigten, wird er früher oder später erneut in unseren Händen landen…“ Verginius Rufus grinste den Pilus Prior an.

„Wie du vernommen hast, ist unser Statthalter in Mogontiacum bereits gezähmt, er grollt zwar und tobt, ist aber machtlos gestellt, ohne seine Position auch nur anzutasten… Er weiß was ihm droht, macht er nicht, was wir wollen…“ Verginius Rufus trank.

„Nur den anderen Statthalter, seinen Bruder, können wir noch nicht zügeln. Dieser spielt mit der Streitmacht der gallischen Stämme sowie dem Senat am Verrat Roms und unseres Kaisers… Meinst du, wir sollten dessen Treiben ruhig zusehen?“

Gaurus schien beunruhigt.

„Mit dem Zusehen ist das so eine Sache!“ Verginius Rufus war in einer Erklärungslust angekommen, die er nicht mehr zügeln wollte.

„Bleiben die Hände im Schoss, könnte das zu Ergebnissen führen, die uns überraschen… Also spielen wir ein wenig mit! Und dazu bedienen wir uns dieses durchaus klugen und ehrgeizigen Treverers, der nebenbei bemerkt, auch noch ein guter Zweikämpfer ist, nur eben gegen unseren jungen Hermunduren nicht bestehen kann…“

„Und Herr, welche Rolle spiele ich dabei?“ wagte Gaurus zu fragen.

„Nehmen wir einmal an, der Erfolg der letzten Unternehmung findet die Dankbarkeit deines Legat und dieser wankelmütige Schwätzer von Primus Pilus wird mit dem ersten Tag des neuen Jahres von mir verabschiedet…“ Der Legat beobachtete die Gesichtszüge seines Pilus Prior, der schnell begriff, was er mit seinen Worten andeutete.

„Was glaubst du, wer könnte dessen Nachfolger werden, wenn er auf diesen letzten Tagen nicht noch irgendwelchen Unsinn zulässt, in Zweifel verfällt oder gar falsche Entscheidungen trifft?“

In Gaurus jubelte ein innerlicher Schweinehund.

„Wäre es unter diesen Umständen nicht angezeigt, die Fronten zu begradigen, Freund und Feind zu benennen, Klarheit sowie Wissen zu vermitteln?“

„Herr, du ehrst mich mit deinem Vertrauen…“

„Gaurus, noch bist du nicht durch, aber immerhin kurz vor dem Ziel… Wie du sicher in deiner Erinnerung finden wirst, vertraue ich Männern und umgebe mich mit ihnen, wenn deren Treue, Zuverlässigkeit und Entschlossenheit dies als angeraten erscheinen lassen… Dann nehme ich auch mal in Kauf, länger an einem vertrauten Mann festzuhalten, als allgemein üblich! Falls ich aber ein faules Ei finden sollte, werfe ich dieses den Hunden zum Fraß vor. Ich bin mir da, auch mit meinem Kaiser, im Reinen, der mich irgendwann in dieses Nest von Schlangen setzte…“ Gaurus wirkte überrollt.

„Wenn ich hier des Kaisers Legat bin, dann auch deshalb, um zu gegebener Zeit diese Brüder derart an ihren Eiern zu packen und für einen Grund zu sorgen, der deren Ablösung bewirkt. Unser Kaiser Nero fürchtet jeden mit zu viel Macht! Diese beiden Brüder verdanken ihre Berufung in eine so wichtige Position, wie die eines Legatus Augusti pro Praetore, einer seiner jugendlichen Schwächen, die er heute gern ungeschehen machen würde…“

Gaurus starrte den Legat an, als könne er kaum glauben, was er hörte.

„Früher einmal bediente ich mich eines Vertrauten und glaubte, dass der Bruder genauso zu schätzen wäre… Jetzt suche ich mir meine Männer auf andere Art aus! Willst du dazu gehören, dann schweige, höre zu, lerne! Es ist nicht das Alter allein, was einen klugen Mann ausmacht… Deshalb rate ich dir, Gerwins Standpunkte nie zu missachten. Willst du noch wissen, wem ich vertraue, dann sieh dich in meinem Umfeld um…“

Gaurus war keinesfalls ein Dummkopf. Warum sollte er des Legat Zuneigung ablehnen? Aber so viele Wahrheiten, in einem unvorbereiteten Augenblick und auf einmal schlucken zu müssen, überstieg auch seine Fähigkeiten. Wenn also zu Mannigfaches einstürmte und dieser Prozess noch längst nicht beendet war, wie er eben, durch das Eintreten zweier älterer Centuriones bemerkte, musste die Prüfung Gehörten und Erlebten auf später verschoben werden. Wollte der Legat seine Aufmerksamkeit und seine Unterstützung, so würde er ihm auch in späterer Zeit noch Gelegenheit geben, Fragen zu stellen…

Gerwin saß schon wieder auf seinem Hocker, im Rücken der Vorgeführten.

Verginius Rufus musterte die Gebrachten. Er kannte sie Beide und erinnerte sich auch, wer ihm diese Männer einst empfahl.

„Herr, ich weiß nicht, warum ich hier in so unwürdiger Weise vorgeführt werde?“ wagte sich Comitianus zu äußern.

„Weil du ein Dummkopf bist und dich weitere Dummköpfe umgeben, wie der Alte neben dir… Hätte ich nicht so kluge Köpfe in meiner Umgebung, wären die ganzen Einnahmen des Tonlagers verloren gewesen… Was meinst du, hätte mir der Statthalter in Mogontiacum für das Versagen einen Orden erteilt?“

„Herr das Geld…“

„…war schon auf dem Weg in eines Anderen Schatztruhe und ich sollte dafür bluten… Mir scheint klüger, du besinnst dich und nimmst den sofortigen und unwiederbringlichen Abschied, verzichtest auf jedwede Zahlung, aus welchem Fond auch immer, oder ich zerre dich für dein Versagen vor ein Gericht. Glaube mir, mit den Zeugen, die ich für dein Versagen aufbringe, nagelt dich jeder an ein Kreuz… Was für dich gilt, steht auch dem Dummkopf neben dir zu!“

„Herr, du bist ungewöhnlich streng mit diesen doch einmal in Ehren dienenden Männern… Gibt es nicht einen besseren Weg, deren Versagen auszumerzen?“ ertönte aus dem Rücken die Stimme des Hermunduren.

„Du selbst brachtest mir diese Stronzo und nun bettelst du um die Milderung einer Bestrafung?“ fuhr der Legat den ungewünscht Sprechenden an.

„Herr ja, ich wage diesen Schritt… Waren diese Männer immer so oder gab es auch eine Zeit des Dienstes, in der diese Beiden von Wert waren, treu, selbstlos, tapfer und ehrlich?

„Jetzt sind sie das nicht mehr und wärst du nicht zur Stelle gewesen, dann fehlten uns jetzt beträchtliche Einnahmen… „

„Trotzdem Herr, löse sie in ihren Funktion ab, degradiere sie, aber entziehe ihnen nicht die Fondszahlungen. Zu lange haben sie den Kopf hingehalten. Ihr jetziges Versagen tilgt nicht unbedingt jeden Verdienst ihrer Vergangenheit…“ Der Hermundure schien sich zu bedenken.

Die beiden Vorgeführten hatten sich dem Germanen zugedreht und hingen an seinen Lippen.

„Lasse sie den Rest ihrer Zeit als die Niedrigsten im Tonlager verbringen…“ schlug der Hermundure vor. „… dort wo sie versagten, sollen sie zu Ende dienen. Es dürfte doch bei den Beiden nicht mehr so lange hin sein? Herr, gib ihnen ihre Rechte auf die Pension. Sie werden deinen Großmut gutheißen…“

„Stimmt das?“ fuhr Verginius Rufus die Männer an.

„Ja Herr!“ meldete sich der Centurio, dem einst die Wache unterstand.

„Und du, Comitianus?“

Der Legat sah, wie es im früheren Kommandant arbeitete. Was erwog der Kerl? Warum zögerte er? Sicher war Gerwins Vorschlag nur ein Manöver, das Comitianus aber keinesfalls durchschaute… Andererseits schien der Centurio etwas in der Hand zu haben, was ihn veranlasste, das Angebot misstrauisch zu beäugen.

Verginius Rufus Gedanken wurden durch Worte des Centurio unterbrochen. „Herr, ich habe nur Befehle befolgt!“

„Welche Befehle?“ fauchte der Legat.

„Ich sollte den Ufficiale Pagatore in den Carcer werfen und das befolgte ich!“

„Wer gab den Befehl?“ Der Legat war voller Zorn. Sein Kopf fuhr drohend in Richtung des Centurio vor, aus seinen Augen schossen Blitze, die den armen Mann durchstießen und seine Stimme dröhnte, als würden sich die Organe aller Götter vereint gegen den Centurio aufbäumen.

Der Centurio wich zurück.

„Comitianus…“ schlüpfte ein einziger Name leise, aber bestimmt, über des Mannes Lippen.

Verginius Rufus erstarrte und Gerwin, im Rücken der Centurionen, lächelte.

Gaurus Blick schweifte vom Hermunduren zurück zum Legat, der sich fast augenblicklich vollkommen entspannte.

„Dann Centurio, bist du raus aus dem Spiel! Geh! Du reitest am Morgen mit uns ins Tonlager! Stimmt, was du sagst, behältst du deinen Anspruch, deinen Rang und dienst deine Tage noch ab… Hast du mich aber belogen, dann…“

Verginius Rufus Blick schwenkte vom Centurio weg und heftete sich auf Comitianus.

Der Centurio der Wache grüßte und verließ schnellstens das Zelt.

Es kam, wie Gerwin es voraussah.

„Herr, auch ich habe nur Befehle befolgt!“ warf der Kommandant in die Schale des Zorns seines Vorgesetzten.

„Wessen Befehle?“ schnaufte Verginius Rufus und hastete von einer Seite des Zeltes zur Anderen.

„Der Präfekt wies ein Schreiben vor…“

„Mit wessen Unterschrift, von mir oder wem sonst?“

Comitianus spürte die nahende Welle neuen Zorns.

„Nein, Herr! Vom Statthalter…“

Der Legat stoppte seinen Marsch, wandte sich Comitianus zu und machte zwei bedrohliche Schritte auf den Mann zu.

„Wo ist das Schreiben?“

„Ich habe es nicht…“ So wie die Worte über seine Lippen schlüpften, begriff Centurio Comitianus seine eigene Dummheit. Mit dem Schreiben in der Hand könnte er seine Unschuld beweisen.

„Wer hat es dann?“ Die Frage kam ruhig, fast freundlich und Comitianus spürte die nahende Gefahr.

„Herr, ich glaube ich weiß, wer das Schreiben an sich nahm…“ ertönte die Stimme des Jüngeren in seinem Rücken.

„Wer?“ Aus dem Wort des Legat sprang eine Hoffnung, falls das Schreiben zu finden war… Comitianus atmete durch.

„Rufe den Mann!“ befahl Verginius Rufus unfreundlich.

Der junge Germane verließ das Zelt und kehrte mit einem Legionär zurück. Als der Ankömmling sich Comitianus zuwandte, erkannte der seinen früheren Optio Custodiarum.

„Sexinius, du hast ein Schreiben des Statthalters?“ fragte der Legat.

„Ja, Herr!“ Sexinius nestelte an seinem Hals und zog einen kleinen Beutel hervor. Er öffnete diesen, entnahm ihm eine Wachstafel, zwei Phalerae und ein Schriftstück. Die Wachstafel erkannte der Legat.

Das übergebene Dokument entfaltete er, prüfte das Siegel und las.

„Du kennst die Unterschrift…“

„… und auch das Siegel, Herr!“ unterbrach Sexinius den Legat.

„Wenn es vom Statthalter unterzeichnet ist, dann hat Comitianus tatsächlich nur einen Befehl befolgt…“ setzte der Legat an, seine Gedanken preis zu geben.

„… und der verlogene Präfekt wäre mit allen Einnahmen verschwunden.“ ergänzte des Legat Speculator.

„Aber nein, Sexinius! Diese wären dann eben auf diesem Weg beim Statthalter gelandet…“

„…und von dir, Herr, hätte er diese Einnahmen trotzdem abverlangt…“

Der Legat erwartete genau eine derartige Bemerkung und auch Comitianus begriff die Tragweite dieser Worte.

Der Legat wandte sich Comitianus zu.

„Siehst du Centurio… Mein treuer Speculator begriff die Hinterlist und durchschaute das Komplott. Er verhinderte jeden Schaden, den du hättest viel einfacher vermeiden können… Den Präfekt und dessen Begleiter zu ergreifen und in den Carcer zu stecken, wäre dir zugekommen… Du aber erstarrst vor einem Lügner und Verräter, wenn er sich nur mit genug Federn schmückt…“

„Er wies mir doch das Schreiben des Statthalters vor…“

„Aber sicher…, nur hättest du es besser prüfen und ein wenig mehr darüber nachdenken müssen… Oder weißt du etwa gar nicht, welche der Legionen dieses Tonlager betreibt? Sicher hast du vergessen, dass du aus der Legio XXII Primigenia stammst und demzufolge meiner Befehlsgewalt unterstehst, oder? Deshalb hätte ein solcher Befehl einzig von mir unterzeichnet werden können… Nur meine Unterschrift hätte dich berechtigt, die Einnahmen zu übergeben…“ Comitianus war wie von Donner und Blitz gleichzeitig getroffen.

Der Legat setzte, ohne die Absicht zur Schonung, unerbittlich nach.

„Der Plan aber sollte mich in Verruf bringen! Was meinst du, erwartete mich, müsste ich dem Statthalter gegenüber bekennen, dass die mir anvertrauten Gelder verloren gegangen wären? Er hätte sich, ob dieses gelungenen Streiches, gut auf meine Kosten belustigt und mir daraus den Strick gedreht, den er schon lange für mich vorsieht!“

Verginius Rufus war in erneuter Wut untergetaucht. Der Centurio stand vor ihm und begann zu zittern. Scheinbar schien die Angst sich seiner zu bemächtigen.

„Dein Glück ist es, dass dieser Mann…“ Der Legat nickte in Sexinius Richtung. „…so viel Geistesgegenwart besaß, den Auftritt des Präfekt zu durchschauen und so viel Mut aufbrachte, dem Präfekt seinen Vorteil wieder abzujagen! Somit entstand dem Lager und auch mir kein Verlust und das ist dein einziges Glück… Geh mir aus den Augen!“

Sich diesem Zorn zu widersetzen, war Centurio Comitianus nicht in der Lage. Er war ein schon zu alter, zu vertrauensseliger Trottel, der in seiner täglichen Verrichtung des Dienstes jedwede Gefahr übersah. Alt, träge und zu faul zum Nachdenken, war er der ideale Angriffspunkt.

Comitianus folgte der Aufforderung des Legat und wankte betroffen aus dem Zelt.

Verginius Rufus wusste, was er dagegen Gerwin verdankte. Der Hermundure deckte diesen perfiden Plan seines Feindes nicht nur auf, er ließ auch den Erfolg der Umsetzung durch zahlreiche Maßnahmen scheitern. Der Plan der Brüder Scribonius war in seiner gesamten Absicht misslungen. Wieder verdankte Verginius Rufus dem jungen Hermunduren einen Sieg, den er so allein niemals erreicht hätte…

Doch was sollte er mit einem Trottel wie diesem Comitianus anstellen? Als Kommandant war er nicht nur ungeeignet, sondern wie sich erwies, auch eine Gefahr. Sollte er ihn vor ein Gericht stellen? Die Mühe lohnte kaum… Centurio Comitianus war absolut unwichtig. Sollte er doch das Weite suchen, wenn er den Mut dafür aufbrachte… Wäre der Kerl am Morgen noch im Lager, würde er ihn mit zum Tonlager schleifen und dort den eigentlich betrogenen Männern überlassen…

„Nun Gerwin, bist du mit dem Verlauf zufrieden?“

„Herr, meine Wünsche sind doch eigentlich unwichtig… Du bist es, dessen Schutz ich betreibe und wenn die Frage bedeutet, ob wir unsere Feinde ausschalten konnten, stimme ich dir zu! Ja mehr noch, Herr, wir wissen auch, aus welchem Loch sie wieder hervor kriechen werden und es wird ein reines Vergnügen, die neue Falle zu errichten…“

Der Hermundure stand auf und griff sich wie selbstverständlich einen Pokal, füllte diesen mit Wein und Wasser. Er betrachtete die im Licht der Fackeln funkelnde Flüssigkeit.

„Herr, wir haben jetzt nur noch eine wichtige Sorge… Draußen warten fast sechzig Gefangene auf dein Urteil… Diese Entscheidung würde ich ungern treffen wollen…“ Er trank.

„Auch ich nicht, Gerwin…“ stimmte der Legat leise zu.

„Herr, was zögerst du, hänge sie auf!“ meldete sich Gaurus, der seine Gelegenheit wahrnahm, auch einen Beitrag erbringen zu dürfen.

„Nein Pilus Prior…“ übernahm Gerwin das Wort. „… es sind mutige, entschlossene Männer, die einem Befehl gehorchten… Täten sie dies nicht, wären sie Roms unwürdig… Führen sie den Befehl aber aus und unterliegen, was ja eintrat, haben sie deshalb gleich den Tod verdient?“

„Ich kannte dich bisher so nicht, Gerwin… Deine Messer und Hände sind doch sonst so schnell… Wieso kannst du dich mit dem Tod dieser Versager nicht abfinden?“ warf Gaurus ein.

„Weil nicht viel gefehlt hätte und dieses Schicksal wäre uns zu teil geworden… Ich weiß, keiner von denen hätte nur einen Augenblick gezögert, uns die Kehlen durchzuschneiden… Dennoch ist es sehr leicht ein Leben zu nehmen, aber weit aus schwerer aus einer Kindheit bis zum Manne zu reifen… Im Kampf den Tod zu bringen ist eine doch ganz andere Sache, als hier im Zelt einfach über das Leben Anderer zu urteilen und dabei an einem Pokal zu nippen…“ selbst Gerwin wurde sehr still und nachdenklich.

„Herr, dann schicke die Kerle doch zu Scribonius Rufus zurück und überlasse ihm den Rest… Er wird nicht zögern, den Versagern eine Rechnung aufzustellen…“ wieder meldete sich Gaurus.

„Ich danke dir für deinen Rat, Pilus Prior. Dennoch muss ich als Legat anders denken und auch handeln…“

„Herr, lass es mich unserem kühnen Pilus Prior erklären… Ich denke, er wird mir geduldig zuhören und letztlich zustimmen…“ schlug der Hermundure vor und der Legat nickte.

„Also Gaurus, zweifellos könnte der Legat die Gefangenen töten lassen… Es wäre weder grundsätzlich unmöglich, auch nicht ungewöhnlich und dennoch vollkommen falsch… Schickt er sie zurück zu Scribonius hätte dieser die Wahl, die Versager richten zu lassen… Eine Decimatio wäre durchaus angemessen und würde den Ehrgeiz der Übergangenen zweifellos anstacheln… Schickt der Statthalter diese dann erneut gegen uns, würden diese Männer nicht noch einmal aufgeben….“

Der Hermundure musterte den Pilus Prior und vergewisserte sich, dass dieser seinen Gedanken folgte.

„Senden wir die Gefangenen zurück, wir könnten sie einfach Scribonius Proculus übergeben, wüsste dessen Bruder Scribonius Rufus was geschehen war und lernt daraus… Er macht gleichartige Fehler niemals zweimal! Außerdem gewinnt er Gewissheit, die ihm gegenwärtig nur einer überbringen kann und dessen Aussage wird er vorerst anzweifeln… Dieser Zweifel bleibt, weil kein einziger Mann die Vorgänge und Tutors Schilderungen dazu bestätigen kann… Also muss sich unser Flüchtiger etwas eindringlicher bemühen und hätte noch zu Mal eine weitere Hürde zu überwinden…“

„Welche Hürde?“

„Er konnte fliehen… Kein einziger anderer Mann schaffte dies! Was meinst du, wird Scribonius Rufus denken?“

Gaurus verstand und nickte.

„Damit kommen wir zur dritten Möglichkeit im Umgang mit den Gefangenen und zu des Legat Bedenken. Wem schwört ein Legionär oder Auxiliar?“

„Auf Rom, den Kaiser und seine Legion…“

„Fast richtig, Pilus Prior! Haben sich diese Männer gegen Rom oder den Kaiser erhoben?“ Gerwins Vorgehen führte den eigentlich Erfahrenen von Erkenntnis zu Erkenntnis.

„Nein!“ Gaurus entschied sich.

„Es geht also nur um einen winzig kleinen Unterschied… die richtige Legion! Damit stellt sich die Frage, welcher der Gefangenen vorrangig Rom sowie dem Kaiser dienen möchte und welcher dem Statthalter oder auch einer bestimmten Legion den Vorzug gibt? Tötet Verginius Rufus die Gefangenen, kann ihm der Scribonius, aus eben dieser Lage heraus, einen Strick drehen… Das Zurücksenden schied, aus mehreren Gründen, doch wohl eindeutig aus… Was also bleibt?“

Gaurus zuckte die Schultern. Dann klarte sich sein Blick, er sprang auf und bekundete ein zorniges, entschiedenes „Nein!“

„Siehst du, Gaurus, du hast es begriffen…“ fügte der Legat lächelnd an.

„Herr, das kannst du nicht von mir verlangen…“ stotterte er überrascht und niedergeschlagen.

„Ich könnte!“ beschied ihm sein Legat. „Aber das wäre dumm von mir!“

Der Blick des Pilus Prior irrte zwischen dem Legat und Gerwin hin und her. Jetzt begriff er, warum er, vom Anfang an, der gesamten Vorstellung beiwohnte. Sie hatten ihn auf diese Entscheidung vorbereitet…

„Verehrter Gaurus, du bist ein sehr kluger und auch treuer Mann, nur musst du manchmal auch zu Einsichten geführt werden, die du zukünftig selbst erkennen solltest… Erinnere dich meiner Worte… Ganz so heftig kommt es jedoch nicht! Gäbe ich alle diese Kerle in deine Kohorte, wäre ich mir deren Schlagkraft nicht mehr vollständig bewusst… Also wirst du die Männer nach Mogontiacum bringen und gemeinsam mit Tremorinus auf alle Kohorten aufteilen. Dadurch spalten wir mögliche Allianzen auf und geben jedem Einzelnen die Gelegenheit, sich für Rom, für den Kaiser und auch mich zu entscheiden…“ Verginius Rufus strahlte seinen Unterstellten an. „Uns gelingt, mit diesem Vorgehen, eine weitere Täuschung des Scribonius.“ stellte der Legat mit Zufriedenheit fest.

„Welche?“

„Er wird keinen dieser Männer finden…“ warf Gerwin ein. „Scribonius Proculus kennt keinen dieser Auxiliaren. Centurionen oder Decurionen überlebten nicht und so sind es alles nur Milites… Keiner von denen ist römischer Bürger und kommt eigentlich nicht in den Genuss, ein Legionär zu werden… Also wird Scribonius Rufus dort auch nicht suchen!“ Gerwins Lächeln wirkte beruhigend auf Gaurus.

„Ich dagegen habe ein wirksames Mittel gegen jeden Einzelnen dieser Männer in der Hand! Diese aber nutzen mindestens zwei eigene, durchaus werthaltige Vorteile…“ nahm Verginius Rufus die Erklärung wieder in die eigenen Hände.

„Welche, Herr?“ Gaurus stellte erneut die richtige Frage.

„Sie leben und verdoppeln ihre Bezüge! Übrigens wirst du möglicherweise keinen einzigen dieser Männer behalten… Denn verfällt Scribonius Proculus auf einen Verdacht, wird er vielleicht als Erstes in deiner Kohorte suchen… Letztlich liegt doch nahe, dass du mit dem Verschwinden, der von dessen Bruder ausgeschickten Auxiliaren, im Zusammenhang stehen könntest…“

„Herr, glaubst du wirklich, jeden der Kerle in deine Absichten sicher einzubinden… Nur ein einziger Mann reicht aus, um dieses Spinnennetz zu zerfetzen!“ brachte Gaurus ein Bedenken ein.

„Das genau ist der Punkt, auf den wir unsere Bemühungen ausrichten müssen…“ warf Gerwin dazwischen.

„Herr…“ Gaurus wirkte unschlüssig. Er zweifelte.

„Begleite Gerwin und beobachte! Er wird dir sagen was er braucht, was du tun sollst und dann sehen wir weiter…“

Der Befehl war erteilt und so verließ Gerwin, von Gaurus gefolgt, das Zelt des Legat.

Die Legende vom Hermunduren

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