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4. Das Schicksal der Gefangenen

66 nach Christus - Herbst (7. December)

Imperium Romanum – Exercitus Germania Superior

Der Pilus Prior heftete sich an die Fersen des jungen Hermunduren. Ein Wink genügte und schon folgten den Beiden auch die vor dem Zelt wartenden Gefährten Gerwins.

Der Hermundure steuerte auf den die Bewachung der Gefangenen befehligenden Centurio Volusenus zu, der, als er seinen Pilus Prior erkannte, Meldung erstatten wollte. Gaurus winkte ab und so traten er und Gerwin, in aller Stille und ohne die Aufmerksamkeit der Gefangenen zu erregen, an den Bewacher heran.

„Wie lange bist du schon eingeteilt, Volusenus?“ fragte Gerwin ohne jedes Zögern.

Der Centurio grinste. „Die Ehre wurde mir zu teil, als wir mit der Bande fertig waren… Mein Pilus Prior meinte, ich sei mit meiner Centurie bestens geeignet und vergaß offensichtlich, dass auch Andere nach dieser Ehre streben könnten…“

„Volusenus, halt dein vorlautes Maul, sonst brumm ich dir noch ein anderes Vergnügen auf!“ raunzte ihn der Pilus Prior an.

„Ich finde das gut!“ drängte sich Gerwin in das Gespräch. „Komm Gaurus, beginnen wir unser Treiben…“ Er zog den verärgerten Mann mit.

Der erste im Weg befindliche Posten, der gleich vielen Anderen, mit voller Rüstung und Pilum, im Abstand von fast zwanzig Schritten den Pferch, in dem die Gefangenen zusammengetrieben herumlungerten, bewachte, war Gerwins Ziel.

„Miles, keine Meldung! Stell dich mit dem Rücken zu den Gefangenen und antworte leise auf meine Fragen!“ forderte der Hermundure den Legionär auf. Der Mann gehorchte.

„Wie lange stehst du schon hier? Sicher hast du diese Kerle beobachtet?“

„Seit dem Kampf immer wieder drei Stunden und nach einer Ruhe wieder drei Stunden und so fort… Ja, ich habe die Kerle beobachtet…“

„Was ist dir aufgefallen? Gibt es laut Schimpfende, rotten sie sich zusammen, gibt es Trennungen zwischen Teilen der Männer oder kannst du mir etwas über besonders widerspenstige Kerle erzählen? Doch höre, verrate dich nicht… Sie beobachten uns… Deshalb tritt jetzt neben mich, sieh zu den Gefangenen hinüber und beschreibe nur mit leisen Worten, was dir auffiel… Halte deine Hände und Arme still, sprich nicht laut und deute auch auf keinen Einzigen… Hast du verstanden?“

„Herr…“ wandte sich der Milites an Gaurus.

„Tue, was er dir sagt, oder bei deinen Eiern…“ Gaurus vermied die Fortsetzung und der Milites verstand. Er stellte sich neben Gerwin.

„Am Eingang, der Hüne ist ein Tungerer. Auch die etwa acht Männer neben ihm. Er brütet etwas aus… Seine Begleiter mischen sich unter die Übrigen, nur die Treverer übersehen sie, und kehren dann immer zu ihm zurück. Sie flüstern miteinander.“

„Welche Gruppe sind die Treverer?“

„Auf der anderen Seite, die etwa zwanzig Männer… Es sind viele noch sehr junge Burschen unter denen… Sie scheinen sich gegen etwas zu schützen… Im inneren Ring befinden sich Ältere. Die Jungen und etwas ältere Treverer verhindern, dass ich deren Anführer sehen kann.

„Gut weiter, Milites…“

„Dort in der hinteren Ecke, ganz zur linken Hand, die kleinere Gruppe, das scheinen Ubier zu sein… Der große Dürre führt das Wort. Er schimpft oft laut, zeigt Wut und Ungeduld, so scheint mir…“

„Schickt der auch Männer zu anderen Gruppen?“

„Nein! Als ihn einer der Tungerer aufsuchte, fielen laute Worte. Ich hörte ‚Feigling’ und ‚Stronzo’.“

„Und die Übrigen?“

„Alles Auxiliaren, Ängstliche, Verstockte, Gleichgültige und dann die Älteren, mit dem Graukopf… Der dort, ganz in der Ecke, an dem Pfahl lehnt.“ Der Milites überlegte, ob er eine andere Beobachtung anfügen sollte. „Das ist ein mutiger Mann…“ fügte er nachdenklich und nicht ohne Bewunderung an.

„Wieso?“ fragte Gerwin.

„Fing den Schlag eines Gladius mit der blanken linken Hand ab und tötete einen unserer Männer, bevor ein weiterer Milites ihn niederstrecken konnte… Seine Hand sieht schlimm aus…“

„Besser die Hand benutzt, als den Kopf oder die Schulter…“ warf Gerwin abfällig ein.

„Wenn es der eigene Kopf wäre… Es war aber der eines Gefährten…“

Gerwin stutzte. „Woher weißt…? Du warst doch noch gar nicht hier…“

„Mein Bruder dient unter Tiberius Arpatis… Er nahm den Auxiliar gefangen… Unter Brüdern spricht man über mutige Feinde…“

„Gut gemacht, Milites! Komm, Gaurus!“

Der Hermundure steuerte den nächsten Wächter an. Das gleiche Verfahren verfolgte er bei auch anderen Posten und verglich die Mitteilungen. Gerwin landete letztlich bei seinen Gefährten und dem Pilus Prior..

„Herr…“ sprach er Gaurus an, „… bleib bei Volusenus und behalte die Kerle im Auge… Viator, wir gehen hinein…“

„Nur wir vier?“

„Meinst du, die Kerle wären mehr Aufmerksamkeit wert?“

„Ich sehe da schon den Einen oder Anderen…“ knurrte der Graukopf.

„Dann seid eben wachsam! Vorwärts!“ entschied Gerwin.

Das Gatter wurde geöffnet.

Gerwin baute sich vor dem großen und breiten Tungerer auf. Er sah, dass der Mann blaue Augen besaß, größer und muskulöser als er selbst war und ihn gelassen anblickte.

„Was willst du, Germane?“ fragte der Tungerer.

„Mit dir reden!“ antwortete Gerwin in ruhigen Worten.

„Warum sollte ich mit dir reden wollen…“

„Vielleicht weil dich Neugier treibt, vielleicht weil das hier nicht so angenehm ist … Nässe, Kälte, Matsch, Hunger, Durst…“

„Was kannst du Kümmerling schon daran ändern?“ Der Tungerer änderte weder seine Haltung noch die Art zu sprechen. Gerwin spürte dessen lauern…

„Wo haben wir dich Prachtstück eigentlich erwischt, am Mons Vosegus oder am Rhenus…“ forderte der Hermundure den Anderen heraus.

Der Gefangene sah keinen Grund, darauf nicht zu antworten. Aber er blieb wortkarg. „Rhenus!“

„Dann weißt du sicher, wer den Angriff führte?“ forderte Gerwin den Mann heraus.

„Der große Sizilianer hinter dir!“ bekam er sofortige Antwort.

„Paratus, bist du seiner Meinung?“

„Nein, mein junger Freund…, denn du befahlst und ich drang vor…“

„Siehst du, Tungerer, man muss nicht unbedingt groß, kräftig und alt sein, um einen Kampf anzuführen…“

Der Tungerer stieß sich mit der Schulter vom Pfahl ab. Gerwin gewann seine volle Aufmerksamkeit.

„Warum sollten dir die Römer eine solche Macht übertragen? Außerdem dachte ich, sie hätten es nicht so sehr mit Chatten…“

„Du irrst, Tungerer, ich bin Hermundure! Das Andere, was du zu wissen begehrst, ist eine zu lange Geschichte, die ich auch nur guten Gefährten erzähle und da stehen wir beide noch sehr weit am Anfang… Also was ist? Kommst du mit mir?“

„Warum nicht, ich liebe Geschichten…“ Der Hüne betrachtete den Jüngeren eingehend, zuckte dann verstehend, aber dennoch verwundert mit der Schulter und glitt in seinen Gleichmut zurück..

„Dann geh durch das Gatter und warte dort auf mich!“ befahl Gerwin.

Der Hüne zwängte sich durch die um ihn Lagernden. Er durchquerte das Tor. Dort angekommen, drehte er sich zu den übrigen Gefangenen um, spreizte seine Beine, verschränkte seine Arme vor der Brust und wartete.

Gerwin nahm sich den großen dürren Ubier vor.

„Dir gefällt es in diesem Verschlag nicht, Ubier?“

„Was schert es dich? Ja, es stinkt nach Kelten, nach verlausten Tungerern und anderen Germanen, es ist kalt und nass! Außerdem haben wir Hunger…“

„Dann komm mit mir und wir werden sehen, wie wir an dem Zustand etwas ändern könnten…“ forderte ihn Gerwin auf.

„Geh Knabe oder schicke Männer, wenn dein Legat mit mir sprechen will…“

Gerwin lächelte den gut einen Kopf Größeren an, trat zwei Schritte auf den Mann zu und plötzlich, noch in sein Lächeln hinein, schossen dessen Hände vor, trafen am Kehlkopf, so dass der Kopf des Mannes nach hinten flog. Fast im gleichen Augenblick stieß die Faust des Jüngeren genau in das Dreieck unter dem Brustkorb. Der Ubier schrie vor Schmerz, japste nach Luft und sank dann zu Boden. Gerwin wartete.

Der Kerl erholte sich schnell. Als er sich auf seine Beine quälte, hörte er: „Noch einmal eine solche Frechheit von dir und du stehst nicht wieder auf!“ Ohne den Ubier aus den Augen zu lassen, raunte der Hermundure seinen Begleitern zu: „Paratus, sei so gut und stell den Kerl draußen neben den Tungerer… Pass aber auf, dass sich die Beiden nicht zerfleischen…“

Paratus trat an Gerwin vorbei, packte den Aufsässigen mit einer Hand im Genick und seiner anderen Pranke an der Schulter, und schob ihn in Richtung Tor. Obwohl einige der Ubier aufsprangen und gewillt schienen, sich für ihren Gefährten einzusetzen, belehrte sie das Schlagen auf Schilde, durch die sie bewachenden Legionäre.

Gerwin begab sich zu den Treverern.

„Wer kann für euch sprechen?“

„Warum?“

„Merke dir, Treverer, hier stelle ich die Fragen und du antwortest! Konntest du dir meine Frage merken oder soll ich sie noch einmal wiederholen?“

Gerwin verstand durchaus, dass jeder der Gefangenen sich nahezu wehrlos fühlte, sich einbrachte in Gruppierungen und an die Stärkeren hing. Erschien es notwendig, war jeder auch gewillt, diese Stärkeren zu beschützen.

Die Treverer waren sich der Aussichtslosigkeit ihrer Lage ganz besonders bewusst. Deshalb waren sie auch unter ihren bisherigen Gefährten vorsichtig und auf einen inneren Schutz ausgerichtet. Vielleicht hatte sich auch das Vorgehen der Auxiliaren gegen ihre Stammesbrüder am Mons Vosegus herumgesprochen?

Ein älterer Treverer schob sich an den äußeren Ring.

„Was willst du?“

„Komm mit und du erfährst es…“

„Gut, so soll es sein!“ Widerspruch regte sich, Hände griffen nach dem Mann und dennoch schüttelte er diese fast leicht ab. „Ruhe!“ gebot er. „Hier entscheide ich und ich gehe!“

„Wohin Germane?“

„Geh zum Pilus Prior und warte dort!“

„Danke!“ sagte der Treverer, der sofort begriff.

Waren sich Tungerer und Ubier auch feindlich gesinnt, würden sie vereint gegen den Treverer stehen. Das erkannt zu haben und dem Rechnung zu tragen, verdiente ein Wort…

Gerwin schob sich durch die den Graukopf umlagernden Gefangenen. Er sah Trostlosigkeit, Resignation und auch Zorn.

Der Mann mit der verletzten Hand entschloss sich, Gerwin entgegenzukommen. Der Hermundure sah den schmutzigen Verband an der verletzten Hand. „Wenn das nicht behandelt wird, stirbst du in den nächsten Tagen!“

Der Graukopf zuckte mit der Schulter.

„Du scheinst mir deren Achtung zu besitzen… Willst du sie ihrem Schicksal überlassen und dich in die Hell verdrücken? Das dürfte deinem Wesen widersprechen…“ sprach der Hermundure den Graukopf an.

„Was weißt du schon…“

„Gut, dass du danach fragst… Ist nicht so klug, einen Gladius im Schlag mit bloßer Hand aufhalten zu wollen… Andere haben schon dabei die Hand oder den Arm verloren… Aber auch der Dreck reicht schon aus, dir einen langen, langsamen, schmerzhaften und sinnlosen Tod zu bescheren… Also komm mit! Ich reinige deine Wunde, flicke deine Hand und dann reden wir…“

„Worüber?“

„Über dies und das…“

„Bleibt hier und wartet Jungs, ich bin bald zurück! Ach so, ihr könnt ja gar nicht weg…“ Der Graukopf folgte dem Hermunduren.

Als dieser das Gatter durchquert hatte, schlossen sich ihm die übrigen Wartenden an. Auch Viator, Sexinius und Paratus folgten…

Vor dem Zelt des Legat stoppte der Hermundure. „Sexinius, ich brauche sauberes Wasser, reichlich sauberen Stoff und von dir, Viator, deine Nadel und Faden…“

„Du willst doch wohl meine Nadel für diesen…“

„Doch Viator, genau das will und werde ich! Also los, gib schon her!“ unterbrach er seinen älteren Freund schroff. Es hätte ihn gewundert, wäre Viator freiwillig bereit gewesen… Dass er aber ablehnen könnte, schloss Gerwin aus.

„Du bist ein Germane? Von welchem Stamm? fragte Gerwin den Verletzten

„Usipeter!“

„Mit diesem Stamm hatte ich noch nie zu tun… Wo lebt ihr?

„Am Rhenus, fast an der Küste zum Oceanus Germanicus… Kennst du das?“

„Ja, war schon dort, aber in Gallien drüben, in Gesoriacum…“

„Unser Nachbar waren die Sugambrer…“ erklärte der Mann. „… bevor Rom sie umsiedelte.“ Der Usipeter versank in seinen Gedanken, bevor er den Faden des Gesprächs erneut aufnahm.

„Du bist noch so jung, kennst schon die halbe Welt und jetzt flickst du meine Hand… Auch darin scheinst du dich gut auszukennen… Außerdem sah ich dich den Angriff führen und dann wie ein Berserker unter uns fahren… Wer bist du? Welcher Stamm bringt solche Burschen hervor?“

Gerwin reinigte die Wunde, beseitigte Schmutz, schnitt angefaultes Fleisch weg, ließ die Wunde bluten und betrachtete sein Werk.

Der Usipeter zuckte mit keiner Wimper.

„Warum dienst du Rom?“ Gerwins Neugier war geweckt.

„Es ergab sich eben so…“ blieb der Usipeter zurückhaltend.

„Jetzt wird es etwas unangenehm… Die Nadel…“ erklärte der Jüngere, als ihn eine schroffe Stimme unterbrach.

„Wann wirst du endlich mit dem da fertig?“ fauchte der Ubier.

„Ach, du hast dich wieder erholt… Halt trotzdem dein Maul, sonst sorge ich dafür… Oder hast du schon wieder vergessen…“ erwiderte der Hermundure zornig.

„Kümmere dich nicht um den Ubier… Das ist ein Großmaul und außerdem hohl im Kopf…“ beschied ihm der Usipeter, als Gerwin die ersten Stiche ausführte.

„Ich weiß! Warum aber warst du in diesem Kampf?“

„So wie Andere auch… ein Befehl…“ erwiderte der Usipeter.

„Gehörst du zu einer Kohorte deines Stammes?“

„Nein! Mich trieb es in der Jugend ins Römische. Mir gefiel es und weil ich irgendwann dann doch Hunger hatte, las mich ein Decurio auf und schleppte mich zur Ala…“

„Welcher Ala?“

„Ala I Praetoria.“ gab der Usipeter Auskunft.

„Dort bliebst du?“ fragte Gerwin Anteil nehmend.

„Eigentlich wollte ich wieder weg… aber das schlug fehl. Also blieb ich…“

„Magst du Scribonius Rufus?“ Die Nadel vollführte ihr Werk und der Usipeter sprach mit ihm.

„Wer ist das?“ fragte der Auxiliar.

„Der Statthalter in deiner Provinz und der, der den Auftrag für diesen Angriff erteilte…“

„Habt nicht ihr uns angegriffen?“

„Na, ja, schon… Nur wozu wart ihr hier?“

Der Usipeter zuckte mit der Schulter und Gerwin stach dem Mann in den gesunden Teil der Hand.

„Ah, du scheinst doch Schmerz zu empfinden…“ stellte er befriedigt fest, als der Usipeter zuckte.

„Haben das nicht alle?“ fragte der Verletzte verwundert.

„Eher wohl nur fast alle… Ich begegnete schon einem Mann, der Schmerz nicht kannte…“

„Du bist ungewöhnlich…“ stellte der Usipeter fest.

„Scheint so…“ Gerwin betrachtete sein Werk, umwickelte die Hand mit sauberen Stoff und grinste den Usipeter an.

„Greif besser nicht in jeden Haufen… Übrigens das Blut verschließt die Wunde und deshalb ließ ich es erst laufen. Öffne den Verband nicht, entferne nicht das Blut. Die Wunde wird verschorfen und wenn du Glück hast, heilt sie, nur…“

„Was meinst du?“

„Bei dem Zustand der Hand wirst du deine Finger nie wieder bewegen können und auch nie wieder zugreifen können…“ erklärte Gerwin.

„Ich danke dir trotzdem…“ hörte er dann leise Worte.

Die Legende vom Hermunduren

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