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Оглавление5. Die Erinnerung
66 nach Christus - Herbst (7. December)
Imperium Romanum – Exercitus Germania Superior
Der Hermundure forderte die Wartenden zum Folgen auf und betrat das Zelt des Legat. Verginius Rufus stand, dem Eingang gegenüber, neben ihm Gaurus und vor ihnen ein Tisch.
Paratus, Viator und Sexinius bauten sich, mit gezogenem Gladius, zwischen den Männern und dem Ausgang auf.
Gerwin schritt an eine der Stirnseiten des Tisches.
„Das ist Lucius Verginius Rufus, Legat der Legio XXII Primigenia. Wem sagt dieser Name etwas?“
„Mir, Germane!“ meldete sich der Treverer.
„Wir hören…“
„Mehr gibt es nicht zu sagen…“ Der Treverer schwieg.
„Ihr kennt den Legatus Legionis gar nicht? Was macht ihr dann in diesem Gebiet?“
„Befehle ausführen…“ blaffte der Ubier.
„Welche?“ Gerwin ließ nicht locker. Er spürte die Lüge.
„Geh dorthin, hieß es und ich ging…“ blaffte der Ubier erneut.
„Kam dir nicht merkwürdig vor, dass dein Ziel weit von der Colonia Claudia Ara Agrippinensium entfernt lag? Sicher bist du auch über den Obrinkas gelangt und genau so ist dir bekannt, dass der Fluss die Grenze zwischen beiden Territorien bildet… Willst du mich also für Dumm verkaufen, Ubier, oder lügst du stets?“
„Germane, ich zerreiße dich in der Luft, wenn ich dir noch einmal begegnen sollte…“
„Du scheinst schnell zu vergessen, Ubier!“ Gerwin lächelte den Größeren nachsichtig an. „So also…, ihr wollt uns nicht verstehen…“ besann sich der junge Hermundure. „Dann frage ich eben anders. Ubier, wem hast du Treue geschworen?“ Gerwin sah, wie der Mann stutzte.
„Wie jeder Andere, auf Rom, den Kaiser und meinen Legat?“
„Wer von denen schickte dich hierher?“ schoss die Frage auf das Großmaul zu.
„Mein Legat! Was soll der Unsinn?“
„Wer ist dein Legat?“
„Publius Scribonius Rufus!“ Der Ubier grinste in die Runde.
Gerwin ließ ihm den scheinbaren Erfolg dieser Feststellung, die der Mann für klug hielt.
„Wer veranlasste dich zu diesem Abenteuer, Treverer?“ Gerwin wandte sich an den Älteren, aus deren Gruppierung.
„Präfekt Tutor!“
„Er ist dein Verwandter…“ warf Gerwin nebensächlich vor des Mannes Ohren.
„Woher weißt du?“
Gerwin überging die erstaunte Frage. „Ich nehme an, deine Begleiter sind von deiner Sippe?“ Der Treverer nickte.
„Dann entscheidest du, ob die Männer Leben oder Sterben…“
„Wie meinst du das, Germane?“ fragte der Ältere nach.
„Lass mir etwas Zeit, ich erkläre es dir noch…“
Der Hermundure drehte sich dem großen Tungerer zu.
„Tungerer, aus deinem Stamm kenne ich keinen einzigen Mann! Bisher begegnete ich noch keinem Krieger deiner Herkunft und weiß auch nicht, wo ihr lebt… Seid ihr Kelten?“
„Nein, wir kommen zwar vom anderen Ufer des Rhenus… Rom zwang uns einst zur Umsiedlung. Jetzt leben wir in einem Gebiet, dass ursprünglich Kelten gehörte…“
„Du dienst Rom, dem Kaiser und dem Präfekt deiner Kohorte?“
„Ja!“ folgte die erwartete Antwort.
Der Hermundure nickte sein Verständnis. „Wem gilt deine größte Treue?“ Gerwin blieb beharrlich.
„Ist das nicht das Gleiche?“ fragte der Tungerer.
„Kläre mich auf, Auxiliar…“ gab sich Gerwin unwissend.
„Ich sehe keinen Unterschied zwischen Rom, Kaiser und Präfekt…“
„Lass mich dir helfen…“ warf der Hermundure ein, um so ein besseres Verständnis seiner Frage zu erzielen. „Dienst du an erster Stelle Rom, fügt sich der Kaiser ein…“ Gerwin bot Zeit zum Erfassen seiner Gedanken an. „Dennoch könnte dein Präfekt aber dem Senat zugeneigt sein… Dienst du jedoch zuerst dem Kaiser, dann ist dein Einsatz für Rom gesichert… Gilt deine Treue aber deinem Präfekt, wird es zwar ein Dienst an Rom sein, ob am Kaiser oder aber am Senat, wissen nur die Götter… Siehst du, wie viele Möglichkeiten sich bieten?“ verkündete Gerwin nach einer kleineren Pause.
„Darüber dachte ich bisher nicht nach…“ gab der Tungerer zu. „Ich erhalte Befehle! Ich weiß nicht, ob der Befehl dem Wunsch des Kaisers entspricht und ich kenne auch den Unterschied zwischen Befehlen des Kaisers und vom Senat nicht…“
„Das leuchtet mir ein…“ Aus Gerwins Stimme drang Zufriedenheit an des Tungerer Ohr. „Dennoch behaupten Kaiser und Senat Rom zu dienen und trotzdem unterscheiden sich deren erteilte Befehle… Noch viel schlimmer ist die Lage unter den Statthaltern und Legaten… Zumeist weiß der Legionär nicht, von wem die Befehle kommen… Noch weit aus verwirrender ist es für einen Auxiliar, der die Neigung seines Präfekt kaum kennen wird… Hast du dich nicht gefragt, auf wen du im Exercitus Germania Superior lauerst, noch dazu in einem Hinterhalt?“
„Ich erhielt einen Befehl und setzte mich in Marsch… Woran erkenne ich, dass ich nicht mehr in dem Gebiet bin, in dem ich sein sollte?“
„Dein Vorgesetzter könnte es dir mitgeteilt haben… Er könnte auch das Ziel des Hinterhaltes benannt haben… Erzähle mir nicht, dass dir nicht ein einziges Gerücht zu Ohren gekommen wäre… In jedem Fall ergibt sich die Frage…“
„Welche Frage?“ unterbrach der Tungerer.
„… der Treue! Kaiser und Senat sind sich nicht einig und erzähle mir nicht, du wüsstest davon nichts!“
„Nun, vielleicht kennst du dich nicht gut genug in den römischen Legionen und bei den Auxiliaren aus…“ warf der Tungerer scharf ein.
„Ich lerne gern hinzu! Was also möchtest du mir beibringen?“ grinste Gerwin.
„Für den Miles oder Auxiliar gilt der Befehl und den hat er auszuführen!“
„Das ist mir durchaus bekannt!“ blaffte Gerwin zurück. „Dann aber erkläre mir, du kluger Tungerer, warum du und die Anderen in dieses Gebiet, welches nicht euer Gebiet ist, vordrangen, dort einen Hinterhalt legten und den Tod eines Legatus Legionis zum Ziel hatten? Gleich wer den Befehl erteilte, war das Ziel der Kommandeur einer Legion! Wieso legten Römer, ob Statthalter, Legat oder Präfekt, einem römischen Legatus Legionis einen Hinterhalt?“
„Das weiß ich doch nicht! Ich folge Befehlen!“ rief der Tungerer voller Entrüstung.
„Eben, das scheint mir auch so! Dennoch dürfte auch dir der Ort des Überfalls aufgefallen sein… Immerhin seid ihr nicht nur wenige Meilen marschiert…“
„Sollte ich mich gegen den Befehl auflehnen? Was forderst du von mir?“ Der Tungerer verlor seine Beherrschung.
„Ich will wissen, wem in erster Linie deine Treue gilt!“
„Das sagte ich dir bereits…“
„Aber noch immer hast du nicht begriffen!“ Gerwin gab den Mann noch nicht auf. „Soeben erklärtest du, den Unterschied zwischen Befehlen des Kaisers und des Senats nicht zu kennen… Sollte das stimmen, musst du ein nicht so heller Kopf sein…“
„Germane, sei vorsichtig…“ mahnte der weit Größere an.
„Du machst mir keine Angst, Tungerer! Ich bin schon mit anderen Kerlen fertig geworden… Um was ich mich bemühe, das wird deine Zukunft sein… Entweder Kopf ab, oder…“ Gerwin vollführte die allen bekannte Handbewegung am Hals und ließ dann das Ende seiner Worte zögernd ausklingen.
„Wenn dir an meinem Kopf liegt, du mich jedoch gleichzeitig als Dummkopf wertest, verstehe ich den Zweck deiner Bemühungen nicht…“ schimpfte der Tungerer.
„Mir geht es um deine Treue und deine Ehre! Kam der Befehl für den Hinterhalt vom Kaiser zu deinem Legat, so folgte darauf der Befehl zum Marsch für dich, sowie deine Gefährten… Ihr zieht in ein fremdes Territorium und legt einen Hinterhalt für einen Legatus Legionis Roms, um diesen zu töten… Erzähle mir nicht, dass dir das fremde Gebiet nicht aufgefallen wäre… Du bist Tungerer, dein Stamm lebte einst fast dort, wo sich die beiden römischen Territorien treffen. Ich glaube, dir ist der Obrinkas durchaus als Grenzfluss ein Begriff… Erkläre nicht, vom Hinterhalt nichts gewusst zu haben und versuche mich nicht für dumm zu verkaufen, welchem Legat die Falle diente… Alles das habt ihr alle gewusst!“ Gerwin holte Luft. Seine Augen ließen den Tungerer nicht los.
Der wiederum empfand den Blick des Jüngeren wie eine Fessel, der er nicht zu entfliehen vermochte.
„Nun sage mir Tungerer, wäre der Befehl des Kaisers an deinen Legat zur Tötung eines seiner Legatus Legionis nicht ein Widerspruch…“ Der junge Hermundure überraschte den Auxiliar mit der entscheidenden Wendung im Streit.
„Er könnte den Mann doch einfach abberufen? Hier besitzt der Kaiser die Macht über die Legionen… Warum sollte der Kaiser aber ausgerechnet den Legat ermorden lassen, der hier am Rhenus dessen größtes Vertrauen besitzt?“
„Woher soll ich das wissen…“ warf der Tungerer ein und starrte den Fragenden voller Wut an..
„Deshalb meine Frage nach Ehre und Treue… Gilt deine Treue zuerst deinem Legat, dann weiß ich, was ich zu tun habe… Scribonius Rufus ist kein meinem Legat zugeneigter Mann…“ bot der Hermundure Aufklärung an. Gerwins Stimme war leise und eisig.
„Billigst du die Absicht des Senats, meinen Legat aus dem Weg zu räumen, damit der Kaiser seine Macht in den Legionen am Rhenus verliert, ziehe ich den gleichen Schluss…“ Jetzt gab Gerwin dem Tungerer Zeit zum Begreifen des Widerspruchs.
„Sollte deine Treue aber in erster Linie dem Kaiser oder gar Rom selbst gehören, erwartet dich ein ganz anderes Schicksal…“
Gerwin lauerte. Er sah das Zögern des Tungerer. Dessen Kopf arbeitete und es schien ihn zu verwirren, zwischen dem Kaiser, Rom, dem Senat und seinem Legat oder Präfekt Klarheiten zu erkennen.
„Also noch einmal die Frage, wem gilt deine Treue? Ich will dir etwas helfen…“ bot der Hermundure an und grinste den Größeren an. „Sicher hältst du dich für einen ehrenhaften Mann?“
Scheinbar überrumpelt nickte der Tungerer. „Du fragst, ob ich Ehre besitze oder ein Schuft bin?“
Diesmal war es am Hermunduren, seine Zustimmung zu nicken.
„Welcher Schuft würde behaupten keine Ehre zu besitzen? Zumal, wenn sein Leben von seiner Behauptung abhängt… Glaub doch, was du möchtest…“ Der Tungerer schien nicht gewillt, mehr Fragen zu beantworten.
Der junge Hermundure gab nicht auf. Er blieb beharrlich und führte, drängte und zwang seine Fragen auch weiterhin zu beantworten.
„Gut! Wüsstest du, dass der Senat hinter dem Befehl an deinen Legat steckte, wärst du dann marschiert?“
„Ich befolge jeden Befehl meines Vorgesetzten!“ begehrte der Tungerer auf.
„Also besitzt du Ehre!“ schlug Gerwin zu. Der Tungerer starrte ihn ungläubig an.
„Deine Ehre äußert sich in der Befolgung des Befehls, den dir dein Vorgesetzter erteilte… Bist du also Schuld daran, wenn durch deinen Kampf ein Legat stirbt?“
Ein Lächeln zog in das Antlitz des Größeren. „Wenn du so fragst, sicher nicht…“ gab er dann vorsichtig zu.
„Also, deine Ehre ist es nicht, die ich bewerte! Denn du bist, wenn du dem Befehl folgst, ein ehrenhafter Mann… Wem aber gilt vorrangig deine Treue, Tungerer?“
Der Mann schien zu begreifen, dass seine Ehre unangetastet blieb, aber das Bekenntnis seiner Treue seine Zukunft bestimmen könnte… Doch wie sollte er sich entscheiden, wenn er nicht begriff, wo sich der entscheidende Unterschied verbarg… Der Tungerer schien nicht in der Lage zu sein, das Geflecht der Macht zerschneiden zu können und erfasste nicht, dass der Kaiser und der Senat unterschiedliche Interessen verfolgten. Genauso wenig erschloss sich ihm, dass Statthalter, Legatus Legionis oder Präfekte in diesem Gespinst nur eine ihnen zugeordnete Rolle spielten… Verstießen sie dagegen, war deren Leben auch kaum von Wert. Diese Männer bluteten genauso wie jeder einen Befehl verweigernde Milites oder Auxiliar…
„Also, entscheide dich! Wem gilt an erster Stelle deine Treue…“ Gerwin ließ nicht locker.
„Mein Eid gilt zuerst Rom, dann dem Kaiser und dann meinem Präfekt!“ entschied der Tungerer. „Dennoch…“ Der Tungerer zögerte. „Ist der Senat nicht Rom?“
Diese Frage brachte sie an den Ausgangspunkt zurück.
Gerwin spürte die sich ausbreitende Unsicherheit im Zelt. So einfach schien sich dieser Widerspruch doch nicht aufzulösen… Rom, Kaiser und Senat sollten eine Einheit bilden, die es aber nicht gab!
Auch Verginius Rufus war in der Beantwortung scheinbar befangen. Er war des Kaisers Mann, ehrte aber den Senat und diente Rom.
„Tungerer, wer befiehlt in den Legionen Roms am Rhenus?“
„Kaiser Nero!“ Die Antwort kam sofort.
„Wo aber bleibt dann der Senat?“ schlug der kluge Hermundure unerbittlich nach. Diese Feststellung entschied alle aufgekommenen Zweifel.
Gerwin war nicht so ganz unzufrieden mit den Reaktionen der Gefangenen. Sie erklärten ihm durch Gesten, durch Zorn, Abweisung und auch verhaltene Wut ihre Empfindungen. Dadurch erkannte er die Stellen im Wesen der Männer, die seinerseits einen Angriff erlaubten.
Auch wenn er den Tungerer mit seinen Fragen quälte, beobachtete er die Reaktionen der Übrigen.
„Der Legat besitzt drei Möglichkeiten, mit euch allen zu verfahren…“
Gerwin nahm seine Erklärungen erneut auf. Er zwang die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Er tötet euch alle! Tote können niemand mehr bedrohen…“ Der Hermundure wartete auf Regungen, die aber ausblieben.
„Oder er schickt euch zurück zu dem, der den Befehl erteilte… Dort könnte euch, für euer Versagen, der Tod drohen, euch eine Decimatio erwarten oder ein erneuter Auftrag mit gleichem Ziel…“ Auch diese Ankündigung verleitete nicht zu einer Regung.
„Im letzteren Fall begegnen wir uns wieder… Auch das könnte erneut für euch übel ausgehen…“ schloss der Hermundure seine Erklärung.
„Aber auch für dich, Germane! Bekomme ich dich in die Finger, bist du geliefert…“ sah sich der Ubier veranlasst, den Hermunduren anzugreifen.
„Siehst du Ubier, das macht dich nicht unbedingt zu meinem Freund… Sofern ich mich richtig erinnere, begegnete ich schon einmal einem Ubier, der sehr wenig Geist im Kopf hatte und glaubte, er könnte mich besiegen… Seinem Vorbild zu folgen, wäre nicht sehr erstrebenswert… Er verrottet irgendwo!“
„Auch dafür werde ich dich holen!“ brauste der von sich überzeugte Ubier auf. Gerwin winkte einfach ab. Er tauschte dafür einen Blick mit seinem Legat.
„Ist Tutor dein Sohn, Treverer?“
Die Frage kam so unerwartet, dass das Kopfschütteln des Mannes unbewusst und vor jeder durchdachten Antwort erfolgte.
„Also nicht dein Sohn und dennoch bist du hier… Was versprach er dir?“
„Kämpfe ich hier und siege, wird nie wieder in meiner Sippe ein Aufgebot eingefordert…“
„Wer gab das Versprechen?
„Tutor!“
„Glaubst du, dass Tutor dieses Versprechen im Namen Roms machte?“
Der Treverer stutzte. Bisher war er von Tutors Macht und Ansehen überzeugt. Er fand, Rom schuldete seinem Neffen etwas und nahm deshalb dessen Wort als Wahrheit hin…
„Tutor ist ein Lügner, ein Eidbrecher, ein Lump und Verräter!“ zählte der Hermundure auf. „Warum folgtest du seinem Versprechen?“
„Er ist der Sohn einer Schwester… und er genießt in unseren Sippen hohes Ansehen…“ Der Hermundure wechselte erneut einen Blick mit seinem Legat.
„Geh, Treverer! Sexinius bring ihn zurück zu den Anderen… Er ist ohne Nutzen für uns…“ Sexinius ergriff den Arm des Mannes und dieser ließ sich willig führen.
„Kommen wir auf euch Andere zurück…“ nahm der Hermundure den losen Faden wieder auf.
„Wem galt in erster Linie euer Schwur als Auxiliar?“ setzte er fort.
Die Gefangenen starrten ihn an. Der Ubier wollte schon aufbrausen, als Gerwin seinen Arm hob.
„Du, Ubier, solltest genau überlegen, was du verkündest… Dein bisheriger Weg deutet auf eine Grube im Wald der Nemeter hin… Du wirst, nach einem kurzen Schnitt, davon zwar nichts mehr in deinem ohnehin leeren Kopf behalten…, aber wenn der letzte Tropfen deines Blutes im Wald versickerte, bist du auch schon vergessen…“
Besonders der letzte Teil der Mitteilung war dazu angetan, den Zorn des Mannes zum Ausbrechen zu bringen. Das ‚Vergessen werden’ lockte einen zu stolzen Mann heraus, sich zu öffnen.
Der Hermundure sah diesen Zorn, dessen Überheblichkeit und war sich noch immer nicht im Klaren, ob der Ubier ein einfacher Dummkopf war oder auch nur den Eindruck zu hinterlassen wünschte…
Einen Dummkopf, ein Großmaul nahm eigentlich keiner ernst, wenn dessen Poltern, ein gelegentlicher Widerspruch oder dauerndes Schimpfen, ohne Handlungen abliefen… Dem Ubier aber folgten Männer! Diese Tatsache musste einen Grund besitzen… Welcher Auxiliar folgte, in einer scheinbar ausweglosen Lage, einem eigentlich offensichtlichem Dummkopf, wenn er sich an andere und bessere Männer hängen konnte? Fast die gleiche Frage stellte sich Gerwin bezüglich des großen Tungerer, der noch dazu für seine Gefolgschaft Anhänger suchte. Ein Tungerer würde doch niemals zu einem Ubier Kontakt aufnehmen und ihn zur Gefolgschaft auffordern… Was also lief zwischen den beiden Männern falsch?
Gerwin wusste, dass er sich erst zu diesen beiden Anführern Klarheit verschaffen musste, bevor er sich der Rolle des Usipeter widmen konnte… Noch immer fehlte ihm ein eindeutiges Bekenntnis des Tungerer. Der Eid des Mannes stellte nur eine erzwungene Formel dar, dessen Treuebekenntnis aber war bei Weitem noch nicht vollständig ergründet…
„Was ist nun, Tungerer, welcher Teil des Schwurs leitet dein Handeln? Rom, der Kaiser oder der Statthalter?“ Weil diese Frage unvermittelt auf den großen Tungerer zuschoss, forderte sie zum Bekenntnis heraus.
„Was schert mich Rom, der tanzende Kaiser dort oder dieser Stronzo von Statthalter, den ich nicht einmal kenne, obwohl der mir vor der Nase hockt? Mein Fürst sagte: Diene Rom! Also tue ich das!“ entschied sich der Tungerer und nannte einen weiteren Einfluss.
Gerwin griff dessen Argument sofort auf. Er spürte, dass sich dieses Gespräch auf ein Ziel zu bewegte. „Was würde dein Fürst sagen, dientest du Rom nicht mehr dort, wo du es bisher machtest?“
Der Tungerer dachte einen Augenblick nach. „Dazu sagte er nichts…“ kam es dann zögerlich über die Lippen.
„Sind die Männer um dich herum alles Tungerer?“
Der Mann war noch immer in seinen Überlegungen untergetaucht. Deshalb stellte Gerwin die gleiche Frage noch einmal.
„Was…? Wie…? Nein!“ ließ sich der Größere überrascht vernehmen. „Einige kommen aus anderen Stämmen, welche die ich nicht einmal kenne… Was bedeutet deine Frage?“ fand er wieder zu sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Fragenden.
„Warum sendest du Männer zu den anderen Gruppierungen?“
„Habe ich nicht… Außerdem sind wir doch alle nur Gefangene… Warum sollte ich Männer herumschicken?“ langsam begriff der Tungerer den Hintergrund der Frage.
„Höre, wer immer du auch bist…“ Plötzlich unterbrach sich der Tungerer und wandte sich an den Legat.
„Herr, ich diene Rom, weil es mein Fürst so will, ob in Rom, hier bei dir oder in Britannia… Natürlich ist es in der Nähe der Heimat am Besten… Doch es ist mir gleich! Ein Befehl zwang mich in dieses Lager und die Überlegenheit deiner Legionäre machte mich zu einem Gefangenen…“ Der Hüne zeigte keine Angst oder Zweifel, noch Unterwürfigkeit. Er war stolz auf seine Herkunft, auf seine Verdienste und strebte auch in seiner Lage nach Achtung. „An mir siehst du zwei Phalerae, was wohl davon zeugt, dass ich nicht zu denen gehöre, die zu rennen beginnen, wenn sie den Schrei des Feindes vernehmen… Doch was nutzt mir mein früheres Glück jetzt, wo ich unterlegen bin? Schick mich zurück und ich werde sicher nicht zu denen gehören, die einer Decimatio unterliegen… Wer lässt schon einen tapferen Mann, allein durch ein unglückliches Los sterben, wenn er es verhindern kann? Schickst du mich zurück, werden wir uns noch einmal begegnen müssen, denn daran glaube ich fest…“
„Ich bin es, Tungerer, den du überzeugen musst, nicht den Legat…“ schnauzte Gerwin den Tungerer an. „Mein Legat sieht in euch allen nur Befehlsempfänger und spricht euch von der Schuld frei, ihn töten zu wollen… Tutor brachte euch hierher, ein Treverer und treuer Hund des Scribonius Rufus, eures Statthalters… Er will den Tod meines Legat, ihr seid nur das Werkzeug dafür und weil ein Anschlag allein von Straßenräubern einst fehlschlug, wählte er diesmal erfahrene und tapfere Männer…“
Der ausgesprochene Vorwurf, die fast gleichzeitige Entschuldigung, sowie das Lob der Tapferkeit verwirrten. Unvermittelt schoss des Hermunduren nächste Frage auf den Ubier zu.
„Hast du auch einen Fürst, hinter dem du dich verstecken kannst?“ Gerwins Grinsen wirkte. „Ach nein, woher sollte so ein Hohlkopf wie du es verstehen, sich eines Vorwandes zu bedienen? Spricht doch deine Zunge aus, was dein Kopf noch gar nicht begriffen hat…“
Der Hieb saß. Die Zunge sprach, ohne das der Kopf diese sich widersprechenden Worte richtig verarbeitete. Es war die Beleidigung in der Herausforderung, die Unbedachtheit bewirkte.
„Dein Legat ist ein Schlappschwanz, Junge! Wer lässt schon ein Kind sprechen und hört nur zu… Wo war dein Legat, als der Lärm des Kampfes tobte… Ich sah ihn nicht…“ höhnte der Ubier. „Mein Herr liebt den Klang klirrenden Eisens… sucht den Kampf und versteckt sich nicht!“
Plötzlich schwenkte der Ubier zum Tungerer herum.
„Du prahlst mit deinen Phalerae… Ich habe noch weit Anderes in meinem Besitz… Was hältst du von Ohren? Es werden wohl auch einige von feigen Tungerern darunter sein…“
„Du… ubischer Hund…“ fauchte der Tungerer und machte Front gegen den Ubier.
„Besser, Tungerer, du lässt die Kränkung über dich hinweg gleiten, denn sonst müsste ich dich mit dem Gladius…“ Viator schwieg, die Spitze seiner Waffe saß am Hals des Tungerer.
„Sieh es einmal so…“ setzte Viator dann, als er sah, dass der Große begriff, fort: „Ich steche dich ab oder lasse zu, dass du dem verlogenen Ubier deine Faust in die Schnauze schmetterst… In jedem Fall gibt es Verwirrung, die der Kerl nutzen möchte… sicherlich jetzt auch muss, weil ihn seine zu schnelle Zunge in eine brenzlige Lage brachte… Was glaubst du, wäre schneller, mein Gladius oder deine Faust…“ Viator grinste den Tungerer an. „Na, du scheinst es zu begreifen… Du wärst verblutet und der Kerl hätte diesen Vorteil genutzt. Na gut, weit wäre er nicht gekommen… Mein junger Freund hätte ihn sich geholt, aber du wärst hinüber…“ Viator zuckte bedauernd mit der Schulter, trat erneut hinter den Tungerer und schwieg.
Gerwin stand noch immer vor dem Ubier und grinste diesen an. „Du liebst deinen Herrn? Du kennst ihn doch gar nicht… Du Großmaul…“ lockte er den Kerl weiter heraus. Und plötzlich blitzte in ihm eine Erinnerung auf. Wald, Berg, Dickicht, Kratzer. Er hatte den Ubier schon einmal gesehen, was ihn nicht hinderte, den Pflock tiefer ins Fleisch zu wuchten. „Was aus dir spricht, ist die Dummheit und Überheblichkeit eines Ubier, wie ich sie schon kenne…“ Gerwins Grinsen schien in sein Antlitz gemeißelt.
„Du Wurm… Dich zertrete ich, wenn ich dir ein zweites Mal begegne!“ Die ganze Aufschneiderei, die den Ubier bisher kennzeichnete, seine Widerborstigkeit, sein Toben und Zetern wich von dem Gefangenen. Kein Schimpfen, kein Prahlen, kein Aufschneiden mehr… Der Ubier war aus seiner bisherigen Rolle geschlüpft. Ruhig, gelassen und aufmerksam verfolgte der Mann jede Bewegung. Jetzt war er bereit, jedem Angriff zu entsprechen.
„Hast aber lange gebraucht, deine Maske fallen zu lassen… Übrigens lügst du schon wieder… Dies ist bereits unsere zweite Begegnung… Fast hätte ich dich nicht erkannt unter dem Dreck und Blut…“
Gerwin schwieg, dachte kurz nach und setzte dann fort: „… was ich jedoch noch nicht so recht durchschaue ist, ob ihr Beiden, du und der Tungerer, nicht ein abgesprochenes Spiel mit uns treibt? Du forderst heraus, du lockst und er schlägt zu… Nicht nur hier im Zelt… Was, wenn euer Hass aufeinander nur gespielt ist, damit einer von euch die Verwirrung zur Flucht nutzen kann?“
Gerwins Worte bewirkten unterschiedliche Gesten.
Der Tungerer wich seitwärts vom Ubier ab.
Der Ubier aber lachte in seiner scheinbaren Überlegenheit.
„Siehst du Tungerer, er fürchtet uns beide! Wir hatten einfach Pech, auf so einen schlauen Kerl zu treffen… Der Bursche durchschaut uns! Der ganze Unsinn der Absprache brachte nichts… Stell dir vor, du hättest mich am Kinn getroffen… Einer von uns wäre sicherlich entkommen… Scribonius Rufus wüsste was geschehen war und könnte recht bald einen neuen Schlag führen… Der Treverer Tutor war schon beim letzten Mal ein Versager, nur wollte unser Herr davon nichts wissen… Schade, mich werden sie wohl hier behalten… Wie er schon sagte, ein kleiner Schnitt am Hals und eine Grube im Wald…“
„Ja, Ubier, sehr unangenehm für dich und weil du ohne mich nicht auskommen kannst, zerrst du mich in die gleiche Grube…“ Der Tungerer wandte sich erneut an den Legat. „Herr, ich gestehe, den gleichen Schwur wie er geleistet zu haben… Nur erneuerte er den Schwur wohl vor diesem Statthalter und ich nur vor meinem Präfekt, der in der Colonia auf meine Rückkehr wartet.“ Der Tungerer kämpfte um sein Leben, während der Ubier scheinbar aufgab…
Hatte den Ubier die angeführte erstmalige Begegnung irritiert… Wusste der gar, wann das geschehen war? Nein, das war unmöglich! Hätte der Ubier ihn damals gesehen, wäre er kaum entkommen… Gerwin erkannte, dass dort kein Zusammenhang lag. Trotzdem war er sich über die Rolle des Tungerer noch nicht im Klaren. Dieser könnte noch immer, trotz aller offensichtlichen Stammesfeindschaft, die sie auszuleben schienen, im Bündnis mit dem Ubier stehen?
„Herr, erlaube, dass ich etwas außerhalb dieses Zeltes prüfe…“
Während der Legat seine Zustimmung nickte, erklärte Gerwin: „Herr, es ist besser, wir nehmen die drei mit…“
Verginius Rufus nickte nur. Er schien auch Schwierigkeiten zu haben, den Verwirrungen der Vernehmung zu folgen. Zumindest erkannte er Gerwins Wunsch, die Gefangenen von ihm wegzuhalten, an.
„Viator, treib die Kerle hinaus, behaltet sie im Auge! Ich bin gleich zurück.
Gerwin tauchte in der Dämmerung unter, um kurz darauf vor dem Gatter zu stehen.
„Volusenus, ich brauche zehn Männer!“ forderte er. Kurz darauf standen die Männer bereit.
„Hört, wir gehen hinein und holen uns zuerst einige der Ubier! Passt auf und achtet auf unseren Rücken! Gatter auf!“ befahl er und dann ging alles sehr schnell.
Die Ubier wurden eingekreist und aus dem Pferch gedrängt. Gerwin führte sie weg von diesem Ort, so dass keiner der Gefangenen sehen konnte, was er mit den Gefangenen trieb.
Weit ab ließ er die Männer antreten, musterte jeden Einzelnen von ihnen, griff sich einen Älteren und führte seinen Dolch an dessen Hals. „Entweder, du nennst mir jetzt den Namen des großen Dürren, den ich vorhin mitnahm, beschreibst mir dessen Funktion in eurem Haufen und erklärst mir, warum du ihm folgst, oder…“ Der Dolch an der Kehle des Mannes erklärte den Rest.
„Ich kenne seinen Namen nicht!“
„Aber du bist doch ein Ubier und kennst ihn nicht?“
„Wie sollte ich? Er nannte sich Cogitatus… Woher sollte ich wissen, oh das stimmt? Er kam erst kurz vor dem Marsch hierher zu unserer Turma…“
„Warum hörst du dann auf ihn und hängst dich an ihn?“
„An Einen hängt sich jeder und wenn er sich zum Führen berufen fühlt… Außerdem ist er ein Ubier, so wie ich!“
„Sage mir, ob er immer, auch unter euch, ein solches Großmaul ist?“
„Nein, er sagt, dass er damit unser Leben schützt…“
„Nun, das könnte wahr werden…“ flüsterte Gerwin mehr für sich selbst. Er grinste, einen Ansatz gefunden zu haben, in sich hinein. Er musste nur noch etwas weiter bohren… Also stieß er den Mann zurück ins Glied und schnappte sich den Jüngsten. Sein Dolch vollführte die gleiche Bedrohung und er stellte die gleiche Frage.
„Du kannst mich nicht schrecken, Fremder!“ antwortete der Jüngere so leise, dass ihn außer Gerwin keiner hörte. „Stoss zu und der Unsinn hat für mich ein Ende…“
„Hängst du nicht am Leben, Ubier?“
„Im Augenblick schneidest du mir in die Haut, Drückst du weiter zu, blute ich an der Stelle bald heftig… Weil ich weiß wie das aussieht und wie das ausgeht, wäre es von mir vermessen, am Leben zu hängen…“
„Willst du Leben?“
„Sicher, tot ist langweilig…“
„Warum sagst du mir dann nicht, was ich wissen will?“
„Bin ich ein klagendes Weib…“
„Behalt deine Ehre, Ubier!“ flüsterte Gerwin und stieß den Mann zurück in die Reihe.
Er zog den Nächsten nach vorn und hoffte, dass nicht alle Ubier dachten, wie der zuvor Ergriffene. Leise eröffnete er seine Fragerei.
„Nimm einmal an, mein Dolch ritzt deine Kehle. Was würdest du mir dann über diesen Cogitatus erzählen?“
„Über wen?“ fragte der Ubier.
„Cogitatus…“ wiederholte der Hermundure geduldig.
„Soll das der lange Dürre sein, den du dir aus unserer Gruppe holtest?“
Gerwin nickte.
„Nichts! Kenne den Kerl nicht!“
„Warum hängst du dann an ihm?“
„Sagte, er wäre vom gleichen Stamm… Kam aus der Colonia zu uns… Gehörte nicht zur Turma… War bisher nie zuvor in der Turma… Besitzt die größte Schnauze und hinter so einem Esel verborgen bleiben, kann Leben erhalten…“
Gerwin stieß den Gefragten zu den anderen Ubiern. „Bringt die Kerle zurück.“ wies er Volusenus Männern an.
Was hatte er erfahren?
Dieser Cogitatus war ein Fremder in der Turma, bot den Übrigen aber Schutz. Gerwin erinnerte sich, dass dieser Ubier zu den Männern gehörte, die einst Scribonius Rufus begleiteten, als dieser sich mit Tutor und seinem Bruder traf. Somit war der dürre Ubier einer der Männer, die den Statthalter schützten… In dieser Sache besaß er Klarheit, über die übrigen Ubier hatte er nichts erfahren können. Zum Tungerer jedoch fehlten ihm noch einige Erkenntnisse.
Er schritt auf die Männer von Volusenus zu. „Wir müssen noch einmal hinein. Ich brauche die vordere Gruppe… Diesmal wähle ich drei Kerle aus. Ihr ergreift sie und bringt sie raus!! befahl er den ihm folgenden Milites und ließ das Gatter öffnen.
Sein Weg führte ihn zu den gelangweilt aufblickenden Tungerern.
Er zeigte auf den Ältesten, dann den scheinbar Jüngsten und einen beliebigen Dritten. Keiner der Männer wehrte sich oder widersprach… Wie auch, wenn hilfreiche Hände zugriffen und nicht betroffene Gefährten bereitwillig Platz machten.
Zuerst nahm sich Gerwin den unscheinbaren Dritten vor.
„Du bist Tungerer?“ Der Mann schüttelte mit dem Kopf.
„Warum mischst du dich dann unter Männer dieses Stammes?“
Der Gefangene zuckte mit der Schulter.
„Ist doch gleichgültig, oder nicht?“ fragte er dann niedergeschlagen.
„Aber du bist Germane?“ stieß Gerwin nach.
„Usipeter!“ Der Gefangene war zwar maulfaul, aber antwortete.
„Warum gesellst du dich dann nicht zu deinem Stammesbruder?“
„Bei dem ist der Boden matschig, wo ich lag, war er trocken…“
Gerwin verstand, dass ein trockener Platz, bei diesem Wetter, von Vorteil war.
„Kennst du den großen Tungerer, den ich holte?“
„Ist genau so ein armes Schwein wie ich…“ Der Gefangene gab Resignation zu erkennen. Entweder der Kerl täuschte ihn oder er war tatsächlich in Gleichgültigkeit abgesunken…
Gerwin griff sich den Jüngsten, zog ihn von der Gruppe weg und setzte ihm seinen Dolch, mit der Spitze, auf die Brust. Dann griff er mit einer ersten Frage an. „Der Tungerer, den ich holte, gab an, dass du ein treuer Hund des Tutor wärst und dich bei ihm verstecken würdest…“
Der Gefangene hob langsam seine rechte Hand, spreizte einen Finger und drückte mit diesem die Spitze des Dolches zur Seite. „Ich mag das nicht!“ stellte er fest.
Gerwin ließ die Handlung zu und wich seitwärts aus, aber nur, um den Dolch dann heftig an den Hals zu drücken. „Ist das so besser!“ fauchte er.
Wieder kam die Hand. „Wenn du mich nur dazu geholt hast, dann schick mich zurück… Andernfalls stelle deine Fragen. Mir machst du keine Angst, bin ich doch schon tot…“
„Eine Frage stellte ich bereits und die Antwort steht noch immer aus…“ erinnerte der Hermundure.
„Meinst du den Unsinn ernst?“ fragte der junge Gefangene.
„Du kennst Tutor?“
„Du meinst den verlogenen Präfekt? Klar kenne ich den…. Er schickte uns in diesen Schlamassel…“
„Woher?“
„Habe ihn schon oft erlebt, wenn er uns in die Taschen log…“
„Warum bist du dann hier?“
„Befehl!“ Der Gefangene war weder hoffnungslos noch erwartungsvoll… Er war schon tot, wie er meinte und er hegte Groll gegenüber dem Treverer Tutor…
„Du magst Treverer nicht?“
„Ich mag Lügner nicht… Treverer, wenn du die da hinten meinst… Die sind noch übler dran als wir, sind mir im Grunde aber gleichgültig…“
„Wie meinst du das?“ Gerwin wurde neugierig.
„Wir sind Auxiliaren? Was soll dein Legat tun? Wir schworen auf Rom und sind hier zur Jagd auf ihn? Der Befehl, den man uns gab, war eindeutig! Dein Legat könnte uns alle töten, wird das aber nicht tun, sonst würdest du nicht so viele Männer befragen… Habt ihr die vier Geholten über die Klinge springen lassen oder kehren die zurück?“
„Was denkst du?“
„Der Tungerer zumindest lebt noch, sonst würden wir deine Fragen nicht hören… Also leben alle noch und landen wieder im Gatter…“
„Kennen den Befehl, meinen Legat zu töten, alle?“
„Sicher, Tutor gab ihn vor angetretener Mannschaft, zumindest hier im Lager! Er brüstete sich damit, schon einmal Jagd auf den Legat gemacht zu haben, dabei aber behindert worden zu sein… Er schwor, dass diesmal der Plan gelingen und damit auch seine Schmach der Gefangenschaft getilgt werden würde…“
„Du hast recht, er ist ein Lügner! Aber es stimmt, ich hatte ihn schon einmal… Damals ließen wir ihn ziehen… Besser du kennst den Mann, der eine Gefahr für dich trägt, zumindest wenn er nur der Handlanger ist… Sonst musst du jeden fürchten der sich dir nähert, weil dir dieser Feind unbekannt ist…“
„Das werde ich mir merken, ist ein kluges Wort…“ entgegnete der Gefangene.
Gerwin begriff, nach den Worten des Befragten, dass Tutor nicht der einzige Lügner war. Der Ubier log und auch der Tungerer täuschte ihn…
Sie sprachen leise miteinander und standen weit von den aus dem Gatter Geholten entfernt. Weder diese, noch deren Bewacher waren in der Lage, ihre Worte zu verstehen.
„Du sagst, wir könnten euch nicht töten?“ hakte Gerwin, etwas ungläubig, nach.
„Uns verbindet der fast gleiche Schwur… Uns trennt nur der verdammte Befehl…“ ließ ihn der junge Gefangene wissen.
„Du scheinst damit gut Leben zu können… Wieso bist du dann schon tot?“ Der junge Gefangene war voller Überraschungen.
„Dein Legat kann uns nicht an den Hals und du siehst wirklich nicht so aus, als würdest du gern töten… Dass du es kannst, habe ich gesehen… Der Mann vor mir lernte deine Klingen kennen… Zu meinem Glück…“
„Wer verspricht dir dann den Tod?“ drang Gerwin weiter vor.
„Zum Einen dieser Präfekt Tutor, wenn du ihn wieder Laufen lässt… Und das wirst du doch? Oder der Statthalter in der Colonia macht sich selbst die Hände schmutzig… Der hat aber noch Andere ihm Hörige, die das gern übernehmen… Meinst du, der verschont, nach einer so heiklen Mission uns Versager, wenn dieser Trottel von Tutor das Ziel der Jagd so offen nannte? Denk dir, jemand der Beauftragten würde Kaiser Nero davon erzählen… Bestenfalls erwartet uns eine Decimatio jedes Zweiten und die Überlebenden dürfen dann erneut die Jagd auf deinen Legat aufnehmen…“
„Bist du wirklich ein Tungerer?“ fragte Gerwin ungläubig.
„Warum fragst du danach?“
„Deine Bestätigung würde meinen Glauben an die Krieger deines Stammes und an deren Klugheit berichtigen… Bisher traf ich auf nur wenige Männer deines Stammes…“
„Du musst schon viel Übles erlebt haben, scheint mir und dabei bist du weit jünger als ich…“ Der Gefangene grinste in die Dunkelheit und Gerwin spürte dessen Gelassenheit.
„Sag mir noch eine Sache! Warum sind die Treverer übler dran?“
„Sind keine Auxiliaren…“ behauptete der Gefragte. „Kein Schwur und damit kein Grund für Schonung. Die waren aus freien Stücken hier… Warum sollte der Legat sie ziehen lassen?“
„Du hast recht und weil auch noch deren Fürst sie führte, der ein Verwandter des Präfekt Tutor ist, wird dem Legat wohl kaum eine andere Möglichkeit bleiben… Willst du denen diese Botschaft überbringen, wenn ich dich wieder ins Gatter schicke?“ forderte der Hermundure den Tungerer heraus.
„Ein wenig hänge ich noch am Leben… Womöglich denken die Treverer, du wärst mein Freund…“ Der Gefangene lächelte erneut.
Jetzt verstand Gerwin auch das Lächeln des Mannes. Der war klug und sah die ganze Angelegenheit aus dem Blickwinkel der unglücklich Betroffenen. Gerwin konnte sich dieser Sichtweise nicht mehr verschließen und erkannte, dass ihm dies helfen würde, dem Legat den richtigen Vorschlag zum Leben und Tod zu unterbreiten.
Er brachte den Jungen zurück und griff den Alten. Der Mann dürfte im letzten Jahr seines Dienstes sein… Er war kräftig, aber klein, besaß eine gedrungene Gestalt mit breiten Schultern, Kraft in den Armen und Händen, einen kurzen, stoppeligen grauen Haarbewuchs, genau solchen Bartwuchs im Gesicht und aufmerksame Augen.
„Nun, mein Sohn, was möchtest du wissen?“
„Würdest du mich auch auf diese Art begrüßen, begegnetest du meinen Klingen im Kampf?“
„Wer sagt, dass ich das bereits nicht schon hinter mir habe“ Der Mann zog seine Lorica und die Tunica von der linken Hüfte und entblößte eine Wunde. Der Schnitt war Fingerlang, lag direkt unterhalb der Rippen, war nicht tief und schon verschorft, aber schmutzig.
„Bist du dir sicher, dass das…“
„Ich habe noch nie einen solchen flinken, nach allen Seiten nur austeilenden jungen Burschen wie dich erlebt… Der Mann neben mir hatte eine deiner Klingen am Hals. Er konnte mir danach nicht mehr sagen, wo du plötzlich herkamst. Er konnte mir gar nichts mehr sagen… Ich glaube, ihm verdanke ich, dass ich nur hier das abbekam…“ Er ließ seine Lorica fallen.
„Beantworte meine Fragen und ich darf doch wohl annehmen, dass bei unserer schon etwas längeren Bekanntschaft nur die Wahrheit von Bedeutung sein dürfte… Lasse mich anschließend wieder flicken, was ich zuvor zerschnitt.!“
„Warum die Mühe? Würde das nicht deine vorigen Bemühungen ins Gegenteil verkehren?“ Der Alte war ein Witzbold.
„Weißt du, eigentlich verbeuge ich mich gewöhnlich vor Älteren und Ehre sie. Verzeih, wenn ich im Kampf nicht richtig hinsah, dein Alter nicht erkannte, meine Verbeugung vergaß und dir dann auch noch diese blamable Öffnung verpasste…“ Gerwin offenbarte eine ebensolche humorvolle Bemerkung oder troff seine Stimme etwa vor Hohn? „Aber du hast recht, für gewöhnlich stehen die, die ich im Kampf traf, nicht wieder auf… Insofern bist du, trotz deinem hohen Alter, wirklich ein Glückspilz…“ Für einen kurzen Augenblick versank der Hermundure in seinem Inneren. Er fasste sich schnell wieder und ließ Worte hören, die den weit Älteren erstaunten.
„Vor dem Kampf ist nicht während des Kampfes und auch nicht danach… Vor dem Kampf wäre dir, Alter, meine Achtung sicher gewesen. Warum schickt Rom solche Männer noch in einen Überfall? Im Kampf ist mir dein Alter gleichgültig und nach dem Kampf, ja das ist wieder eine andere Zeit… Für gewöhnlich zolle ich dem Mutigen meine Ehrerbietung… Also wollen wir es hinter uns bringen, damit ich dann deine Wunde versorge?“
Der Gefangene nickte.
„Kennst du den Tungerer, den ich zuerst holte?“
„Ja und er ist ein mutiger Mann!“
„Wen kennst du noch?“
„Fast alle, immerhin bin ich schon lange dabei!“
„Dann muss ich wohl anders fragen?“ Gerwin nickte zur erhaltenen Antwort.
„Das kommt darauf an, was du wissen willst?“ beschied ihm der Alte.
„Wenn du sie alle kennst, schließt das dann deren Namen mit ein?“
„Zumindest bei vielen!“ Der Gefangene antwortete ohne zögern. Gerwin spürte, dass er sich an die Wahrheit hielt.
„Welche der Männer kennst du nicht?“
„Den dürren Ubier, den du bereits holtest. Der und weitere neun Männer tauchten erst mit Tutor auf und wurden dann im Lager belassen! Von den neun Fremden befinden sich jetzt noch sechs Männer im Gatter… Der Rest muss wohl schon unter dem Gras liegen…“
Gerwin nahm diese Mitteilung mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Nach Allem, was er bisher von den Tungerern erfuhr, begann er diesen Männern zu vertrauen. Sie sprachen offen und ihre Worte enthielten die kleinen, oft unbemerkten Einzelheiten, über die sich ein Gefangener im feindlichen Lager sorgte.
„Was glaubst du, wird mein Legat euch alle töten lassen?“
„Warum sollte er? Nein, mein Junge, das wäre blanker Unsinn! Er muss nur den Spreu vom Weizen trennen… Die Meisten von uns folgen dem Schwur… Stell dir vor, du bist Auxiliar und wirst einfach so versetzt? Wären wir feige gewesen und geflohen, könnte uns dein Legat in Schande vom Hof treiben… Wir wären Roms unwürdigste Auxiliaren! Ich weiß nicht, ob überhaupt einer der Männer des Lagers am Rhenus floh?“
„Doch, meine Gefährten fingen diese… Manche wollten dann doch kämpfen und sind tot. Ich glaube es waren nur drei, die übrig blieben…“
„Da siehst du es wieder… Gemessen an unserer Zahl, von weit über einhundert Männern, sind also nur drei mit nassen Beinen davon gerannt…“ Gerwin verstand die Bedeutung der Worte. Ein Ängstlicher pisste sich zuerst ein…
„Welche Möglichkeiten besitzt mein Legat noch?“ bohrte der Hermundure weiter.
„Zurücksenden, aber das wäre Unsinn… Zu viele Tote und die Jagd beginnt aufs Neue… Dann wäre da noch die Möglichkeit, dass einer von den Überlebenden plaudern könnte, vielleicht über Präfekt Tutor und das Ziel unseres Marsches in dieses Gebiet…“
„Und sonst?“ Gerwin stocherte weiter.
„Ich sagte es schon… Eine Versetzung! In diesem Fall zwar ohne Zustimmung des vormaligen Präfekt der Kohorte, aber das schert wohl keinen? Der streicht uns ohnehin aus seiner Bestandsliste und kümmert sich um Ersatz… Selbst kehrten wir zurück, blieben wir wohl eher für ihn tot, ob nun wirklich tot oder in Zukunft tot, weil er uns bei der nächsten kleinen Gelegenheit zuerst auf den Feind hetzt… Gelegentlich gibt es solche Vergnügungen, wenn wieder einmal eine der Sippen aufbegehrt… Weißt du, bei uns in den Sümpfen und zwischen den Hügeln ist eigentlich immer etwas im Gange…“
Der Hermundure begriff des Mannes Überlegungen.
„Das wird wohl so nicht gehen…“ ging Gerwin auf die Anfangsworte des Alten ein. „… oder weißt du nicht, dass der Bruder deines Statthalters unser Statthalter ist? Also verfügt er über das Kommando bei den Auxiliaren und meinem Legat wären die Hände gebunden… Würden wir diese Gefangenen als Auxiliare aufnehmen wollen, würde dies zum Einen zu viel Aufmerksamkeit heraufbeschwören, zum Anderen den Bruder deines Statthalters, der nicht unser Freund ist, aufmerksam machen und dann hätte der auch noch die Befehlsgewalt und könnte sich sehr zu euren Ungunsten einmischen… Nein, Alter, das wird wohl nichts werden…“ schloss Gerwin und bemerkte eine gewisse Ratlosigkeit im Blick des Älteren. Der Alte kratzte sich am Kinn.
„Würde dein Legat uns aber in seine eigenen Kohorten einreihen, müssten die Statthalter erfolglos nach uns suchen… Wir leben und er gleicht seine uns geschuldeten Verluste aus, als hätte es nie einen Kampf gegeben… Das wäre schon lustig…, geht aber wohl nicht, es sei denn, wir wären Bürger Roms… Was nur Wenige von uns vorweisen könnten, es sei denn, diese Ubier…“ Gerwin begriff, der Alte hatte recht.
In dem der Hermundure das Gehörte mit bisherigem Wissen abglich, schälte sich heraus, wer zum Weizen gehörte und wo er die Spreu fand.
„Nehmen wir einmal an, du zeigst mir die Neuen, die mit dem dürren Ubier kamen…“ schlug Gerwin vor.
„Nein, denn dann wäre ich mit Recht ein Verräter und das möchte ich nicht sein… Wenn du ein wenig überlegst, fällt dir gewiss ein, wie du dieses herausfindet…“ widersprach der Alte.
„Das verstehe ich! Also gehen wir!“
Gerwin drehte sich um und rief den Wächtern zu „Nehmt den hier wieder mit und bringt sie zurück!“