Читать книгу Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse - Страница 8
Оглавление1. Trauer und Schmerz
66 nach Christus - Herbst (6. December)
Imperium Romanum – Exercitus Germania Superior
Zuerst ritten sie schweigend auf der Straße in Richtung der Siedlung Noviomagus. Viator übernahm die Spitze und Sexinius heftete sich an dessen Seite. Gerwin fand sich neben Paratus wieder, sah dessen blutigen Verband und stutzte.
War er soweit in seinem Schmerz versunken, dass er die Verletzung des Freundes vergessen hatte? Er erinnerte sich doch noch des Augenblickes, in dem er den Gefährten, vor dem heftigen Stoß eines Feindes in dessen Rücken, bewahren konnte.
Kurz darauf erblickte er den anderen Gefährten, den Freund, der ihm ein Vater sein wollte, tot im Schlamm des Kampfplatzes. Hatte dieser Anblick seine übrigen Empfindungen und Erinnerungen blitzartig gelöscht oder was Anderes war ihm, in diesem kurzen Augenblick, widerfahren?
Diese Erinnerung entzog sich dem jungen Hermunduren. Jetzt, in Gedanken versunken, den Schmerz des Verlustes erst richtig fühlend, breitete sich in seinem Körper eine Lähmung aus, erfasste sein Denken und verlieh seinem Blick einen grauen Schleier.
Vielleicht wäre er vom Pferd gestürzt, hätte nicht eine hilfreiche, helfende Hand nach seiner Schulter gefasst.
Gerwin spürte die mächtige Pranke von Paratus, bevor er diese sah. Sein Blick klarte auf, der Schmerz der Erinnerung verzog sich und er setzte ein Lächeln in seine Gesichtszüge. Der junge Hermundure verließ die Bedrohung der jüngeren Ereignisse. Er fand zurück in Stärke, Wissen und Gleichmut, so wie er es von seinen römischen Freunden gelernt hatte.
„Danke, was ist mit der Wunde in deinem Bein?“ brachte er als Entschuldigung und Frage hervor.
„Ist nur ein Kratzer! Viator hat die Wunde gereinigt und geflickt…“
„Er hätte gut einen sauberen Verband anlegen können…“ Gerwin schwieg und knurrte nach einer kleineren Weile hinzufügend „… wir werden rasten und den Verband erneuern! Mir reicht ein toter Freund… Ich brauche keinen Begleiter, dem ein Bein fehlt… Vernachlässigen wir die Wunde und dein Bein entzündet sich, gehst du zukünftig an Krücken, weil der Medicus ein Stück von dir abschneidet! He, Viator, Rast! Suche eine geeignete Stelle. Ich brauche Wasser und ein Feuer!“ rief der Jüngere den Vorausreitenden zu.
Der richtige Platz war bald gefunden. Gerwin saß ab, blickte seinen großen Freund auffordernd an, doch der blieb im Sattel sitzen.
„Gut, wenn du es auf die drastische Art möchtest? Dann brauche ich mich auch nicht um allzu viel Zartgefühl bemühen…“
Gerwin fasste nach dem Verband am Bein, zückte seinen Dolch und setzte ihn zum Zerschneiden des Stück Dreckes an, dass zuvor als Verband gewürdigt wurde.
„Halt still, sonst hast du noch eine blutende Wunde…“
„Hör auf Gerwin. Ist doch alles in Ordnung. Wozu der Aufwand?“ knurrte Paratus.
„Entweder du sitzt ab und ich kümmere mich um deine Verletzung oder ich jage dir den Dolch so tief in die Wunde, dass du vom Gaul kippst! Was bist du nur manches Mal für ein Idiot? Du denkst, der kleine Schnitt heilt von allein und dein guter Freund nutzt für den Verband einen schmutzigen Lappen, statt um die Hände einer gütigen Nemeterin zu bitten… Nun, du hast die Wahl…“ Gerwins Wut wirkte.
„Mitunter bist du wehleidig wie ein altes Weib… Aber dein Messer in meiner Wunde hätte wohl auch nichts mit der Heilung zu tun, oder…“
„Kippst du vom Pferd und verlierst deine Sinne, kann ich dich behandeln, wie ich es will. Ich muss weder bitten, noch drohen und brauche mir dein dauerndes Gemecker nicht anhören! Also wähle… Außerdem wird die Wunde von mir so behandelt, dass keine Entzündung kommen kann…“ fügte der Hermundure grinsend hinzu.
„Die ‚kleinen Tierchen’, die eine Entzündung hervorrufen, wagen sich dann nicht an dich heran… Die fürchten sich nicht vor deiner Kraft, sondern vor der Sauberkeit, die ich dir aufzwinge… Vom Pferd oder ich helfe nach…“ fauchte Gerwin zum Schluss und viel hätte nicht gefehlt und der Dolche wäre in die bereits bestehende Wunde gefahren.
Paratus gab nach. Er rutschte vom Gaul, humpelte zum kleinen Bach und überließ Gerwin das Weitere.
Der schmutzige Verband fiel. Die Wunde mochte fingerlang sein, war in kleinen Stichen vernäht und blutete dennoch. Ein fingerbreiter Teil der Wunde nässte nicht nur, sondern spukte Blut, wenn Paratus das Bein anspannte.
Gerwin zog aus dem Bündel hinter seinem Sattel einen sauberen Stofffetzen.
Er zerteilte diesen in ein kleineres und ein größeres Stück und reinigte, mit dem im Wasser genässten Kleineren, die Wunde.
„Entweder wir nähen das Loch zu oder brennen die Wunde aus…“ Gerwin blickte Paratus fragend an.
„Du weißt doch was ich meine?“ setzte er dann grinsend fort.
„Ein kleiner Dolch im Feuer und das Spiel, mit dem du Andere zum Reden bringst, wird an dir selbst vollzogen… Es fließt kein Blut mehr und die kleinen Biester verbrennen…“
Gerwins Schweigen lastete auf der Dämmerung.
„Oder?“ wagte Paratus, um Aufklärung heischend, zu knurren.
„Wir flicken das Loch und hoffen, dass die ‚kleinen Biester’, wie unsere Heilerin diese nennt, keinen Eingang zur Wunde finden… Andernfalls fressen die sich so voll und dein Fleisch wird stinkig, faulig und die Wunde wird größer und letztlich hat der Medicus seinen Spaß…
Die gehörten Worte ‚stinkig’, ‚faulig’ und ‚Spaß’ schienen in Paratus Ohren nicht zueinander zu passen. Er brachte irgendwie keinen erfreulichen Zusammenhang zusammen und knurrte deshalb nur „Ausbrennen!“
Damit war dieses Zwischenspiel beendet.
Das Feuer brannte bereits, Viators Dolch landete in der Flamme und es verging Zeit beim Warten. Nach einer Prüfung dessen Zustandes genügte ein einziger Blick zu den Freunden. Viator und Sexinius warfen sich auf den überraschten Paratus.
Viator presste den Oberköper des Freundes auf den Boden und Sexinius warf sich auf die Füße. Im gleichen Augenblick fand die Hand mit dem Dolch die gesamte Wunde und wurde unerbittlich von Gerwin darauf gedrückt. Es zischte, stank nach verbranntem Fleisch und als sich Paratus, unter dem ihn durchschießenden Schmerz aufbäumte, sich seiner hindernden Freunde entledigte, war auch schon alles vorbei.
Gerwin saß vor dem sich aufbäumenden Gefährten und lächelte.
„Was bist du doch wehleidig…“ Er stieß seinen Dolch in den Erdboden. „Glaube mir, es war die kürzere und nachhaltigere Behandlung. Jetzt lass mich mein Werk noch verbinden und falls du dabei nicht in Ohnmacht fällst, können wir dann weiter reiten…“
„Ihr seid Schufte…“ knurrte Paratus und ließ Gerwin machen.
Das Bein schmerzte. Trotzdem beherrschte sich der große und starke frühere Legionär. Nichts würde ihn mehr in Wut versetzen als, ob seiner gezeigten Schwäche, selbst verschuldeter Spott seine Freunde…
Der Verband saß und kurz darauf auch die Reiter wieder im Sattel.
Ein Gutes erbrachte Paratus erneute Behandlung. Nicht nur das Gerwin sich sicher fühlte, dass eine Entzündung unwahrscheinlich geworden war, lenkte des Freundes Behandlung vom zuvor gefühlten Schmerz um Aulus ab.
Sie erreichten Noviomagus, als die Dunkelheit ihre Schwingen der Nacht ausbreitete.
„Graukopf, was meinst du, wo er untergekrochen ist?“
„Reite dorthin, wo der größte Lärm herkommt…“ erwiderte Viator und übernahm selbst die Führung. Er wusste, wo das Kastell lag und ritt gerade darauf zu. Um das Ziel zu erreichen, mussten sie den gesamten Ort durchmessen.
„Nun stelle ich zwar keinen Unterschied im Lärm fest… Trotzdem scheinst du zu wissen, wo wir suchen sollten…“ ließ der Hermundure nach einiger Zeit verlauten und blickte auf den Wall sowie das Tor eines kleineren, römischen Kastell.
Viator ritt auf das Tor zu und wurde von oben angerufen.
„Wer bist du und was willst du?“
„Legat Verginius Rufus ist bereits eingetroffen?“ Der Graukopf kümmerte sich nicht um die Frage. Wer einmal antwortet wird immer erneut zur nächsten Antwort gezwungen. Wer aber Fragen stellt, erfährt was er wissen möchte.
„Wer will das wissen?“ fragte die fremde Stimme oberhalb des Walls.
„Das, mein Freund, erkläre ich dir, wenn uns ein Schlauch Wein verbindet… Solltest du daran jedoch nicht interessiert sein, könnte dir mein Legat deine Freundlichkeit auf eine etwas andere Art danken… Mach auf oder fürchtest du dich vor vier Römern?“
„Ich sehe nur drei verlotterte mögliche Römer und einen jungen Germanen…“
„Glaube mir, den Zorn des jungen Germanen möchtest du nicht kennenlernen… und falls du weiter zögerst uns einzulassen, wird die Folge für dich wenig ehrbar sein!“
„Alles was du mir sagst, bestärkt mich, das Tor nicht zu öffnen! Verschwindet!“
Viator sah, nach einem Blick zu Gerwin, dessen Kopfschütteln.
„Lass ihn, Graukopf… Den Dummkopf hole ich mir am Morgen… Wir suchen uns einen geeigneten Platz. Es wird nicht unsere letzte Nacht unter freiem Himmel…“
„Verdammt Gerwin, ich friere an meinen Arsch und Paratus wankt im Sattel… Sollen wir nicht besser das Kastell stürmen?“
„Höre auf zu schimpfen! Zu dritt schaffen wir das nicht!“ knurrte Gerwin leise.
„Wir sind immer noch vier…“
„…und Paratus wankt im Sattel…“ erwiderte Gerwin spöttisch auf Viators Einwand.
„He Gerwin, seid ihr das?“ ließ sich eine andere Stimme von oben vernehmen.
„Ja, ich bin es und meine Begleiter! Kläre diesen verdammten sturen Bock da oben auf oder ich schneide ihm am Morgen, wenn ich dann ins Kastell komme, seine Eier ab!“
Den anschließenden Meinungsaustausch konnten die vor dem Tor Wartenden nicht verstehen. Es verging einige Zeit und das Tor öffnete sich. Beiderseits des Tores standen nahezu zwanzig Auxiliaren mit wurfbereitem Pilum.
Auf die Reiter zu bewegte sich nur ein einzelner Mann. Er hielt eine Fackel in der Hand. Die Ankömmlinge erkannten Centurio Ofilius.
„Gut, dass du unseren Lärm hörtest… Wir hatten nicht unbedingt Lust bis zum Morgen vor dem Tor zu warten…“ knurrte Viator.
„Nanu, nur ihr vier? Ist etwas schief gegangen?“
„Wie kommst du darauf?“ Gerwin übernahm das Wort.
„Müsstet ihr nicht mehr sein?“
„Stell dir vor, wir hätten die Anderen mitgebracht? Vielleicht hätten die hinter den Mauern sich dann zum Stronzo gemacht und wirklich in die Büsche abgesetzt?“ Viator war übellaunig.
Gerwin stieg vom Pferd und reichte Ofilius den Arm zum Gruß. „Bring uns zum Legat!“ verlangte er.
Ohne die Wachmänner eines Blickes zu würdigen, folgte Gerwin dem Centurio.
„Überlasst mir eure Pferde. Wir kümmern uns…“ verkündete Ofilius und rief nach eigenen Milites.
Dann führte er die Ankömmlinge in das Praetorium des Kastells.
Die Ankunft Fremder hatte sich inzwischen herumgesprochen. Ein Melder der Wache sprach beim Präfekt vor und meldete, was sich am Tor zutrug. Daraufhin erschien dieser, in Begleitung des Legat, am Eingang des Gebäudes, als auch die Ankömmlinge dort auftauchten.
„Ofilius, wen bringst du uns?“
„Gerwin ist hier, Herr!“
„Dann führe ihn und seine Begleiter herein. Präfekt, lass einige Becher und Wein bringen…
„Wie seht ihr denn aus?“ Erstaunt nahm Verginius Rufus das Bild seiner Getreuen wahr. Obzwar Gerwin sauber wirkte, sah er Blut und Schmutz an deren Lorica Hamata.
„Was ist geschehen?“
„Herr, die Gefahr ist beseitigt!“
„Den Göttern sei Dank!“ ließ sich Verginius Rufus vernehmen.
„Das sieht nach Verlusten aus…“ schob er nach und musterte die Männer.
„Herr, gönne uns etwas Ruhe, einen Schluck, etwas zum Essen und dann lass uns über die Ereignisse sprechen…“ bat Gerwin. „Wenn der Präfekt sich inzwischen für ein Lager und weitere Herrichtungen kümmern könnte, würde ich dich gern, in einer kurzen Schilderung, von den Ereignissen in Kenntnis setzen…“
Gerwins Vorschlag verbannte den Präfekt aus des Legats Nähe und schuf damit Voraussetzungen für einen kurzen, ungestörten Bericht.
Der Hermundure wusste nicht, inwieweit der Legat den Präfekt, der ihm fremden Besatzung, in die Vorgänge in Mogontiacum einbeziehen wollte. Es erschien ihm sinnvoll diese Entscheidung dem Legat zu überlassen.
Verginius Rufus verstand und der Präfekt begriff gleichfalls, dass sein Verbleiben unerwünscht war. Er schmetterte seine rechte Faust auf seine linke Brust und bat um die Erlaubnis, sich kümmern zu dürfen.
Eine gönnerhafte Handbewegung des Legats gab ihm diese Freiheit.
Verginius Rufus führte die Ankömmlinge in einen der zahlreichen Räume. Ein paar dienstfähige Sklaven schwebten herbei, brachten Becher, Karaffen und Tabletts, bauten das Gewünschte auf dem großen Tisch, inmitten des Raumes, auf und zogen sich zurück.
„Centurio…“ Ofilius verstand den unausgesprochenen Befehl des Legat und überzeugte sich, mittels eines Ganges durch die Tür und die Nachbarräume. Nach dessen Rückkehr bestätigte ein Nicken, zum Legat hin, dessen Wunsch der Ungestörtheit.
„Nun Gerwin, was hast du zu melden?“
Der junge Hermundure verstand.
„Herr, der Feind ging vor, wie wir es vermuteten. Die Sammlung der Hauptmacht vollzog sich am Rande des Mons Vosegus. Die zweite Gruppierung verbarg sich zwischen dem Rhenus und der Straße, nicht allzu weit von hier entfernt… Die Vereinigung der beiden Teile schien beabsichtigt, wo aber der Überfall genau stattfinden sollte, erschloss sich uns nicht… Es war auch nicht erforderlich, weil einige Vorgänge uns in die Hände spielten…“
„Du machst mich außerordentlich neugierig…“ warf Verginius Rufus ein.
„Herr, meinst du nicht, dass der Präfekt in Kürze wieder hier erscheint? Wie weit möchtest du ihn in die Vorgänge in Mogontiacum einbeziehen?“ fragte Gerwin vorsichtig nach.
„Überhaupt nicht! Er befehligt diese Kohorte der Auxiliaren und empfängt Befehle! Mehr nicht, mach dir um den keine Sorgen…“
„Herr, sollte uns dann nicht Vorsicht kennzeichnen…“ Gerwins Frage brachte Verginius Rufus zum Lächeln.
„Was du mir sagen möchtest ist, dass auch Wände aus Stein Ohren haben könnten… Und sofern ich bestrebt bin, den Präfekt wirklich aus allen Vorgängen heraushalten zu wollen, es besser sei, wir belassen es bei deinen bisherigen Worten und ich gedulde mich bis zum Morgen?“
„Herr, du hast meine Gedanken genau getroffen. Ich bin sehr müde, sehr hungrig und es wäre gegenüber dem Gastgeber unfreundlich, würden wir ihn, nach seiner Rückkehr, erneut wegschicken… Wir können jeden Freund brauchen und was wissen wir schon, wann uns ausgerechnet diese Kohorte nützlich werden könnte…“ wandte Gerwin ein.
„Ich füge mich deiner Klugheit, mein junger Hermundure…“
Fast im gleichen Augenblick flog die Tür auf und der Präfekt erschien.
„Herr, ein Raum der Ruhe der neuen Gäste ist vorbereitet!“ Sein Blick schweifte über die Tafel. „… und die Tafel ist gedeckt! Damit scheint mir, sind meine Bemühung abgeschlossen…“ Der Präfekt zögerte.
„Setz dich. Präfekt! Es mundet besser, ist der Gastgeber zugegen! Stoß mit uns an, denn mein junger Freund brachte erfreuliche Nachrichten. Verzeih jedoch, dass ich diese nicht offenbare… Was ein Legat tut, muss auch ein guter Präfekt nicht unbedingt erfahren…“ Verginius Rufus lächelte den fast Gleichaltrigen an und dieser, erfahren im militärischen Dienst, fühlte sich, ob der Worte des Legat, geehrt.
Inzwischen griffen die Ausgehungerten kräftig zu und als auch Paratus endlich aufgab, erhob sich Gerwin.
„Herr gestatte, dass wir uns einer ruhigen Nacht in sicheren Mauern hingeben…“ Der Legat nickte, vermutete er doch, was Gerwin und seine Begleiter in den letzten Tagen am Meisten erhofften: Ruhe und ein warmes Lager!
Die älteren Römer folgten dem jungen Germanen, als er den Raum verließ.
„Herr…“ wagte der Präfekt zu fragen „… ist es nicht merkwürdig, dass solche Graubärte dem jungen Germanen folgen, als wären sie seine Unterstellten…“
Nachdenklich schüttelte der Legat den Kopf. Er wollte die Vermutung des Mannes nicht bestätigen, jedoch offen lassen, dass dem jungen Hermunduren eine außerordentliche Bedeutung zukommen könnte.
„Diese Graubärte, wie du sie nanntest, sind des Hermunduren Freunde. Sie würden vor und hinter ihm durch jedes Feuer gehen… Was er aber auch für jeden dieser Männer selbst tun würde… Und solltest du dem Hermunduren einmal ohne seine Begleitung begegnen, dann verwehre ihm nicht deine Achtung, denn obzwar noch immer jung, ist er nicht nur ein außerordentlicher Kämpfer und schon jetzt ein Mann von Ehre, er ist darüber hinaus auch klug und zeichnet sich durch Geduld aus. Ihn als Freund zu besitzen, ist von unschätzbaren Wert…“
Verginius Rufus zögerte. „Glaube mir Präfekt, ich weiß, wovon ich spreche!“ Damit war die Bemerkung des Präfekt hinreichend gewürdigt.
„Trinken wir noch ein Glas und folgen dann dem Beispiel meiner Männer…“ schlug Verginius Rufus vor und ließ dadurch erkennen, dass diese vier Ankömmlinge unzweifelhaft zu ihm gehörten, jeder Achtung Wert wären und vom Präfekt fordern dürften, was sonst nur ihm selbst zukommen sollte.
Der Präfekt, ein Mann im Dienst für Rom und seinen Kaiser ergraut, verstand den Legat. Er wusste die Ehre des mächtigen Mannes, ihn aufgesucht und mit ausnehmender Freundlichkeit behandelt zu haben, zu schätzen. Der Präfekt hatte solche Männer Roms schon ganz anders erlebt. Er war sich bewusst, dass er bei aller Freundlichkeit des Legat, dessen Aufenthalt und weiteres Ziel nie erfahren würde, sah er sich doch festen Grenzen ausgesetzt, die die Worte des großen Mannes zogen. Dennoch wirkte er verwundert, dass dieser zweifellos mächtige Mann einem Germanen vertraute… Weit mehr verblüffte ihn der Gehorsam ergrauter Legionäre, die einem germanischen Grünschnabel folgten, als wären sie dessen treue Hunde…
Als der letzte Gedanke ihn streifte, erkannte der erfahrene Mann, dass er selbst irrte. Waren drei harte Burschen, wie die, die er zuvor gesehen hatte, einem jungen Germanen folgsam, musste deren Liebe dem Jungen gehören oder dessen Verdienste diese Hörigkeit einfordern… In jedem Fall hatte sich der Germane die Achtung selbst erworben. Der Präfekt nahm sich vor, den jungen Germanen am Morgen noch einmal eingehender zu betrachten.
Dieser Vorsatz war nicht so einfach, aber mit etwas Glück dennoch umzusetzen.
Kaum stieg die Sonne über den Horizont und färbte durch freundliche Strahlen den Morgen etwas rotgold, was bei dem Morgennebel nicht so leicht zu erzielen war, als nicht nur der Legat, sondern auch dessen junger Freund, zu Pferde das Tor des Kastell passierten.
Der Präfekt begegnete dem Germanen zuvor auf einem Wehrgang, als dieser mit freiem Oberkörper, in der kalten Luft des morgendlichen Nebel, scheinbar völlig in geschmeidige Bewegungen versunken, seinen Körper stählte. Er sah den Abschluss der Handlungen und dann ein Lächeln im Antlitz des aus seiner geistigen Versunkenheit zurückkehrenden Germanen.
„Ein schöner Morgen, Präfekt! So still, einsam und ruhig hinter deinen schützenden Mauern…“
„Was tust du da, Hermundure?“
„Herr, ich bringe meinen Körper in den Tag und gleiche meinen Geist mit denen meiner Götter ab. Du kannst sie nicht hören, ich schon! Du kannst sie nicht spüren, aber ich! Habe ich dies vollzogen, bin ich bereit für jede Überraschung…“
Gerwin blickte den Älteren an und sah dessen Ungläubigkeit.
„Du denkst, ich verspotte dich? Glaube mir, nichts liegt mir ferner…“
Die Ungläubigkeit wich Verwunderung.
„Tue ich das, was du sahst, wecke ich meinen Körper und Geist… Übrigens macht der Legat das Gleiche! Ich lernte es von ihm. Dann wäscht er sich jeden Morgen mit kaltem Wasser und wieder folge ich seinen Bedürfnissen… Du wunderst dich?“
„Ich erlebte noch nie einen solchen klugen, bescheidenen und dennoch starken Mann als Legat. Ich hatte mit Verginius Rufus bisher nie zu tun! Dafür erlebte ich schon Andere, die sich weit über mich erhoben, was mir nur zu verständlich erschien…“
„… und jetzt erlebst du einen Legat, der freundlich aber auch fordernd sein kann…“
Der Präfekt lächelte. „… und mir mit sehr freundlichen Worten und Gesten zeigte, dass meine Anwesenheit unerwünscht schien…“
„Aber auch du, Präfekt, bist ein kluger Mann! Du hast die Wünsche des Legat verstanden… Ich weiß, dass du ihn nach mir und meiner merkwürdigen Rolle befragtest…“
„Woher, hast du gelauscht?“ warf der Präfekt ein.
„Nein! Wozu? Du bist ein erfahrener und auch kluger Mann… Du musstest doch fragen…“ rief Gerwin erstaunt aus.
„Dann kennst du sicher auch seine Antwort…“
„Aber nein! Ich hoffe, diese war wohlwollend…“
Der Präfekt lachte. „Jetzt verstehe ich auch, warum diese Graubärte dir jungen Burschen durch jedes Feuer folgen… Wie ist dein Name, Hermundure?“
„Ich bin Gerwin, die Klinge der Hermunduren…“ Gerwin blickte den Mann nachdenklich an und sah dessen Verdunkeln in Antlitz und Augen.
„Deinem Blick entnehme ich zwei mögliche Erkenntnisse… Du könntest bereits von mir gehört haben und bist jetzt irritiert, vielleicht auch befremdet, wenn nicht sogar zornig… Oder du hast nicht von mir gehört und glaubst, ich wäre ein Prahler und Täuscher…“ fügte Gerwin, auf die Reaktion des Präfekt, an.
Der Ältere nickte überrascht, weil die gehörten Worte genau zutrafen.
„Glaube mir, ich brauche keine Prahlerei! Ich weiß, wer ich bin und das reicht aus! Solltest du einmal von mir hören, wird es nicht mein Name sein, der in fremden Worten vorkommt, sondern der Begriff, den mir Römer andichteten…“
„Verzeih, ich kannte dich nicht, hörte aber von dem Mann, den auch die Nemeter als ‚Klinge der Hermunduren’ bezeichneten… Dass du so aussehen könntest, will mir nicht einleuchten… Du bist doch viel zu jung um so gefährlich zu sein?“
„Siehst du, Präfekt, so kann man sich irren… Es ist das Leben, was hart macht! Es ist der Schmerz, der solche Fähigkeiten hervorbringt, wie sie mir zugeschrieben werden… Bei allem was du einmal über mich erfahren wirst, bedenke unsere Begegnung und erinnere dich an das, was du selbst gesehen hast… Nun verzeih, es wird kalt…“
Gerwin ging, drehte sich dann noch einmal um und fügte seiner letzten Bemerkung weitere Worte an. „Als wir gestern ankamen, durfte ich die Wachsamkeit deines Optio Custodiarum kennen und schätzen lernen. Diese gefiel mir, seine Freundlichkeit und sein Verständnis aber ließ Wünsche offen…“
Gerwin ließ den Präfekt stehen und der Ältere versank in Gedanken. Jetzt, am Tor, war ihm Gelegenheit gegeben, den jungen Hermunduren noch einmal zu betrachten. Was er sah, machte auf ihn einen starken Eindruck. Ein energischer, großer, junger Mann mit breiten Schultern, der sich vorzüglich auf seiner römischen Stute hielt und diese nur mit leichten Bewegungen lenkte, ritt an ihm vorüber und lächelte, wozu er seinen Kopf neigte und der Verabschiedung einen vertraulichen Zug vermittelte. Der Zügel lag lose vor ihm auf den Sattelhörnern und seine Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln.
Der alte Präfekt sah, was den Jungen ausmachte. Er lenkte sein Pferd mit seinen Oberschenkeln, besaß freie Hände und war so ständig kampfbereit. Sein Lächeln war freundlich und trug Züge von Geduld und Verständnis. Und er sah auch den lauernden Wolf, der seine Zähne bleckte, den Bär, der seine gewaltige Kraft verbarg und den Fuchs, dessen Listigkeit sich unter Geschmeidigkeit verbarg…
Der junge Hermundure hatte ihm sein Wesen offenbart und der alte, im Dienst für Rom Ergraute sah, was Anderen verborgen blieb…
Als Noviomagus hinter ihnen lag, schloss Gerwin zum Legat auf.
„Ich höre, mein junger Freund…“ forderte Verginius Rufus. Unmittelbar hinter ihnen ritten Gerwins Begleiter, bevor Ofilius und dessen erster Decurio folgten.
„Herr, ich sagte schon, dass zwei Gruppen sich auf den Überfall vorbereiteten. Ob dieser Angriff nur an einer Stelle erfolgen sollte oder an zwei, wie ich vermutete, blieb uns verborgen. Viator rechnete mit der Hinterlist des Tutor…“
„Was waren nun die Vorgänge, die zu unseren Gunsten ausschlugen?“ warf Verginius Rufus, ungeduldig werdend, dazwischen.
„Herr erst einmal gelang es Sexinius das Unheil im Tonlager abzuwenden… Zwei Dummköpfe begünstigten des Tutors vorgehen und du bist veranlasst, die Führung im Lager neu zu ordnen…“
„Wie das?“ fuhr der Legat auf.
„Der Lagerkommandant und der Centurio der Wache ließen sich an der Nase durch das Lager ziehen… Es kam Sexinius der Verdienst zu, die Folgen in Grenzen zu halten. Tutor plünderte die gesamten Einnahmen und machte sich damit vom Hof. Der einzige kluge Mann wurde von Centurio Comitianus inhaftiert und dann noch der Ort der verborgenen Einnahmen verraten… Du wirst den Centurio der Wache und Comitianus ablösen müssen… Na ja, eigentlich hat das Sexinius, dank deiner Ernennung zum Speculator Legionis, bereits vollzogen und vorerst den Ufficiale Pagatore Luctacus die Verantwortung übertragen…. Das Geld befindet sich, dank meiner Freunde, wieder im Tonlager und Präfekt Tutor erfreut sich unserer Gastlichkeit.
„Ihr habt diesen räudigen Hund von Treverer Präfekt…“
„…und das Lager nahm keinen größeren Schaden als den, den du noch bereinigen musst. Die Männer, die ich dir zu Entsenden vorschlug, erfüllten ihren Auftrag fehlerlos…“
„Weiter Gerwin!“ bestimmte der ungeduldige Legat, zur erfreulichen Nachricht lächelnd.
„Herr, wir trafen, wie beabsichtigt, Gaurus Kohorte. Auch die Turmae von Decurio Arpatis und Marsallas stießen zu uns… Dann jedoch überzeugte mich Gaurus von der Änderung meines Planes. Wir wussten inzwischen, wo sich die Lager unserer Feinde befanden und kannten deren Stärke… Also trennten wir unsere Kräfte und beabsichtigten, beide zum gleichen Zeitpunkt anzugreifen. Ich brachte Gaurus zum Lager am Mons Vosegus, zeigte ihm den Feind und empfahl ihm eine Vorgehensweise, die er dann auch so verfolgte. Mit Nicetius verstärkter Centurie und beiden Turmae begab ich mich zum Lager der Feinde am Rhenus und bereitete dort unseren Angriff vor.“
„Wann habt ihr angegriffen?“ warf der Legat dazwischen.
„Vor zwei Tagen, genau um Mittag…“
„Und?“ Des Legats Wort klang barsch.
„Gaurus erzielte einen einfachen Sieg. Überlegenheit und Überraschung ließ den Feinden wenig Hoffnung. Dennoch überlebten etwa vierzig Kämpfer, die von Gaurus aufgefordert, in Verhandlung traten… Er bot nur deren Leben, Herr!“
„Gut und bei dir?“ Verginius schien zufrieden.
„Herr, es gab da noch einen Zwischenfall…“ Der Legat horchte auf. Sein fragender Blick erfasste den Hermunduren.
„Der die Verhandlung führende Decurio der Auxiliaren des Scribonius Rufus wurde von einem Treverer gemeuchelt. Deshalb trennten sich die zuvor Einigkeit bietenden Feinde und die Auxiliaren machten die Treverer nieder. Gaurus ließ dies geschehen…“
„Wie viele Männer blieben zuletzt übrig?“ Verginius Rufus verstand Gaurus Handlungsweise. Was sollte auch ein Einmischen bringen? Der Treverer forderte, mit seiner Tat, die Auxiliaren heraus und diese beantworteten den Angriff. Es blieb somit eine Tat, die sich zwischen den vom Statthalter des Exercitus Germania Inferior beauftragten und zusätzlich angeworbenen Männern abspielte… Nur flüchtig streifte ihn in diesem Augenblick der Gedanke, was er wohl hätte mit den überlebenden Gefangen anstellen müssen… Wäre er zur Hinrichtung der Treverer gezwungen?
„Herr, nach Gaurus Worten waren es dreiundzwanzig Auxiliare, mit dem von Mogontiacum eintreffendem Boten… Gaurus Verluste hielten sich in Grenzen. Siebzehn Tote, acht schwerer Verletzte, gab er an!“
„Hat er den Boten vernommen?“
„Ja, Herr, dass kann er dir selbst berichten… Der Bote bestätigte unsere Vermutungen…“
„Gut Gerwin, soweit zu Gaurus… Und wie erging es dir?“
„Herr, neununddreißig Tote und achtundzwanzig Verletzte!“
Die Antwort kam ohne zögern. Was bisher noch von keinem Beteiligten ausgesprochen war, verleitete Verginius Rufus zum Einwand.
„Wenn du nur mit Nicetius und den Turmae angriffst, blieb die Hauptmacht bei Gaurus. Sicher auch deshalb, weil du zuvor den Feind ausgespäht hast… Gaurus verlor also nur wenige Männer, du aber zumindest den dritten Teil… und der fast zweite Teil deiner Männer wurde verwundet…“ Der Vorwurf saß.
„Ja, Herr, weil ich einen Fehler machte!“
Gerwins Stimme klang bedrückt und wurde trotzdem so, wie alles Andere, vom hinter ihm reitenden Viator gehört.
„Herr, ich habe den Fehler gemacht!“ warf dieser dazwischen. „Du könntest auch Paratus und Aulus den Vorwurf machen… Schließlich waren wir hier bei diesen Feinden und sollten deren Verhalten beobachten…“
„Unsinn, Gerwin hat euch geführt! Gehört ihm der Ruhm, so hat er auch die Schmach zu tragen…“ Der Legat war unbarmherzig.
Gerwin nickte nur mit dem Kopf. Er ergab sich in das Urteil.
„Wo ist Aulus eigentlich? Wenn du mit den Anderen hier bist, warum fehlt dann der?“ Gerwin überging die Frage.
„Herr, die Schuld liegt bei mir! Ich war nicht noch einmal am Lager der Feinde und erkannte deshalb nicht, dass deren Anzahl gewachsen war… Vermutlich kam Verstärkung mit Booten über den Rhenus… Wir gingen von einer ersten Stärke aus, die uns mit Nicetius Centurie und den beiden Turmae Überlegenheit versprach…“ Gerwin verspürte kein Verlangen, sich aus dem selbst gemachten Fehler herauswinden zu wollen. „Die Überraschung unseres Angriffs, das Vorpreschen der Turmae zum Abschneiden des Fluchtweges über den Fluss und die Schnelligkeit des Vordringens, nach dem Kampfbeginn, begünstigten unseren Erfolg. Nur reichte die erste Gegenwehr des Feindes aus, damit sich uns der Rest geordnet entgegenstellen konnte…“ Der Hermundure schwieg für einen Augenblick, sammelte sich und schloss dann seinen Bericht ab. „Meine Freunde zersplitterten deren Front, gerieten dafür aber in Bedrängnis. Also stürmten wir, mit unserer Reserve, ins Zentrum des Kampfes und warfen sie nieder…“ Gerwin schwieg.
„Wo warst du, als der Kampf begann?“ Aufmerksam geworden, weil so Einiges nicht zusammenpasste, fragte Verginius Rufus nach. Wieso war Gerwin nicht beim Angriff dabei? Was für eine Reserve?
„Herr, ich war hinter der Front! Paratus, Viator und Sexinius bildeten die Spitze. Zuerst rückten wir langsam und vorsichtig vor. Der Feind schien uns nicht zu bemerken, bis Paratus zum Sturm überging. Ich hatte eine berittene Reserve aus Teilen beider Turmae gebildet. Meine Freunde vom Stamm der Hermunduren, der Nemeter und Chatten, sowie die beiden Legionäre, die wir zuvor ins Tonlager sandten, schickte ich zum Abfangen Fliehender. Weil die Turmae auch schnell zur Mitte des Lagers vorstießen, entkam auch kein Boot. Der Ring um das Lager war geschlossen! Das einzig Überraschende war, dass sich der Feind als fast gleich stark erwies… Wäre ich noch einmal am Lager gewesen, hätte ich dies bemerkt…“
„Gut, Gerwin, dann hast du noch etwas gelernt! Bedauerlich ist nur, dass die Lehre mit Blut geschrieben ist… Dennoch ist dieses Blut nicht deinem Fehler geschuldet, sondern der Tatsache, dass der Feind eine starke Macht aufbot, sich kampferprobter Krieger bediente und entschlossen kämpfte. Du hast richtig, von hinter der Angriffsfront geführt und mit deiner Reserve den Gnadenstoß bewirkt… Das Alles, so auch die Verhinderung der Flucht, war richtig! In jedem Kampf gibt es Verluste und uns steht Trauer und die Ehrung der Gefallenen zu! Habt ihr die Toten schon verbrannt?“
„Nein Herr, wenn sich Gaurus an mein Wort hielt… Es waren seine Männer und er ist voller Schmerz, weil mancher gute Mann…“
„Gerwin, das weiß ich!“ fuhr ihn der Legat unterbrechend an. „… auch Gaurus weiß das! Du hast dich nicht nur als erfolgreich erwiesen, sondern bist, bis auf diese eine Nachlässigkeit, auch klug und taktisch absolut richtig vorgegangen… Schluss jetzt damit! Ich habe noch nie einen so jungen Burschen wie dich einen so klugen Angriff führen sehen… Überlass Gaurus und seinen Schmerz ruhig mir!“
„Ja, Herr!“ Gerwin begriff und beließ es bei den Worten des Legat.
Er hatte seinen Fehler bekannt und der Legat sprach ihn von der Schuld des Versagens frei.
„Herr, wir haben einundvierzig Gefangene gemacht. Mit den Männern, die Gaurus brachte, besitzen wir vierundsechzig Gefangene. Es sind nicht alle Auxiliaren… Was wirst du mit den Männern tun?“
Zwischen die Reiter senkte sich Schweigen.
Verginius Rufus versank in Gedanken. Sollte er die Männer selbst umbringen lassen? Welcher Schuld hätten sich die Auxiliaren Roms zu beugen? Jeder Befehl zwang sie, unabhängig davon, was ihr eigener Wille war… Würden sie eine Freiheit aber verdienen? Würde nicht Wut, ob ihres Scheiterns, zu erneuter Handlung drängen? Oder sollte er sie zu Scribonius Rufus zurückschicken, damit der die Männer züchtigte? Würde der Legatus Augusti pro Praetore des Exercitus Germania Inferior diese scheinbaren Versager erneut gegen ihn senden? Was tat er mit Tutor, dem Unbelehrbaren? Was sollte er mit dessen Treverern machen? Wenn er den Tutor schon nicht auf seine Seite ziehen konnte, welchen Erfolg hätte er dann bei dessen Anhängern? Zu viele Fragen, die einer Antwort bedurften…
Der Ritt folgte dem Schweigen, denn sprach der Legat nicht und grübelte, würde ihn keiner seiner Männer dabei stören. Auch der Hermundure nicht.
Sie ereichten das Lager. Ihre Annäherung war Pilus Prior Gaurus wohl schon angezeigt worden, denn er erwartete seinen Legat bereits vor dem Zelt.
„Herr, dein Auftrag wurde erfüllt! Der Sieg gehört uns! Der Feind zählt über zweihundertvierzig Tote und wir derzeit noch neunundfünfzig Gefangene! Uns selbst treffen zur Zeit zweiundfünfzig Tote. Von den Verletzten wird wohl keiner mehr sterben…“
Gaurus schlug seine rechte Faust auf die linke Brust und sah durchaus nicht unzufrieden aus.
„Hast du die Toten Feinde von Gerwin schon eingerechnet?“ wollte Verginius Rufus wissen.
„Herr, habe ich nicht! Also sind es fast vierhundert Mann, die die Brüder Scribonius aufboten…“ Gaurus ließ das Ende seiner Worte offen.
„Bist du dann voller Trauer ob deiner Verluste? Siehst du dann eine Schuld bei irgendjemand?“
„Nein, Herr? Wie kommst du auf diese Deutung?“ Fast hätte Gaurus das Wort ‚Unsinn’ verwendet, konnte sich aber noch rechtzeitig zügeln.
„Dann siehst du keine Schuld beim Hermunduren für die Verluste?“ stieß der Legat nach.
„Herr, wenn ich in meiner Jugend einen solchen Angriff geplant und geführt hätte, wäre ich nicht Pilus Prior sondern Primus Pilus oder Legat oder was weiß ich… Der Junge hat ein großartiges Vermögen, Mut und Verstand!“ Gaurus Blick schweifte zu Gerwin, dann zu Viator und dort fand er eine Bestätigung im angedeuteten Nicken.
„Gut, dann trauern wir um unsere tapferen Gefährten…“ bestimmte der Legat.