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Herr Dietrich

Von diesem Garten hatte er geträumt. Ein Garten wie die in seinen schönen Bildbänden. Ein Garten zum Träumen. Ein Garten zum Lustwandeln. Ein Garten zum Lustgraben. Und Graben war Herrn Dietrichs Lust. Das Graben in fruchtbarer Erde. Mit eigenen Händen. Und durch das Graben die Erde noch fruchtbarer machen. Er liebte, was er tat. Was er tun musste.

Seit Herr Dietrich den Garten entdeckt hatte, arbeitete er mehr als je zuvor. Er hatte sich vorgenommen, unter diesem Garten das ausgeklügeltste Höhlensystem anzulegen, das je ein Maulwurf unter einem Garten gegraben hatte. Ein Höhlensystem für seine Familie, so sicher wie kein anderes Maulwurfsheim. Mit vielen Blindgängen. Mit Notausgängen in alle Richtungen. Und dort wollte er dann bleiben mit seiner Familie. Unter diesem wunderschönen Garten.

Herr Dietrich hatte noch niemals so schöne Gänge gegraben. Er streichelte sorgsam die Wände glatt. Ihm schien, als sei die Erde unter diesem himmlischen Garten leicht und weich. Und sie schien sogar zu duften. Nach der herrlichen Ramblerrose, die sich oben um den alten Apfelbaum wand. Nach den Lavendelstöcken unter den Strauchrosen. Nach den Glockenblumen zwischen den Zwergröschen. Gar nicht zu sprechen von den Rosen selbst. Herr Dietrich benannte die Gänge seines Höhlensystems nach den am schönsten duftenden Rosen darüber. Da gab es den Gang „Bobby James“, der mündete in den Gang „Gloire de Dijon“. Dann gab es Gänge, die hießen „Glenn Dale“ oder „Paul Cezanne Delbard“. Oder „Taunusblümchen Weigand“. Oder „Camille Pissarro“.

Die klingenden Namen hatte Herr Dietrich aus einem Buch über alte Rosen, das ihm seine Großmutter hinterlassen hatte. Eine ausgewiesene Rosenkennerin, die genau gewusst hatte, wie man die Erde unter einer Rose umgraben musste.

Was Herr Dietrich nicht bedachte in seiner Begeisterung für den Zaubergarten: Er warf so viele Hügel auf, dass die Dame, die mit diesem Garten alt geworden war, nicht mehr wusste, wohin sie all die Erde verteilen sollte, die das Tier täglich aus dem Boden schaufelte.

Niemals wäre Ehrentraud S. auf den Gedanken gekommen, den Maulwurf zu töten. Aber er bereitete ihr inzwischen schlaflose Nächte. Nicht nur, dass die Hügel ihren Schönheitssinn störten. Wohin mit all der Erde? Ihr Nachbar hatte ihr geraten, das Tier zu vergiften. Frau S. war darüber so empört gewesen, dass sie dem tüchtigen Mann, der ihr wöchentlich den Rasen mähte, erstmals keinen Tee angeboten hatte.

An einem Dienstag stand Ehrentraud S. kopfschüttelnd vor einem der Hügel, als Herr Dietrich den Kopf aus der Erde reckte. Beide erschraken sie. Das Tier ebenso wie die alte Dame. Frau S. fasste sich als erste. Sie wusste nicht, warum sie es tat, aber sie sagte zu dem Maulwurf: „Warum machen Sie das? Die viele Erde …“ Und Herr Dietrich antwortete: „Verzeihen Sie, Verehrteste, das ließ sich nicht vermeiden. Ich wäre dann aber fertig.“ Worauf Frau S. ihn zu einem Tässchen Margaret´s Hope einlud.

Die hohe Kunst des Schneckenzerschneidens

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