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Tödliche Erfüllung

Er hatte aufgehört zu zählen. Er wusste nicht mehr, wie oft er den Kampf verloren hatte. Es spielte keine Rolle. Es waren jedes Mal große Momente in seinem Leben gewesen. Nicht einen wollte er missen. Niederlagen allesamt, aber rechtschaffene. Große Niederlagen. Leidenschaftliche. Hier der Mann mit der Angel in der Hand. Dort der Fisch. Und je öfter er mit dem Fisch gekämpft hatte, umso mehr war sein Respekt vor ihm gewachsen. Gleichzeitig aber die Gier auf einen Sieg.

Es war eine Gier. Eine Besessenheit. Er hatte kein Recht mehr, dem Fisch nachzustellen. Das Tier hatte sich so lange erfolgreich gewehrt. Es war an der Zeit, seine Stärke anzuerkennen und den Kampf zu beenden. Woher nur dieser Hunger nach einem Sieg? Er war ein guter Angler. Gehörte dazu nicht, die eigenen Grenzen zu erkennen? Diese hässliche Gier nach dem Tod des Fisches hatte etwas Hinterhältiges. Sie machte aus dem ehrenvollen Kampf etwas Kleines, Schmutziges.

Er war jetzt 73 und stritt seit Jahren mäßig erfolgreich mit seinem Morbus Crohn. Das heißt, sein Darm stritt. Und ehe dieser damit angefangen hatte, hatte er sich nicht vorstellen können, wie schwer die Tage sein konnten, wenn der Darm verrückt spielte. Es war eine unappetitliche Krankheit. Er sprach nicht darüber. Außer seiner Frau und seinem Sohn wusste niemand davon. Es war kein Thema für den Stammtisch.

Dennoch war er ein starker Mann geblieben. Groß. Für sein Alter kräftig. Er hatte gute Tage, an denen er seinen Darm für kurze Zeit vergaß. Es waren diese Tage, an denen er Pläne schmiedete. Und immer drehten sie sich um den Fisch. Ein alter, großer Leng. Vermutlich so lang wie er selbst. Mindestens aber einen Meter fünfundsiebzig. Und das war für einen Leng sehr lang.

Er hatte den Fisch in jenem Sommer vor acht Jahren zum ersten Mal an der Angel gehabt. Ein Angelurlaub im Süden Norwegens, zu dem ihn sein Sohn begleitet hatte. Nicht aus Leidenschaft, sondern weil er den Vater nicht allein hatte fahren lassen wollen. Seine Frau war zu Hause geblieben. Das kleine Häuschen an der Küste hatte für sie nichts Reizvolles. Sie sah sich stundenlang allein mit ihren Romanen sitzen, während ihr Mann und ihr Sohn fischen gingen. Romane konnte sie auch zu Hause lesen. Dazu musste sie nicht an eine einsame Küste in Norwegen fahren. Sie mochte das Meer wärmer.

Dass es seither immer der gleiche Fisch war, mit dem er kämpfte, das stand für ihn außer Frage. Er hatte alles über die Fischart gelesen. Einen Namen hatte er seinem Fisch dennoch nie gegeben. Sie waren Gegner, standen auf verschiedenen Seiten. Wenn er auch zugeben musste, dass es eine sonderbare Beziehung zwischen ihnen gab. Und sei es nur die, dass er nirgendwo anders mehr Urlaub gemacht hatte. Sein Sohn begleitete ihn längst nicht mehr, seine Frau machte Ferien in Umbrien. Sie hatte sich nie so zum Meer hingezogen gefühlt wie er.

Es sollte diesen Sommer der letzte Kampf werden. Er fuhr mit dem Vorsatz, es nur noch dieses eine Mal zu versuchen. Sollte der Fisch wieder gewinnen, wollte er es endgültig dabei bewenden lassen.

Kaum hatte der alte Mann die Angel ausgeworfen, zog der Fisch beinahe aufreizende Kreise um das Boot. Als wüsste er, dass es nur noch dieses einen Sieges bedurfte, um für immer in Ruhe gelassen zu werden. Er war schön, dieser große, starke Fisch. Der Mann verzog den Mund: Wie kam er nur dazu, diesem Tier nach dem Leben zu trachten?

Er hatte ein Päckchen am Haken, dem der Fisch nicht würde widerstehen können. Eine Stunde saß er, während der Fisch nur seine Kreise zog. Doch er würde heute beißen. Er musste. Es gab nur noch diesen einen Tag. Und dann spürte er den Gegendruck an der Angel. Spürte, wie er zog. Spürte die Kraft des Fisches. Seines Fisches.

Der Mann im Boot zog alle Register seines Könnens. Dasselbe tat der Fisch. Schien bisweilen absichtlich locker zu lassen, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Nur um dann mit einem heftigen Ruck anzureißen, wenn er nicht darauf gefasst war. Der Kampf dauerte stundenlang. Und der alte Mann merkte, wie ihn die Kräfte verließen. Er merkte aber auch, dass der Fisch an seinen Grenzen kämpfte.

Der Mann ahnte mehr, als es ihm bewusst war, dass sein Einsatz diesmal zu hoch war. Dass es nicht nur für den Fisch um Tod oder Leben ging. Je länger dieser zog und lockerließ, umso mehr spürte er, wie sein nicht mehr junges Herz schrie, den Kampf augenblicklich zu beenden. Gleichzeitig rumorte sein Darm. Als habe dieser sich mit seinem Herz verbündet. Und dann hörte der Widerstand so abrupt auf, dass er beinahe aufgeschrien hätte. Langsam kurbelte er das Tier zu sich heran. Ihre Blicke trafen sich.

Sie sahen friedlich aus, als man sie fand. Mehr wie Liebende denn tödliche Gegner. Der alte Mann hatte den Fisch noch ins Boot gehoben und ihm den Haken aus dem Maul gewunden. Beim Versuch, ihn wieder ins Wasser zu werfen, war er offenbar zusammengebrochen.

Die hohe Kunst des Schneckenzerschneidens

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