Читать книгу Unverhältnismäßig. - Gabriela Hochleitner - Страница 5

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Kapitel 2

Beim Weggehen haben wir mittlerweile den perfekten Ablauf entwickelt. Da ich mir keine Wohnung zentral in der Stadt leisten kann und Caro zehn Kilometer weiter weg wohnt, fahren wir meistens mit meinem Fahrrad in die Stadt. Caro tritt dann in die Pedale und ich sitze auf dem Gepäckträger. Ich jammere dann nahezu bei jedem Loch, in das sie mit Vollgas fährt. Dabei bohrt sich immer der Gepäckträger tief in meine Hüftknochen, und sie beteuert dann, dass sie hier das Opfer sei, da sie ja immer radeln müsse wie eine Bekloppte. Wir sperren das Rad dann ab und gehen noch ein paar Meter zu Fuß zur ersten Bar. Wäre ja peinlich, mit dem Fahrrad dort aufzukreuzen, allerdings ist es auch günstiger, als mit dem Taxi zu fahren. Das Geld investieren wir lieber in einen Drink, da sind wir uns einig. Auf dem Nachhauseweg kommen wir an einem Taxi sowieso nicht vorbei, da eine Fahrt mit dem Rad mit Alkohol im Blut sehr weit weg von intelligent wäre. Am nächsten Tag hole ich das Rad dann natürlich irgendwann ab. Bisher hatte ich echt Glück, dass es noch niemand geklaut hat. Eventuell liegt es an der Farbe. Und Caro hat mir eine glitzernde Aufschrift mit „Pussybike“ spendiert.

„Macht sich gut auf dem pinken Hintergrund“, hat sie gemeint, „das klaut bestimmt keiner.“ Sie hat wohl recht.

Wir betreten unsere erste Bar. Als wir an der Theke vorbei zu unseren Plätzen gehen, fragt die Kellnerin bereits: „Wie immer?“

„Oh, ja bitte.“ Wir strahlen sie an und freuen uns, dass sie uns auch nach drei oder vier Wochen einfach immer sofort erkennt.

Sie bringt uns zwei Weißbiergläser mit unseren Cocktails, die zusätzlich einen Stamperl Kirsch versenkt enthalten. Einfach spitze! Wir nennen diesen Cocktail „heftige Scheiße“, da sich niemand den Namen des damaligen Spezialgetränks merken konnte, und mittlerweile nennen die Kellner es ebenfalls schon so. Nach der Runde sind wir dann auch immer bereit für den Club und so richtig in Tanz- und Feierlaune.

Wir stöckeln also Richtung Club und von Weitem können wir den hübschen Türsteher schon erkennen. Er blickt auf und sein ernster Blick verwandelt sich in ein umwerfendes Lächeln. „Hi Barbie“, grüßt er Caro.

„Hi Ken“, flüstert sie lächelnd zurück.

Ich frage mich, wie der wohl wirklich heißt, er hat es uns schon so oft gesagt, aber dank der „heftigen Scheiße“ kann ich mich immer nicht so recht daran erinnern.

„Ach Kleines, mein richtiger Name ist Mike, vielleicht verrätst du mir auch mal deinen Namen?“

„Aber du siehst halt aus wie Ken“, antwortet Caro mit einem Lächeln und einem Schulterzucken, während sie an ihm vorbeigeht und die Frage nach ihrem Namen ignoriert. Nachdem wir den Eintritt bezahlt haben, meine ich zu ihr: „Ach Caro, wieso gibst du ihm nicht mal ’ne Chance? Er hechelt dir seit zwei Jahren hinterher und du sagst ihm nicht mal deinen Namen? Der sieht doch gut aus, was hast du denn nur? Der wird dir auf dem Silbertablett serviert und frisst dir aus der Hand und du interessierst dich nicht für ihn?“

„Anna, der ist einfach zu nett. Ist so. Ich will einen bösen Jungen mit weichem Kern.“

„Aber das wissen wir doch jetzt schon, dass die, die nach Arschloch aussehen, auch immer welche sind!“

„Naja, trotzdem“, meint sie, zuckt noch einmal mit den Schultern und dann gehen wir die Treppen runter und tauchen mit immer lauter werdender Musik ins Nachtleben ab.

Schnell noch die Jacken abgeben und dann sind wir auch schon auf dem Weg zur Tanzfläche. Wir verstehen uns einfach blind, checken die potenziellen Zukunftsehemänner ab und signalisieren uns mit Blicken, ob einer interessant wäre oder gar nicht geht.

Wir tanzen gerade zu Candy Shop, als sich Caros Gesicht um 180 Grad dreht, von der Gangsterrapperin zu einem goldig süßen Lächeln an mir vorbei.

Uhlala, denk ich mir, wer da wohl jetzt kommt? Und kann es kaum erwarten, mich umzudrehen. Der Typ drückt sich durch die enge Tanzfläche an mir vorbei und spricht Caro direkt an. Aber hallo, wenn das mal nicht total ihr Typ ist: groß und gut gebaut, dunkle, perfekt gestylte Haare und gezupfte Augenbrauen. Ich persönlich finde nichts Schönes an gezupften Augenbrauen. Wer will einen Kerl, der länger vor dem Spiegel steht als man selbst? Schatz, hast du meine Pinzette gesehen? – Diesen Satz möchte ich in meinem Leben mit Sicherheit nicht hören. Aber Caro legt sehr viel Wert auf einen gepflegten bzw. überpflegten Kerl. Nicht falsch verstehen, ich will keinen Hinterwäldler mit Monobraue, aber er soll halt schon noch mehr Kerl sein.

Caro zwinkert mir zu und verschwindet mit ihm an die Bar. Die Zeit nutze ich für eine Pinkelpause. Als ich fertig bin und aus der Kabine komme, steht Caro bereits mit verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen neben dem Waschbecken, bereit, mir zu sagen, was der Kerl denn für ein Arschloch sei.

„So schlimm?“, frage ich sie vorsichtig, und gehe zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen, beobachte sie aber weiter mit großen Augen im Spiegel.

„Alter, der Typ ist verheiratet. Er hätte es nicht mal gesagt, aber man sieht halt deutlich den weißen Streifen, wo für gewöhnlich sein Ring sitzt. Ich hab ihn drauf angesprochen, er lässt sich angeblich grade scheiden, sie seien erst seit ’nem Jahr verheiratet, aber es sei ein Fehler gewesen und sie habe sich so verändert mit dem Kind ... Ähm, hat dem Kerl irgendwer ins Hirn geschissen, Anna??? Was ist bloß los mit den Männern? Wie zur Hölle kann man sich ein Jahr zuvor das Ja-Wort geben und jetzt schon andren Frauen hinterherhecheln ... Boah, das widert mich an, Anna, ganz ehrlich.“

„Ok, willst du lieber nach Hause geh’n?“

„Nein, eigentlich nicht, ich habe mich so auf heute gefreut, ich will mir von dem Kerl nicht die Nacht verderben lassen, aber langsam denke ich einfach, dass alle Männer so sind. Keiner will mich wirklich kennenlernen, ich bin nur gut für die Kiste. Strahle ich das echt aus? Ich zweifle einfach schon an mir selbst, vielleicht bin ich ja das Problem …“

Schockiert über diese Aussage stelle ich mich vor sie und mache eine klare Ansage: „Caroline Bauer, du bist eine wunderschöne Frau, absolut liebenswert, und wer das nicht sieht oder sich nicht die Mühe macht, dich kennenzulernen, hat dich nicht verdient. Ich kenne keine Frau mit so viel Power, also lass dich nicht runterziehen von ’nem oberflächlichen Möchtegernhengst. Die denken echt, wir sind so hohl ...“

Wir lachen beide los. Ich nehme ihre Hand: „Caro, du bist wunderschön und dein Charakter ist sogar noch schöner. Hab dich lieb.“

Wir schauen uns an, nicken uns zu und starten nochmal neu in die Tanzfläche. Okay, erst noch machen wir einen kurzen Abstecher an die Bar, wo wir uns einen Shot genehmigen. „Auf uns!“, rufen wir uns zu und kippen den Wodka hinunter, als würde er den Neustart in den Abend besiegeln.

Wir haben noch viel getanzt und gelacht und hatten noch eine super Nacht, doch auch die besten Clubs müssen irgendwann schließen. Nun ist es ein Uhr nachts. Wir nehmen uns ein Taxi, da wir müde sind und heim wollen.

Als wir nach dem gemeinsamen Zähneputzen im Bett liegen, gehen uns noch viele Dinge durch den Kopf. Caro fragt sich, ob sie irgendwann jemanden kennenlernen werde, der sie für ihre Eigenschaften liebe. Und dann auch noch eine Familie gründen wolle. Sie meint, das wäre unmöglich, es wäre so, als würde man zweimal im Lotto gewinnen. Ich stimme ihr zu. Wir sind uns einig: Scheinbar alle Männer haben dieselbe Vorstellung von einer perfekten Familie: eine Frau, die sich um alles kümmert, die frisch gekocht hat, wenn der Mann nach Hause kommt, und sobald die Kinder im Bett sind, wird das Licht gedimmt und mit perfekter Figur selbst nach zwei Kindern gestrippt und der Mann verwöhnt. Sobald es nicht so läuft, wie die Herren sich das wünschen, sind sie unzufrieden und ziehen nur noch ein langes Gesicht. Dann heißt es, dass sie doch diejenigen sind, die alles für die Familie tun, weil sie ja schließlich arbeiten gehen und somit mehr als genug machen.

Caro setzt sich auf, nimmt die zwei kleinen Zierkissen, die ich immer am Kopfende liegen habe, stopft sich eins unters Schlafshirt und wirft mir das zweite zu. Sie formt einen Babybauch damit und animiert mich ebenfalls dazu. Da sitzen wir nun und betrachten uns liebevoll im Spiegel am Kleiderschrank gegenüber.

„Oh Mann, wär das schön, stell dir vor, da drin bewege sich dein Baby“, flüstert sie und streichelt verliebt über den Polsterbauch. Ich hole sie in die Realität zurück: „Ja schon, aber wir sind halt so weit davon entfernt.“ Enttäuscht ziehe ich das Kissen aus meinem Shirt.

„Das wird schon noch, Anna, wir müssen nur den Richtigen finden, weißt du?“ So richtig scheint sie sich das selbst nicht zu glauben, denn auch ihre Mimik wird traurig.

Wir legen uns schlafen, doch mein Kopf hört nicht auf, sich Sorgen zu machen. Wie soll ich mich jemals um jemanden kümmern, wenn ich finanziell schon Probleme habe, mich selbst zu versorgen? Ich bin so eine Versagerin. Es muss sich etwas ändern! Ich brauche einen Nebenjob, um Geld zu sparen. Andererseits bin ich von meinem Bürojob schon immer so ausgelaugt, wie soll ich es da schaffen, noch zusätzliche Stunden zu arbeiten? Das Wochenende ist mir auch irgendwie heilig. Ich muss Caro später, wenn wir ausgeschlafen sind, fragen, ob ich vielleicht bei ihr ein paar Stunden arbeiten kann. Ja, das mach ich gleich nach dem Aufstehen. Etwas beruhigt schlafe ich ein.

Unverhältnismäßig.

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