Читать книгу Unverhältnismäßig. - Gabriela Hochleitner - Страница 6

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Kapitel 3

Um zehn Uhr am Morgen öffne ich noch etwas schlapp die Augen. Als mir mein Plan mit dem Nebenjob bei Caro in den Sinn kommt, bekomme ich plötzlich einen regelrechten Energieschub und bin voller Entschlossenheit, mein Leben zu ändern. Ich schlüpfe in meine Pantoffeln und meinen Morgenmantel und watschle mit Sturmfrisur in die Küche, um Wasser zu kochen. Für Caro gibt es wasserlöslichen Cappuccino und für mich einen Tee aus meiner großen Teesammlung. Heute entscheide ich mich für persischen Granatapfel, da ich besonders morgens die fruchtigen Sorten bevorzuge. Mit der warmen Tasse in der Hand und dem fruchtigen Geruch, der mir in die Nase steigt und den ganzen Raum erfüllt, fühlt es sich an wie eine große warme Umarmung und ich genieße den Morgen, trotz der kleinen Regentropfen, die ans Fenster prasseln. Caro ist nun ebenfalls aus dem Schlafzimmer geschlüpft und reibt sich noch etwas verschlafen das Gesicht. Ihre Haare haben mittlerweile nichts Seidiges mehr, eher etwas von einem Vogelnest-Dutt.

„Good morning sunshine“, begrüße ich sie.

„Sunshine am Arsch, hast du schon mal rausgeschaut? Voll regnerisch heute.“ Sie holt sich ihren Cappuccino und stößt automatisch mit mir an, nach kurzem Kopfschütteln müssen wir lachen.

„Du Caro, ich hab jetzt ’nen Plan. Ich verdiene doch so wenig und komme kaum über die Runden. Also eigentlich gar nicht. Auf eBay Kleinanzeigen finde ich einfach keinen passenden Nebenjob, könntest du vielleicht fragen, ob ich bei euch im Restaurant mithelfen könnte am Wochenende?“

„Pupsi, aber wann sollen wir denn weggehen, wenn wir abwechselnd arbeiten? Nee, Spaß beiseite, wir suchen eigentlich jemanden für Vollzeit, weil Kerstin jetzt in ’ner Bar bedienen will. Wir teilen die Schichten immer auf drei Leute, weißt du, da bringt uns jemand fürs Wochenende eigentlich nichts, leider. Aber probiere es doch in Vollzeit!“

Leider hatte ich mir eine ganz andere Antwort erhofft.

„Aber Caro, ich suche doch nur was für nebenbei …“

„Anna, ganz ehrlich, du hasst deinen Job! Du hasst deine Kollegen und dein Verdienst ist beschissen. Wofür? Ich will dich nicht fertigmachen, aber ich verdiene als Bedienung 1700 netto mit Trinkgeld, verstehst du. Du rackerst dich ab, bist immer der Depp, aber wofür? Damit du sagen kannst, dass du im Büro arbeitest? Was bringt dir das Sitzen, wenn du dich eigentlich gerne mehr bewegen würdest?“

„Ja, da hast du schon recht ... Aber wie sieht das denn in meinem Lebenslauf aus? Da nimmt mich doch nie wieder wer für ’ne Bürostelle.“

„Ist doch egal, es gefällt dir doch eh nicht im Büro.“

„Aber der Job ist jetzt sicher, ich hab da gelernt, die würden mich niemals kündigen.“

„Anna, du bist dort aber nicht glücklich und es bringt dir einfach nichts für dein Leben. Sei mal ehrlich zu dir selbst. Ist doch besser, ’nen Vollzeitjob zu haben, von dem man leben kann, auch wenn’s nicht der angesehenste Job ist, als dass du dich wie einen Hund behandeln lässt und viel zu wenig verdienst. Denk drüber nach, ich will dich nicht drängen, aber ich merke ja, dass du da einfach nicht glücklich bist.“

„Ja, ich weiß, du hast ja vollkommen recht, aber die Sicherheit hinter mir zu lassen fällt mir auch nicht leicht. Da kenn ich alle und weiß über alles Bescheid und mache meine Arbeit gut. Als Bedienung weiß ich gar nicht, ob ich das gut mache und ob mir das dann mehr Spaß macht. Ich weiß nicht ...“

„Ok, du bist ein Profi in deinem Job. Aber wann hast du das letzte Mal irgendeine Form von Anerkennung bekommen? Ich habe den Mindestlohn, Anna, und bekomme durch das Trinkgeld einfach so viel mehr raus. Ich will dir deine Arbeit nicht schlecht reden … Naja, irgendwie schon, aber du verdienst halt einfach mehr, als du verdienst. Verstehst du, was ich meine?“

„Hm, ja, ich versteh schon, was du meinst“, muss ich ihr zugestehen und verspreche ihr, mir darüber Gedanken zu machen.

Es ist nun mittlerweile 17 Uhr und wir schauen eingekuschelt auf der Couch zusammen die Aufnahmen der Brautsendungen der ganzen Woche an, während sich Caro eine Schüssel Cornflakes einverleibt.

„Hoffentlich nimmt sie nicht dieses Kleid, das vorherige stand ihr doch hundertmal besser!“, hofft sie halb kauend, halb redend.

„Hm ja“, antworte ich, bin aber in Gedanken noch bei unserem Gespräch von heute Morgen. Sie hat recht. Die Firma scheißt auf mich, ich bekomme 150 € Urlaubsgeld. Wohlgemerkt brutto. Was soll ich mit 73 € netto Urlaubsgeld machen? Das reicht nicht mal zum Zelten ... Aber hey, sieh’s positiv, immerhin bekommst du Urlaubsgeld. Zumindest mein Kontostand freut sich und sagt: Hey, super, nur noch 300 € im Minus, ist doch klasse. Loben tut dich keiner für nichts, im Gegenteil, ständig wirst du grundlos angeschnauzt, auf der anderen Seite des Telefons wird aufgelegt oder der Raum verlassen, bevor man überhaupt antworten kann. Manchmal fühle ich mich, als wäre ich sechs Tage depressiv und einen Tag am Wochenende voller Lebensfreude. Ja, das ist meine aktuelle Situation.

Caro trinkt die letzte Milch aus der Schüssel und fuchtelt mit dem Löffel zum Fernseher: „Kannst du fassen, dass die jetzt echt die A-Linie nimmt??? Das erste Kleid war perfekt, ist die blind, oder wie? Warum sagt denn ihre Mama nichts dazu, ihre Freundin lässt das auch noch zu! Also eins sag ich dir, ich würde dich auf keinen Fall blöd bei deiner Hochzeit aussehen lassen, das schwöre ich dir!“

„Danke Caro, du bist einfach ’ne wahre Freundin.“

Sie stellt ihre Schüssel auf den Tisch und sagt selbstbewusst: „Ja, das weiß ich.“

Schon heftig, dass sie im Restaurant so gut verdient. Da wird einem ewig in der Schule eingetrichtert, man solle fleißig lernen und wenn möglich studieren. Und wofür hab ich jetzt Mittlere Reife? Hauptschule hätte es offensichtlich auch getan. Ich gönn’s ihr ja, ich find es nur unfair, dass ich so wenig verdiene. Sie hat recht, das muss sich jetzt ändern. Ich nicke entschlossen vor mich hin, als Caro mich aus meinen Gedanken reißt.

„Führst du wieder gedankliche Selbstgespräche?“ Sie lacht, „du weißt aber schon, dass ich neben dir sitze? Als Mensch, mit dem du reden kannst.“

Ich antworte schmunzelnd: „Ja schon, ich musste nur nochmal über unser Thema heute nachdenken, du hast einfach recht.“

„Das ist nichts Neues, aber was genau? Also bestellen wir doch beim Mexikaner? Encheladas de vaca, por favor,“ bestellt sie bei mir vor und strahlt mich an.

Ich schüttle den Kopf und muss schon wieder schmunzeln. „Nein Caro, also ja, wir können schon vom Mexikaner bestellen.“

„Supi“, freut sie sich.

„Aber das hab ich eigentlich nicht gemeint.“

Jetzt wendet sie sich mir zu und legt den Kopf schief und schaut mich fragend an, wie man es üblicherweise von Welpen kennt. Ich lasse sie nicht länger warten und erkläre: „Du hast recht, was du wegen meines Jobs gesagt hast, ich sollte wirklich mutig sein und was Neues starten. Wenn du morgen arbeitest, mach ich mich gleich mal an den Laptop und suche mir was Neues. Ich möchte wirklich endlich mal verdienen, was ich verdiene.“

„Oh schade, also ich meine gut, aber wenn du nach Stellen suchst, dann willst du doch nicht zu mir kommen, oder?“, fragt sie etwas gekränkt.

„Ich will einfach schauen, was ich mir vorstellen kann zu machen, vielleicht gibt es den perfekten Job für mich. Außerdem wäre es ja wirklich blöd, wenn wir dann abwechselnd arbeiten würden“, entgegne ich ihr enthusiastisch.

„Ok, ich werde auch immer wieder mal unter der Woche für dich schauen.“ Sie macht trotz Schneidersitz einen kleinen Hopser auf der Couch zu mir rüber, wirft die Arme in die Luft und schlingt sie um mich, während sie ruft: „Wiiiiiiir schaffen daaaaas! Yeaaaaaaahhh!“

Nach kurzem Schütteln wird sie plötzlich wieder ruhig und begibt sich in ihre eingesessene Mulde zurück auf die Couch, legt die Decke wieder zurecht und schaut mich an: „Hey, mal was anderes. Wenn wir jetzt was zu essen bestellen, willst du dann überhaupt noch weggehen heute?“

Ich merke schon, dass sie heute gar keine Lust auf Ausgehen hat. Das kommt mir gerade recht, denn mir geht es genauso, deshalb entgegne ich: „Gott sei Dank, ich hab heute auch keine Lust mehr auf Party, suchen wir uns einfach ’nen Film an, ok? Ich brauche morgen eh volle Power zum Bewerbungen schreiben und ich hab echt keine Lust mehr, mich heute noch in ’nen BH zu quetschen. No thanks.“

„Supi“, sie nickt zufrieden und greift zur Schokolade. Sie hält für gewöhnlich unter der Woche Diät und gönnt sich dann am Wochenende immer einen Cheat Day. Der hat es dann immer in sich, aber sie kommt gut klar so. Hat sich irgendwie schon so eingependelt.

Unverhältnismäßig.

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