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1.2.4Die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivation

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Ich betrachte die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivatoren. Sie können mangelhaft repräsentiert sein, aber sie entstehen nicht aus einem Mangel heraus, sondern sind ursprüngliche Kräfte, die uns unwillkürlich mehr oder minder unbewusst antreiben. In uns allen ist ein autonomes Selbst angelegt. Wir alle leben in Beziehung mit anderen. Wir alle brauchen Orientierung und Sicherheit. So gesehen sind die Kernbedürfnisse die drei Quellen aus denen sich der strukturelle Raum der Psyche bildet und zugleich gespeist wird.

Die folgenden Beispiele sollen veranschaulichen, wie die Kernbedürfnisse im alltäglichen Miteinander andauernd vorhanden sind. Es kann spannend und aufschlussreich sein, sich ihre ständigen Wechselwirkungen auch bewusst zu erschließen.

(Im Folgenden: A = Autonomie, B = Beziehung, S = Sicherheit)

a) Peter und Petra treffen sich

Peter und Petra sind alte Schulfreunde. Sie haben sich lange nicht gesehen und sind am Bahnhof verabredet. Petra kommt mit dem Zug, er wartet in der Eingangshalle. Petra sieht ihn und geht noch »ganz schnell« zur Abfahrtstafel, um zu schauen, wann der letzte Zug zurückfährt (S). Peter ist irritiert, dass sie ihn nicht zuerst begrüßt (B). Als sie auf ihn zukommt, meint er etwas schnippisch: »Du kannst es wohl nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen«, er ist – wenn auch leicht – verletzt (B). Bei Petra entsteht Unsicherheit und sie fragt sich, warum Peter so »komisch« sei (S+B), trotzdem will sie ihn umarmen (B). Peter ist dabei etwas reserviert, für ihn ist ihr Verhalten jetzt etwas zu aufdringlich (A). Petra denkt: »Hat der sich aber verändert seit dem letzten Mal!« (Projektion: Sie möchte sich auskennen [S]). Sie weiß nicht recht, wie sie jetzt reagieren soll (A+S+B).

Es ist vorstellbar, dass diese klitzekleine Anfangssequenz Folgen für die weitere Beziehung hat, weil beide nicht wissen, was genau passiert ist.

b) Im Seminar

Genau diese Geschichte erzähle ich in einem Seminar. Kurz darauf ist Pause und eine Teilnehmerin kommt auf mich zu, während ich gerade dabei bin, am Laptop die nächsten Folien zu überprüfen (S). Während sie mich anspricht, schaue ich auf die Leinwand, worauf sie sagt: »Ich sehe schon, dass interessiert dich nicht« (B). Ich schaue zu ihr und sage: »Ich habe nur noch eine Folie gesucht« (S), aber da ist sie schon weg (A). Jetzt bin ich genervt: »Sieht die denn nicht, was ich gerade tue?! (B) Soll ich sofort parat stehen?!« (A). Ich gehe ihr nach und wir können im klärenden Gespräch über unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen lachen (B+S).

c) Wohnungsfinanzierung

Vor einiger Zeit habe ich zwecks einer Wohnungsfinanzierung ein Darlehen aufgenommen. Seither habe ich eine Lieblingsbank: Von Anfang an kann man entsprechend dem eigenen Bedarf das jeweils auftretende Kernbedürfnis stillen.

Autonomie:

Die Identitätsprüfung erfolgt via Skype, für mich entspricht das meinem Bedürfnis nach Handlungsspielraum, weil ich nicht auf der Post anstehen muss für die Ausweiskontrolle. Technisch gibt es ausreichend Möglichkeiten, Dokumente zu scannen und hochzuladen, ich kann also jederzeit das Nötige selbst tun.

Beziehung:

Bei Bedarf kann man anrufen und es steht jedes Mal eine sehr freundliche und kompetente Person zur Verfügung, die einem geduldig den Sachverhalt erklärt und Sätze sagt wie: »Das sind auch schwierige Begriffe, das verstehe ich, dass Sie da Unterstützung brauchen.«

Sicherheit:

Die Vertragsunterlagen sind übersichtlich und transparent gestaltet. Durch die gute technologische Unterstützung sehe ich jederzeit, inwieweit sie vollständig sind oder was noch fehlt. Die ganze Angelegenheit wird sehr zügig abgewickelt, ich bin stets orientiert über den Bearbeitungsstand und weiß, wie lange was dauern wird.

d) Der Nadeldrucker im Fokus der drei Kernbedürfnisse

Tag 1 – Die Teammitglieder

Beim Coaching mit dem 18-köpfigen Team einer großen Arztpraxis werden Brennpunktthemen gesammelt und auf Moderationskarten geschrieben. Diese sollen dann an der Pinnwand triadisch verortet werden, entsprechend den Kernbedürfnissen, die vorher natürlich erklärt wurden.

Ein Thema ist der alte Nadeldrucker, der interessanterweise in allen drei Bereichen angepinnt wird. Für die jeweiligen Teilnehmerinnen ist tatsächlich je ein anderes Kernbedürfnis betroffen:

Autonomie:

»Der stresst mich, weil er so laut ist. Man kann nicht in Ruhe arbeiten.«

Beziehung:

»Wir monieren den Drucker seit Langem immer wieder und die Chefs reagieren einfach nicht. Denen ist es einfach egal, mit welchen steinzeitlichen Maschinen wir hier arbeiten müssen.«

Sicherheit:

»Das Ding ist störanfällig und wir haben keinen passenden Kundendienst mehr für das Gerät. Mich stresst schon jetzt die Vorstellung, dass er mal wieder nicht geht.«

Drei unterschiedliche Perspektiven auf einen Drucker und damit natürlich auch unterschiedliche Werte, die im Vordergrund stehen. Es entsteht ein reger Austausch zwischen den Teammitgliedern, weil sie es spannend finden, wie das, wovon jemand selbstverständlich ausgeht, für den Nächsten ganz anders sein kann. Und weil sie erkennen, dass man den anderen zuvor eben nicht verstanden hat, wächst die Motivation und Fähigkeit des zirkulären Nachfragens untereinander. Die Kernbedürfnisse als ein Ordnungsprinzip zu nutzen, hilft ihnen, besser zu verstehen, wie anders der andere tickt.

Tag 2 – Die Chefs

Am nächsten Tag kommen die Praxisinhaber zum Teamcoaching und können an der Pinnwand die Moderationskarten lesen. Bisher ist der Nadeldrucker für sie ein unbedeutendes Sachthema gewesen und sie betrachten ihn als ein technisches Detail. Nachdem sie sehen, dass beim Praxisteam alle drei Kernbedürfnisse betroffen sind, erkennen sie die Wichtigkeit des Themas. Die Entscheidung, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, wird dann sehr zeitnah umgesetzt.

Übung: die Wahrnehmung von Bauch – Herz – Kopf

Für die Übung brauchen Sie sich nicht anzustrengen oder zu konzentrieren, es reicht die Vorstellung, dass das jeweilige Zentrum Augen habe. Es ist sehr hilfreich, diese Übung im Stehen oder Gehen durchzuführen und nicht im Sitzen. Bevor Sie mit Ihrer Wahrnehmung von einem Zentrum ins nächste wechseln, sollten Sie einen Platzwechsel vornehmen. Lassen Sie sich von sich selbst überraschen: Was verändert sich konkret, wenn Sie ganz bewusst und explizit versuchen, aus nur einem der drei Zentren wahrzunehmen?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Bauch: Geben Sie sich etwas Zeit. Wie nehmen Sie den Raum um Sie herum wahr? Wie erleben Sie sich selbst, wenn Sie ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung im Bauch sind? Wie ist Ihr Raumgefühl?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ins Herz (den Brustbereich): Wie sind Sie in Beziehung zu anderen Lebewesen, den Möbeln und Gegenständen im Raum? Wer oder was zieht Ihre Aufmerksamkeit auf sich? Wie nehmen Sie sich selbst wahr? Wie ist Ihre Beziehung zum Raum?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Kopf: Was genau und wie nehmen Sie wahr? Sehen Sie mehr oder weniger Details? Wohin geht Ihr Blick? Wie orientieren Sie sich im Raum? Haben Sie ausreichend Überblick?

Machen Sie, wenn Sie möchten, mehrere Durchgänge und hören Sie bei dem Zentrum auf, das (im Moment) am angenehmsten ist.

Übung: Spurensuche

Man neigt allgemein dazu, Inhalte zu beschreiben, das, was man erlebt hat, und dass es eben eher positiv oder eher negativ war. Oder man regt sich über andere auf bzw. lobt sie.

Bei der Übung geht es um die Suche nach dem zugrunde liegenden Kernbedürfnis. Vielleicht gibt es auch eine Präferenz in Ihrem Leben, sodass eines der drei Kernbedürfnisse für Sie einen besonderen Stellenwert hat.

Jetzt lade ich Sie ein, zwei Situationen in Ihrem Leben näher zu untersuchen. Zunächst eine unangenehme, schwierige und im zweiten Durchgang eine angenehme, positive Situation:

Wenn Sie jetzt an diese Situation denken, sich einfühlen, Ihren Körper wahrnehmen:

Was ist unangenehm/angenehm daran? Welches Kernbedürfnis war zuerst betroffen?

Einfach bei dieser Frage bleiben.

Natürlich darf man sich einfach ärgern oder freuen, aber spannend ist auch die triadische Reflexion, weil sie hilft, in einen Selbstklärungsprozess einzusteigen. Wenn man für sich geklärt hat, was triadisch gesehen bei einem abgelaufen ist, dann entsteht mehr Verständnis für die Gesamtsituation und man kann sich besser positionieren. So wächst der Raum der Möglichkeiten im Sinne von besserer Beziehung, mehr Überblick und größerem Handlungsspielraum.

Übung: Reflexion der drei Kernbedürfnisse im eigenen Leben

Vergegenwärtigen Sie sich die drei Begriffe: Autonomie, Beziehung, Sicherheit. Was meinen Sie, wie sehr diese drei zentralen Aspekte in Ihrem Leben aktiviert und integriert sind?

Wieder ist es hilfreich, zuerst mit der Aufmerksamkeit in den Körper zu gehen: Wenn Sie während der Reflexion Reaktionen aus Ihrem Körper wahrnehmen, ist das unterstützend.

1. Stellen Sie sich die Beziehung zu Ihrem Partner, einem Ihrer Kinder oder zu einer anderen nahestehenden Person vor.

Wie würden Sie die Beziehung zu dieser Person anhand der Triade einschätzen?

Autonomie: Hat jeder genügend Freiraum für sich?

Beziehung: Wie gut sind Sie in Kontakt miteinander? Sind Ihre Gefühle füreinander überwiegend positiv?

Sicherheit: Wissen Sie immer, woran Sie mit dem anderen sind und er mit Ihnen? Können Sie sich aufeinander verlassen?

Wie viel von welchem Kernbedürfnis bieten Sie an?

Wo würden Sie selbst gerne mehr oder auch weniger bekommen?

2. Denken Sie an Ihre Arbeit oder an das Unternehmen, in dem Sie tätig sind (auch als Hausmann/-frau). Was meinen Sie, wie stark die drei Kernbedürfnisse in Ihrem Arbeitsleben repräsentiert sind?

Sicherheit: Ist ausreichend Überblick und Orientierung vorhanden, was Ihren Arbeitsplatz, die Arbeitsplatzbeschreibung, Abläufe, Handlungsanweisungen, Richtlinien betrifft? Gibt es womöglich eine Überforderung?

Autonomie: Wie sieht es mit Handlungsspielräumen aus, der persönlichen Freiheit, Gestaltungsmöglichkeiten, selbstständigem Arbeiten?

Beziehung: Wie ist das Verhältnis unter Kollegen, im Team, zum Chef oder Vorgesetzten? Welchen Wert stellt das Betriebsklima dar? Wie ist der kollegiale Austausch?

Inwieweit ist einer der Bereiche durch die jeweils anderen beiden beeinflusst? Natürlich wirken immer alle drei Bereiche zusammen, aber wenn man sie separat und in ihrer Wechselwirkung betrachtet, wird einem oft klar, wo die Quellen für Schwierigkeiten oder Wohlergehen liegen.

Das triadische Prinzip

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