Читать книгу Aufrichten in Würde - Gabriele Frick-Baer, Udo Baer - Страница 15
2.4.2 Worte allein reichen nicht
ОглавлениеGerade weil der Hippocampus die in der traumatischen Situation hereinströmenden Eindrücke und Erfahrungen nicht zu einem kognitiv sortierten Bild zusammensetzen kann, sind die Betroffenen auf Erinnerungen ihres Körpers und ihrer Sinne angewiesen und diesen oft hilflos und verständnislos ausgeliefert. Über keine konsistenten Erinnerungen zu verfügen, woran viele Klient/innen verzweifeln, weil sie an ihrem Erleben zweifeln, ist kein Mangel der Betroffenen, sondern Ausdruck des neuronalen Prozesses traumatischen Erlebens. Worte, die dies den Klient/innen erklären, sind hilfreich und notwendig für ihr Verständnis für sich und ihre Selbst-Sicherheit und ihr Selbst-Vertrauen. Auf diese erklärendenden Worte haben sie ein Recht. Auch auf deren Wiederholungen, wenn das Wissen darum wieder zu entschwinden droht.
Traumatherapie erfordert deshalb aber auch, an den Fragmenten und eingefrorenen Aspekten des Traumaerlebens anzusetzen, nicht nur an den kognitiven Reflektionen oder Bewertungen, sondern v.a. an sinnlichen Eindrücken wie Bilderfetzen, Geräuschen, Gerüchen sowie Erregungskonturen und körperlichen Aktionen und Reaktionen. Dies ist der tiefe Grund, warum Worte allein oft nicht reichen, warum Körperarbeit Zugänge verschafft und Veränderungen ermöglicht, warum z. B. Musiktherapie Erregungskonturen aufweichen und umwandeln kann und Kunsttherapie Bilderfetzen und andere sinnliche Fragmente re-integrieren kann.
Die Integration künstlerischer Medien in die Traumatherapie findet darin ihre Begründung und Legitimation. Entgegen manchen Vorurteilen ist die kreative oder künstlerische Therapie mehr als Basteln und mehr als das Malen eines Bildes, über das dann „therapeutisch“ geredet wird.
Künstlerische Medien in der Traumatherapie
ermöglichen Zugänge zum subverbalen und nonverbalen Erleben des Traumas,
bieten Chancen, Veränderungen des Erlebens und Verhaltens spielerisch-experimentell auszuprobieren,
ermöglichen Erinnern über die Sinneserfahrungen sowie gleichzeitig und darüber hinaus neue Erfahrungen der Sinne,
ermutigen und üben, zu greifen und zu ergreifen: Pinsel und Ton, Stoffe und Hände, Papier und Instrumente
öffnen Wege aus der Erstarrung,
bieten Chancen, ein Aufrichten körperlich-seelisch „probeweise“ zu er leben und individuelle Wege des Aufrichtens zu erproben,
geben Hinweise auf Spuren, die Dissoziierungen hinterlassen haben, und öffnen Wege der Entdissoziierung und Wiedergewinnung von Lebendigkeit,
lassen Unaussprechliches erklingen und ermöglichen niedrigschwellige Formen, mit dem Bruch des Schweigetabus zu beginnen,
ermöglichen neues Erleben und so auch neue und andere Worte,
können Erregungsverläufe hörbar und tanzbar und somit veränderbar werden lassen,
können Sinn und Spaß machen und Lebensfreude wiederbeleben
…
Traumatherapie ohne kreative Medien ist für mich nicht mehr vorstellbar. Das wird Ausdruck meiner persönlichen und therapeutischen Geschichte und Lebenserfahrung sein. Mir ist es ein großes Anliegen, alle Traumatherapeut/innen zu ermutigen, in dieser Richtung wenigstens das eine oder andere Experiment zu wagen. Sicherlich ist für die sichere Handhabung eine Aus-oder Weiterbildung in einer künstlerischen Therapie sinnvoll. Doch auch viele einzelne Elemente aus dem breiten Fundus künstlerischer Therapien können von erfahrenen Traumatherapeut/innen in ihre Arbeit integriert werden. Deswegen werde ich in Kapitel 4 einige dieser Methoden vorstellen, die sich in meiner traumatherapeutischen Praxis besonders bewährt haben und in der Fortbildung und Supervision von Traumatherapeut/innen Anklang und Bestätigung durch deren traumatherapeutische Praxis gefunden haben. Dabei bin ich mir bewusst, dass die schriftliche Beschreibung dieser Methoden das Erleben und das reflektierte Lernen in einer Aus- oder Weiterbildung nicht ersetzen kann.