Читать книгу Wenn die Träume laufen lernen 2: LANZAROTE - Gabriele Ketterl - Страница 10

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6.

Seit knapp sechs Wochen waren wir nun auf Lanzarote. Der Club lief inzwischen so, wie es sich für einen Club der Costa-Azul-Kette gehörte. Carlos war ein »natural born leader« und ein jeder erkannte seine Autorität an, insbesondere, da er selbst am meisten von sich verlangte. Seine Funktion als Clubchef und als Leiter des Animationsteams ließ ihm kaum mehr eine freie Minute. Die Entwicklung, die wir bereits wenige Tage nach unserer Ankunft miterlebt hatten, schritt stetig voran.

Carlos war zu einem ernsten, nachdenklichen Menschen geworden. Wann immer er es schaffte, kam er am Abend oder in der Nacht zu mir. Wir beide brauchten die gegenseitige Nähe, die Wärme des anderen. Es gab Abende, an denen er wortlos unter meine Decke schlüpfte und mich einfach nur fest in die Arme nahm. Dann gab es die Nächte, in denen er sich seine Sorgen von der Seele redete und die, in denen wir beide einfach nur Zärtlichkeit brauchten.

Doch abgesehen von zärtlichem Streicheln und liebevollen, sanften Küssen geschah nichts. Wir wussten nur zu gut, dass eine weitere gemeinsame Nacht wie am Strand von Ibiza einfach zu gefährlich wäre. Stillschweigend wusste das ganz besonders ich. Noch eine solche Nacht mit Carlos und ich würde wohl nicht mehr darauf verzichten wollen. Lises Worte wollten mir nicht aus dem Kopf, aber eigentlich wusste ich es ja selbst. Er war einfach nicht die Liebe meines Lebens.

Ab und an zeigte sich – vor allem, wenn wir eine besonders erfolgreiche Show abgeliefert hatten – wieder sein fröhliches Lächeln. Doch es war selten, viel zu selten.

Heute am frühen Morgen, nachdem ich schwitzend, aber zufrieden, von meiner Aerobic-Stunde zurückgekommen war, klopfte es an meine Tür.

»Guten Morgen, mi amor. Sag mal, hättest du Lust, heute Abend endlich wieder in Ruhe gemeinsam zu essen? Nur wir beide? Heute ist spanisches Büfett und anschließend Party im Poolbereich, da hätten wir Zeit.«

Carlos‹ Blick war so bittend, dass ich ihm den Wunsch, den ich ihm sowieso nicht abgeschlagen hätte, nur zu gerne gewährte. Ich freute mich, dass er nach wie vor Wert darauf legte, Zeit mit mir zu verbringen.

»Keine Frage! Natürlich, sehr gerne. Ich zaubere uns etwas Leckeres, einverstanden? Restaurant haben wir ja immer.«

»Exzellente Idee, ich freue mich. Wann soll ich da sein und was soll ich mitbringen?«

Ich grinste. »Acht Uhr und gute Laune.«

Er küsste mich und lächelte. »Acht Uhr geht in Ordnung, gute Laune wird sich zeigen, kommt aber spätestens, wenn ich bei dir bin.«

Schmunzelnd trabte Carlos von dannen und ich schloss kopfschüttelnd meine Wohnungstür. Gütiger Himmel, waren wir erwachsen geworden.

Es war bereits Nachmittag, als ich endlich die Zeit fand, mir einen der Jeeps zu nehmen und nach Puerto del Carmen zu meinem Lieblingssupermarkt zu fahren. Auf der Fahrt betrachtete ich mein derzeitiges Zuhause genau. Eigentlich war ich mir schon am ersten Tag darüber im Klaren gewesen: Lanzarote war zauberhaft. Ich mochte die schwarze Schönheit von Woche zu Woche mehr. Seit einigen Tagen boten wir im Club Rundfahrten an. Silvie und ich waren die schönsten Sehenswürdigkeiten abgefahren und hatten dann ausgewählt. Nun fuhren jeden Donnerstag vier Jeeps über die Insel, besuchten versteckte Orte, geheimnisvolle Höhlen, giftgrüne Lavaseen und schließlich die Playas de Papagayo, goldgelbe Strände in einem Naturschutzgebiet, die es mit jeder Karibikinsel aufnehmen konnten. Kristen und Rachel sorgten jedes Mal gemeinsam mit Neill, der sie mit dem Boot dorthin fuhr, für ein rustikal-leckeres Essen, ehe die Gäste den Tag mit baden und faulenzen ausklingen lassen konnten. Der Trip kam sehr gut an, wir kümmerten uns um den Strand, indem wir sämtliche Abfälle wieder entsorgten, und alle waren glücklich.

Es war schön und amüsant gewesen, die Orte auszusuchen, und vor allem Silvie war zufrieden und hatte nach der Erkundungstour endlich verkündet, dass Lanzarote doch gar nicht so übel war. Der Gedanke an diesen Tag zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht, und so parkte ich in ausgesprochen guter Stimmung den Jeep und betrat den Supermarkt. Sarah, die nette Kassiererin, begrüßte mich mit strahlendem Lächeln und ich wusste wieder einmal genau, warum ich die Inseln und die Canarios so sehr liebte.

Rasch füllte sich mein Korb mit zartem Lendensteak, frischen Kräutern, Gewürzen, kleinen Kartoffeln, frischem Brot, Tomaten, Salat und meinem geliebten Vanillequark. Dazu Orangen, Papaya, Bananen und Zigaretten – es sollte ja niemand sagen, ich würde ungesund leben.

An der Kasse plauderte ich angeregt mit Sarah, bezahlte und packte mit ihrer Hilfe alles in eine große Tüte. Sie drückte mir das Riesending in den Arm, und da ich keine freie Hand hatte, öffnete ich die Tür schwungvoll mit meinem Allerwertesten und verließ rückwärtsgehend den Laden. Ein wenig zu schwungvoll, denn ich traf nicht gerade sanft auf ein ziemlich großes Hindernis.

»Ay! Alles okay bei dir?«

Mein Gott, was war ich doch für ein Schussel! Und noch einmal mein Gott, welch wunderschöne Stimme.

Vor Schreck fiel mir die Hälfte meiner Einkäufe auf den Boden und ich bückte mich, um alles einzusammeln, während ich mich bei dem Hindernis entschuldigte.

Ein leises, amüsiertes Lachen erklang, dann griff eine Hand nach einer herumkugelnden Orange und beförderte sie wieder in meine Tüte.

»Kein Problem, chica. Was muss ich auch im Eingang herumstehen, nicht wahr?«

Ich biss mir schuldbewusst auf die Lippen und fand, dass es an der Zeit wäre, mein armes Opfer anzusehen. Also hob ich den Blick und betrachtete endlich den Mann, dem ich vor die Brust geknallt war.

In dem Moment, in dem ich ihm in die Augen sah, in denen sich sein Lächeln widerspiegelte, wusste ich es.

Ich hatte nie daran geglaubt, es sogar immer für ausgemachten Humbug gehalten. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich mich geirrt hatte.

Es gab sie tatsächlich.

Liebe auf den ersten Blick.

Mir fehlten kurzzeitig die Worte und das passierte mir nicht oft. Hier, etwa zwanzig Zentimeter vor mir, stand eine jüngere Version von Carlos. Nun gut, nicht ganz. Die Haare des Fremden waren ein wenig länger, dafür aber heller. Seine Augen zeigten das gleiche samtige Dunkelbraun, waren aber einen Hauch schräger geformt. Ach, verdammt, musste der Kerl denn auch noch Mandelaugen haben? Er war ein paar Zentimeter kleiner als Carlos, ich schätzte ihn auf etwa eins fünfundachtzig, und seine Schultern nicht ganz so breit. Was mich ganz besonders faszinierte – und ich musste mich wirklich am Riemen reißen, um nicht zu sehr zu starren –, war sein Mund. Dieser Mann hatte wahrscheinlich den schönsten Mund, die wundervollsten Lippen, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Himmel noch eins. Es wurde Zeit, dass ich mich normal benahm, und zwar schnell.

Er half mir dabei.

Schmunzelnd bückte er sich und sammelte die letzte Kräuterpackung und meine Zigaretten auf. Ich hielt ihm die Tüte hin und er warf alles hinein.

»Marlboro Lights, eine gute Wahl.« Er legte den Kopf schräg und musterte mich eingehend. »Ich frag noch mal, alles okay bei dir? Hast du dir wehgetan?«

Ich versuchte krampfhaft, meine Emotionen in den Griff zu bekommen und eine vernünftige Antwort von mir zu geben. »Nein, danke der Nachfrage, bei mir ist alles in Ordnung«, gelangen mir schließlich die coole Antwort sowie ein Lächeln. »Aber ich bin ja auch in dich gerannt. Hab ich was kaputt gemacht? Irgendwas Wichtiges?«

Ihm entglitten für eine Sekunde die Gesichtszüge, dann lachte er schallend los. »Der war gut. Ehrlich, chica, du bist cool. Nein, so weit ich fühlen kann, sind alle wichtigen Körperteile heil.« Nun lächelte er wieder und das war gar nicht gut für meine Konzentration. »Aber nur für den Fall, dass Folgeschäden auftreten, würde ich dich gerne wiedersehen.«

»Äh ja, gerne, denke ich.«

»Denkst du? Das ist doch schon mal ein Anfang. Also, ehe dir die Arme ganz abfallen wegen der schweren Tüte … gib sie mir, ich helfe dir. Ich hab gerade nichts Besseres vor.«

»Äh, wolltest du nicht einkaufen?« Verflixt, ich musste mit diesem dämlichen »Äh« aufhören, und zwar schnell!

»Das kann warten, nun gib schon her. Wo sollen deine Einkäufe hin?«

»Eigentlich nur da hinten in den Jeep.«

Er griff nach der Tüte und blickte in die Richtung. »Oha, Costa Azul? Sehr beeindruckend, arbeitest du dort?«

Ich nickte. »Ja, im Animationsteam, seit knapp sechs Wochen.«

»Prima, das ist ja ein netter Zufall. Mein bester Freund arbeitet dort bei der Security, oder vielmehr für den Chef der Security.«

Die paar Schritte zum Wagen waren schnell getan und er stellte die Tüte vorsichtig auf den Rücksitz, ehe er sich mir wieder zuwandte.

»Vielleicht kennst du ihn. Alex heißt er.«

Ich strahlte ihn erfreut an. »Klar kenne ich ihn, er hat uns damals vom Flughafen abgeholt.«

Er steckte die Hände in die Taschen seiner kunstvoll zerrissenen Jeans und musterte mich mit einem seltsamen Lächeln. »Dann hat er dieses Mal tatsächlich keinen Mist erzählt.«

Nun war ich endgültig überfordert. »Wie? Mist?«

»Nun ja, als er in der Nacht nach Hause kam, erzählte er von einer bildhübschen, richtig tollen Blondine mit magischen, hellen Augen. Wenn du jetzt noch Cara heißt, dann hat er nicht gelogen.«

Es war mir lange nicht mehr passiert, doch nun fühlte ich, dass ich rot wurde – und zwar so richtig. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. »Vielen Dank für die Blumen. Dass ich aus Verlegenheit rot werde, hat schon lange niemand mehr hinbekommen, Glückwunsch.«

Sein Lächeln wurde noch breiter. »Ha, freut mich. Und du musst Cara sein, denn er hat auch gesagt, du seist witzig und schlagfertig.«

»Ömpf, hattet ihr an dem Abend noch ein anderes Gesprächsthema?«

»Ja, aber das willst du nicht wissen.« Er hielt mir eine Hand entgegen.

»Wird Zeit, dass ich mich vorstelle. Ich bin Manuel.«

Ich ergriff sie. Alleine schon sein Händedruck war perfekt, kernig und ehrlich. Vorsichtig bewegte ich meine Finger, nachdem er sie losgelassen hatte. Ich musste mir kleinere Ringe zulegen.

»Zurück zu meiner Bemerkung von vorhin. Ich würde dich tatsächlich gerne wiedersehen. Ich weiß schließlich nicht, ob nicht doch was kaputt ist. Wird sich noch rausstellen.« Sein jungenhaftes Grinsen war anbetungswürdig.

Ich konnte gar nicht anders, als zuzustimmen. »An was hast du denn gedacht?«

»Hm, heute hab ich leider schon was vor und morgen muss ich abends arbeiten. Aber ich schätze, du musst sowieso für die Show im Club sein, oder?«

»Ja, wir haben morgen die große Samstagsshow. Wir sind um elf Uhr fertig. Dann noch abschminken, denn als Magenta laufe ich nun doch nicht durch die Gegend.«

»Magenta? Die aus der Rocky Horror Show? Das stelle ich mir verdammt heiß vor! Aber abgesehen davon, was hältst du davon, mich in der Diskothek, in der ich arbeite, zu besuchen? Das Winston liegt in der Altstadt, im eigentlichen Puerto del Carmen. Ich würde mich echt freuen.«

Ich dachte nicht lange nach. Ich wollte ihn ja schließlich wiedersehen.

»Ich denke, das lässt sich machen. Kann ich ein paar Leute vom Team mitbringen?«

Er strahlte mich an. »Je mehr desto besser. Ich mache auch die Werbung für den Laden, warte mal.«

Er suchte in seiner Hosentasche und förderte schließlich einige Visitenkarten zutage. »Hier, wenn ihr die abgebt, denkt mein Chef, ich wäre überdurchschnittlich fleißig gewesen.«

Schmunzelnd nahm ich die Karten entgegen. »Na, dann wollen wir doch einmal was für dein Image tun. Also sehen wir uns morgen Abend.«

»Das will ich hoffen. Ich wollte sagen, das wäre schön. Bis morgen also, Cara.«

»Bis morgen, Manuel.«

Ein letztes Lächeln und er stapfte in seinen ausgesprochen cool aussehenden Cowboystiefeln in Richtung Supermarkt.

Ich musste mich zwingen, in den Wagen zu klettern und loszufahren, denn ich hätte ihm gerne noch hinterhergestarrt. Aber schließlich war ich eine erwachsene Frau und kein pubertierender Teenager. Hölle noch eins, warum musste der Kerl aber auch so verdammt gut aussehen? Warum brachte er mein Herz zum Rasen, warum konnte ich kaum mehr atmen und warum war mir so verdammt heiß?

Zurück im Club, lud ich meine Einkäufe aus, erkundigte mich an der Rezeption, ob noch etwas anstehen würde, und als dies verneint wurde, eilte ich in meine Wohnung. Dort packte ich aus, briet die Lendensteaks an und legte sie samt Rotwein, Gewürzen und frischen Kräutern in eine Pfanne mit Deckel, um sie auf kleiner Hitze garen zu lassen. Danach setzte ich die Kartoffeln in Salzwasser auf und ließ auch sie auf kleiner Flamme köcheln. Der Nachtisch war schnell vorbereitet. Frische Früchte schneiden, mit dem Vanillequark vermischen, zwei Esslöffel meines geliebten Licor 43 dazu mischen und ab in den Kühlschrank.

Während alles leise vor sich hin garte, duschte ich, schlüpfte in ein langärmliges, schwarzes Shirt sowie eine enge schwarze Jeans und ging auf den Balkon, um meine Haare in der Sonne trocknen zu lassen. Ich gönnte mir eine Dose SevenUp und eine Zigarette. Während ich in gewöhnungsbedürftiger Haltung meine Haare über die Balkonbrüstung hängen ließ, was sie schneller trocknen ließ und immer wieder bei einigen Gästen für Erheiterung sorgte, dachte ich über die heutige Begegnung nach. Seit meinem ersten Treffen mit Carlos hatte mich kein Mann dermaßen berührt wie Manuel. Gut, ich durfte John nicht ganz vergessen. Sein Auftritt samt Papagei auf den Stufen des Pirates Cove war schon filmreif gewesen, doch mit Manuel lagen die Dinge irgendwie anders. Dieser Mann war eindeutig etwas Besonderes.

Die Antwort auf die schüchterne Frage meines gesunden Menschenverstandes, woher ich das wissen wollte, konnte ich spontan geben: Bauchgefühl!

Alleine wenn ich nun, mit über einer Stunde Abstand, an seinen Blick dachte, flatterten tausend Schmetterlinge in meinem Bauch. Schmetterlinge! Wann bitteschön waren die das letzte Mal in meinem Körper aufgetaucht? Bei John waren das damals auch zwei oder drei gewesen, zugegeben. Bei Carlos war es immer schon ein unbeschreibliches Gefühl von Wärme und Zuneigung gewesen – doch das hier fühlte sich anders an.

Manuels Blick hatte sich binnen weniger Augenblicke in meine Erinnerung gegraben.

Ein leises Klopfen riss mich aus meinen Gedanken.

Carlos musterte mich mit fragendem Blick. »Du siehst heute besonders gut aus. Was ist denn mit dir passiert?«

Mit der Tür ins Haus fallen wäre jetzt sicher kontraproduktiv, daher entschloss ich mich zu einer liebevoll gemeinten Notlüge.

»Ich freue mich einfach auf einen schönen, gemeinsamen Abend.« Lächelnd stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf beide Wangen.

»Na, wenn das so ist.« Carlos umarmte mich. »Sorry, ich bin etwas zu früh, aber ich war mit allem fertig, und ehe mich wieder jemand mit Beschlag belegt, bin ich lieber gleich los.«

»Eine sehr gute Entscheidung. Essen ist fast fertig, wollen wir uns auf den Balkon setzen?«

Wenn die Träume laufen lernen 2: LANZAROTE

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