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3. Hola Guapa

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„Willkommen auf dem Flughafen Las Palmas de Gran Canaria. Bitte bleiben Sie so lange angeschnallt sitzen, bis die Anschnallzeichen über Ihren Sitzen erloschen sind. Im Namen von Kapitän Landes und der ganzen Besatzung wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf Gran Canaria.“

Schon beim Anflug hatte Alex einige Blicke auf die Insel erhaschen können. Grüne Wälder und Täler in den Bergen, dunkle Strände, weiße Wellenkämme auf einem stürmischen Meer und braune, steinige Ebenen im Süden – eine schöne Mischung. In der weitläufigen Ankunftshalle, wo sie an den Förderbändern auf ihr Gepäck warteten, herrschte reges Treiben. Menschentrauben aus aller Herren Länder warteten auf ihre Siebensachen. Alex fand das aufregend und spannend. Nicht ganz so die Herren der Bank.

„Kann man uns das nicht abnehmen? Was ist das denn für eine miserable Organisation? Im letzten Jahr waren die Koffer doch auch gekennzeichnet und wurden geholt.“ Severin warf den beiden Damen der Eventabteilung einen solch geringschätzigen Blick zu, dass sie Alex spontan leidtaten.

Überhaupt waren die anzüglichen Witze, die dummen Bemerkungen und die weinseligen Sprüche der Mitreisenden nicht dazu geeignet, sie zu beeindrucken. Nein, Alex schämte sich für das Benehmen der Teilnehmer. Am schlimmsten war, dass selbst Holger sich nahtlos in diese Riege einordnete. Schweigend trat sie einen Schritt beiseite und sah wieder auf das Band. Da genau in diesem Moment ihre Koffer herbeizuckelten, griff sie beherzt danach, und während ihr Mann sich lautstark über den mangelnden Service beschwerte, zog sie ihre Gepäckstücke vom Band und drückte ihm den Griff seines Koffers in die Hand. „Bitte, Schatz, dein Koffer.“

„Na komm, ärger dich nicht. Sei lieber auf alles gefasst, was da so kommt.“ Silke, die mit ihrem eigenwilligen Rollkoffer kämpfte, gesellte sich an ihre Seite. „Ohne Navi finden sie selbst den Kühlschrank nicht, aber hier riskieren sie eine dicke Lippe.“

Schmunzelnd begegnete Alex dem amüsierten Blick der Freundin. „Das sagt sich so leicht. Aber wie meinst du das? Könnten sie sich denn noch mehr danebenbenehmen? Schon im Flugzeug habe ich mich so geschämt. Sie haben wahrscheinlich den kompletten Wein- und Schnapsvorrat geplündert.“

„Hast du es denn nicht gehört? Sie wollen – warte, wie haben sie sich ausgedrückt – mitnehmen, was geht, und es den beiden dummen Tussen so richtig heimzahlen. Ich weiß, kindischer geht es kaum. Ich habe Klaus bereits gesagt, dass ich damit nichts zu tun haben will.“

„Ich glaube es ja nicht. Haben wir es mit erwachsenen Menschen oder pubertierenden Teenagern zu tun?“, schimpfte Alex fassungslos.

„Beleidige mir die armen Teenager bitte nicht. Komm, die Herrschaften streben dem nächsten Abenteuer entgegen.“ Silke zupfte sie am Ärmel.

„Äh, was?“ Alex war geistig noch bei dem peinlichen Benehmen der Herren Top-Seller.

Holger nahm ihr weitere Überlegungen ab. „Alexandra, Schatz, nun komm schon. Sonst verpasst du noch die Luxuslimousine.“

Sie biss sich auf die Lippe und schwieg vorsichtshalber. Später konnte sie ihm ja noch immer ins Gewissen reden. Hier vor seinen feixenden, angetrunkenen Kollegen war sowieso keine vernünftige Unterhaltung möglich.

Der Bus war nagelneu, vollklimatisiert sowie mit allem ausgestattet, was das Herz begehrte. Beim Einstieg standen zwei Mädchen in wunderschöner kanarischer Tracht bereit und überreichten jedem Gast ein kleines Geschenkpaket mit Ron Miel, dem berühmten kanarischen Honigrum, Nugat und edlem Käse. Alex bemerkte kurz darauf, dass Holger kein Auge für die vorüberziehende Landschaft hatte. Also gab sie ihre Versuche schnell auf, ihn dafür zu begeistern. Sie hingegen sog sowohl die Kargheit der steinigen Ebenen als auch die Schönheit der weißen Schaumkronen auf dem dunkelblauen Atlantik auf, dessen Wellen sich ungestüm an der Felsküste brachen. Immer wieder wuchsen gigantische Bougainvilleas aus dem felsigen Untergrund und bildeten herrlich bunte Farbtupfer in der sandigen Umgebung. Die Fahrt nach Puerto de Mogán führte an den Bettenburgen von Playa del Inglés vorbei, was zu Unmutsbekundungen seitens Holger führte. Alex beschränkte sich darauf, verständnisvoll zu lächeln und zu nicken. Ihr war mehr daran gelegen, die Bergketten am Horizont und die Strände in den vorüberziehenden Buchten zu bestaunen.

Da lediglich eine Straße in den Küstenort Puerto de Mogán führte, kamen sie bei ihrem Eintreffen nur langsam voran. Immerhin sah Alex so schon etwas von dem Ort. Ernüchternd waren die gigantischen Baugruben zu ihrer Linken, wo gewiss irgendwann riesige Hotels stehen würden. Schön wiederum waren die alten, an die Felswand gebauten kanarischen Häuser. Die typischen Balkone, geschmückt von üppigen Blumen, begeisterten sie sehr. Mindestens ebenso schön fand Alex, dass die meisten Menschen in den Straßen ein Lächeln auf den Lippen trugen. Etwas, das sie in Deutschland zunehmend vermisste.

Der Bus zuckelte gemächlich durch den Ort, um schließlich in eine kleine Straße abzubiegen. Die Calle de las Puntillas erwies sich als Zufahrt zu gleich zwei großen, sehr schicken Hotels. Eines davon, das Puerto de Mogán Grand Hotel, würde für die nächsten vier Tage ihr Zuhause sein. Üppige Blumenrabatten, Rosenbeete und wunderschöne Palmen schmückten die Auffahrt. Diese Anpflanzungen setzten sich, soweit Alex das sehen konnte, im weitläufigen Park, der zu der Anlage gehörte, fort. Vor der stilvollen, modernen Eingangshalle, die mit ihren hohen Säulen und dem glänzenden Marmorboden an die Alhambra Granadas erinnerte, plätscherte ein Springbrunnen fröhlich vor sich hin, und links neben dem Weg floss ein kleiner, künstlich angelegter, aber doch sehr schöner Bach. Über kleine Brücken gelangte man in den Park.

„Das sieht ja ganz nett aus. Was ich bei der Anfahrt gesehen habe, war allerdings genau die Katastrophe, die ich erwartet habe.“

Alex atmete vorsichtig auf. Wenigstens das Hotel schien ihrem Mann einigermaßen zu gefallen. Was der Rest der Crew von sich gab, war ihr egal. Schließlich war es Holger, mit dem sie ruhige und endlich wieder harmonische Stunden verbringen wollte.

Im Hotel wurde die Gruppe mit leichten Cocktails und frischen Obstspießen erwartet. Das Gepäck wurde von dienstbaren Geistern auf die Zimmer gebracht, und kurz darauf fand Alex sich auf einer Terrasse wieder, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Gartenanlage hatte. Ein Gitarrist gab leise kanarische Lieder zum Besten, neben ihm war ein hübsches Willkommensbuffet aus unterschiedlichsten Tapas aufgebaut.

Zumindest für den Augenblick schienen sich die Gemüter der Banker und Bankerinnen beruhigt zu haben. Mit ihrer Begleitung im Arm genossen sie den ihnen gebotenen Luxus. Zu Alex’ Freude legte auch Holger seinen Arm um sie und zog sie an sich.

„Das ist gar nicht einmal so übel. Ich hatte Schlimmeres erwartet.“

„Was wurde denn aus deiner ehemaligen Lebenseinstellung, man solle immer positiv denken?“ Lächelnd schmiegte sich Alex an ihn.

Er zog eine nachdenkliche Grimasse, ehe er antwortete. „Ich befürchte, die ist mir in den letzten Jahren abhandengekommen.

Zwei Stunden, die man ihnen zur freien Verfügung gewährte, waren nicht wirklich viel. Eilig packte Alex ihre Kleider in den geräumigen Schrank. Das Zimmer war ein Traum. Neben einem Kingsize-Doppelbett war es mit einer Ledercouch sowie einem passenden Sessel ausgestattet, und der Boden war, wie in der Eingangshalle, mit hellbraunem Marmor ausgelegt. Das gigantische Badezimmer verfügte über eine Wanne, die eher einem Whirlpool glich, und einer begehbaren Dusche samt Tropenregen-Duschkopf. Zu ihrer Freude fand Alex zudem hochwertige Pflegeprodukte. Auf dem großen Balkon warteten bequeme Liegen und ein schicker schwarzer Bistrotisch samt passenden Stühlen. Selbst wenn sie große Hotels eigentlich nicht mochte – momentan fühlte sie sich ein wenig wie eine Prinzessin.

„Ansehnlich. Genau das, was man in so einem Haus erwarten kann.“ Zu mehr Lob konnte Holger sich nicht überwinden, aber Alex freute sich trotzdem darüber.

Sie schloss den Schrank und platzierte den Koffer in einem extra dafür vorgesehenen Fach neben der Badezimmertür. Erwartungsvoll drehte sie sich um. „Schatz, was ist, wollen wir ein wenig spazieren gehen? Nach dem langen Flug und der Busfahrt würde ich mich gerne etwas bewegen.“

„Du und deine Neugier. Aber meinetwegen, dann gehen wir eben ein Stück.“

Wenig später verließen sie Arm in Arm das Hotel, gingen langsam und gemächlich die Straße zurück, die sie gekommen waren, und gelangten so an den Durchgang zur Strandpromenade. Es war hier auf den Kanaren kurz vor halb sieben, die Sonne stand tief und tauchte die Umgebung in warmes goldenes Licht. Begeistert ließ Alex ihren Blick über den Strand schweifen, wo noch immer zahlreiche Sonnenhungrige die Wärme genossen. An der Promenade reihte sich ein Restaurant an das andere – für Alex nicht weiter tragisch, für Holger wohl ein No-Go.

„Ich sag doch, wie an der Costa del Sol. Überall stinkt es nach Pommes.“

Seufzend drückte Alex seine Hand. „Schatz, das riecht doch richtig gut. Ein wenig Fisch, ein wenig Knoblauch, Kräuter, sogar Kaffee. So riecht Spanien nun einmal.“

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Dass dir die Kombi gefällt, wundert mich nicht. Du und dein Faible für Spanien. Das ähnelt ja beinahe einem Kindheitstrauma.“

Alex zuckte ertappt die Schultern. „Ja, ich mag es nun einmal, da kann man nichts machen.“

Schmunzelnd stupste Holger sie in die Rippen. „Vielleicht kann ich dich ja doch noch für die Côte d’Azur begeistern.“

Er wusste sehr genau, dass sie diese Nobeldestinationen verabscheute. Sie schwieg dazu und zeigte auf eine gut besuchte Eisdiele. „Scheint nicht schlecht zu sein, wenn so viele anstehen.“

Seufzend zog Holger seine Börse aus der Gesäßtasche. „Es gibt zwar in einer guten Stunde Abendessen, aber ich glaube mich an deinen Brauch mit dem Begrüßungseis zu erinnern. Vanille und Pistazie, nicht wahr?“

Alex nickte strahlend. „Ja, sieh einer an, du weißt es noch.“

Holger verdrehte nur in gespielter Entrüstung die Augen und stellte sich in die Schlange.

Alex hielt an der Promenade nach einer freien Bank Ausschau. Fast alles war belegt, den herrlichen Ausblick auf das Meer und die Hafeneinfahrt schien sich niemand entgehen lassen zu wollen. Schließlich hatte sie einige Schritte weiter Erfolg. Begeistert sog Alex den Blick auf den Leuchtturm, die Hafeneinfahrt und den unendlichen Atlantik in sich auf.

„¿Hola mi guapa, qué tal? Un muy buen día hoy, verdad?“

Ja, es war ein schöner Tag, und als meine Hübsche hatte sie schon lange kein Fremder mehr bezeichnet. Der große, kräftige und durchaus sympathische Kerl trug ein riesiges Bierfass auf der Schulter und grinste sie breit an.

„Es un día que me encanta.“ Alex erwiderte sein Grinsen gut gelaunt und er trollte sich fröhlich pfeifend. Es war allerdings wirklich ein Tag, der ihr Freude bereitete. Mochten andere einen solchen Kommentar als anzüglich empfinden – ihr gefiel es, wenn man sie als Frau wahrnahm, und die Spanier taten das mit geradezu spielerischer Leichtigkeit. Ihre Komplimente waren stets kleine Seelenstreichler.

„Warum grinst du denn so zufrieden vor dich hin? Vorfreude auf etwas Süßes?“ Vor ihrer Nase tauchte eine gigantische Eistüte auf.

„Natürlich, warum denn sonst?“ Sehr zufrieden nahm sie die nach Vanille duftende Portion entgegen und probierte.

„Schatz, iss doch bitte etwas schneller, ich möchte nicht als Letzter zum Abendessen kommen. Ich habe keine Lust, am Katzentisch zu sitzen.“

Kurz wallte Ärger in ihr auf. Da saßen sie einmal in stiller Eintracht am Meer und schon dachte er wieder an die Kollegen. Andererseits war es ihm sicher aus strategischen Gründen wichtig, nahe bei seinem Chef zu sitzen. Seufzend nickte sie. „Wir können gerne schon los, ich kann auch im Gehen essen.“

„Gut, wir kommen ja sicher noch mal hierher, auch wenn ich es jetzt nicht so prickelnd finde.“

Schweigend blickte Alex hinaus auf das Meer, wo ein wunderschöner Segler sein Tempo drosselte, um langsam und elegant zwischen Jetskis und kleineren Booten hindurch in den Hafen zu gleiten. „Ja, du hast sicher recht. Komm, gehen wir.“ Wenn er die Schönheit dieses Ortes nicht erkennen wollte, dann würde sie das jetzt kaum ändern können.

Zögerlich stand sie eine Stunde später vor den drei auf ihrem Bett ausgebreiteten Kleidern. Gerne wäre sie noch ein paar Minuten länger unter dieser Traumdusche geblieben, doch Holger hatte bereits vor der Badezimmertür genörgelt. Jetzt hörte sie im Bad das Brummen seines Rasierers und grübelte. Kleines Schwarzes, rot-schwarz, eng anliegend und ziemlich sexy oder den beigen Hosenanzug aus feinem Leinen, den Leonie ihr dringend ans Herz gelegt hatte? Ihre Wahl fiel auf den Hosenanzug und dazu ein dünnes Glitzertop. Das schwarze Etuikleid würde morgen zum Zug kommen und das edle Cocktailkleid zum Galaabend am Samstag. Alex knetete ihre langen Haare in Form, geizte nicht mit Haarspray und schlüpfte in die goldenen Ballerinas. Wie immer behielt Leonie recht: Der Anzug sah wirklich verdammt gut an ihr aus.

„Respekt. Ein sehr schönes Outfit.“ Holger war hinter ihr aufgetaucht und schien ihre Wahl ebenfalls gutzuheißen.

„Freut mich, wenn es dir gefällt.“ Alex küsste ihn auf die frisch rasierte Wange. Sein herbes Aftershave roch betörend. Überhaupt sah er heute wieder einmal ausgesprochen gut aus in seinen Designer-Jeans. Dazu trug er ein weißes Hemd, eine blaue Krawatte, edle Wildlederslipper und ein schwarzes, italienisches Sakko. Sein dunkelblondes Haar war frisch gewaschen und noch feucht, was ihr sehr gut gefiel. Es wirkte … ja, verwegen. Abgesehen von den leicht müden Zügen war er noch immer ein sehr attraktiver Mann. „Du siehst aber auch ausgesprochen gut aus. Steht dir prima.“ Täuschte sie sich, oder zeigte sich da kurz ein bitterer Zug um seinen Mund?

„Tja, meine Liebe, ich muss ja auch mit den Jüngeren mithalten. Glaub mir, das ist nicht immer leicht. Ab und an kotzt es mich regelrecht an, aber habe ich eine Wahl?“

Alex verkniff sich eine Antwort und griff nach seiner Hand. „Ich weiß doch, dass du es nicht leicht hast in dem Laden. Aber lass uns bitte jetzt nicht daran denken, sondern den Abend genießen.“

Dass das leichter gesagt als getan war, dämmerte ihr spätestens, als sie auf dem üppig mit Blumen dekorierten Balkon eintrafen, wo der Cocktailempfang stattfand. Holgers junge Kollegen würden das Ambiente wahrscheinlich als „cool“ oder „hip“ bezeichnen. Beide Begriffe lagen nicht so sehr auf Alex’ Wellenlänge, ebenso wenig wie die anwesenden Damen, die samt und sonders zu edlen oder unglaublich sexy Roben gegriffen hatten. Sogar ein bodenlanges Abendkleid war zu sehen. Alex’ Hochgefühl verflog umgehend. Wenn man sich zum Begrüßungsevent schon so herausputzte, was mochte sie dann erst beim Galadinner erwarten?

Holger schien das nicht zu bemerken. Zielsicher steuerte er auf Severin zu, der ihm mit jovialem Lächeln auf die Schulter schlug. „Na, schon alles verstaut und das Bett getestet?“

Alex traute ihren Ohren nicht. Musste das sein? War es wirklich nötig, ein derartiges Niveau vorzugeben, und dazu noch als Chef? Sie musste sich zusammenreißen, war aber nicht sicher, ob ihr Lächeln überzeugte. So ein Trottel!

„Denk dir nichts. Der glaubt einfach, mithalten zu müssen. Hier, nimm lieber einen Aperol Spritz, schmeckt echt gut.“

Alex war froh darüber, Silke zu sehen. Während Holger, Severin und Klaus weiter über Kingsize-Betten und deren Verwendungszwecke fachsimpelten, zogen die Frauen sich an die Brüstung zurück, von wo sie einen unvergleichlichen Blick über einen Teil des Parks und die nun beinahe verlassene Poolanlage hatten.

„Musste das wirklich sein?“ Ungehalten nippte Alex an ihrem Getränk.

Silke machte eine abwehrende Handbewegung. „Lass gut sein. Das ist das derzeitige Gesprächsniveau, ich kenn das schon. Warum guckst du denn so zerknittert aus der Wäsche, meine Liebe?“

Alex’ Erklärung, sich underdressed zu fühlen, wischte Silke rasch vom Tisch. „So ein Unfug. Sieh dir doch bitte mal genau an, was da so rumläuft. Die Fummel mögen teuer gewesen sein, und doch wirken die meisten Damen billig oder unzufrieden. Dein Anzug hat dagegen Klasse, genauso wie die Frau, die ihn trägt.“

Silkes Worte taten ihr ungemein gut, und tatsächlich entpuppte sich der erste Eindruck bei genauerer Betrachtung als Trugschluss. Besonders Severins Begleitung wirkte in dem knallroten Minikleid und den hochhackigen Pumps samt ihrer weißblond gefärbten Mähne etwas … nun, wie sollte sie es ausdrücken?

Deplatziert.

„Denkst du das Gleiche wie ich?“ Mit hochgezogener Augenbraue taxierte Silke die junge Frau.

Alex zuckte amüsiert die Achseln. „Nun, das ist immerhin ein echter Stella-McCartney-Fummel, da kenne ich mich aus. Die Schuhe sind, selbst wenn ich niemals damit gerechnet hätte, ihnen in freier Wildbahn zu begegnen, original Manolo Blahnik. Diese Dame trägt grob zweitausendfünfhundert Euro durch die Landschaft.“

„Alex, reg dich ab. Das macht aus dem Gör noch lange keine Dame.“

Für Silke war das Thema damit abgeschlossen, und wenig später folgten sie ihren Männern in den Raum, wo das Begrüßungsdinner auf sie wartete.

Tatsächlich gelang es Holger, einen Platz an Severins Tisch zu ergattern, da er am hingebungsvollsten an dessen Lippen hing. Sehnsüchtig spähte Alex zu dem Tisch direkt neben der offenen Doppeltür zum Balkon, an dem sich Klaus, Silke und vier andere Gäste ausgesprochen gut zu amüsieren schienen. Holger hatte sie, ohne zu fragen, neben Marissa platziert und unterhielt sich nun angeregt mit einem jungen Kollegen. Sie hingegen stocherte lustlos in ihrem Salat herum und quälte sich durch den Small Talk. Ihre junge Tischnachbarin war, wie drückte man das nur höflich aus … minimal eloquent. Das Kompliment für ihre Garderobe nahm sie noch stolz lächelnd entgegen und erzählte, wo sie ihr Kleid erstanden hatte, doch nach der Frage, wo man rauchen dürfte, kam die Kommunikation zum Erliegen. Alex bewunderte den Kellner, der mit stoischer Ruhe die Sonderwünsche der Frau erfüllte – vom temperierten stillen Wasser bis hin zu Salat nur mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer. Dass er dabei schmunzelte, schien nur Alex aufzufallen. Was ihr leider auch auffiel, war, dass Holger viel zu viel trank. Er vertrug doch nicht mehr so viel wie früher, warum machte er bei diesen infantilen Spielchen à la „Wein auf ex“ mit? War sie denn in einer Studentenkneipe gelandet? Nach dem Hauptgang, wahlweise exzellent zubereiteter Fisch oder zarte Lende vom Angusrind, entschuldigte sie sich und machte sich auf die Suche nach den Toiletten. Diese waren so edel, dass sie kurz überlegte, ob sie länger bleiben sollte, schließlich stellte die fröhliche Reinigungsfrau, auf die sie traf, eine wesentlich amüsantere Gesellschaft dar als ihre Tischnachbarin. Auf dem Rückweg schenkte Alex dem edlen Mosaikboden mehr Interesse als ihrer Umgebung … und traf ungebremst auf Widerstand.

„Ay, Lady, ich hoffe, Sie haben sich nicht verletzt.“ Ausgerechnet ihr – wie ihr erst jetzt auffiel – ausgesprochen attraktiver Kellner strahlte sie fröhlich an. Wie alt mochte der Bengel sein? Zwanzig, höchstens zweiundzwanzig, mit dichten, halblangen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, dunkelbraunen Mandelaugen und einem verboten hübschen, leicht gebräunten Gesicht. Oh je, sie musste aufhören, ihn anzustarren!

„Ah, Sie haben sich doch wehgetan, nicht wahr?“

„Nein, nein, es ist mir nur peinlich, dass ich nicht darauf achte, wohin ich laufe. Bitte entschuldigen Sie, es tut mir wirklich leid.“ Situation gerettet. Dachte sie zumindest.

Sein Lächeln wurde breiter. „Oh, wenn es Ihnen Freude macht, dürfen Sie das gerne wiederholen. Erstens sprechen Sie perfekt Spanisch und zweitens mag ich es, wenn schöne Frauen mich umrennen. Ehrlich.“ Er ließ eine filmreife Verbeugung folgen, umrundete sie mit der Eleganz eines Balletttänzers und entschwand in Richtung Küche.

Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, entschied sich jedoch letztendlich für ein sehr zufriedenes Lächeln. „Schöne Frauen.“ In Deutschland wagte das ja kaum mehr jemand zu sagen, von wegen Belästigung, dabei war es einfach schön, solche Komplimente zu hören.

Der Abend endete damit, dass sie einen angetrunkenen Holger auf ihr Zimmer schleppte und ihm helfen musste, sich seiner Krawatte zu entledigen. Ja, sie hatte tatsächlich auch gehofft, dass Holger mit ihr schlafen würde, aber doch nicht so. Ihre Wunschvorstellung beinhaltete ganz sicher nicht, dass er sich, nach Wein und Schnaps riechend, wortlos zu ein paar halbherzigen Küssen aufraffte und sich nach etwa drei Minuten von ihr herunterrollte, um mit einem selbstzufriedenen Grunzen einzuschlafen. Traurig glitt sie aus dem Bett, schlüpfte in ihr Nachthemd und schlich auf den Balkon. Das nächtliche Puerto de Mogán lag still im Mondschein. Eine sanfte Brise trug den Duft von Jasmin zu ihr herüber, irgendwo erklang das Lachen einer Frau. Alex legte ihre Hände auf die kühle Brüstung und sog die frische, salzige Luft in ihre Lungen. Die Schönheit dieser Nacht versöhnte sie etwas mit dem Abend.

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