Читать книгу Allein geht's besser / Tapas, Träume und ein Macho / Paradies im zweiten Anlauf - Gabriele Ketterl - Страница 14
5. Keine Panik
ОглавлениеMarcos’ Auto entpuppte sich als riesiger alter Geländewagen. Er war sichtlich stolz auf das Gefährt. „Ein Range Rover allererster Güte und ich muss zugeben, ich liebe ihn sehr.“ Er hielt ihr, ganz Gentleman, die Autotür auf und warf sie, kaum dass sie saß, energisch ins Schloss.
Sie brachen bei tief stehender Sonne auf, was die Umgebung noch anziehender wirken ließ. Beinahe hätte Alex darum gebeten, an besonders markanten Punkten anzuhalten, damit sie fotografieren konnte. Sie verkniff es sich auch unter dem Aspekt, dass Marcos während der Fahrt eine Nachricht in sein Handy tippte. Dann legte er es beiseite und wandte sich ihr zu.
„Was ist ein Top-Seller und warum haben Sie Angst, dass Ihr Mann toben wird, wenn Sie wiederkommen? Der sollte sich freuen, dass Sie wieder da sind. Und überhaupt, nur um das mal zu klären, heiße ich Marcos, das Sie geht mir auf die Nerven.“
Alex musste unfreiwillig lachen. „Gut, ich bin Alexandra, aber alle nennen mich nur Alex. Alle bis auf meinen Mann.“
„Mhm“, sagte Marcos und fuhr plötzlich bemerkenswert langsam. „Ich höre?“
„Oh, ach ja. Sekunde, ich muss erst den Faden wiederfinden.“ Alex rutschte etwas tiefer in ihren Sitz und begann zu erzählen. Es sprudelte nur so aus ihr heraus, ihre Sorgen, ihre Ängste, ihre Träume und Hoffnungen. Sie erzählte einem wildfremden Mann ihre komplette Lebensgeschichte und wenn sie stockte, hakte er so geschickt nach, dass sie genau da weitermachte, wo sie eigentlich nicht mehr hatte erzählen wollen.
Als Marcos den Motor abstellte, begriff sie zuerst gar nicht, wieso er das getan hatte.
Verwundert sah sie ihn an. „Warum halten wir?“
„Du wohnst doch im Mogán Grand Hotel, oder?“ Er deutete nach draußen.
„Was war das denn jetzt bitte schön?“ Alex schüttelte, verwundert über sich selbst, den Kopf. „Habe ich dir eben tatsächlich mein halbes Leben erzählt? Warum mache ich so etwas? Sonst erzähle ich Fremden nicht einmal, was ich gerne esse.“
Marcos lehnte sich nach vorne und stützte seine Unterarme auf dem Lenkrad ab. „Chica, glaub mir, das war notwendig. Ich verspreche dir auch, nichts davon gegen dich zu verwenden.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Irgendwo da drin steckt, so wie ich das sehe, eine kreative, verträumte, fröhliche Frau. Darf ich dir einen Rat geben, so unter neuen Freunden? Lass diese Frau raus. Alleine, was du mir oben in Mogán erzählt hast … Du hast Fantasie, du hast noch Träume, lass dir das nicht kaputt machen. Und zeig dem Typen da drin, der dich einfach mal so vergisst, was er für eine tolle Frau an seiner Seite hat.“
Nun wurde sie tatsächlich schon wieder rot. Zumindest fühlten sich ihre Wangen sehr heiß an. „Danke, Marcos, du bist ein guter Zuhörer. Aber nun habe ich dich mit meinen Problemen überschüttet und nichts von dir erfahren. Das ist ein wenig unfair.“
Das Lächeln, das daraufhin seine Lippen kräuselte, machte ihn gleich noch attraktiver. „Das holen wir beim nächsten Mal nach. Damit du ansatzweise etwas über mich weißt: Ich heiße Marcos, bin vierunddreißig Jahre alt, lebe in Mogán und bin verantwortlich für einen einundzwanzigjährigen Nichtsnutz, der sich mein Bruder schimpft.“ Er kramte in seinem Handschuhfach und förderte eine Visitenkarte zutage. „Und hier hast du meine Handynummer und die Nummer vom Art Café. Wenn du mich brauchst, ruf einfach an.“
Etwas durcheinander von all dem, was in den letzten Minuten geschehen war, starrte sie auf die fröhlich gestaltete Visitenkarte.
„Marcos, warum tust du das? Du kennst mich doch kaum.“
„Vielleicht kenne ich dich besser, als du denkst, Alex. Und jetzt raus mit dir, ehe der Portier sich noch die Augen aus dem Kopf starrt.“ Seufzend zeigte er auf den Portier, der urplötzlich den Boden vor seinen Füßen wahnsinnig interessant zu finden schien.
Sie griff nach ihrem Rucksack und streckte Marcos ihre Hand hin. „Vielen Dank noch mal – für alles.“
„Nicht der Rede wert.“ Sein Händedruck war warm, fest und sehr angenehm. „Vergiss nicht, du bist eine starke Frau.“
„Alexandra, das war das Allerletzte. Was hast du dir dabei gedacht, einfach so zu verschwinden? Weißt du, wie ich vor den anderen dastand?“ Holger war sichtlich erbost.
„Entschuldige, du hättest mich ja schließlich suchen können. Ich war in einem Café nur ein paar Schritte von euch entfernt.“
Holger runzelte die Stirn. „Aber natürlich. Ich renne durch das ganze Dorf, nur weil meine Frau nicht in der Lage ist, sich an Zeitvorgaben zu halten.“
„Mein Gott, Holger. Nun mach doch bitte mal halblang. Ich fand es dort so schön, dass ich mir einfach alles ansehen wollte. Es tut mir leid, dass ich die Zeit vergessen habe.“
„Das ist wohl auch das Mindeste. Und nun zieh dich bitte an, es sei denn, du willst in deinem Hippie-Outfit zum Galadinner erscheinen.“ Für ihn war die Sache damit vorerst erledigt. Normalerweise kam bei solchen Gelegenheiten immer ein „Nachschlag“ von ihm.
Alex schwieg, wenn auch zähneknirschend. Zu ihrem Leidwesen glaubte sie sich gerade in einer nicht sehr guten Position. Langsam verwunderte es sie, wie schnell er sie in die Rolle eines ungehorsamen Kindes zu drängen verstand. Daran musste sie wirklich dringend arbeiten!
„In Ordnung. Ich beeile mich.“
Rasch nahm sie ihr Cocktailkleid und verschwand im Badezimmer. Während sie unter der Tropendusche stand, wanderten ihre Gedanken zurück zu Marcos. Seine dunklen Augen, das stets leicht spöttische Lächeln, seine beeindruckende Statur. Diese Ruhe, die er ausstrahlte, fehlte ihr schon jetzt. Was war denn nur los mit ihr? Schließlich war sie doch mit dem festen Vorsatz hergekommen, ihrer Ehe wieder auf die Sprünge zu helfen. Ein Vorsatz, den Holger allerdings gekonnt boykottierte.
Alex föhnte sich ihre Haare, knetete sie in Form, legte dezentes Make-up auf und schlüpfte in ihr Kleid. Es schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper und passte hervorragend zu den ausnahmsweise hochhackigen Pumps. Eine Hochsteckfrisur, Ohrringe in Schwarz und Silber sowie eine schmale Kette vervollständigten das edle Ensemble. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr eine sehr attraktive Frau, nur der müde Gesichtsausdruck wollte nicht so ganz passen.
Kaum trat sie ins Zimmer, entfuhr Holger ein anerkennender Pfiff.
„Sehr schön. Respekt, das Kleid steht dir ausgesprochen gut. Du siehst wirklich toll aus, Alexandra.“
Sein Lob tat ihr zwar gut, schaffte es aber nicht, das einstige Hochgefühl früherer Komplimente zu wecken.
„Danke, freut mich, dass ich deinen Ansprüchen genügen kann.“ Ihr war sehr wohl bewusst, dass es etwas schnippisch klang.
Versöhnlich legte ihr Mann einen Arm um ihre Schultern. „Ach, Schatz, nun komm schon. Ich war verärgert und gestresst. Außerdem habe ich mir Sorgen gemacht, auch wenn ich mit den anderen gefahren bin.“
Das klang schon etwas besser. Alex drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Waffenstillstand?“
Er zog sie schmunzelnd an sich. „Sehr gerne. Lass uns den Abend genießen.“
Während sie sich ihre Handtasche unter den Arm klemmte, betrachtete sie sich und ihn im Spiegel. Sie waren ein ausgesprochen schönes Paar und doch schien sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen zu befinden. Das mochte aber auch an ihren wirren Gedanken liegen, die sie schnellstmöglich in den Griff bekommen sollte. Sie nahm Holgers ausgestreckte Hand und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Veranda, die heute exklusiv für ihre Gruppe geöffnet war. Es enttäuschte Alex zwar, dass sie nicht mit Silke an einem Tisch sitzen konnte, doch Severin winkte sie bereits bei ihrem Eintreten zu sich. Immerhin war es schon ein Erlebnis, die traumhafte Dekoration aus Blumenarrangements und hohen Kerzenleuchtern auf den Tischen sowie ein Meer von burgunderroten Kerzen entlang der Brüstung zu bestaunen. Ganz zu schweigen von kunstvoll aus Eis geschnitzten Delfinen und Meerjungfrauen rund um das Salatbuffet. Das ganze Ambiente wirkte sehr edel und stilvoll.
Alex fand sich neben einem von Holgers jungen Kollegen wieder, der ihr – durchaus amüsant – von seinen Erlebnissen beim Hochseeangeln erzählte. Holger war, ehe sie es sich versah, erneut in angeregte Gespräche mit Severin und Marissa verwickelt. Unglaublich, dass die Frau so viel reden konnte. Bei ihr hatte sie kaum die Lippen auseinanderbekommen.
Bereits nach dem zweiten Gang, einer leichten Lachspastete mit Mangoschaum, war Alex Profi im Angeln von Barrakudas. Ihr Roséwein war herrlich erfrischend und dank der nicht abreißenden Trinksprüche der Herren kam sie kaum dazu, das Glas abzustellen. Sicherheitshalber orderte sie zwischendurch ein Wasser und schaffte es so, die Darbietung eines exzellenten Kontaktjongleurs zu genießen, ohne die farbigen Glaskugeln, die er über seinen Körper gleiten ließ, doppelt zu sehen. Nach dem Hauptgang trat Severin unter dem Applaus der Anwesenden an das Rednerpult der Bühne. Während er prüfend auf das Mikro klopfte, schwebte ein zweites Glas Wasser über Alex’ Schulter. Liebevoll verziert mit einer Cocktailkirsche, einer kunstvoll geschnittenen Zitronenspirale und einem knallroten Strohhalm.
„Salud, Lady.“
Alex drehte sich so schnell um, dass ihre Nase beinahe gegen das Namensschild ihres Kellners gestoßen wäre.
Sebastian. Sekunde, hatte sie den Namen heute nicht schon mal gehört? Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht, denn Sebastian entschwand mit einem Augenzwinkern und Severin begann seine alljährliche Top-Seller-Ansprache. Den grundlegenden Inhalt kannte Alex schon, da er sich jedes Jahr wiederholte. Der Reihe nach wurden die Top-Seller auf die Bühne gerufen und Severin überreichte ihnen ihre Urkunden. Alex spitzte ihre Ohren erst wieder, als Holger an der Reihe war und sein Chef ihn zurückwinkte, als er die Bühne verlassen wollte.
„Halt, mein Lieber, so kommen Sie mir heute nicht davon. Nicht nur, dass Sie seit Jahren einer der Besten auf Ihrem Gebiet sind, legen Sie auch noch die Messlatte für die Kollegen gewagt hoch. In Abstimmung mit der obersten Geschäftsführung darf ich Ihnen daher heute, in dieser angemessenen Umgebung, etwas mitteilen, das Sie freuen wird. Mein lieber Herr Stahl, lieber Holger, ich darf Ihnen hiermit herzlich zum Posten des Abteilungsdirektors in der Zweigstelle München-Innenstadt gratulieren.“
Wieder einmal hatte er es geschafft. Die nächste Stufe war erklommen. Der allgemeine Beifall war so laut, dass Alex kaum hören konnte, wie Silke und Klaus neben ihr herzlich gratulierten.
„Nicht mich, sondern ihn müsst ihr beglückwünschen.“ Strahlend scheuchte sie die beiden zu Holger und folgte ihnen.
Sie wartete, bis er alle Hände geschüttelt hatte, und trat auf ihn zu. „Herzlichen Glückwunsch, Schatz. Nun ist dein Wunsch schneller als gedacht wahr geworden.“
Holger zog sie an sich und küsste sie auf beide Wangen. „Ja, auch dank dir. Würdest du mich nicht so unglaublich unterstützen, könnte ich all das gar nicht bewältigen.“
„Sehr gerne geschehen. Ich hoffe, dass damit ein klein wenig Ruhe in den Alltag einkehren kann.“
Holgers seltsamen Blick konnte sie nicht deuten.
Nach zahllosen Gläsern Champagner für die Gewinner und zwei Tequilarunden wurde der Nachtisch aufgetragen. Alex wähnte sich bei köstlichem Polvito, einer Süßspeise aus Ei, Vanille und Zucker, kurzfristig im Himmel.
Dienstbare Geister hatten inzwischen die Bühne für fünf Musiker vorbereitet, die in ihren schwarzen Hemden und engen Hosen ein stimmiges Bild abgaben. Als die Tanzmusik einsetzte, gab es für die Gäste kein Halten mehr. Holger, in allerbester Stimmung, tanzte gleich zwei Songs mit Alex durch und schien glücklich und zufrieden. Dass Severin dann abklatschte, gefiel ihr zwar nicht, ließ sich aber nicht ändern.
Eine gute halbe Stunde später stahl sich Alex von der Tanzfläche. Sebastian reichte ihr mit wissendem Lächeln zuerst ein Glas Wasser, das sie durstig hinunterstürzte, dann ein Glas vollmundigen Rotweins.
„Na, Lady, scheint ein erfolgreicher Abend zu sein. Gefällt es Ihnen?“
„Es ist sehr schön. Sie und die anderen haben aber auch gezaubert.“
Sebastian nickte zufrieden. „Ich gebe das Lob gerne weiter. Oh, ich glaube, Ihr nächster Tanzpartner ist im Anmarsch.“
Fast eine Stunde später gesellte Alex sich zu Silke an den Rand der Tanzfläche.
„Ich kann und mag nicht mehr tanzen. Vor allem, da ich keine Ahnung habe, wo mein Mann abgeblieben ist.“
„Der wird sich den wahrscheinlich dreißigsten Tequila-Shot genehmigen. Könnte sein, dass der inzwischen verdammt gut drauf ist“, kommentierte Silke trocken.
Alex verzog genervt das Gesicht. „Bitte nicht schon wieder. Müssen denn die Abende immer in einem Besäufnis enden?“
„Scheint fast so. Gehört wohl mittlerweile zum guten Ton.“ Die Freundin zuckte gelassen mit den Schultern. „Wir werden das kaum ändern können und wenn wir etwas sagen, sind wir die Spaßbremsen. Komm, gönn dir einen Mango Limes, das ist quasi Obst und sehr gesund.“
Kichernd genehmigten sie sich einige der leckeren Minicocktails, bis Klaus auftauchte, wenn auch nicht mehr ganz standfest, und Silke auf die Tanzfläche lotste.
Alex sah sich um. Irgendwo musste Holger sein, er konnte ja nicht einfach spurlos verschwinden. Sie machte sich auf die Suche und umrundete zuerst die Veranda, dann die kleine Bar auf dem Weg zum Pool. Spätestens hier wünschte sie sich, dass Holger sich doch in Luft aufgelöst hätte.
Die Tür der Bar war leicht geöffnet, aus dem Inneren drangen eindeutige Geräusche. Alex wollte sich gerade zurückziehen, als sie eine Stimme hörte, die sie nur allzu gut kannte.
„Holger, Süßer, du solltest leiser sein. Was, wenn deine Frau dich suchen sollte?“
„Die sucht mich nicht und wenn … man gönnt sich ja sonst nichts.“
Ein kurzer Blick durch den Türspalt genügte ihr: Marissa, halbnackt in enger Umarmung mit ihrem Mann, der soeben seine Zunge im Hals der Frau versenkte. Einen winzigen Augenblick lang wollte sie zornig die Tür aufreißen und den beiden gehörig die Meinung sagen. Sie wollte ihrer Wut, der Enttäuschung und auch dem Entsetzen über den sich ihr bietenden Anblick freien Lauf lassen. Aber auf einmal schien sämtliche Kraft sie verlassen zu haben. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Ausgerechnet an solch einem Abend, an dem sie den gemeinsamen Erfolg feiern sollten, betrog Holger sie? Zuerst nur fassungslos, dann zunehmend wütend und vollkommen durcheinander trat Alex den Rückzug an. Was sollte sie jetzt tun? Zorn und Leere wechselten sich im Sekundenrhythmus in ihrem Kopf ab. Sie mogelte sich an den tanzenden und feiernden Menschen vorbei und landete an der Cocktailbar. Mit mürrischer Miene mixte dort Sebastian Cocktails.
„Hat man Sie zum Bartender befördert?“ Alex gelang ein Lächeln, wenn auch ein sehr schräges.
Sebastian hob eine Augenbraue. „Ich steh hier nicht so gerne. Die Kollegin sagte etwas von fünf Minuten. Das war vor einer halben Stunde. Aber jetzt gerade habe ich meinen Lieblingsgast vor mir, da ist das schon okay. Was kann ich für Sie tun?“
Alex holte tief Luft. „Ich glaube, ich brauche jetzt sofort den stärksten Cocktail aus dem Angebot.“
„Oh, ähm, ja, das wäre der Long Island Iced Tea, aber mal im Ernst, der ist gefährlich. Vor allem die Art, die wir hier auf den Kanaren mixen. Wir sind ausgesprochen großzügig mit Alkohol. Sind Sie sich da ganz sicher, Lady?“ Sebastian schien tatsächlich besorgt um sie zu sein.
„Dann ist er genau richtig.“ Den trotzigen Unterton in ihrer Stimme konnte sie nicht unterdrücken.
„Gut, wenn Sie meinen.“ Schweigend mixte er ihr Getränk.
Als er ihr das Glas über den Tresen reichte, hielt er es kurz fest. „Wenn Sie jemanden zum Reden brauchen, sagen Sie bitte Bescheid, okay?“
Das war zwar wirklich rührend, doch Alex war nicht nach Reden. Sie wollte Schmerz und Zorn ein wenig betäuben und die soeben gesehenen Bilder aus dem Kopf bekommen.
„Danke, mir geht’s gut. Ich brauche nur ein wenig Zeit für mich.“ Alex nahm ihr Glas in die Hand und suchte sich einen möglichst unauffälligen Weg von der Veranda. Direkt neben der schmalen Treppe stand eine Bank unter einem gigantischen Blumenbusch. Der Cocktail schmeckte süß und mutete harmlos an. Sie ließ sich auf die Bank sinken und trank viel zu schnell. Das zweite Glas orderte sie sicherheitshalber an einer anderen Bar und bemerkte auf dem Rückweg in den Park, dass ihr das Laufen nicht mehr so leichtfiel. Die Rasenfläche bewegte sich bedrohlich. Ein wenig schwankend suchte sie sich eine möglichst weit entfernte Sitzmöglichkeit und fand sie in einem hübschen, gemauerten und von Rosen und Hibiskus umrankten Pavillon am Ende der Anlage. Sie musste sich festhalten, um die wenigen Stufen hinaufzukommen und sich dann, vor allen unliebsamen Blicken verborgen, auf die kühle Marmorbank im Inneren zu setzen.
Nun flossen die Tränen doch. Alex schaffte es nicht mehr, die Haltung zu wahren. Aber wozu auch? Die Erinnerung an den Anblick von Marissa und Holger, eng umschlungen, wollte einfach nicht weichen. Ihr Hirn schien dröge in Alkohollauge zu schwappen, was ihre Gesamtsituation nicht unbedingt verbesserte. Als nun zu allem Überfluss ihre Nase zu laufen begann und sie feststellte, dass ihre Tasche wohl noch an der Stuhllehne hing, war das Desaster komplett.
Schniefend wischte sie ihre Tränen weg.
„Serviette?“
Zuerst begriff Alex nicht, woher die Stimme kam und wer die zwei Gestalten vor ihr waren. Nur langsam, nachdem sie angestrengt die Augen zusammenkniff, wurden sie zu einem Mann. Sebastian.
Auffordernd streckte er ihr eine Papierserviette entgegen. „Nun nehmen Sie schon. Ich halt so lange das Glas.“
Ihr Cocktail verschwand, dafür hielt sie das Tuch in den Händen und schnäuzte sich geräuschvoll.
„Danke. Wo kommen Sie denn her?“ Ihre Zunge fühlte sich an, als wöge sie mindestens ein Pfund.
„Ich bin zum Aufräumen verdonnert worden. Außerdem hab ich mir Sorgen um Sie gemacht.“
„Um mich?“
„Sag ich doch. Um wen denn sonst? Was ist los? Ich kann echt gut zuhören, wirklich. Und ich bin älter, als ich aussehe.“ Der hübsche Canario strahlte sie so unschuldig an, dass sie unweigerlich lachen musste, was – wohl ihrem Zustand geschuldet – in einem Hustenanfall mündete.
„Serviette?“ Grinsend hielt er ihr die nächste entgegen.
„Lass das, wenn ich lachen muss, muss ich husten. Ich bin betrunken. Und ich heiße Alex, nicht Sie.“ Da ihre Nase schon wieder lief, griff sie notgedrungen nach dem Tuch.
„Ich bin Sebastian, aber das weißt du ja schon. Und jetzt erzähl deinem Psychokellner, was los ist.“ Er setzte sich neben sie und stupste sie sanft an. „Los, mach schon!“
„Will nicht. Hab heute schon einmal einem wildfremden Mann mein Leben erzählt.“ Zum Donnerwetter aber auch, musste ihr Mund sich anfühlen, als hätte sie zwei Narkosespritzen beim Zahnarzt bekommen?
„Du hast aber auch schon mal deutlicher gesprochen. Und abgesehen davon sollst du nur erzählen, was dich gerade so aus der Bahn geworfen hat.“
„Nein.“
„Doch. Jetzt mach schon. Ich bin da.“
Sie gab nach, da sie langsam an all dem, was in ihr tobte, zu ersticken drohte. Stockend und zwischendurch immer wieder in Tränen ausbrechend, was ihr eine ansehnliche Anzahl von Servietten einbrachte, erzählte sie ihm von Holger und Marissa, von ihrer grenzenlosen Enttäuschung und dem Gefühl der Ohnmacht, das sich in ihr ausbreitete.
„Und nun weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich habe keine Erfahrung mit Eifersuchtsszenen. Aber vielleicht sollte ich das, denn ich weiß ja nicht, wie viele Marissas es schon in seinem Leben gegeben hat.“ Wieder begannen die Tränen zu fließen.
„Serviette?“ Sebastian lächelte dieses Mal nicht. „Abgesehen davon darf ich mir die Bemerkung erlauben, dass dein Mann ein Idiot ist. Eine Frau wie dich trägt man auf Händen. Jemanden, der so aussieht wie du und der so liebenswert ist, opfert man doch nicht für seine Karriere.“
Alex wollte gerade aufbegehren, als er sie sehr bestimmt unterbrach. „Mag sein, dass das aus dem Mund eines Kellners ein wenig seltsam klingt, aber abgesehen davon bin ich auch ein Mann.“
„Ein sehr junger Mann.“ Sie musterte ihn schniefend.
„Na und? Wo liegt das Problem?“ Er sah sie genauer an. „Magst du jüngere Männer?“
„Sebastian, du könntest mein Sohn sein.“
„Niemals! Und wenn schon. Wen würde das denn bitte stören? Aber ich sehe schon, du brauchst was Seriöses. Ich glaub, ich muss dich mit meinem Bruder verkuppeln.“
„Ich will nie wieder einen Mann. Nie wieder!“ Verzweifelt vergrub Alex ihr Gesicht in den Händen. Sie spürte, dass Sebastian tröstend einen Arm um sie legte. Ihr fehlte die Kraft, ihn abzuschütteln, und sie wollte es auch gar nicht. Schluchzend lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und er hielt sie einfach nur fest.
Endlose Zeit und zahllose Servietten später löste sie sich zaghaft von ihm.
„Danke, dass du dir das alles angehört hast und mich tröstest. Du bist wirklich lieb.“
Er schmunzelte sichtlich belustigt. „Ich wäre gerne auch noch was anderes, aber lieb ist schon ganz okay.“ Dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und sah sie sehr ernst an. „Ab sofort bist du bitte die wunderbare, starke Frau, als die ich dich schon am ersten Abend erkannt habe, ist das klar? Du lässt dich nie wieder von diesem Kerl klein machen. Versprichst du mir das?“
Alex atmete tief durch. „Ich verspreche es.“ Sie klang nun klarer. Verständlicher.
„Gut, dann bringe ich dich jetzt zu deinem Zimmer.“
Verwirrt sah sie ihn an. „Wieso nicht zurück auf die Veranda?“
„Alex, da ist keiner mehr. Es ist halb vier.“
„Um Himmels willen, ich …“
„Fängst du schon wieder an? Und wenn du im Morgengrauen nackt und singend kämst, ginge es den Schwachkopf nichts an. Na komm.“ Er erhob sich und streckte ihr eine Hand entgegen. „Gehen wir.“
Sie fanden ihre mittlerweile an der Bar abgelegte Tasche samt Zimmerkarte und schlichen den Flur entlang zu Alex’ und Holgers gemeinsamem Zimmer, wobei Sebastian darauf achtgab, dass sie nicht stolperte. Ihr graute vor dem, was sie erwarten würde. Gleichzeitig brodelte es in ihr. Vor der Tür hielt sie an, kramte die Karte heraus und musterte das Holz wie einen Feind. „Ich will eigentlich nicht rein, aber ich weiß, dass ich muss.“
Sebastian nahm ihr die Schlüsselkarte aus der Hand, legte einen Zeigefinger unter ihr Kinn und hob es ein wenig an. „Fängst du schon wieder an? Er müsste Angst haben, nicht du. Du bist toll, eine ganz wundervolle Frau. Lern wieder zu lachen, dann liegen dir alle Kerle zu Füßen.“
„Unsinn.“
„Dann pass mal auf, Lady.“ Sein Griff an ihrem Kinn wurde etwas fester, er streckte den anderen Arm aus und zog sie zu sich heran. Er küsste sie so, wie man eben eine Frau küsste, die man wirklich begehrenswert fand. Als er seine Lippen wieder von ihren löste, lächelte er sie herausfordernd an.
„So macht man das. So muss man dich behandeln. Man muss dich lieben und es dir zeigen. Und ehe du mir jetzt eine runterhaust, verschwinde ich lieber.“ Mit breitem Grinsen steckte er die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz, ehe er sich ein letztes Mal ihr zuwandte. „Du bist der Hammer! Vergiss das nie wieder.“
Bevor Alex reagieren konnte, stapfte er schon eilig den Flur hinunter.