Читать книгу Allein geht's besser / Tapas, Träume und ein Macho / Paradies im zweiten Anlauf - Gabriele Ketterl - Страница 16
7. Alleine geht es besser
Оглавление„Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Schatz, die Tatsache, dass du vollkommen durcheinander hier sitzt und irgendwas von ‚Der Scheißkerl hat alles zerstört‘ erzählst, verrät mir, dass du am Anfang beginnen solltest. Also, darf ich bitten?“ Mit besorgtem Blick reichte Leonie ihr ein großes Glas Tee.
Hilflos starrte Alex ihre Freundin an. „Ganz ehrlich, es ist so viel. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vor zwölf Stunden war ich noch auf Gran Canaria. Ich habe mir während des Rückfluges alles so schön zurechtgelegt und dann komme ich nicht einmal dazu, mit Holger zu reden, weil der schon wieder hyperventiliert, da heute seine offizielle Vorstellung als Abteilungsdirektor stattfindet.“
Leonie runzelte nachdenklich die Stirn. „Nur mal so ganz unbedarft gefragt: Solltest du bei einem solchen Anlass nicht dabei sein?“
Alex zuckte ratlos die Schultern. „Er hat nicht gefragt, ob ich mitkommen will … Ach, das ist alles so vertrackt. Warte, ich muss wirklich noch mal anfangen, sonst kannst du es ja nicht verstehen.“
„Jetzt sind wir da, wo ich hinwollte. Sehr gut, also fang an. Kundschaft ist bei dem Mistwetter sowieso kaum in Sicht.“ Leonie warf einen genervten Blick hinaus in das graue deutsche Regenwetter.
„Okay, alles begann damit, dass ich schon beim Abflug gemerkt habe, dass ich mich schrecklich unwohl fühle. Aber es wurde alles nur noch schlimmer.“ Alex erzählte und erzählte. Sie beschrieb Leonie die Abende, die Gespräche, die Oberflächlichkeit der Teilnehmer. Sie erzählte von Holgers Gleichgültigkeit und seiner Trinkerei, von dem kindischen Verhalten der Gäste und den vielen peinlichen Situationen, in denen sie am liebsten in einem Mauseloch verschwunden wäre. Sie ließ jedoch auch Sebastian nicht aus und als Marcos ins Spiel kam, trat ein Lächeln auf Leonies Züge. Allerdings unterbrach sie Alex nicht ein einziges Mal, auch wenn sie bei der Szene, in der Alex Holger mit Marissa erwischt hatte, das Teeglas hart absetzte. Bei der Episode auf dem Boot hingegen strahlte sie regelrecht.
„Als ich zurück ins Hotel kam, tat er, als wäre nichts geschehen. Er dachte, ich käme vom Pool, und hatte nichts anderes zu sagen, als dass ich gedankenlos sei, weil ich nicht die Pooltücher, sondern mein Badetuch benutzt hätte, dafür gebe es doch am Pool die Extratücher. Er fand, der hässliche Strand würde mein neues Tuch ruinieren. Ich wäre ihm wirklich gerne ins Gesicht gesprungen, nur wollte ich keine Szene, sondern einen ruhigen Rückflug und, so wie ich es Marcos gesagt habe, die Möglichkeit, ihn hier zur Rede zu stellen. Der ganze Flug war einfach nur schrecklich. Holger hat seinen Arm um mich gelegt und etwas von ‚Jetzt haben wir den Mist hier auch überstanden‘ gefaselt. Leonie, ich ertrage diese überhebliche Art und diese herablassenden Phrasen nicht mehr. Während er mit Severin über den neuen Job geredet hat, habe ich aus dem Fenster der Maschine gestarrt. Unter uns waren die Lichter von Gran Canaria und ich wusste ungefähr, wo Puerto de Mogán liegt. Als die Maschine höher gestiegen ist und die Lichter immer kleiner wurden, habe ich nur noch geheult. Holger hat es nicht einmal bemerkt.“
„Ich sag doch, er ist ein Vollhonk. Nun ist wohl endgültig bewiesen, dass ich recht hatte, aber irgendwann musste das ja passieren.“ Mitfühlend legte Leonie ihren Arm um Alex’ Schultern. „Aber sieh es positiv. Du hast endlich Klarheit über den wahren Charakter von Holger Stahl und zudem in vier Flugstunden Entfernung eine verdammt gute Option, wenn ich das richtig sehe.“
„Glaubst du wirklich, Marcos meinte das alles ernst?“
Leonie schüttelte ungläubig den Kopf. „Sag mal, bist du noch bei Trost? So wie du von ihm erzählst, hast du dich doch Hals über Kopf in ihn verguckt. Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass du ihm gleichgültig bist. Der Mann springt über seinen spanischen Machoschatten und eröffnet dir, dass er aufrichtiges Interesse an dir hat, und was tust du? Du fängst schon wieder an zu zögern und zu zaudern. Hör auf der Stelle damit auf! Lass doch bitte deine Gefühle zu, denn du erzählst mir nicht, dass da keine sind.“
„Das möchte ich ja gerne. Nur, wie soll es weitergehen? Ich kann doch nicht so tun, als sei nichts gewesen.“
„Ja geht’s noch? Natürlich nicht. Du kratzt sofort dein Selbstbewusstsein und deinen Mut zusammen und planst für den heutigen Abend ein ‚höfliches‘ Gespräch mit deinem treulosen Mann. Marcos lässt du bitte raus, denn wie ich Holger kenne, verwendet er ihn auf der Stelle gegen dich. Er geht ihn einen feuchten Kehricht an.“ Leonie machte ihr „Widerstand ist zwecklos“-Gesicht.
Alex holte tief Luft, trank einen großen Schluck Tee und reckte kampfeslustig ihr Kinn in die Luft. „Du liegst vollkommen richtig. Je schneller, desto besser. Diese Reise hat mir so vieles gezeigt, vor allem, wie blind ich gewesen bin.“
Leonie nickte, beugte sich zu ihr und tätschelte mütterlich ihre Wange. „Gutes Mädchen! Und jetzt wird bitte geplant. Noch etwas: Wenn er ausrastet, ich bin für dich da. Ich kenne ja seine cholerische Art zur Genüge.“ Sie fasste Alex’ Kinn und sah ihr fest in die Augen. „Bleib stark! Gib endlich nicht mehr nach. Du hast ein Recht auf dein Leben, hörst du mich?“
Es war schon nach zweiundzwanzig Uhr, als Holger endlich die Wohnungstür aufschloss. Er war sichtlich angetrunken und guter Dinge, warf sein Jackett schwungvoll auf das Sofa und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen.
„Was für ein Tag. Es war mir ein Fest, die Kollegen zu sehen, als Severin und Hermann Auer, unser Generaldirektor, mich als neuen Abteilungsdirektor vorgestellt haben. Severin wurde in die Chefetage befördert und ich trete quasi in seine Fußstapfen. Wenn ich jetzt keine Fehler mache, dann ist der nächste Etappensieg nahe.“
„Schön für dich.“ Es kostete Alex einige Überwindung, ruhig und gelassen zu klingen. „Aber was meinst du denn mit dem nächsten Etappensieg? Ich war der Meinung, der Abteilungsdirektor war dein erklärtes Ziel?“
„Ach, Alexandra, wer rastet, der rostet. Das weißt du doch. Natürlich muss ich mich jetzt erst einmal beweisen. Ich bezweifle nicht, dass mir das gelingen wird. Und wenn dem so ist, dann geht es nochmals bergauf.“
„Sagtest du nicht, dass du etwas kürzertreten wolltest, dass wir mehr gemeinsam unternehmen wollten? Ich darf an einen langen Urlaub erinnern, den wir seit Jahren vor uns herschieben. Lautete der Plan denn nicht, über Weihnachten und Neujahr für vier Wochen nach Thailand und Kambodscha zu fliegen? Korrigiere mich bitte, wenn ich falschliege.“
Schon legte sich ein Schatten über Holgers Gesicht. „Alexandra, ich bitte dich. Als Direktor kann ich doch nicht einfach für vier Wochen verschwinden, das musst du doch einsehen. Gut, das alles war wohl mal angedacht, nur ist das Leben einfach kein Ponyhof. Da muss man schon mal Opfer bringen.“
Etwas in ihr bekam zuerst einen winzigen Riss und dann konnte sie regelrecht spüren, wie eine wahre Flutwelle an Zorn daraus hervorbrach. „Opfer bringen? Holger, das kann nicht dein Ernst sein. Ich bringe seit Jahren ein Opfer nach dem anderen, bin an deiner Seite, halte dir immer und zu jeder Zeit den Rücken frei. Bin da, wenn du vollkommen fertig hier ankommst, verzichte auf Urlaube, ja, ich habe sogar auf ein eigenes Leben verzichtet. Immer habe ich alle meine Belange hinten angestellt, die ganze Zeit. Damit ist jetzt Schluss.“
„Augenblick!“ Seine Stimme bekam schon wieder den lauernden Unterton, der sie früher immer dazu gebracht hatte, sofort einzulenken. „Jetzt einmal ganz langsam, meine Liebe. Darf ich an schweineteure Wellnesshotels erinnern? Darf ich auf diese luxuriöse Wohnung hinweisen? Darf ich auf Besuche in Luxusrestaurants und einzigartige Opernpremieren verweisen? Ich biete dir ein Leben in Luxus und du greifst mich an?“
Ihre Hände krallten sich in die Lehne des braunen Ledersofas. „Ja, das tue ich. Und wie ich das tue. Du denkst nur an dich, an deine Karriere, an dein Ansehen. Ich war doch nur das nette Frauchen, das man vorzeigen konnte und das zu Hause brav mit dem Essen gewartet hat. Immer wieder habe ich mich vertrösten lassen. Immer und immer wieder! Wie gesagt, damit ist jetzt Schluss!“
„Halt den Mund! Bist du verrückt geworden? Hat deine entzückende Freundin dir wieder irgendwelche Flöhe ins Ohr gesetzt? Glaubst du ernsthaft, du kannst in diesem Ton mit mir reden?“ Holgers Gesicht hatte eine bedrohlich dunkelrote Farbe angenommen. Wo die Angst vor dem anstehenden cholerischen Tobsuchtsanfall sie noch vor kurzer Zeit zum Schweigen gebracht hätte, holte sie heute lediglich tief Luft.
Dann nickte sie wütend. „Und ob ich das glaube. Ich glaube sogar noch viel mehr. Ich glaube, dass du sehr vorsichtig sein solltest mit dem, was du mir hier an den Kopf wirfst. Vielleicht ist ja die bezaubernde Marissa dumm genug, sich wie ein Fußabtreter behandeln zu lassen. Ich bin es auf jeden Fall nicht mehr.“
„Marissa hat es nicht nötig, sich schlecht behandeln zu lassen. Und überhaupt, was hat sie damit zu tun?“
Alex zog lächelnd die Augenbrauen hoch. „Sag du es mir, du hast sie ja schließlich in der Strandbar gevögelt. Man gönnt sich ja sonst nichts, oder wie waren deine Worte?“
Einen winzigen Augenblick lang schien sie Holger aus dem Konzept gebracht zu haben. Er wirkte verwirrt, ja sogar verunsichert, dann aber polterte er in altbewährter Manier los. „Und wenn schon? Mit dir ist ja nichts mehr los. Statt öfter in sexy Kleidung aufzutreten, wirfst du dich tatsächlich in Vintageklamotten und machst dich zum Gespött aller. Was bietest du mir denn noch? Wundert es dich da, wenn ich meine Fühler anderweitig ausstrecke? Ich rackere mich ab wie ein Blöder, um der gnädigen Frau allen Luxus zu bieten, und dann muss ich mich hier wegen ein bisschen Spaß rechtfertigen? Bist du denn noch zu retten?“
Alex lehnte sich in ihren Sitz zurück. „Ein bisschen Spaß? So nennst du das also? Holger, du bist das Allerletzte. Du hast jegliches Gefühl für Anstand verloren. Je höher du auf der Karriereleiter geklettert bist, desto kälter und gefühlloser bist du geworden. Ich bin entsetzt, und zwar am meisten von mir selbst, dass ich das so viele Jahre zugelassen habe.“
Holger fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum. „Entsetzt, die Dame ist entsetzt. Sieh einer an. Was glaubst du eigentlich, mit wem du redest?“
„Mit dem Mann, der mir gerade die Augen weit öffnet. Tut mir leid, aber so geht es nicht weiter. Ich werde mir einen Ganztagsjob suchen und mein Leben wieder in die Hand nehmen. Vielleicht akzeptiere ich Leonies Angebot und werde Teilhaberin in ihrer Boutique, vielleicht arbeite ich eine Weile in einem Blumenladen und sehe zu, dass ich eine kleine Agentur aufmache. Auf jeden Fall wird sich für dich einiges ändern.“
„Als da wäre?“ Holger war verdächtig ruhig geworden.
„Dein Abendessen wird nur noch sporadisch auf dem Tisch stehen, ich werde an den Abenden auf Ausstellungen, Vernissagen und anderen Veranstaltungen sein, um zu sehen, was gerade angesagt ist. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du nimmst mich als gleichwertige Partnerin ernst oder unsere Beziehung wird in einer ernsthaften Krise stecken. Ach was sage ich, das tut sie ja schon, denn eigentlich willst du ja inzwischen eine Marissa. Und eine solche werde ich ganz gewiss nicht.“
Schäumend vor Zorn sprang ihr Mann aus seinem Sessel auf. „Es wäre allerdings besser für dich gewesen, wenn du wärst wie sie, denn dann hätte ich dich damit vielleicht durchkommen lassen. So aber muss ich Konsequenzen ziehen.“
Verlor er jetzt komplett den Verstand? „Holger, wann genau hast du den Bezug zur Realität verloren? Du betrügst mich, du schließt mich Schritt für Schritt aus deinem Leben aus, benutzt mich als Haushälterin, Köchin, Krankenschwester und alle Jubeljahre als Aushängeschild bei Veranstaltungen. Und du drohst mir? Nein, da hast du etwas gründlich missverstanden. Nicht ich bin die, die hier zu Kreuze kriechen muss. Das solltest du sein. Und sei jetzt einfach nur still. Ich will nur noch eines von dir: Halt den Mund! Weiter auf diesem Niveau zu diskutieren ist vollkommen sinnlos. Alles, was du mir an den Kopf geworfen hast, zeigt mir, wie gering du mich schätzt. Es ist mir egal, was du sagst, es ist mir egal, was du denkst, und es ist mir ebenso egal, was du tust. Soll ich dir sagen warum? Weil ich gerade eben bemerkt habe, dass du mir egal bist.“
„Raus! Pack deinen Mist zusammen und dann raus mit dir, du undankbares Miststück. Verschwinde aus meiner Wohnung, sofort!“ Sie hatte noch nie gesehen, dass Holger Schaum vor dem Mund hatte. Fasziniert starrte sie auf das Flöckchen an seinem linken Mundwinkel.
„Nichts lieber als das. Du machst es mir sehr leicht. Allerdings darf ich dich, ehe ich packen gehe, noch ein wenig korrigieren. Dies ist unsere Wohnung. Den Kaufvertrag haben wir gemeinsam unterzeichnet, aber ich überlasse sie dir – zumindest für den Augenblick – gerne. Ich habe mich hier nie wirklich zu Hause gefühlt.“ Alex wusste, was nun kommen würde, seine Verwandlung vom Mann von Welt zum tobenden Proletarier ging stets einher mit seinen stetig zunehmenden cholerischen Ausbrüchen.
Sie hörte ihn hinter sich toben und brüllen, während sie gemessenen Schrittes die Treppe zum Schlafzimmer hochlief. Sie war bei Weitem nicht so ruhig, wie es den Anschein hatte. Ihr Herz raste und ihr Puls war jenseits von Gut und Böse. Ihr Kopf dröhnte, ihre Schläfen hämmerten und ihr Atem ging viel zu schnell. Und doch wusste sie, dass sie das Richtige tat. Auch wenn ihre Hände zitterten, gelang es ihr, sehr gezielt und sinnvoll zu packen: zwei große Koffer und eine Reisetasche, ihre Papiere, ihren Führerschein und ihr Sparbuch. Kreditkarten und alles andere befanden sich sowieso in ihrer Handtasche. Die Reisetasche über der Schulter und die Koffer in beiden Händen, quälte sie sich die Treppe wieder nach unten.
„Wohin willst du denn gehen? Du hast doch niemanden. Bei welchem Versager willst du jetzt Unterschlupf suchen?“ Holger kam ihr so nah, dass sie die Alkoholfahne roch, die ihn umwehte.
„Der einzige Versager, und zwar menschlich auf ganzer Linie, das bist du, Holger. Wenn ich bedenke, wie sehr ich dich geliebt habe, dann muss ich mich wirklich fragen, wann ich meine Menschenkenntnis verloren habe.“ Sie griff nach Haus- und Wagenschlüssel.
„Vergiss es. Das Auto bleibt hier, dafür habe ich teuer bezahlt. Den Wohnungsschlüssel lässt du gefälligst auch hier. Was bildest du dir eigentlich ein?“ Holger stellte sich ihr herausfordernd in den Weg.
Es kostete sie unvorstellbare Kraft, ruhig zu bleiben. „Sowohl mein Auto als auch die Wohnungsschlüssel kommen mit. Noch befinden sich in dieser Wohnung persönliche Dinge von mir. Wenn du mich daran hindern willst, was mich kaum mehr verwundern würde, dann müsstest du Gewalt anwenden. Ich werde nun aus dieser Tür dort gehen und du wirst mich nicht aufhalten können.“ Ihre Knie zitterten so sehr, dass sie befürchtete, er könnte es bemerken.
„Dann verschwinde, du undankbares Luder! Du wirst sehen, was du davon hast. Ich warne dich, diesen Tag wirst du bitter bereuen.“
Alex wuchtete erneut ihre Koffer hoch und schob sich an ihm vorbei. Als sie die Tür öffnete und sich auf dem Flur befand, drehte sie sich ein letztes Mal um.
„Nein, das werde ich ganz gewiss nicht. Im Gegenteil.“
Mühsam schleppte sie alles zum Fahrstuhl. Als die Türen sich öffneten, murmelte sie leise: „Ich bereue lediglich mein Leben mit dir.“