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EINLEITUNG
ОглавлениеSeit Jahrhunderten werden in Wien Geister gesehen und beschrieben, oft kann man sich mit ihnen sogar unterhalten. Man trifft sie als Wiedergänger oder „weiße Frau“, sei es in Schlössern, in Privathäusern oder in den Straßen. Wien ist offenbar ein fruchtbarer Boden für Geister, Gespenster und Vampire. Dieses Buch begibt sich auf ihre Spuren. Es führt einerseits zu Menschen, deren Kontakte mit dem Jenseits durchaus ernst zu nehmen sind, andererseits aber zu Erscheinungen, die ins Reich der Sage zu verweisen sind, auch wenn sie für vergangene Generationen wahrhaftig waren. Manche Orte sind furchterregend und unheimlich, doch wurden auch Berichte aufgenommen, die nicht ernst zu nehmen oder hinterfragbar sind. Wer erinnert sich nicht gerne an die Schauer, die einem in der Kindheit beim Hören von Gespenstergeschichten wohlig über den Rücken liefen. Vor dem Zubettgehen sah man sicherheitshalber noch unter dem Bett nach, ob dort etwa eines der Gespenster verborgen war. Doch irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens verlor man zusammen mit der magischen Kinderseele auch diese Furcht und vergaß die bösen, aber auch die guten Geister, die Feen und Schutzengel, die einen als Kind oft beschützt und getröstet hatten. Die Wissenschaftsgläubigkeit, die nur akzeptiert, was man beweisen kann, ist allerdings gerade in unserem heutigen Computer-Zeitalter an ihre Grenzen gestoßen, da die Forschung noch immer nicht alle unsere Fragen beantworten und auch die Kirche uns nicht immer trösten kann. So macht sich eine gewisse Sehnsucht nach dem Übernatürlichen bemerkbar, von dem man heute wieder sprechen kann, ohne verlacht zu werden. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes „Spectra“ im Jahre 2002 sind 65 Prozent der befragten 1.000 Österreicher von zumindest einem übernatürlichen Phänomen wie Geisterbeschwörung, Gedankenübertragung oder Hellseherei überzeugt, vor allem Frauen und Jugendliche können sich der Faszination des Übersinnlichen nicht entziehen. Knapp ein Drittel der Befragten hält Wunderheilungen sowie übersinnliche Wahrnehmungen für möglich, rund ein Viertel glaubt an Hellseherei und Wahrsagerei oder an Telekinese, das Bewegen oder Verbiegen von Gegenständen ohne sichtbare Ursache. An Geisterbeschwörungen, Hexerei und Exorzismus glaubten hingegen nur zehn Prozent der Befragten. (Bericht in Der Standard, 23./24. Februar 2002, APA) Die Ansicht darüber, was unheimlich ist, ändert sich laufend, jede Zeit hat ihre eigenen Gespenster, ihre eigenen übernatürlichen Erscheinungen, die dem Verlauf der Geschichte und damit der Mode unterliegen.
Die Schauplätze von Geister- und Gespenstergeschichten: modrige Keller und düstere Verliese
Der Glaube an das Übersinnliche steht in direktem Zusammenhang mit den Wünschen der Menschen. An erster Stelle steht dabei der Wunsch, den Tod zu überwinden. Die Angst vor dem eigenen Sterben, die Verzweiflung über den Verlust geliebter Menschen, das Grauen vor dem Verwesungsprozess sind als starke Gefühle in der Lage, Geister erscheinen zu lassen. Ob dies nun wirklich geschieht oder vom Betroffenen nur so empfunden wird, ist dabei nebensächlich. Um lange zu leben, musste man seinerzeit auf Zauber und Zaubermittel vertrauen, die nicht immer zum Bereich der weißen Magie zählten – heute braucht man die schwarzen Hexen und ihre grausigen Tränke nicht mehr, da die Medizin wirksame Heilmethoden und Mittel bereithält. Die Hexen sind daher aus der Mode gekommen. Da die Ärzte aber gerade bei den chronischen Leiden oft nicht helfen können, wendet man sich den Wunderheilern zu. Früher nahm das zauberische Schatzsuchen einen breiten Raum ein, man findet alte Berichte und vor allem Sagen darüber auch in Wien in Hülle und Fülle, noch im 17. Jahrhundert galt: „Wenn jemand mit Zauberei einen Schatz zu erobern sich untersteht, ist dasjenige, was er findet, unserer landesfürstlichen Kammer verfallen und noch dazu die Bestrafung wegen solcher verübten Zauberei dem Landesgerichtsherrn zu überlassen.“ Heute hofft man nicht mehr auf einen herbeigerufenen Gnom, der einem den Weg zu Gold und Silber weist, sondern spielt bei „Glücksspielen“ mit und lässt sich gar online oder von Hellsehern im Fernsehen Ziffern ansagen.
Der Glaube an Wunder stirbt nicht. Auch die Heiligen wurden oft um Glück und Gesundheit angefleht – und oft genug haben sie geholfen, glaubt man den Berichten. Wenn aber möglich ist, dass sie die Wünsche hören und erhören, dann ist es auch möglich, mit anderen Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, was sich viele Menschen sehnlichst wünschen. Geister sind demnach Wesen, die den Menschen helfen oder sie erschrecken. Doch wie kann man sie erkennen? Sind sie sichtbar oder unsichtbar? Zeigen sie sich nur zu ganz bestimmter Zeit? Und aus welchem Stoff bestehen sie? Der Begriff „Äther“ stammt aus dem vorigen Jahrhundert und bezeichnet eine unsichtbare Substanz, die man für alle Geisterscheinungen verantwortlich macht. Der Begriff „Od“ stammt von Baron Reichenbach und bezeichnet jene Lichterscheinung, die auch als „Aura“ oder „Biophotonen“ bezeichnet wird. „Ektoplasma“ ist eine watteähnliche Substanz, die bei Medien aus Körperöffnungen wie Mund und Nase fließt. Aus dem Ektoplasma materialisieren sich Geister und manchmal auch Gegenstände, die jedoch nicht von Dauer sind. Das Spektrum reicht von unsichtbar bis zur körperlichen Materialisation, manchmal wird von spiralförmigen Luftwirbeln bei Geistererscheinungen erzählt. Auch über unterschiedliche sensorische Wahrnehmungen wird berichtet, von kühlem Windhauch bis zu messbaren Temperaturschwankungen. Die Geister werden als weißlich oder blau-violett beschrieben.
Totenköpfe auf zerfressenen Särgen künden von der Endlichkeit des Seins.
In den Wiener Sagen begegnet uns noch eine andere Art von Geistern, die alten heidnischen Götter, die noch immer umgehen sollen und den Menschen manchmal helfen, manchmal schaden. Frau Holle (Hulda, Freia) begegnet uns ebenso wie Wotan und die wilde Jagd, die nächtens mit Donnergroll durch die Lande zieht. Die Wassergeister warnten zwar oft vor der Flut, zogen aber etliche Fischer zu sich hinab. In früheren Zeiten fühlten sich die Menschen von den Naturgewalten viel stärker bedroht als heute, und so sind auch diese Geister aus der Mode gekommen. Unheimliche Menschen gibt es heute keine mehr, der Henker, bei dessen Anblick einem graute, gehört der Vergangenheit an. Dafür gehen „Stecher“ mit AIDS-verseuchten Nadeln als eine neue Art von Gespenstern und Vampiren um, und schon bilden sich um sie neue Sagen – denn sie erzeugen Angst. Dasselbe gilt für die UFOs, deren einige über Wien gesichtet wurden. Der Vampirglaube hatte sonderbarerweise in Mittel- und Westeuropa in der Zeit der Aufklärung besondere Konjunktur, während der Hexenglaube allmählich an Bedeutung verlor. Die Kirche war nicht mehr das Maß aller Dinge, und was man in ihrem Namen über die Hexen fabuliert hatte, hatte keine Geltung mehr, daher verschwand das crimen magiae aus den Gesetzbüchern. Die Medizin hingegen war die kommende Wissenschaft, und die Toten waren real. Der Vampir ist eine Art unheiliges Gegenstück zu den Heiligen, galt der unverweste Körper doch oft als Zeichen der Heiligkeit. Mit den Vampiren hatte sich das 18. Jahrhundert jedoch ein Problem geschaffen, das die Aufklärer als „Aberglauben“ zu bekämpfen hatten. Auf Wiener Boden spielte der Vampirismus übrigens keine sehr große Rolle, der berühmteste Vampirjäger liegt aber hier begraben. Und so schließt sich der Kreis, der von echten übersinnlichen Erfahrungen bis zum Schwindel, von Vampirjägern bis zu Henkern, von heidnischen Göttern bis zu christlichen Heiligen, von unterirdischen Grüften bis zu unheimlichen Orten führt. Die Texte und Bilder in diesem Buch wollen Gedankenanstöße geben und Lust darauf machen, auf deren Spuren zu wandeln – sei es nachdenklich oder mit einem Schmunzeln oder gar mit einem gruseligen Schauer.