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6. Kapitel Adams erste Frau

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»Höret nunmehr«, begann ich, »meine Worte, die so alt sind wie die Welt.

Durch Ben Sira (Sohn des Propheten Jeremia und dessen Tochter) wurden sie über die Jahrtausende gerettet, durch die Königin von Saba inspiriert und in der Sprache der Bibel von Lilith formuliert.

Es begab sich zu einer Zeit, die noch nicht war – denn die Zeit ist nichts als eine Pause zwischen zwei Geschehnissen und existierte noch nicht –, an einem Ort, der noch nicht war – denn auch der Raum, der nichts ist als die Entfernung zwischen einer Woge auf dem Meer und der darauffolgenden, war noch nicht geschaffen –, es begab sich also, daß durch einen Gedanken des Schöpfers Bilder entstanden und Bewegung in den Bildern.

›Einer allein bin Ich, viele will Ich sein‹, lautete der Gedanke, der das Sein zum Werden veranlaßte. Auf der Stelle erhoben sich Berge, begannen die Flüsse zu fließen. Unten war Erde und über ihr Himmel. Ozeane, Meere, die Sonne und der Mond, Sand und ganze Wüsten entstanden aus dem Nichts, um die Existenz des Schöpfers zu bezeugen. Und da es eine Liebe gibt, die nur das Selbst für das Selbst empfinden kann, erschuf der Herr Adam, den Menschen, nach Seinem Abbild.

Dann aber sprach er: ›Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei‹; und er formte ihm eine Gefährtin, ebenfalls aus Erde, blies auch ihr den Lebenshauch ein und nannte sie ›Lilith‹. Und der Herr segnete sie und sagte:

›Seid fruchtbar und füllet die Erde.‹

Von nun an gab es Dunkelheit und Licht, Berge und Täler, Mann und Frau, und beide waren von gleicher Schönheit und von gleichem Wert.

So und nicht anders fing es an. Im Laufe der Zeit aber geriet die Geschichte von der Erschaffung der Welt in Vergessenheit; neue Geschichten wurden erzählt. Mit dem reicher werdenden Wortschatz ließen sich die Dinge, die es vorher einfach nur gegeben hatte, alsbald in gut oder schlecht unterscheiden. Die Zeit der paradiesischen Ruhe war damit bereits vergangen; es entstand Streit: Die Dunkelheit begann das Licht zu fürchten, die Sonne den Mond und seine Nacht. Die Berge schluckten die Täler, und auch Adam und sein Weib stritten sich längst.

Adam wollte es von einem Tag auf den anderen nicht mehr wahrhaben, daß Lilith und er einst zur gleichen Zeit und aus gleichem Stoff geschaffen wurden. Vielmehr bestand er darauf, daß sie ihm untertan sei wie die Erde und daß ihr Leib bei der Liebe unter dem seinen zu liegen habe, und zwar immer.

Sie aber wehrte sich und sagte: ›Ich will nicht jedesmal unter dir liegen und mich nicht so bewegen können, wie ich es möchte. Laß es uns anders machen!‹

›Du bist aber dazu bestimmt, unten zu liegen, nicht ich‹, entgegnete Adam. ›Nach deinem Mann wirst du verlangen, heißt es, er aber soll dein Herr sein.‹

Lilith ärgerte sich: ›Erinnere dich, du Dickkopf! Wir sind beide aus Erde geschaffen und also gleich.‹

›Ich‹, rief er, ›will es aber so wie gehabt!‹

›Und ich sage dir, was ich nicht will!‹ widersprach Lilith. ›Und du, der du das Wörtchen Ich erfunden hast, kannst nicht einfach tun, was ich nicht will!‹

Adam verstopfte seine Ohren mit Gras, damit er nicht anhören mußte, was ihr am Herzen lag.

Genug ist genug! dachte Lilith und rief mit lauter Stimme den verborgenen Namen Gottes, den sie allein kannte. Sogleich wuchsen ihr Flügel; sie erhob sich über die Welt des Mannes Adam und flog davon.

Adam aber klagte seinem Schöpfer im Gebet: ›Herr der Welt, die Frau, die du mir gegeben hast, ist von mir gegangen!‹

Da sandte der Herr drei Engel, um sie zurückzuholen. Weit über dem Roten Meer, über dem reißenden Wasser, in dem später die Ägypter ertrinken sollten, holten sie Lilith ein und forderten sie auf, mit ihnen in das Paradies zurückzukehren. Dann sei ihr auch alles verziehen.

Sie aber stellte sich taub.

Anderenfalls, so weissagten ihr die Engel, werde sie für immer eine Ausgestoßene sein, da sie der Welt den geheimen Gottesnamen verraten habe. Sie werde sich nicht nur mit Dämonen paaren, sondern auch den Fürsten der Finsternis zum Gemahl nehmen müssen, der schon darauf warte, sich mit ihr zu verbünden. Samael besitze nämlich nicht nur zwei Flügel, sondern ein Dutzend, und das werde ihn in ihren Augen unwiderstehlich machen.

Sie aber lachte lauthals und auf dreierlei Weise.

Daraufhin drohten ihr die Engel, daß jeden Tag hundert ihrer Kinder sterben müßten, mit denen sie die Erde bevölkern werde. Und daß sie ihrerseits die Säuglinge fremder Mütter im Kindbett töten werde, um sich zu rächen.

Sie aber erwiderte, sie würde sich lieber in den Fluten des Roten Meeres ertränken, als mit Adam zu leben, der sie nur zu unterdrücken trachte. Niemals werde sie eines Mannes Sklavin sein.

Und dabei blieb sie.

Entwaffnet durch soviel Starrsinn, schlossen die drei Engel einen Pakt mit Lilith: Sie möge tun, was ihr beliebt, für die unschuldigen Kinder jedoch eine Sonderregelung treffen. Und zwar solle sie nur die Seelen derjenigen Neugeborenen von Leib und Leben befreien, denen es bestimmt sei, daß sie auf Erden einiges Unheil anrichten würden. In dem Fall wäre ihre Rache am Ende eher ein Segen als ein Fluch für die zukünftige Menschheit, selbst wenn diese das nicht würde erkennen können.

›Was habe ich dann davon?‹ fragte Lilith.

›Du wirst gefürchtet sein‹, sprachen die Engel.

Sie zuckte die Achseln.

Und noch eines verlangten sie von ihr: Lilith möge alle kleinen Kinder verschonen, welche ein Amulett bei sich trügen, darin die Engelnamen ›Sanvai‹, ›Sansanvai‹ und ›Semangloph‹ eingraviert seien.

Damit sie wieder abzögen, stimmte Lilith endlich zu.

Die Prophezeiung der drei Engel sollte sich erfüllen: Lilith gab sich fortan den erfreulicheren Wonnen mit Dämonen hin und fand nichts daran auszusetzen, zumal sie mit der Zeit reich und berühmt wurde, denn ihre Vermählung mit Samael machte sie zur Königin von Saba, dem Land der Magier. Im ›Testament des Salomon‹ ist diese Geschichte nachzulesen.

Ein einziges Mal noch hat sie, die ›Große Schlangenbraut‹, den Garten Eden besucht, um zu sehen, wie Adam sich sein Leben ohne sie eingerichtet hatte. Was sie dort vorfand, wunderte sie nicht: Träge war er geworden, ihr erster Mann, fett und phantasielos. Ihm zur Seite sah sie Eva, die Frau aus seiner Rippe, für die ihm die Seele geteilt wurde. Sie folgte ihm wie sein eigener Schatten, lag ihm zu Füßen und las ihm seine Wünsche von den Augen ab.

›Du‹, höhnte Lilith, ›wirst ihm gewiß die Ruhe gönnen, die ich mit Absicht ihm geraubt. Nichts Großes wird er je vollbringen, denn du bewunderst ihn für jeden Dreck und bist ihm stets zu Willen, damit er glaubt, daß er sein Glück im Paradies bereits gefunden habe. Mag sein, daß du mit deinem Leib aus seiner Rippe dazu bestimmt bist, dem Mann zur Seite zu stehen, ihm aber wie seine Sklavin zu Füßen zu liegen, ist des Guten gewiß zuviel.‹

So sprach sie, doch Eva war es nicht gegeben, die Stimme Liliths zu hören. Auch die Tränen sah sie nicht, die Adams erste Frau um sich und ihn und die vergeudeten Möglichkeiten vergoß.

Doch bald faßte Lilith sich wieder und besann sich auf ihre Rolle. Mit den magischen Künsten bestens vertraut, stieg sie in den Baum der Erkenntnis, wo sie sich in jene Schlange verwandelte, welche Eva zur verbotenen Tat überredet haben soll.

Was dann geschah, erzählt euch jedes Kind.

Und es begab sich – oder es begab sich nicht ... Fragen über Fragen: War es wirklich Eva, die in den Apfel gebissen hat? Hätte die Frucht vom Baum der Erkenntnis ein Weibchen wie sie nicht auf der Stelle umbringen müssen? – War es nicht vielmehr Lilith, in der Haut der Verführerschlange, die zu Adam sagte: ›Siehe, ich habe für dich von dieser Frucht gekostet, und sie hat mich nicht getötet? Nimm sie und iß, und du wirst erleuchtet werden?‹

Und wie war das mit dem Geheimnis des Gottesnamens? Bestand er womöglich darin, daß Lilith eine weibliche Gottheit anrief? Zumal ja die Wurzel des Wortes ›Jahwe‹ sowohl ›Leben‹ als auch ›Frau‹ bedeutet.

Festzuhalten bleibt, daß Lilith ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Himmel und Erde, wie auch immer, erfüllt hat. Was Adam daraus machen wird, ist von Stund’ an seine Sache und die seiner Frau, ihrer Kinder und Kindeskinder.

Und damit beginnt Liliths Irrfahrt durch Raum und Zeit«, schloß ich.

»Ihre jahrtausendealte Geschichte, welche im Garten Eden ihren Anfang nahm. Fortan wird sich ihre Spur in Meeren und Wüsten verlieren und in Luft auflösen, bis jemand kommt, der ihre Fährte zu lesen versteht.«

»Die Fährtenleserin bist natürlich du, Eliza«, sagte Julian, und ich glaubte so etwas wie Zärtlichkeit in seiner Stimme zu hören, als er hinzufügte: »unsere selbsternannte Lilitheologin! – Wo willst du anfangen?«

Ich verstand nicht.

»Wenn du dich nicht auf Gedankenreisen beschränken, sondern auch körperlich in der Zeit unterwegs sein willst, mußt du früher oder später den Lebensraum einer Person am Bestimmungsort einnehmen. – Wo also willst du anfangen?«

Ich zuckte die Achseln, dachte nach. »Ich glaube, am liebsten da, wo ich aufgehört habe, bei der Königin von Saba.«

»Also in Nordarabien, Jordanien, Jemen ... Hast du Geld, um zu verreisen?«

»Noch nicht.«

»Dann beschaffe dir welches. Ich helfe dir. Ich habe nämlich noch eine alte Rechnung mit jemandem zu begleichen. Deshalb bin ich hier. ›Wenn eine Zeit sich wandeln will, kehren die Sündenböcke heim‹, heißt es bei uns zu Hause. – Ist es nicht so, Ben?«

»Bloody nonsens«, knurrte Ben.

Ich warf ihm einen Blick zu, der ihn hätte stutzig machen müssen. »Siehst du, Küken-Benno, du bist durchschaut!«

Ich, Lilith

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