Читать книгу Abendrot auf der Seiser Alm - Gabriele Raspel - Страница 7
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Kathi überlegte, ob sie nicht doch hinunter nach Kastelruth fahren sollte – mit dem Fahrrad, versteht sich. Man durfte es in der Seiser Umlaufbahn, die von Seis am Schlern hinauf auf die Alm fuhr, mitführen. Es war bereits weit nach 9 Uhr am Morgen, und nur vor 9 Uhr morgens und ab 17 Uhr war es gestattet, das Auto zu benutzen. Doch dann entschied sie sich für die Schwaige. Natürlich war diese kleine Tour zu Fuß nicht zwingend notwendig, aber der Weg dorthin war einfach wunderschön, ganz besonders im Winter. Doch nicht nur dann, sinnierte sie, auch im Frühsommer, wenn die Lärchen, ihre Lieblingsbäume, mit ihren hellen Spitzen das tiefdunkle Grün der Kiefern hervorhoben.
Lärchen wurden uralt. In St. Gertraud in Ulten standen die drei 850 Jahre alten und vom Wetter gekennzeichneten Urlärchen, die ältesten Nadelbäume Europas. Die Lärche gilt unter den Nadelbäumen als das härteste Holz und wird wegen ihrer Beständigkeit gegen Witterungseinflüsse gern als Bau- oder Möbelholz genutzt.
Kathi stapfte in ihren Winterstiefeln den Fahrweg Richtung Saltria aufwärts, dann bog sie nach rechts ab, den Berg hinauf. Und nun erhoben sich die grandiosen Felszacken – Langkofel, Fünf-Finger-Spitze, Plattkofel, die Rosszähne und der gewaltige Schlern mit der charakteristischen Santnerspitze – gerade so, als wollten sie den mehr oder weniger sanften Hängen Schutz gegen alles Böse gewähren, einschließlich seiner Bewohner in den behaglichen Bauernhöfen, Hotels und charmanten Pensionen und Hütten. Und als hätte die Schönheit des Gebirges allein nicht gereicht, sinnierte Kathi glücklich, war das gesamte Panorama jetzt, Ende März, immer noch überzogen mit einer luftigen Schneeschicht. Natürlich wusste sie, dass sich diese Schönheit auch in Unheil verwandeln konnte und diese majestätischen Felskönige den Menschen großen Schaden zufügen konnten. Doch das blendete sie jetzt aus und sie gab sich in diesem Moment ausschließlich deren Anblick hin.
Was für ein herrlicher Spätwintertag!
Lächelnd schaute sie den Skifahrern zu. Die Seiser Alm war ein Eldorado für Wintersportler. Es wurde nahezu jeder Wunsch eines Wintersportlers erfüllt. Das Skigebiet Gröden/Seiser Alm war mit seinen breiten und geschützten Pisten ein sehr familienfreundliches Skigebiet. Die Pisten hatten eine Gesamtlänge von sechzig Kilometern, wobei etwa ein Drittel einen mittleren Schwierigkeitsgrad aufwies.
Außerdem gab es natürlich auch noch die Langlaufloipen, die stets bestens präpariert und teils doppelt gespurt waren.
Mittlerweile berühmt bis weit über die Seiser Alm hinaus war ein ganz besonderes Ski-Ereignis, das Seiser Alm Moonlight Classic, eine Skigaudi, bei der es abends ab 17.30 Uhr 5-km-Läufe »Just for Fun« gab, 15-km-Läufe sowie für die Recken einen 30-km-Lauf. Veranstaltet in der ersten Vollmondnacht des Jahres, begann das Vergnügen des Festbetriebs bereits um 16 Uhr mit einheimischen Spezialitäten für alle Besucher, natürlich untermalt von musikalischer Unterhaltung.
Zwanzig Minuten wanderte sie stetig bergauf. Wie sehr sie ihre Alm liebte! Die Seiser Alm erstreckte sich von einer Höhe von 1.680 Metern über dem Meeresspiegel bis auf 2.350 Meter. Der Compatsch, zentraler Ausgangspunkt für Wanderer, Langläufer und Skifahrer, lag auf einer Höhe von 1.800 Metern.
Um auf die Alm zu gelangen, gab es mehrere Möglichkeiten. Mit dem Auto fuhr man über die Seiser-Alm-Straße, die zwischen Kastelruth und Seis am Schlern abzweigte und direkt auf die Seiser Alm führte. Allerdings war diese Straße täglich von 9 bis 17 Uhr gesperrt; nur Gäste mit einer Ausnahmegenehmigung durften während dieser Zeit auf die Seiser Alm mit dem Auto fahren. In der übrigen Zeit war die Anzahl der Pkw begrenzt.
Das Verkehrsmittel Nr. 1 auf der Alm war für Gäste und Einheimische die Seiser Umlaufbahn. Diese Bahn hatte ihre Talstation in Seis am Schlern, wo sich auch große Parkplätze befanden. In etwa zwanzig Minuten beförderte sie die Fahrgäste auf die Bergstation Compatsch, die auf einer Höhe von etwa 1.800 Metern lag. Bei der Bergstation gab es auch einige Cafés, Souvenirläden, ein Informationsbüro und das Ski-Depot, das für die Wintersportler viele Annehmlichkeiten bot.
Eine weitere Umlaufbahn führte von St. Ulrich im Grödner Tal auf die Alm. Zudem pendelte auf der Alm zwischen Compatsch und Saltria ein Bus, sodass niemand das Auto vermissen musste.
Schließlich erreichte Kathi die Schwaige.
Das Wort »Schwaige« leitet sich vom mittelhochdeutschen sweige ab, was »Sennerei«, »Herde«, »Viehhof« bedeutet. Der Begriff entstand im 12./13. Jahrhundert in den Nord- und Zentralalpen sowie in deren Vorland. Er bezeichnete einen Wirtschaftshof an Berghängen oder in Hoch- und Haupttälern. Es handelte sich jeweils um einen Einzelhof, in dem hauptsächlich Sennwirtschaft, also Viehzucht und Milchwirtschaft, betrieben wurde und der sich zumeist über einer Höhe von 1.200 Metern befand.
Sie blieb einen Moment stehen und betrachtete das kleine Holzhaus auf 1.930 Metern Höhe. Klein war es wirklich. In der rustikalen Stube fanden gerade einmal 25 Leute Platz, und dass man in der zweieinhalb Quadratmeter großen Küche vorzügliche Gerichte auf den Tisch bringen konnte, vermutete man nicht.
Die Köchin war sie, während Alice und sie die Vorarbeiten am frühen Morgen erledigten und Alice später für den Service zuständig war. Am Abend blieb die Hütte ab 18 Uhr geschlossen. Die meisten Gäste wünschten sich längere Öffnungszeiten, doch tatsächlich waren sie beide am Abend so erschöpft, dass sie froh waren, wenn die Hütte gesäubert war und sie nach Hause gehen konnten.
Sie bewirteten nicht nur Wanderer im Sommer, genauer bis Ende September, sondern auch Gäste im Winter, von Mitte Dezember bis Ende März, nämlich Skifahrer, Schneeschuhwanderer und Spaziergänger. Mittlerweile ohne eigene Milchkühe, bezogen sie Käse und andere Hofprodukte natürlich von den Lambachers, den guten Freunden und Nachbarn, an die sie die Wiesen verkauft hatten. Dort verarbeitete man die Almmilch zu Joghurt, Bergkäse, Grau- und Blütenkäse. Besonders beliebt war der cremige Rahmkäse der ersten Almwochen.
Draußen auf den Bänken vor den einladenden Tischen der großen Terrasse ließen sich nach einer langen Wanderung oder einer sausenden Skiabfahrt die Gäste besonders gern zur Marende nieder, einem variantenreichen, kalten Imbiss.
Kathi entdeckte keine Spuren im Neuschnee, die darauf hindeuteten, dass jemand versucht hatte, die Hütte zu betreten.
Sie nahm einen Schluck vom heißen Tee, den sie im Rucksack mitgeführt hatte, dann wandte sie sich wieder herum und machte sich auf den Heimweg.