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ОглавлениеWenn es in der Natur unseres Bewusstseins liegt, sich von Moment zu Moment zu bewegen, entstammt unser Empfinden von Kontinuität also nicht wirklich einem objektiv ununterbrochenen Gedankenstrom. Die Quellen für dieses Gefühl müssen zwangsläufig andere sein. Dank unseres Kurzzeitgedächtnisses und durch die Beständigkeit und Kohärenz des gedanklichen Inhalts bleiben unsere Erfahrungen durch die Zeit hindurch miteinander verbunden – trotz radikaler Sprünge und Zäsuren im Bewusstseinsprozess.
Untersuche ich den Ablauf meines Denkens detailliert, mag es fahrig und ruckartig erscheinen. Und doch steht meine Erfahrung in Verbindung mit einem ganzen Pool von Konstanten und stetigen Wandlungsprozessen in meiner Umwelt, meinen Körper eingeschlossen. (Ein Beispiel: Ich arbeite eine Stunde lang in einem Raum; ich betrachte den Regen auf der Fensterscheibe, denn kehre ich zu meiner Seite zurück; während der ganzen Zeit halte ich denselben Stift.)
Auf den ersten Blick wirken diese äußerlichen Konstanten und die Beständigkeit meiner Gedankeninhalte wie Charakteristika meines Bewusstseinsprozesses. Sie sind dies aber nicht wirklich. Und doch vermögen sie mir das Gefühl eines beständigen «Ichs» zu geben und tun dies den ganzen Tag über. Auf diese Weise bahnt sich die Idee ihren Weg, dass dieses «Ich» auch über den Schlaf hinaus fortbesteht, und so von Woche zu Monat und von Monat zu Jahr.
Wenngleich mir mein Bewusstseinsprozess nicht als nahtloser Fluss erscheint, kann ich trotzdem mein mentales «Selbst» als Konstante empfinden. Beim ersten Blick auf unser Bewusstsein vom «Ich» – es ist bereits schwer, darüber nachzudenken und es nicht bloß zu haben – wird unsere unmittelbare Reaktion sein, unser «Selbst» als etwas zu begreifen, das den gesamten wachbewussten Tag über fortbesteht. Etwas, das all die Gedankenfragmente und Erfahrungssequenzen hat, selbst jedoch ungeteilt ist. Gestützt wird diese Reaktion durch unsere Wahrnehmung unserer selbst als gesamter Mensch mit einer fest verankerten Palette von grundsätzlichen Überzeugungen, Vorlieben, Begabungen, mentalen Fähigkeiten usw.
In meinem Fall ist diese Reaktion an sich schwach ausgeprägt und leicht zu untergraben. Denke ich über mein mentales Leben nach, verstehe ich mich sowieso nicht als gleichbleibendes «Ich», nicht einmal für einen einzigen Tag, geschweige denn darüber hinaus. Das Gefühl von Kontinuität beschränkt sich bei mir auf meine rein körperliche Anwesenheit. Wenn ich mich als «mentales Subjekt der Erfahrung» betrachte, empfinde ich mein «Ich» in jedem Augenblick als ein neues. Nicht was meine Persönlichkeit oder mein Aussehen betrifft, in der Hinsicht besitze ich sehr wohl eine perfekte Kenntnis davon, was mich, Galen Strawson, an jedem Tag gleichbleibend ausmacht. Wenn ich allerdings den Kern meines Selbstverständnisses als mentales Wesen nehme, fühle ich mich immer wieder neu.
In seiner Autobiografie schreibt John Updike: «Ich habe das beharrliche Gefühl, im Leben und in der Kunst, dass ich gerade erst anfange.» Das trifft es genau. Die Erfahrung vom «Ich» als etwas, das sich immer wieder neu bildet, ist meines Erachtens fundamental und universal zugänglich, wird bei vielen aber durch vertraute und gegenläufige Denkgewohnheiten blockiert. Nur Reflexion kann dies klar zutage treten lassen. Ich fühle mich besonders den Zeilen Harold Brodkeys verbunden:
«Unser Gefühl von Gegenwärtigkeit bewegt sich gewöhnlich in Wellen voran, von denen wir geistig abgeworfen werden; wir schweifen ab. Gewöhnlich tauchen wir wieder auf, reiten weiter auf der Welle und stürzen ab, immer von Neuem … doch was uns ausmacht, ist dieses Abfallen und Wiederkehren.»
Ich empfinde mich als Nomaden in der Zeit, wobei diese Metapher widersinnig ist, denn es handelt sich ja um das «Ich» selbst, das die Flüchtigkeit einer temporären Lagerstätte hat.
Wissenschaftliche Untersuchungen von Ernst Pöppel und Eva Ruhnau haben ergeben, dass das «bewusste Jetzt» ungefähr drei Sekunden andauert, d.h. länger bestehen wir nicht als wir selbst. «In diesem Sinne», schreibt Miroslav Holub, «währt unser Ich drei Sekunden». Seine Behauptung hat Berührungspunkte mit meiner Ansicht. Aber die Kürze des «bewussten Jetzt» muss meines Erachtens nicht notwendigerweise zu dem Gefühl eines Bewusstseinsbruchs oder der Neuheit beitragen. Unsere Erfahrung kann wie ein dünner Lichtstrahl erscheinen, der weich und beständig umherschweift. Die festgestellte Dauer des «bewussten Jetzt» mag das obere Limit einer unterbrechungsfreien Gedankensequenz sein, aber daraus ist nicht zu folgern, dass innerhalb einer vier Sekunden langen Periode überhaupt eine Zäsur bewusst wahrgenommen wird (dies muss nicht einmal ein einziges Mal an einem Tag passieren). Ebenso wenig meine ich, dass das «Ich» uns nicht auch länger andauernd als dieses «bewusste Jetzt» erscheinen kann, wenn wir darüber nachdenken. Ich gebrauche das Wort «Langzeit-Ich» nur vage, aber mit folgender Grundintention: Selbstverständlich kann es so empfunden werden, dass das «Ich» über einen Zeitabschnitt hinaus besteht, der einen Bruch oder eine Zäsur umfasst, und seine zeitliche Ausdehnung mag in unterschiedlichen gedanklichen Kontexten sehr verschieden sein. (Todesangst wirft da interessante Fragen auf).