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Was genau bedeutet es also, das «Selbst» als Ding zu verstehen? Erst einmal lässt sich sagen, dass das «Selbst» weder ein Zustand noch eine Eigenschaft von etwas ist. Ebenso wenig wird es als Ereignis oder Prozess erfahren. Also kann es sich notwendigerweise nur um ein Ding handeln. Kein Ding im Sinne der Körperhaftigkeit eines Steines oder eines Stuhls, aber doch im weitesten Sinne ein Ding mit Kausalcharakter. Also etwas, das Veränderungen unterliegen kann und das Einfluss auf andere Dinge nimmt. George Berkeleys Charakterisierung des «Selbst» als «geistiges tätiges Prinzip» kann hier genauso gut dienen wie jede andere. «Prinzip» in seinem alten Sprachgebrauch scheint das Problem auf elegante Weise zu lösen, indem es weitestgehend ein Ding evoziert, ohne gleich an ein fassbares Objekt, wie einen Tisch oder einen Stuhl, zu erinnern. Und doch denke ich, dass wir die Kategorie Ding um den von Fichte geprägten Begriff «Tathandlung» erweitern sollten. Objekte physischer Natur, wie Stühle, Berge, etc., werden auf metaphysisch-wissenschaftlicher Ebene ebenso als Prozess betrachtet. Prozesse, die nichts weiter zu sein brauchen, als sie es bereits sind, und darin weiter existieren oder stattfinden dürfen.

Betrachten wir die zweite Eigenschaft des «Selbst», das rein Mentale. Auf den ersten Blick einleuchtend, bedarf es bei der mentalen Natur des «Selbst» doch einer differenzierteren Erklärung. Die zentrale Idee scheint folgende: Wenn das «Selbst» als Ding gedacht wird, scheint seine Forderung, dem Bereich der Dinge anzugehören, schon durch seine mentale Natur ausreichend begründet zu sein. Nichtsdestotrotz kann es über eine nicht-mentale Natur verfügen, wie ich oder andere Philosophen annehmen – eine nicht-mentale Natur in Form eines Systems oder einer Vielzahl von Systemen innerhalb des Gehirns. Aber die «Dinghaftigkeit» des «Selbst» gründet hier nicht auf der Ebene des Nicht-Mentalen. Das «Selbst» ist ein mentales «Selbst». Es stimmt, dass wir ganz selbstverständlich davon ausgehen, mentale und nicht-mentale Eigenschaften zu besitzen. Das wirkt sich allerdings nicht auf die allgemein verbreitete Auffassung vom «Selbst» als etwas spezifisch Geistigem aus.

Wie bereits gesagt, schließt das Bewusstsein vom «Selbst» als einem spezifisch mentalen Ding nicht notwendigerweise den Glauben an eine immaterielle Seele ein. Es trägt allerdings durchaus Züge, die einen solchen Glauben ganz unweigerlich nach sich ziehen können. Es ist einfach, sich das mentale «Selbst» als autarke, sich selbst genügende Einheit vorzustellen, die innerhalb einer Sphäre existiert, die nichts mit der durch die Physik beschriebenen Realität zu tun hat. Die Dinge sind nicht das, was sie scheinen, wie wir Materialisten sagen, aber sie erscheinen als das, was sie scheinen. Und vor diesem Hintergrund lässt es sich einfach erklären, wie natürlich es ist, das «Selbst» als etwas spezifisch Mentales zu betrachten.

Die dritte Eigenschaft des «Selbst» als Subjekt der Erfahrung und des Erlebens erscheint mir eindeutig und leicht zu verstehen. Was also ist ein Subjekt der Erfahrung? Der eine oder andere mag dies als heikle Fragestellung betrachten, und doch meine ich, dass der gesunde Menschenverstand eine sehr präzise Vorstellung davon hat. Vielleicht ist die Antwort nicht so leicht in Worte zu fassen, aber das Verständnis davon besitzen wir intuitiv, da wir alle Subjekte der Erfahrung sind und uns unserer selbst sehr bewusst sind, unabhängig davon, welche religiöse oder philosophische Überzeugung wir vertreten. Eigentlich wird der Mensch in seiner Gesamtheit von Körper und Geist als Subjekt der Erfahrung betrachtet, wie nebenbei auch alle anderen Lebewesen. Wir Menschen tendieren allerdings dazu, insbesondere unser mentales «Selbst» als erfahrendes, erlebendes Subjekt anzusehen. Das muss nicht notwendigerweise korrekt sein. Ich versuche an dieser Stelle vor allem zu beschreiben, wie wir dies erleben.

Nun zum vierten Aspekt des «Selbst», seiner Singularität. Aber inwiefern ist das «Selbst» denn einzigartig? Nicht in Form eines einzelnen Kollektivs, wie beispielsweise ein Haufen Murmeln singulär ist, sondern eher in dem Sinne, dass eine einzelne Murmel einzigartig ist, wenn man sie in Vergleich zu einem Haufen Murmeln setzt. Das «Selbst» wird standardmäßig als singulär betrachtet. Dies gilt sowohl für sein «synchrones» Erscheinen, also zu einem bestimmten Zeitpunkt während einer einheitlichen, lückenlosen Bewusstseinsperiode, als auch für seine «diachrone» Existenz, d. h. als etwas über einen längeren Zeitraum hinweg Bestehendes. Wirklich ununterbrochene Bewusstseinseinheiten sind, wie ich denke, extrem kurz, wenige Bruchteile einer Sekunde vielleicht, allerhöchstens ein paar Sekunden. Man sollte den Terminus «synchron» durchaus etwas ausdehnen, um solche Abschnitte abdecken zu können.

Manche behaupten, das «Selbst» als etwas Fragmentarisches, Multiples zu erleben, und ich glaube, jeder von uns hat entsprechende Erfahrungen gemacht, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Manches Mal sind wir rasch wechselnden, sich überlagernden Stimmungen oder gravierenden inneren Interessenkonflikten unterworfen. Gedankliche Prozesse können mit einer solch rasenden Geschwindigkeit ablaufen, dass sie förmlich auf uns einstürzen und keine gedankliche Ordnung mehr zulassen. Das mag als Beleg für ein multipel-synchrones Erfahren des Selbst genommen werden.

Nehmen wir einander widerstreitende Bedürfnisse in uns wahr, verstärkt dies jedoch meist unseren Eindruck vom «Selbst» als einer singulären Einheit. Ist es nicht letztendlich so, dass man eine derartige innere Diskrepanz nur dann zu registrieren vermag, wenn man sich im Grunde als ein Einziges betrachtet? Wie ist es zum Beispiel, wenn uns eine chaotische Gedankenflut überkommt? Meistens empfinden wir uns dann als hilflose Zuschauer einem mentalen Pandämonium gegenüber. Und auch hier: Die Erfahrung, ein bloßer Zuschauer zu sein, verstärkt doch wieder unsere Wahrnehmung von uns selbst als singulärer Einheit. Und sollte man annehmen, dass es überhaupt möglich ist, sich als multipel-synchrones «Ich» wahrnehmen zu können, setzt dies ein Höchstmaß an selbstreflexivem Denken voraus, das wiederum von vornherein derartige Erfahrungen ausschließt. Die Metapher der Multiplizität ist machtvoll, aber sie bleibt eben doch nur eine Metapher, die ihre Stärke aus der ursprünglichen Erfahrung von Singularität bezieht. Wie Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft bemerkt, «… kann doch das subjektive Ich nicht geteilt und verteilt werden, und dieses setzen wir doch bei allem Denken voraus».

Nun zum fünften Aspekt des «Selbst», seiner Unterschiedenheit. Wovon unterscheidet sich das «Selbst»? Auf diese Frage lassen sich gleich mehrere Antworten finden. Zuallererst wird das «Selbst» als etwas von der körperlichen Gesamtheit des Menschen Verschiedenes verstanden. Darüber hinaus unterscheidet es sich zweitens auch von allen mentalen Vorgängen, wie Gedanken und Gefühlen etc., denn es hat Gedanken und Gefühle, fällt aber nicht mit ihnen zusammen oder wird gar von diesen gebildet. – David Hume zog das «Selbst» als Serie mentaler Vorgänge in Betracht. Der gesunde Menschenverstand steht allerdings einer solchen «Bündel-Theorie» entgegen. Hume selbst hat diesen Gedanken am Ende auch wieder verworfen. – Drittens lässt sich sehr wohl denken, dass das «Selbst» von allen unbewusst ablaufenden mentalen Vorgängen, wie Überzeugungen, Vorlieben, Erinnerungen oder Charakterzügen, unterschieden ist. Und zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es sich als getrennt von allem Physischen denken lässt – etwa als immaterielle Seele. Diese Idee ist allerdings nicht integraler Bestandteil des «Ich-Bewusstseins».

Unter dem sechsten Aspekt wird das «Selbst» gemeinhin als Agens, als Handelndes verstanden. Es geht seinen eigenen Aktivitäten nach – Denken, Vorstellen, Wählen –, und das ganz unabhängig von den übrigen Aktivitäten des Körpers, ja es setzt diese sogar selbsttätig in Gang. Um es mit den Worten von William James auszudrücken: «Anstrengung der Aufmerksamkeit ist somit die wesentliche Erscheinung des Wollens.» Für uns alle ist dies wohl ohne Weiteres nachzuvollziehen.

Der siebte Aspekt besteht in der These, dass das «Selbst» einen Charakter, eine Persönlichkeit besitzt, so wie auch der gesamte physische Mensch. Wir alle verstehen unseren individuellen Charakter als die Art, wie wir von unserem Wesen her sind. Gehen wir also davon aus, dass unsere Existenz ein mentales «Selbst» einschließt, so sehen wir ganz selbstverständlich dieses geistige «Ich» als Sitz unserer Persönlichkeit.

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