Читать книгу Alles aus Neugier - Georg Markus - Страница 10

DIE GEHEIMEHE Kaiser Franz Joseph und die Schauspielerin

Оглавление

Als im Herbst 1982 meine Biografie über die Schauspielerin Katharina Schratt erschien, gab es einen ziemlichen Wirbel in Österreich. Kaiser Franz Joseph I. und seine langjährige Seelenfreundin seien möglicherweise eine Geheimehe eingegangen, stand darin zu lesen. Das durfte nicht sein, auch wenn die Monarchie längst nicht mehr existierte, Kriege und Revolutionen die Welt verändert hatten, das war zu viel. Also meldete sich die damals in der Schweiz lebende Ex-Kaiserin Zita zu Wort und behauptete, dass »Kaiser Franz Joseph natürlich nicht mit Katharina Schratt verheiratet« gewesen sei.

Allerdings verkündete »die letzte Kronzeugin der Monarchie« ein halbes Jahr später, Kronprinz Rudolf sei in Mayerling von dunklen Mächten ermordet worden. Spätestens da begannen die Geschichtsforscher Zitas Aussagen generell infrage zu stellen: »Wenn die Enthüllungen der Kaiserin so weitergehen, wie sie jetzt sind, wird das nur eine Seifenblase sein«, meinte die Historikerin Brigitte Hamann. »Das ist schade, denn von einer Zeugin der Geschichte könnte man ein wahrhaftiges Zeugnis erwarten. Wir wären glücklich, wenn wir durch Zita an neue Quellen kämen, aber das, was die ehemalige Kaiserin berichtet, ist keine Quelle, das ist Tratscherei.«

Aus ihrer »Mordtheorie« von Mayerling ergab sich, dass Zitas Behauptung, Franz Joseph sei »natürlich nicht mit Katharina Schratt verheiratet« gewesen, ebenso zweifelhaft war. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die spätere Kaiserin je von dieser Eheschließung informiert worden wäre.

Der Historiker Adam Wandruszka – damals wohl der profundeste Kenner des Hauses Habsburg – war jedenfalls aufgrund der von mir vorgelegten Zeugenaussagen und Indizien »überzeugt, dass der Kaiser und die Schauspielerin eine Geheimehe eingegangen sind«.

Versetzen wir uns in die letzten Jahre der Monarchie. Ein alter Herr, gezeichnet von den Lasten eines sorgenreichen Lebens, und eine um 23 Jahre jüngere Frau betreten das Erzbischöfliche Palais am Wiener Stephansplatz. Ein Priester geleitet sie in die Andreaskapelle, wo die beiden getraut werden. Sie gehen eine Ehe ein, die »vor Gott« geschlossen, vor der Öffentlichkeit aber geheim gehalten wird. Dieses Paar konnte und durfte keine »normale« Hochzeit feiern. Denn er war der Kaiser von Österreich und sie die Tochter eines Papierwarenhändlers aus Baden bei Wien, von Beruf Schauspielerin. Beide waren verwitwet. So unterschiedlich ihre Herkunft, ihr gesellschaftlicher Rang auch gewesen sind, zum Zeitpunkt dieser Eheschließung verband sie doch eine rund drei Jahrzehnte andauernde Romanze, wie sie in der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie einmalig ist.

»Gewissensehe« nennt die katholische Kirche die geheim zu haltende Legalisierung einer Verbindung. Damals wie heute werden solche Gewissensehen äußerst selten eingegangen, denn normalerweise will man seinen Partner vor Zeugen und vor der Öffentlichkeit heiraten.

Diese Hochzeit musste aber geheim bleiben, da ein Kaiser und eine Schauspielerin nicht heiraten durften. Wie aber kam es, dass das Geheimnis ihrer Trauung Jahrzehnte nach der Zeremonie gelüftet wurde?

Um dies zu ergründen, werfen wir einen Blick in das Jahr 1934. Der Kaiser war seit 18 Jahren tot, Katharina Schratt lebte, über 80 Jahre alt, zurückgezogen in Wien. Die noch junge und doch schon wieder im Sterben liegende Erste Republik hatte gerade einen Bürgerkrieg, der Hunderte Tote und Verwundete forderte, überstanden.

Vier Monate nach den »Februarkämpfen« des Jahres 1934 wollte ein junges Paar heiraten. Dieses musste seine Eheschließung ebenfalls geheim halten, auch wenn in diesem Fall ganz andere Gründe ausschlaggebend waren als Jahrzehnte davor für den Kaiser und die Schauspielerin: Der Wiener Medizinstudent Otto Wagner – er wurde später Primarius des St.-Josef-Spitals in Wien – entstammte einer konservativen, altösterreichischen Familie. Weder seine Eltern noch die seiner Braut Edeltraut Dobrucka – sie war die Tochter polnischer Aristokraten – durften von dieser Hochzeit erfahren, zumal Otto Wagner sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte. Trauzeuge war der später namhafte Wiener Sozialreformer und Universitätsprofessor August Maria Knoll, zuvor auch Privatsekretär des österreichischen Bundeskanzlers Ignaz Seipel.

Die Eheschließung zwischen Otto Wagner und Edeltraut Dobrucka fand am 30. Juni 1934, ebenfalls in der Andreaskapelle des Wiener Erzbischöflichen Palais, statt. Bevor der Pfarrer die Trauung vornahm, hatte er in der der Kapelle angrenzenden Sakristei jenes Trauungsbuch auf den Tisch gelegt, in das Gewissensehen eingetragen werden. Dann verließ der Priester für wenige Minuten den Raum. Das Brautpaar und sein Trauzeuge sahen sich das aus dem Geheimarchiv des Erzbischöflichen Palais geholte Buch an und wurden Zeugen einer wahrhaft sensationellen Eintragung. Hier stand schwarz auf weiß, worüber in Österreich zwar seit Jahrzehnten gemunkelt wurde, was aber niemand wahrhaben wollte, geschweige denn beweisen konnte: Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt hatten geheiratet.

Die Eintragung – mit den eigenhändigen Unterschriften – lautete auf die Namen »Franz Joseph von Habsburg-Lothringen« und »Katharina Kiss de Ittebe, geb. Schratt«.

Im katholischen Kirchenrecht, Abschnitt Eherecht, ist unter dem Kapitel »Gewissensehe« zu lesen: »Die Gewissensehe (matrimonium conscientiae) ist die Ehe, die wohl in der ordentlichen Form, aber ohne Verkündung geschlossen und geheim gehalten wird. Sie kann nur vom Ordinarius (in diesem Fall der Erzbischof von Wien, Anm.) gestattet werden. Der Eintrag dieser Ehe hat in einem besonderen, im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrten Buch stattzufinden, nicht im Pfarr-, Ehe- und Taufbuch.«

Dieses im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrte Buch lag also am 30. Juni des Jahres 1934 aufgeschlagen vor Otto Wagner und Edeltraut Dobrucka sowie ihrem Trauzeugen August Maria Knoll. Sie konnten die Eintragung – jeder für sich und unabhängig voneinander, wie sie später bekundeten – klar und deutlich lesen.

Die drei Zeugen dieser Eintragung sind tot. Doch sie berichteten zu ihren Lebzeiten mehreren ihnen nahestehenden Personen gegenüber von ihrer Entdeckung. August Maria Knoll erzählte davon seinen Söhnen Reinhold, Norbert und Wolfgang und seinem Schüler, dem bekannten Wiener Politologen und Universitätsprofessor Norbert Leser.

Dieser, von mir befragt, erklärte: »Für mich gibt es an der Glaubwürdigkeit der Angaben meines Lehrers August Maria Knoll keine Zweifel, es sind ihm aus dieser Behauptung niemals irgendwelche Vorteile erwachsen, er hat in der Öffentlichkeit auch nie Verwendung davon gemacht. Ich bin sicher, dass Kaiser Franz Joseph und Frau Schratt tatsächlich verheiratet waren.«

Reinhold Knoll, Historiker und ebenfalls Professor an der Universität Wien, ist von dieser Eheschließung nicht weniger überzeugt: »Auch meinen Brüdern und mir hat unser Vater mehrmals von seiner Wahrnehmung im Trauungsbuch der Andreaskapelle erzählt. Es gab für ihn keinen Zweifel, dass Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt verheiratet waren.«

Der Ehe Otto und Edeltraut Wagners (die 1936 öffentlich besiegelt wurde) entsprangen drei Kinder: Otto Wagner jun. war Oberarzt der 1. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien. Edeltraud Lothaller ist Zahnärztin und Barbara Binder-Krieglstein war Gymnasialprofessorin. Meine Recherchen führten mich auch zu ihnen. Sie bestätigten:

»Ihre Information ist richtig. Unsere Eltern haben am Tag ihrer Eheschließung die Eintragung im Trauungsbuch gesehen. Sowohl unser Vater als auch unsere Mutter haben mehrmals davon erzählt und empfanden es als begrüßenswerten Zug des Kaisers, Frau Schratt geheiratet zu haben.«

Sämtliche der hier genannten Zeugenaussagen liegen in Form eidesstattlicher Erklärungen vor.

Die für eine Geheimehe sprechenden Belege gehen aber weiter. Professor Leser fand heraus, dass die Schratt 1938, nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten, bei Wiens damaligem Weihbischof Franz Kamprath vorsprach, um die Herausgabe des bewussten Trauungsbuches zu erwirken. Auf meine Anfrage erklärte Monsignore Nedbal*, dass ihm diese Aussage von Prälat Taubert, dem Sekretär Bischof Kampraths, bestätigt worden war.

Bischof Kamprath konnte der Schratt das Trauungsbuch freilich nicht mehr aushändigen, da es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte. Als die Nationalsozialisten nämlich am 12. März in Österreich einmarschierten, wurden zahlreiche Dokumente des Geheimarchivs vernichtet, weil man im Erzbischöflichen Palais Angst vor indiskreten Veröffentlichungen durch die Gestapo hatte.

Monsignore Nedbal kam jedenfalls zu folgendem Schluss: »Im Erzbischöflichen Ordinariat Wien wird durch Aussagen von Gewährsleuten vermutet, dass diese Hochzeit tatsächlich stattgefunden hat. Sollte das Trauungsbuch wider Erwarten eines Tages auftauchen, wäre es denkbar, dass der Kardinal die Geheimhaltung dieser Gewissensehe aufgrund einer kirchenrechtlichen Bestimmung aufhebt.«

Auch in Klaus Mörsdorfs Lehrbuch des Kirchenrechts findet sich ein unmissverständlicher Hinweis auf diese Heirat. Über die Gewissensehe ist in dem Standardwerk der katholischen Kirche nachzulesen: »Der wichtigste Anwendungsfall ist die Missheirat königlicher oder fürstlicher Personen (zum Beispiel das Verhältnis eines verwitweten Monarchen mit einer Schauspielerin).«

Deutlicher kann auf eine Eheschließung des römisch-katholischen, verwitweten Monarchen Franz Joseph mit der Schauspielerin Katharina Schratt wohl kaum hingewiesen werden. Es gab und gibt keinen zweiten Fall eines Paares, auf den diese Zeilen anzuwenden wären.

Michael Habsburg-Lothringen, ein Urenkel Kaiser Franz Josephs, ist selbst Historiker und gibt zu der Eheschließung folgende Stellungnahme ab: »Mir ist die These über eine Gewissensehe zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Katharina Schratt bekannt und ich will sie auch gar nicht unbedingt ableugnen. Es könnte der Einstellung und dem Charakter des Kaisers durchaus entsprechen, dass er nach der jahrelangen Verbindung diese auch legalisieren wollte. Es ist ja bekannt, dass mein Urgroßvater ein sehr gewissenhafter und korrekter Mann war. Ich kann nicht für die gesamte Familie Habsburg sprechen, aber ich persönlich würde diese Heirat keinesfalls als ›Familienkatastrophe‹ bezeichnen. Man könnte eine Gewissensehe nach all den Schicksalsschlägen, die Franz Joseph erlitten hat, mit einem ihm nahestehenden Menschen wie Frau Schratt ohne Weiteres verstehen und akzeptieren.«

Es gibt keinen Zweifel, dass die Berichte und eidesstattlichen Erklärungen der – durchwegs honorigen – Zeugen äußerst glaubwürdig sind. Dazu kommt, dass auch weitere Schriftstücke und historische Unterlagen eine Ehe zwischen Kaiser und Schauspielerin bestätigen:

So hat Kaiserin Elisabeth, die diese Beziehung überhaupt erst in die Wege geleitet hatte, mehrmals – zuletzt in Bad Kissingen, kurz vor ihrem Tod – davon gesprochen, dass ihr Mann, falls sie vor ihm sterben würde, Frau Schratt in zweiter Ehe heiraten sollte. Klar lässt sich das aus den Tagebüchern ihrer Tochter Erzherzogin Marie Valerie ersehen. Bereits am 28. Mai 1890, also acht Jahre vor der Ermordung ihrer Mutter, trug Marie Valerie ein, dass sie von Elisabeth aufgefordert wurde, »falls sie stürbe … Papa zuzureden, Schratt zu heiraten«.


Hat Katharina Schratt zwischen 1910 und 1916 den Kaiser geheiratet?

Und kurz nach Elisabeths Tod vermerkte Marie Valerie, datiert mit dem 11. Juli 1899: »Lossagen wird er sich nie und nimmer von ihr (Frau Schratt, Anm.), und heiraten kann er sie ja leider nicht, denn sie ist ja ganz rechtmäßig verheiratet.«

Dieses »Ehe-Hindernis« war zehn Jahre später nicht mehr existent, als nämlich Nikolaus von Kiss, der Ehemann der Schratt, am 21. Mai 1909 einem Herzschlag erlag. Die mutmaßliche Hochzeit zwischen Kaiser und Schauspielerin könnte also – nach Verstreichen des üblichen Trauerjahres – zwischen 1910 und 1916, dem Todesjahr Franz Josephs, stattgefunden haben.

Schließlich sei noch vermerkt, dass ein solcher Schritt in der damaligen Zeit sowohl kirchlich als auch vor den staatlichen Instanzen zu einer völlig korrekten Ehe führte: Während die Republik Österreich heute nur eine vor dem Standesamt geschlossene Ehe akzeptiert, reichte bis 1939 das kirchliche Sakrament aus. Fand die Trauung also tatsächlich statt, war Katharina Schratt (beziehungsweise: Katharina von Habsburg-Lothringen) die rechtmäßige Frau des Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn. Sie war jedoch keinesfalls »Kaiserin«, da es niemals eine Krönung gegeben hat.

In Fernsehsendungen und Zeitungsserien wurde nach Erscheinen meiner Schratt-Biografie noch lange darüber diskutiert, ob die Schauspielerin und der Kaiser tatsächlich verheiratet gewesen sind oder nicht. Bis mir der Burgschauspieler und Katharina-Schratt-Neffe Peter Schratt in einem Club 2 die erlösende Frage stellte: »Ist das nicht eigentlich völlig egal?«

Und ich ihm irgendwie recht geben musste.

Aus »Katharina Schratt, Die heimliche Frau des Kaisers« (1982)

*Johannes Nedbal, langjähriger Ehereferent des Wiener Erzbischofs

Alles aus Neugier

Подняться наверх