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DER MANN, DEN EINSTEIN VEREHRTE Kurt Gödel, ein Leben zwischen Genie und Wahnsinn
ОглавлениеVon Mimen, Dichtern, Musikern und großen Ärzten lässt sich’s trefflich erzählen, weil man da selbst einigermaßen verstehen kann, worin ihre Leistungen bestehen. Aber ein Mathematiker, durch dessen Leben sich Logarithmen, Wurzeln und Differenzialgleichungen ziehen? Nein, nein, derlei haben wir glücklicherweise längst hinter uns gebracht. Doch dann begann ich mich für Kurt Gödel zu interessieren, bei dem sich Genie und Wahnsinn geradezu sprichwörtlich vereinten. Als ich seiner Biografie nachspürte, wunderte ich mich, dass sie noch von keinem Hollywood-Produzenten aufgegriffen worden war.
Das Time-Magazine hat diesen Mann unter die 100 wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts gereiht. Und Kurt Gödel besaß in der Tat ganz außergewöhnliche Fähigkeiten, nur eine einzige fehlte ihm: mit seinem Leben fertigzuwerden. Das Genie war nicht einmal in der Lage, für seine eigene Ernährung zu sorgen.
Geboren am 28. April 1906 als Sohn eines wohlhabenden Textilkaufmanns in Brünn, übersiedelte er nach der Matura nach Wien, um hier Mathematik, Physik und Philosophie zu studieren. Zunächst unbezahlter Privatdozent an der Universität Wien, veröffentlichte er seine ersten bahnbrechenden Erkenntnisse und wurde mit anderen Wissenschaftern vom Wiener Kreis, einer Gruppe bedeutender Intellektueller, aufgenommen.
Manchem seiner Zeitgenossen erschien er damals schon etwas sonderbar. Zuallererst seinen Eltern, da er sich als Intellektueller aus großbürgerlichem Milieu in eine um sieben Jahre ältere Frau ohne höhere Bildung verliebte, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte, geschieden war und ihr Geld als Tänzerin im Wiener Vergnügungsetablissement Nachtfalter verdiente. Gödel verheimlichte seine Beziehung zu Adele Porkert mehrere Jahre lang und wagte es erst, sie im September 1938 – als sein Vater gestorben war – zu heiraten. Gerade sie sollte sich als wichtigste Stütze seines Lebens erweisen.
Amerikanische Talentsucher, die von Kurt Gödels mathematischem Genie erfahren hatten, holten ihn zu Gastvorlesungen an die renommierte Universität in Princeton, von wo er vorerst immer wieder nach Wien zurückkehrte.
So hervorragend er in seiner wissenschaftlichen Arbeit war, so verrückt erwies sich seine persönliche Situation. Er litt unter Depressionsschüben, gepaart mit extremer Hypochondrie und einem starken Verfolgungswahn. Vor allem führte seine Paranoia zu existenzbedrohenden Ernährungsproblemen, da er in der ständigen Zwangsvorstellung lebte, dass man ihn vergiften wollte. So musste seine Frau jede Speise vorkosten, ehe er einen Bissen zu sich nahm – und er war auch dazu nur in der Lage, wenn sie von demselben Teller und mit demselben Löffel gegessen hatte. Mehrere, oft monatelange Aufenthalte in geschlossenen Anstalten waren die Folge, einmal als Patient des berühmten Psychiaters Julius Wagner-Jauregg. Auslöser für all das Leid soll – laut Diagnose seines Bruders Rudolf, der selbst Arzt war – eine rheumatische Fiebererkrankung in der Kindheit gewesen sein, von der er sich zwar physisch, aber nie psychisch erholte.
Kurt Gödel bezeichnete sich als »unpolitisch« und reagierte vorerst nicht auf den Terror, den die Nationalsozialisten auch an der Universität Wien veranstalteten. Erst als ihn ein Passant – fälschlich übrigens – auf der Straße als »Jude« bezeichnete, beschloss er, Wien zu verlassen. Der nunmehr 33-jährige Dozent reiste im Jänner 1940 – was damals überaus kompliziert war – mit seiner Frau in die USA, wo man ihn an der Princeton University mit offenen Armen aufnahm.
Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich indes zusehends. Da Gödel mittlerweile auch ein krankhaftes Misstrauen Medizinern gegenüber entwickelt hatte und nicht bereit war, sich einer Behandlung zu unterziehen, kam es zu mehreren lebensgefährlichen Situationen – so ist er einmal beinahe einem unbehandelten Zwölffingerdarmgeschwür erlegen. Ein amerikanischer Arzt stufte ihn als »genial, aber psychopathisch« ein.
Sein Abgott war Leibniz*, mit dessen Geist er in Kontakt zu stehen glaubte. Nicht genug damit, projizierte Kurt Gödel seine Verschwörungstheorien auch auf sein Idol, indem er behauptete, bestimmte Teile der Leibniz’schen Schriften seien von dunklen Mächten, die Interesse an der Verdummung der Menschheit hätten, vernichtet worden. Als Oskar Morgenstern, einer seiner wenigen Freunde, Gödel einmal in seinem Haus in Princeton aufsuchen wollte, fand er ihn nach langem Suchen im Keller, hinter der Heizung verkrochen, in warme Mäntel gehüllt. Gödel schlotterte vor Angst, sein von Zahlen, Figuren, Formeln und Geistern übervolles Universum würde ihn erdrücken.
Derselbe Kurt Gödel galt – und gilt auch heute noch – als größter Logiker seit Aristoteles! Er wird in der Mathematik und in der Philosophie für ebenso bedeutend gehalten wie Newton für die Physik. Auch wenn unsereins die im Gödel’schen Unvollständigkeitssatz zusammengefasste Erkenntnis nicht wirklich begreifen wird, lässt uns der Mathematiker Karl Sigmund seine Bedeutung wenigstens erahnen – wenn er nämlich erklärt, dass Gödels Erkenntnisse »die Entwicklung des Computers entscheidend geprägt haben«.
In Princeton lernte er Albert Einstein kennen, der Kurt Gödel ungemein schätzte und in seinen engeren Freundeskreis aufnahm. Einstein und Gödel, der – abseits von seinen »Verrücktheiten« – im Übrigen als charmanter und amüsanter Gesprächspartner beschrieben wird, unternahmen täglich ausgedehnte Spaziergänge, bei denen sie physikalische, mathematische und philosophische Fragen diskutierten. Die Freundschaft hielt bis zu Einsteins Tod im Jahre 1955. Ganz nebenbei lieferte Gödel auch wesentliche Beiträge zur Relativitätstheorie.
Zwei enge Freunde, zwei Jahrhundertgenies: Kurt Gödel und Albert Einstein
Trotz seiner enormen Leistungen wurde er in Princeton erst 1953 zum Professor ernannt. Später verlieh ihm die Harvard Universität das Ehrendoktorat für die »Entdeckung der bedeutendsten mathematischen Wahrheit des Jahrhunderts«.
Doch sein Leben konnte Gödel nicht meistern. Er weigerte sich zunehmend, das Haus zu verlassen, und verkehrte mit Kollegen nur noch per Telefon. Als seine Frau nach einem Schlaganfall ins Spital musste und für ihn als »Vorkosterin« ausfiel, erschien ihm jede weitere Nahrungsaufnahme unmöglich. Kurt Gödel ist regelrecht verhungert, er starb am 14. Jänner 1978 in Princeton mit einem Körpergewicht von 36 Kilogramm.
Aus »Unter uns gesagt, Begegnungen mit Zeitzeugen« (2008)
*Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646–1716, Mathematiker, Physiker, Philosoph