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DIE TANTE JOLESCH LEBT! Meine Begegnungen mit ihren Enkeln

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Als Friedrich Torbergs Tante Jolesch 1975 erschien, war ich noch weit davon entfernt, selbst Bücher zu schreiben. Doch Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten begeisterte mich dermaßen, dass ich begann, ebenfalls Anekdoten zu sammeln. Wo immer ich hinkam, hatte ich ein offenes Ohr für heitere Geschichten, die mir von Künstlern, Politikern und Angehörigen ganz anderer Berufsgruppen erzählt wurden. Nach einem Vierteljahrhundert hatte ich so viele beisammen, dass ich das Buch Die Enkel der Tante Jolesch schrieb. Die Enkel spielen in einer ganz anderen Zeit, als es die von Torberg war, sollten die Leser aber ebenso zum Lachen wie zum Nachdenken bringen. Hier einige Beispiele daraus.

Eine der ersten Geschichten wurde mir von einem Schauspieler zugetragen, der mir von einem alten Herrn erzählte, der jahrzehntelang ein Leben als Statist fristete. Das ist keine leichte Aufgabe: Während sich die Bühnenstars im Applaus sonnen, darf der Komparse gerade einmal ein Silbertablett abstellen und dann wieder abgehen.

Eines Tages hatte der Regisseur des Theaters Mitleid mit dem Statisten und ließ ihn im nächsten Stück ein paar Worte sprechen. Es waren drei Worte, mit denen er als Kammerdiener die Ankunft eines adligen Gastes ankündigen sollte: »Herr Marquis Dobinier!« lautete sein Text.

Doch die Aufregung war zu groß, der alte Mann verhedderte sich ständig, brachte vor allem das schwierigste der drei Wörter, »Dobinier«, nicht über die Lippen.

Der Regisseur versuchte während einer Probe zu helfen: »Sie sind doch Wiener? Merken Sie sich einfach: Do bin i eh.«

Der zum Schauspieler avancierte Statist nahm sich den Ratschlag zu Herzen. Sagte aber am Abend auf der Bühne: »Herr Marquis, i bin eh do!«

Ja, es gibt sie, die Tante Jolesch, sie lebt in ihren Enkeln weiter, die ihr an Witz und Esprit um nichts nachstehen. Während Friedrich Torberg die echte Tante Jolesch vermutlich nie kennengelernt hat, bin ich »meiner« Tante Jolesch sehr wohl begegnet, mehr noch, sie war eine echte Tante von mir. Meine Tante Jolesch hieß Flora, und sie war eine der beiden älteren Schwestern meiner Mutter.

Tante Flora hat dieser Welt in ihrem langen Leben einige Aussprüche hinterlassen, die die Tante Jolesch durchaus für sich reklamieren hätte können. Ehe ich sie zitiere, muss ich auf einen weiteren Verwandten, meinen Onkel Franz, zu sprechen kommen, der im alten Österreich-Ungarn zur Welt kam, den Großteil seines Lebens aber in den USA verbrachte. Onkel Franz hat in Hollywood unter dem Namen Francis Lederer eine beachtliche Karriere als Filmschauspieler gemacht – und dort im November 1999 in erstaunlicher Frische seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Die ganze Familie sollte sich zu diesem besonderen Anlass in Los Angeles einfinden. Als ich Tante Flora vom bevorstehenden Wiegenfest ihres Cousins informierte, kommentierte sie das mit den Worten: »Was, der Franz wird 100? Dabei ist er doch gar nicht vom langlebigen Teil unserer Familie!«

Mir selbst ist auch schon so manches widerfahren, das Tante-Jolesch-artige Züge aufzuweisen hatte. Auf den Seiten 109–122 dieses Buches erfahren Sie, wie ich dazu kam, den Grabraub der Mary Vetsera aufzudecken. Und dass ich, ehe ich die Geschichte veröffentlichte, bei der Polizei Anzeige gegen unbekannt erstattete. Ich erzählte den anwesenden Polizeibeamten von Herrn Flatzelsteiner und seiner Vermutung, dass sich Mary Vetseras sterbliche Überreste nicht dort befänden, wo sie hingehörten.

Plötzlich stand ein junger Kriminalbeamter auf, um das Zimmer zu verlassen und nach wenigen Minuten mit einer Fahndungsliste in den Händen zurückzukehren.

»Herr Markus«, sagte er, »das ist ja alles schön und gut, was Sie uns da erzählen. Aber ich habe gerade im Polizeicomputer nachgeschaut: Eine Mary Vetsera ist gar nicht als abgängig gemeldet.«

Die nächsten beiden Geschichten handeln von Karl Farkas, für den ich ein Jahr lang am Kabarett Simpl arbeiten durfte. Er verkehrte, wie er mir anvertraute, Anfang der 1920er-Jahre als noch mittelloser Schauspieler im Café Central. »Wir Jungen, die kein Geld hatten, kamen gleich nach dem Mittagessen ins Café Central, haben unzählige Gläser Wasser und Zeitungen konsumiert, bis vier Uhr Nachmittag saßen wir dort und dann sagten wir zum Ober: ›Jean, reservieren Sie mir meinen Sessel, ich geh nur rasch nach Hause einen Kaffee trinken.‹«

Hier sei auch etwas Persönliches von Karl Farkas erzählt. Ich war in der Saison 1969/70 – das Wort Assistent ist etwas übertrieben – so eine Art Mädchen für alles am Simpl, zuständig für Kulissen und Bühnenbild und nach einiger Zeit durfte ich auch Schreibund Assistenzarbeiten für Farkas erledigen.

Er suchte immer jemanden, der ihn nach der Vorstellung, oft war das schon gegen Mitternacht, nach Hause fährt, um sich das Taxi zu ersparen. Ich durfte das mit meinem uralten Ford Taunus etliche Male tun; in den meisten Fällen lieferten ihn aber seine Kollegen Maxi Böhm oder Ossy Kolmann vor seinem Wohnhaus im 7. Bezirk ab.

Nach einer Vorstellung, es war Samstagabend, hatte aus irgendwelchen Gründen keiner aus dem Ensemble Zeit, Farkas nach Haus zu fahren, und da bot sich Herr Stern, der Schwiegersohn des Simpl-Besitzers Picker, als Fahrer an.

Farkas stieg in den Wagen, und Herr Stern fragte: »Wohin fahren wir?«

»Geben Sie Gas«, antwortete Farkas, »ich sag’s Ihnen schon … Da vorne fahren Sie rechts … jetzt geradeaus über die Kreuzung drüber … hier biegen Sie links ein …«

Weit draußen am Stadtrand, bei der Spinnerin am Kreuz, fragte Herr Stern: »Entschuldigen Sie, Herr Farkas, ich dachte, Sie wohnen in der Neustiftgasse im 7. Bezirk!«

»Ja, das stimmt«, ließ sich Farkas nicht aus der Fassung bringen. »Aber am Samstag fahre ich immer in mein Wochenendhaus nach Edlach an der Rax.«

Zu meinen Informanten in Sachen Enkel der Tante Jolesch zählte auch Marcel Prawy, den ich nicht nur als klugen, gebildeten, menschlich wertvollen Freund in Erinnerung behalten habe, sondern auch wegen seines einzigartigen Humors. Und so erzähle ich Ihnen jetzt eine Geschichte, in der er selbst mitspielt. Prawy und der Kritiker Hans Weigel waren zeitweise gar nicht gut aufeinander zu sprechen. Das muss man wissen, um die folgende Episode, die sich Ende der 1950er-Jahre im Café Volksoper zugetragen hat, verstehen zu können.

Als Weigel dort eines Abends neben der Schauspielerin Louise Martini saß, betrat ein stattlicher Herr das Lokal und grüßte sehr höflich – zuerst Louise Martini und dann Hans Weigel. Worauf die beiden den Gruß ebenso höflich erwiderten.

Kaum war der stattliche Herr außer Sichtweite, fragte Weigel – der extrem kurzsichtig war und daher oft gleichzeitig mehrere Brillen auf Stirn und Nase platziert hatte –, Weigel also fragte seine Tischnachbarin, wer der Herr gewesen sei, den sie gerade gegrüßt hätten.

»Das war der Prawy«, antwortete Louise Martini.

Kaum hatte Weigel diese Auskunft erhalten, begann er aufgeregt in seiner Aktentasche nach irgendwelchen Papieren zu suchen. Als er sie endlich gefunden hatte, sprang er auf und lief Prawy nach. Sobald er ihn eingeholt hatte, hielt er diesem die mitgebrachten Unterlagen vors Gesicht und sagte:

»Das sind ärztliche Atteste, die bescheinigen, dass ich schlecht sehe. Nur so konnte es passieren, Herr Doktor Prawy, dass ich Sie gegrüßt habe.«

Sprach’s und ging – diesmal selbstverständlich grußlos – zurück an seinen Tisch.

Auch unter den Sängern der Wiener Staatsoper findet sich manch unvergleichliches Original. So gab es einen Episodisten namens Alfred Muzzarelli, der sein Leben lang »auf Star studierte«, ohne je einer geworden zu sein. Muzzarelli war trotz seines italienisch klingenden Namens ein waschechter Wiener. Er liebte die Frauen, wobei ihm Augen, Haarfarbe und Figur weniger bedeutsam erschienen, als das eine nur: Sie mussten wesentlich älter sein als er! Als ihm eines Tages ein Kollege, den Tränen nahe, mitteilte, dass ihn die Freundin verlassen hatte, fand Muzzarelli tröstende Worte: »Mach dir nix draus, andere Töchter haben auch schöne Mütter!«

Ioan Holender ist als längstdienender Direktor in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingegangen. Im ersten Jahr stand er jedoch im Schatten des eigentlichen Direktors Eberhard Waechter. Erst nach dessen plötzlichem Tod im März 1992 übernahm Holender die alleinige Leitung des Hauses. Aber bis dahin war er selbst im Opernhaus bei Weitem nicht so bekannt wie später.

Der Zuschauerraum war bereits abgedunkelt, als Holender eines Abends zu spät in eine Vorstellung kam. Die Ouvertüre hatte schon begonnen, da schlich der Co-Direktor zu seiner Loge im ersten Rang. Leider hatte er die Rechnung ohne den Platzanweiser gemacht. Der hielt ihn am Rockzipfel fest und flüsterte: »Ihre Karte bitte!«

Der Direktor flüsterte zurück: »Ich bin Holender!«

Darauf der Billeteur: »Ticket please!«

Ohne Politiker könnten wir nicht leben – zumindest im anekdotischen Bereich. Bundeskanzler Julius Raab wurde von Freunden »der große Schweiger« genannt – weil er nur das Allernotwendigste sprach und viel lieber zuhörte. Eines Tages fuhr Raab mit dem Auto von Wien nach Vorarlberg. Im niederösterreichischen Tullnerfeld sagte sein Sekretär, mit einem Blick auf die umliegenden Felder: »Das Getreide steht heuer schon ganz schön hoch.« Bis knapp vor Feldkirch wurde kein Wort mehr gewechselt, dann endlich meinte Raab: »Do aa!«

Das war die gesamte Konversation während einer Fahrt von 600 Kilometern.

Nun zu einer Geschichte über Bruno Kreisky, die mir der damalige Bundespräsident Thomas Klestil erzählte, der Mitte der 1980er-Jahre in seiner Funktion als österreichischer Botschafter in den USA Zeuge der folgenden Episode geworden war.

Kreisky kam, als Regierungschef schon in Pension, aber in Sachen Weltpolitik immer noch unterwegs, zu einem Kongress nach Washington. Klestil holte ihn vom Flughafen ab und begleitete ihn, vom Chauffeur der Botschaft gefahren, in sein im Zentrum der Hauptstadt gelegenes Hotel. Als Kreisky unterwegs eine Filiale der englischen Firma Burberry entdeckte, bat er den Fahrer, kurz anzuhalten.

Der bärtige Altkanzler stieg aus dem Wagen, holte einen Plastiksack aus dem Kofferraum und betrat, gemeinsam mit Klestil, das Geschäft. An der Tür fragte Kreisky den Botschafter noch schnell: »Sag, was heißt Schlapfen auf Englisch?«

Klestil flüsterte ihm in korrekter Übersetzung das Wort Slippers zu, worauf Kreisky aus dem mitgebrachten Plastiksack ein Paar Hausschuhe hervorholte und zum Verkäufer sagte: »Ich habe vor einiger Zeit in Ihrer Filiale in London diese Schlapfen – these slippers – gekauft. Leider sind sie zu groß, könnten Sie sie umtauschen?«

In dem Geschäft, erinnerte sich Klestil, herrschte sogleich rege Betriebsamkeit, im Zuge derer man sich redlich bemühte, dem alten Herrn verschiedenste Größen desselben Modells vorzuführen.

Kreisky probierte eine ganze Reihe von Hausschuhen, betrachtete sie vor dem Spiegel, prüfte ihre Passform, ging mit ihnen auf und ab. Und brummte nach einem guten Dutzend derartiger Versuche: »So, die da passen – these slippers fit!«

Worauf der Verkäufer entgegnete: »Sir, das sind die Schuhe, die Sie mitgebracht haben!«

Wir befinden uns zwar noch im Bereich der Politik, begegnen hier aber dem einst berühmten Psychiater, Terror- und Aggressionsforscher Friedrich Hacker, mit dem ich bis zu dessen Tod im Jahre 1989 befreundet war. Er hatte Ende der 1960er-Jahre die Idee, in den ehemaligen Wohn- und Ordinationsräumen des »Vaters der Psychoanalyse« ein Sigmund-Freud-Museum zu errichten. Hacker selbst hatte in den 1930er-Jahren noch einige Vorlesungen Freuds an der Universität Wien besucht. Mit der Gründung des Freud-Museums ist eine schöne Geschichte verbunden.

Nachdem es ihm gelungen war, die österreichische Regierung für das Projekt zu gewinnen, schlug Hacker dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus vor, Freuds in London lebende Tochter Anna Freud zur bevorstehenden Eröffnung des Museums in der Wiener Berggasse Nr. 19 einzuladen. Der Regierungschef war sofort einverstanden, bat Hacker jedoch, für ihn den Text des Einladungsbriefes an Anna Freud aufzusetzen, da er selbst nicht recht wüsste, wie die berühmte Tochter eines noch berühmteren Vaters anzusprechen sei und mit welchen Worten eine solche Einladung zu erfolgen hätte.

Professor Hacker, der Anna Freud gut kannte, formulierte den Brief, der dann vom Kanzler unterzeichnet wurde. Eine Woche später läutete Hackers Telefon, am Apparat war Anna Freud. »Stellen Sie sich vor, Doktor Hacker«, sagte sie, »ich habe einen Brief vom österreichischen Bundeskanzler erhalten, in dem er mich zur Eröffnung eines Freud-Museums einlädt. Ich komme natürlich gerne, aber ich habe noch nie einem Bundeskanzler geschrieben, und da wäre meine Bitte an Sie: Könnten Sie so nett sein, für mich das Antwortschreiben aufzusetzen?«

Hacker kam auch dieser Bitte nach. Er antwortete auf seinen eigenen Brief, und Anna Freud unterschrieb. Aus Einladung und Antwort entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr zwischen Josef Klaus und Anna Freud, der sich über mehrere Monate hinzog. Wobei jeder einzelne Brief vom unermüdlichen Friedrich Hacker stammte.

Eine Anekdote, die von zwei großen Komponisten aus Wien handelt, die in Hollywood Karriere gemacht haben, verdanke ich dem langjährigen Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe. Es geht um Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner. Letzterer zählte zu den Pionieren der amerikanischen Filmmusik: Er schuf Melodien zu Casablanca und Vom Winde verweht, zu Filmen mit Katharine Hepburn, Bette Davis und zu fünf Fred-Astaire-Musicals. Insgesamt hat Max Steiner 300 Filme vertont und drei Oscars erhalten, Korngold immerhin zwei.

Während es nach dem Zweiten Weltkrieg um Korngold ruhiger wurde, setzte Steiner seine Karriere als Komponist mit immer neuen Erfolgen fort. Da die beiden noch aus ihren Wiener Tagen miteinander befreundet waren, hielt Steiner 1957 zu Korngolds 60. Geburtstag, der in Hollywood gefeiert wurde, die Laudatio. Nach ein paar launigen Worten der Erinnerung gelangte Max Steiner zu dem liebevoll-bissig-ironischen Schluss: »Ich kann es gar nicht verstehen, mein lieber Korngold, dass ich in Hollywood nach wie vor gefragt bin, aber nach dir kein Hahn mehr kräht!«

Korngold stand auf, ging ans Rednerpult und erwiderte: »Schau, lieber Max, das mit dem Erfolg ist doch ganz einfach. Seit 20 Jahren schreibst du von mir ab, und seit 20 Jahren schreib ich von dir ab. Da darfst du dich nicht wundern, dass du erfolgreicher bist als ich.«

Etwas ganz anderes. Sie kennen sicher Professor Antal Festetics, einen der führenden Wildbiologen Europas, der überdies als Moderator populärwissenschaftlicher Tiersendungen im Fernsehen bekannt geworden ist. Von dieser seiner Tätigkeit im Fernsehen handelt die nun folgende Episode.

Festetics gestaltete Mitte der 1990er-Jahre für den ORF einen Tierfilm über Bären. In der Dokumentation wurde auch eine dramatische Szene gezeigt, die ein Amateurfilmer zufällig im Zoo von Peking eingefangen hatte: Man sah drei Chinesen, die vor dem Käfig der Pandabären standen. Nun drehte sich einer der Herren mit dem Rücken zum Käfig, um sich von einem der anderen Herren fotografieren zu lassen.

In dem Moment, da er dem Käfig seinen Rücken zuwandte, wurde der Mann aber von dem bärenstarken Tier gepackt, das ihn durch die Gitterstäbe in den Käfig zu zerren versuchte.

Die Attacke endete glimpflich, da es den beiden anderen Chinesen gelang, ihren Freund den Krallen des Pandabären zu entreißen. Das aufgebrachte Tier musste sich schließlich mit dem eroberten Sakko seines Opfers zufriedengeben.

Als Festetics dann, wie er mir erzählte, mit seinem Team am Schneidetisch saß, um seine Bären-Dokumentation zusammenzustellen, gab der Cutter zu bedenken, dass der Amateurfilm aus Peking leider ohne Ton und damit zur Ausstrahlung nicht geeignet sei.

Die Experten berieten nun, wie man – um die Atmosphäre des Zoos in Peking auch akustisch einzufangen – zu ein paar chinesischen Wortfetzen gelangen könnte. Festetics selbst hatte die rettende Idee. Er ging mit den Tonleuten in ein ihm bekanntes China-Restaurant im 3. Bezirk und ließ an der Kassa ein paar zufällig gefallene Worte aufnehmen, die dem Film unterlegt wurden. Die Dokumentation Der große Bruder Bär lief dann samt Ton mit Erfolg im Fernsehen.

Einige Zeit später freilich wurde Festetics von einem Angehörigen der chinesischen Botschaft angesprochen. »Herr Professor«, sagte der Diplomat zu Festetics, »das war ein sehr schöner Film, den Sie gezeigt haben, wir haben uns auch sehr darüber gefreut, dass Sie einen Beitrag aus dem Zoo in Peking gebracht haben. Nur eines, Herr Professor, haben wir nicht verstanden …«

»Ja, was denn?«, wollte Festetics wissen.

»Warum hat, während wir den Herrn sahen, wie er um sein Leben kämpfte, jemand im Hintergrund auf Chinesisch zwei Frühlingsrollen bestellt?«

Eine Geschichte noch zum Abschluss: Den Wiener Philharmonikern wird nachgesagt, hin und wieder zugunsten eines lukrativen »Nebenjobs« nicht an der Vorstellung in der Staatsoper mitzuwirken. Durchaus legal übrigens, da es den Mitgliedern des Staatsopernorchesters vertraglich erlaubt ist, zur Vorstellung einen würdigen Vertreter zu entsenden, einen sogenannten Substituten. Ein Vorgang, der sich unter den Musikern des gefeierten Orchesters großer Beliebtheit erfreut.

Eines Nachmittags klopfte ein philharmonischer Geiger, der abends als Gast an einem Hauskonzert teilnehmen sollte, an der Tür seines Hausmeisters: »Herr Novak«, sagte er, »da haben Sie 300 Schilling, dafür spielen Sie heute für mich in der Oper!«

Der Hauswart, ein redlicher Mann, entgegnete entsetzt: »Aber Herr Professor, ich kann doch gar net Geige spielen!«

Darauf der Philharmoniker: »Das macht nichts, Sie brauchen ja nur zu schauen, was die anderen machen – und dann tun Sie dasselbe. Bei so vielen Geigern im Orchester kann gar nix passieren.«

Herr Novak ging in die Oper, der Philharmoniker zu seinem Hauskonzert, und danach schaute er noch beim Hausmeister vorbei, um ihn zu fragen: »Na, Herr Novak, wie war’s?«

Worauf er als Antwort erhielt: »Herr Professor, die Vorstellung war eine Katastrophe!«

»Ja, aber warum denn?«, wollte der Geiger wissen.

»Es waren nur Hausmeister da!«

Aus »Die Enkel der Tante Jolesch« (2001)

Alles aus Neugier

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