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FRAU SCHRATT GEHT FREMD Affären, die sie dem Kaiser verschwieg
ОглавлениеNoch ein Schratt-Kapitel. Es zeigt eine Seite der Schauspielerin, die mir 1982, als ich ihre Biografie schrieb, in dieser Form noch nicht bekannt war. Damals konnte ich anhand der Aussagen von Zeitzeugen, der vorliegenden Korrespondenz und anderer Dokumente davon ausgehen, dass die Schratt eine dem Kaiser treu ergebene Gefährtin war. Heute weiß ich, dass sie ihm zwar ergeben, aber sicher nicht treu war.
Ich weiß das, weil man mir drei Jahrzehnte nach Erscheinen der Schratt-Biografie Einsicht in Briefe und Unterlagen gewährte, aus denen klar hervorgeht, dass die Schauspielerin, pardon, ein ziemliches Luder war, das den Kaiser nach Strich und Faden betrogen hat. Es gibt gleich mehrere Liebschaften der Grande Dame des Burgtheaters, die hier dokumentiert werden können. Und alle ereigneten sich parallel zu ihrer Beziehung mit dem Kaiser.
Die Lovestory Franz Josephs und der Schauspielerin wurde mit großer Diskretion behandelt, aber die Bewohner der Donaumonarchie wussten davon bis in den hintersten Zipfel von Galizien Bescheid, und sie hatten sogar Verständnis für ihren Regenten, da seine Gemahlin Elisabeth ständig auf Reisen war und ihn oft über Monate allein ließ. Kein Wunder also, dass der Kaiser nach einer Frau suchte, die ihm Seelenfreundin und Geliebte sein konnte. Und er fand die Schratt.
Franz Joseph sparte nicht mit Liebesbeteuerungen: »Ich habe Sie eben fürchterlich lieb«, schreibt er einmal, dann nennt er die Schauspielerin »mein heißgeliebter Engel« und wird an anderer Stelle noch deutlicher: »Dieses ist mein letzter Brief vor dem ersehnten, endlichen Wiedersehen. Da ich am 19. ungefähr um 6 Uhr Früh in Schönbrunn eintreffen werde, so werde ich mir erlauben um 8 Uhr oder etwas später, in der Gloriette Gasse zu erscheinen mit der Hoffnung, Sie, den Zeitumständen entsprechend, endlich wieder einmal zu Bett zu finden, was Sie mir auch halb und halb versprochen haben.«
Die Schratt reagiert, wenn der Kaiser auf Reisen ist, nicht minder gefühlsbetont: »Ich denke Tag und Nacht an Eure Majestät und erwarte mit unsagbarer Sehnsucht die endliche Rückkunft.«
Nun wirft freilich ihre mir zugänglich gemachte Korrespondenz einen Schatten auf all das, was zwischen Kaiser und Schauspielerin belegt ist.
»Kathi, wie gut warst du in der Nacht für mich – wie noch nie – ich fühle deine Hand – sie hat ja meinen ganzen Leib berührt, ich fühle deine Küsse so warm so heiß …« Diesen an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Brief schrieb der Gutsherr, Sportsmann, Abenteurer und Kunstmäzen Hans Graf Wilczek an Katharina Schratt, nachdem er mit ihr im Frühjahr 1886 eine Nacht in der von ihr gemieteten Villa Frauenstein am Wolfgangsee verbracht hatte.
Der Beweis, dass es eine Dreiecksbeziehung Schratt–Kaiser–Wilczek gab, kann seit dem Jahr 2008 erbracht werden, als das Hofmobiliendepot der Republik Österreich 18 eng beschriebene Briefe des Grafen Wilczek an die Schratt erworben hat. Sie wurden nach eingehender Prüfung für echt befunden, ob ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung vom Bundesdenkmalamt für die Ausfuhr gesperrt und mir zur Veröffentlichung anvertraut.
Der Kaiser reagierte stets gereizt, wenn es um den Grafen Wilczek ging – ohne wissen zu können, was hier tatsächlich lief. »Nie hätte ich mir erlaubt, Sie zu ersuchen, Wilczek nicht zu empfangen«, schrieb er an die Schratt, »ich war eben nur wieder eifersüchtig, da ich Sie so lieb habe (zerreißen Sie gleich diesen Brief).«
Doch auch Wilczek fühlte, dass ihm der Kaiser im Wege stand: »Katherl, lass mich doch bei dir weilen lange, lange, ich werde dich ja nicht quälen – bei Wasser und Brot – allein sein mit dir, kein Butler soll uns stören und kein Kaiser.«
Die Wilczek-Briefe an Katharina Schratt stammen aus den Jahren 1885/86. Die Schauspielerin hatte den Kaiser zwei Jahre davor, als sie ihm in einer Audienz als neues Mitglied des Burgtheaters vorgestellt worden war, zum ersten Mal getroffen und bald sein Interesse geweckt. Der Beginn der Beziehung zwischen der Schratt und dem Kaiser einerseits und ihrer Affäre mit dem Grafen Wilczek andererseits muss etwa zur gleichen Zeit stattgefunden haben.
»Kein Butler soll uns stören und kein Kaiser«: Hans Graf Wilczek in einem seiner Briefe an seine Geliebte Katharina Schratt
Die Schratt war damals 32 Jahre alt, Wilczek 48, der Kaiser 55. Doch auch wenn der Graf in seinen Briefen immer wieder von »ewiger Treue« spricht, kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass alle Beteiligten zum Zeitpunkt der ménage à trois verheiratet, also in höchstem Maße untreu, waren: Franz Joseph seiner Sisi, die Schratt ihrem Ehemann Nikolaus von Kiss und Wilczek seiner Frau Emma.
All das hinderte den Grafen nicht, seine geliebte Kathi immer wieder mit Beteuerungen seiner großen Liebe zu beglücken. Der Korrespondenz ist zu entnehmen, dass die Beziehung zum Grafen wesentlich leidenschaftlicher war als die zum Kaiser, wie Briefzitate Wilczeks an die Schratt aus den Jahren 1885/86 belegen:
»Ich hab dich so gern, dich, dich dich, meine Frau, meine Kathi.«
»Ich denk und fühl nichts anderes als Liebe, Liebe, Liebe zu dir.«
»Du bist ja die beste Frau auf der ganzen Welt und die edelste Frau. Du bist mein Ideal – meine Kathi … Kathi, ich gehöre dir, mein ganzes Leben – daher möchte ich recht lange leben – das Leben aber wie du es mich führen lässt, richtet mich früher als nötig zugrunde.«
»Alle Tage liebe ich dich heißer und leidenschaftlicher – ich fühle mich jeden Tag fester an dich gebunden und gekettet.«
»Bitte Katherl, sei gut für mich – ich hab ja ein Recht auf dich – so wie ich selbst nur dir gehöre!«
»Auf Wiedersehen morgen Dienstag, bitte Katherl sei allein, wenn ich komm. Dein dich liebender treuer Mann Hans.«
Hans Graf Wilczek war eine in Österreich-Ungarn überaus populäre Erscheinung: Der Zwei-Meter-Mann, der in einem prunkvollen Innenstadtpalais residierte, zählte zu den reichsten Aristokraten seiner Zeit. Er hatte sich als Forschungsreisender einen Namen gemacht und die Nordpolexpedition von Julius Payer und Karl Weyprecht, an der er 1872 selbst teilnahm, ermöglicht. An die von Wilczek finanzierte Forschungsreise erinnern heute noch das seinem späteren Nebenbuhler zu Ehren benannte Franz-Joseph-Land und die Wilczek-Insel im Arktischen Ozean. Geschichte schrieb Wilczek auch als Mitbegründer der Wiener Rettungsgesellschaft: Er und der Arzt Jaromír von Mundy hatten nach dem Brand des Ringtheaters* im Jahr 1881 erkannt, dass viele der fast 400 Menschen gestorben waren, weil es in Wien keine funktionierende Rettung gab. Wilczek ließ Ärzte und Sanitätspersonal ausbilden, spendete Einsatzfahrzeuge und brachte in seinem Palais in der Herrengasse die erste Ambulanz unter.
Die Schratt war seit 1879 mit dem ungarischen Diplomaten Nikolaus von Kiss verheiratet, dem sie ein Jahr später einen Sohn schenkte. Die Ehe blieb zwar bis zu Kiss’ Tod am 21. Mai 1909 aufrecht, existierte aber schon nach kurzer Zeit nur auf dem Papier, da er sich als Mitglied des diplomatischen Corps selten in Wien aufhielt.
Zu den Pikanterien in der Dreiecksgeschichte Kaiser–Wilczek–Schratt zählt auch die Tatsache, dass Franz Joseph und der Graf einander gut kannten: Der Kaiser war Protektor von Wilczeks Rettungsgesellschaft und hatte ihn, ein Jahr bevor sie zu Rivalen wurden, zum Geheimen Rat und zum Mitglied des Herrenhauses ernannt. Außerdem war Wilczeks Ehefrau eine Hofdame von Franz Josephs Mutter Sophie.
Erstaunlich auch, dass der Graf, der sonst mit beiden Beinen im Leben stand, seine Briefe an »meine Kathi, meine Gottheit« schwärmerisch wie ein Teenager formulierte: »Katherl, du kannst mich geistig und körperlich zugrunde richten, töten, aber los wirst du mich weder im Leben noch nach dem Tod.«
Die Schratt war mit Nikolaus von Kiss verheiratet, doch der Diplomat hielt sich kaum je in Wien auf.
Wilczek spürte freilich, dass das »Dreieck« auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein würde – schon weil der Kaiser ein übermächtiger Gegner war. Und so musste sich die Schratt nach mindestens zweijähriger Doppelgleisigkeit für einen ihrer beiden Verehrer entscheiden – und sie entschied sich für den Kaiser. Eher aus praktischen als aus emotionalen Gründen, denn natürlich war es für die aus kleinen Verhältnissen stammende Schauspielerin der ungleich größere gesellschaftliche Aufstieg, die Vertraute des Kaisers als die Geliebte eines Grafen zu sein.
In der Tat wirkte sich die Verbindung mit Franz Joseph lange Zeit günstig für ihre Karriere am Burgtheater aus. Der Kaiser war ein so treuer Besucher ihrer Vorstellungen, dass man sich im Publikum, sobald Franz Joseph seine Loge betrat, zuraunte: »Da schau her, der Herr Schratt is heut wieder da!« Vor allem aber schenkte der Kaiser der Freundin Unmengen an Schmuck, ein Palais an der Ringstraße und eine Villa in Hietzing. Und er beglich Spielschulden in Millionenhöhe, die sich bei der krankhaften Roulette-Spielerin anhäuften. Aber auch Graf Wilczek ließ sich nicht lumpen, wenn es darum ging, die Geliebte in sicherer Abgeschiedenheit treffen zu können. Laut Auskunft seiner Nachfahren dürfte er eigens für seine Rendezvous mit Katharina Schratt das Salzburger Schloss Moosham erworben haben, das sich heute noch in Familienbesitz befindet.
Das Verhältnis der Schratt mit dem Kaiser hielt 30 Jahre lang – bis zu seinem Tod im November 1916. Wann ihre Affäre mit Hans Graf Wilczek endete, wissen wir nicht genau.
Während sich in dem Konvolut 18 Wilczek-Briefe an die Schratt befinden, blieb von ihr nur eine einzige Karte an den Grafen erhalten: »Morgen Sonntag, bin ich zu Haus Vormittag von halb 10 bis 12 Uhr oder Nachmittag von halb 3 bis 5 Uhr. Ich freue mich sehr auf Morgen; aber bitte bestimmt kommen, wenn möglich lieber Vormittag. Kathi.«
Die Zeilen der Schratt an den Grafen sind nicht so feurig wie die seinen, sie zeigen aber, dass auch sie großes Interesse an der Beziehung hatte. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich die 32-jährige Schratt in den um 16 Jahre älteren, blendend aussehenden, sportlichen, sensiblen und klugen Grafen verliebte. Dennoch durchlief die Beziehung, wie die Korrespondenz zeigt, etliche Krisen, die wohl auf das »Doppelleben« der Schauspielerin, hier der Kaiser, dort der Graf, zurückzuführen waren. »Wann wirst du sagen«, schreibt Wilczek an die Schratt, »ich will das nicht mehr, denn es verletzt und macht so unglücklich den armen Hans.«
Hans Graf Wilczek starb 1922 im Alter von 84 Jahren und ist in der Gruft der von ihm wiedererrichteten, ursprünglich mittelalterlichen Burg Kreuzenstein bei Wien bestattet.
Wie aber kam es mehr als 120 Jahre nach seinem »Gspusi« mit der Schratt zur Auffindung der brisanten Korrespondenz?
Die Briefe stammen aus dem Nachlass eines Autografensammlers, der sie nach dem Tod der Schratt im Jahre 1940 von ihrem Sohn Anton von Kiss – der oft in Geldnöten war – gekauft hat. Sie galten jedoch als verschollen, ehe sie im Juni 2008 im Wiener Dorotheum zur Versteigerung angeboten und vom Hofmobiliendepot erworben wurden.
Die Briefe sind nicht nur durch die Dreiecksgeschichte Kaiser–Schratt–Wilczek interessant, sondern auch, weil sie die Moralvorstellungen in der Spätzeit der Monarchie aufzeigen. Sie belegen nunmehr eindeutig, dass Wilczek der Liebhaber der Katharina Schratt war, während bis dahin lediglich bekannt war, dass er ihrem engeren Freundeskreis angehörte.
Dass die Eifersucht Franz Josephs im Falle Wilczek berechtigt war, ist somit geklärt. Doch auch des Kaisers Misstrauen bezüglich des Königs Ferdinand von Bulgarien hatte einen realen Hintergrund. »Der Bulgare«, wie der Kaiser ihn stets nannte, war Ferdinand von Sachsen-Coburg, seines Zeichens Fürst und später König beziehungsweise Zar von Bulgarien. Der temperamentvolle und geistreiche Aristokrat – er stammte aus dem Wiener Zweig des Hauses Coburg – war um acht Jahre jünger als die Schratt und ein Theaternarr, der keine Gelegenheit ausließ, um nach Wien zu reisen und hier die »Burg« zu besuchen. Und die Schratt.
Bei seiner Vorliebe für Schauspielerinnen dürfte sie nicht sein einziger Schwarm gewesen sein. Der Schauspieler Hugo Thimig notiert in seinem Tagebuch, »dass der König von Bulgarien in die Marberg verschossen ist, aber die Schratt darf’s nicht wissen«. Die spätere Hofschauspielerin Lili Marberg war damals gerade 20 Jahre alt, konnte der Schratt allerdings beim »Bulgaren« keine echte Konkurrentin werden – zu groß war die Zuneigung, die der König für seine »Kathi« empfand.
Ein weiterer Verehrer der Katharina Schratt: König Ferdinand I. von Bulgarien
»Ja, der König von Bulgarien hat die Tante wahnsinnig verehrt«, erinnerte sich die Schratt-Nichte Katharina Hryntschak. »Kaum war er in Wien, ist er schon zu ihr nach Hietzing gekommen – wobei er seine Kinder nicht selten mitgebracht hat.« Kaiser Franz Joseph reagierte immer verärgert, wenn es um die innige Beziehung der Schratt zu dem – auch ihm freundschaftlich verbundenen – König ging. Als er erfuhr, dass die Schratt im Juni 1890 zur gleichen Zeit in Karlsbad zur Kur weilte wie Ferdinand, reagierte er mit den Worten »Beneidenswerther Fürst!«.
Dass die Eifersucht auch in diesem Fall berechtigt war, lässt einer der wenigen erhalten gebliebenen Briefe, die Ferdinand an die Schratt richtete, zumindest erahnen: »Bin um 4 Uhr in Wien«, schreibt er am 27. Juni 1891, »und erwarte Deine Befehle; Kathi, ich bitte Dich, sei gut zu einem armen unglücklichen gebrochenen Menschen, lass mich bei Dir Kraft und Muth schöpfen und mein Herz bei Dir ausschütten!«
Die wohl letzte große Liebe ihres Lebens sollte im reiferen Alter auf die Schratt zukommen. Eineinhalb Jahre, nachdem ich von ihrer Affäre mit dem Grafen Wilczek erfahren hatte, wurde mir ein Brief der Schauspielerin an einen ihrer seinerzeit sehr prominenten Kollegen zugespielt.
»Du! Du! Lieb, fürchterlich lieb hab ich Dich!« Diese Worte schrieb die Schratt in jenen Tagen, da sie vom Kaiser fast täglich besucht wurde. Aber sie waren nicht an ihn gerichtet, sondern an den Schauspieler Viktor Kutschera. Der Brief wurde am Silvesterabend des Jahres 1903 verfasst – und sein Inhalt lässt kein Missverständnis zu: »Heute in den letzten Stunden des alten Jahres danke ich dem lieben Gott«, schreibt die Schratt an Kutschera, »dass er uns zusammengeführt hat – und morgen in der Kirche bete und bitte ich, dass wir immer beisammen bleiben dürfen.«
Viktor Kutscheras Enkel, der in Wien lebende Bankdirektor i. R. Carl-Ludwig Kutschera, hat mir das fünf Seiten lange Schreiben der Schratt anvertraut. »In meiner Familie«, sagt er, »war die Beziehung meines Großvaters zu Katharina Schratt bekannt, aber wir haben die Details bisher für uns behalten, weil wir das für sehr privat hielten. Nun bin ich 80 Jahre alt und habe mir überlegt, dass es bei dieser Beziehung doch nicht nur um das Privatleben der Frau Schratt geht, sondern auch um ein Stück österreichischer Geschichte, und daher stelle ich Ihnen den Brief zur Veröffentlichung zur Verfügung.«
Katharina Schratt und Viktor Kutschera standen 1903, als der verfängliche Brief geschrieben wurde, gemeinsam auf der Bühne des Wiener Volkstheaters. Sie als Maria Theresia in Franz von Schönthans gleichnamigem Lustspiel und er als ihr Ehemann, Franz Stephan von Lothringen.
Katharina Schratt und Viktor Kutschera kannten einander schon länger, waren gemeinsam am Burgtheater aufgetreten, doch weiß man nicht, ob es in früheren Zeiten zu einer Beziehung gekommen ist. Klarerweise war die Schratt auch jetzt nicht nur dem Kaiser untreu, sondern auch ihrem Mann, der nach wie vor im Ausland weilte. Und auch Viktor Kutschera war verheiratet und hatte zwei Kinder.
Wie sehr die Schratt den gut aussehenden Viktor Kutschera liebte, kann man sich ausmalen, wenn man auf Seite vier des Briefes über ihre Träumereien von einer gemeinsamen Zukunft erfährt: »Weißt Du, was ich am liebsten thun würde?«, fragt sie den Geliebten und liefert gleich die Antwort: »Alles, was mir gehört, Geld, Schmuck (sogar meine alten Sachen), Alles Deiner Frau schenken – sie soll nach Hietzing ziehen, soll auch Alles mitnehmen, was ihr gehört (Dich aber nicht) und ich komm zu Dir, das wäre das Richtige und Beste. – Die Vorstellung sagen wir gleich ab, aber keine andere annehmen. Ich sorg und arbeit dann nur für Dich. Bleib immer zu Haus und wart bis Du kommst.«
Der Schauspieler Viktor Kutschera sollte nach dem Wunsch der Schratt seine Frau verlassen.
Katharina Schratt, damals 50 Jahre alt, gibt sich wie eine Pubertierende, während der um zehn Jahre jüngere Viktor Kutschera etwas nüchterner zu agieren scheint. »Ich glaube, dass er in die Affäre mit der Schratt geschlittert ist«, vermutet sein Enkel heute, »aber er hätte niemals seine Frau und seine Kinder verlassen. Auch weiß man, dass die Schratt nicht sein einziger Seitensprung war. Er war ein sehr begehrter Mann.«
Viktor Kutschera, der Sohn eines Eisenbahningenieurs, der gemeinsam mit Carl Ritter von Ghega die Semmeringbahn erbaut hatte, war 1863 in Wien zur Welt gekommen und absolvierte wie damals üblich seine ersten Auftritte in der Provinz. Wieder in Wien, war er als jugendlicher Liebhaber und gefeierter Charakterschauspieler jahrzehntelang Star und Publikumsmagnet am Deutschen Volkstheater, in das er nach dreijährigem Zwischenspiel am Burgtheater zurückkehrte.
Der damals 73-jährige Kaiser erwartete in dieser Zeit jeden Tag den Besuch der »gnädigen Frau« oder ließ sich zu ihrer Villa fahren: in jene Villa in der Gloriettegasse, die sie von Franz Joseph als Geschenk erhalten hatte – und die sie jetzt Viktor Kutscheras Ehefrau überlassen wollte.
Die Affäre mit Viktor Kutschera fällt in eine für alle Beteiligten schwere Zeit. Der Kaiser hatte die schlimmsten Schicksalsschläge seines Lebens hinter sich: den Selbstmord seines Sohnes Rudolf in Mayerling und die Ermordung seiner Frau Elisabeth in Genf. Umso einsamer und depressiver zeigte er sich und umso wichtiger war ihm die Gesellschaft der geliebten Frau Schratt, mit der es gerade jetzt immer wieder zu Auseinandersetzungen kam, während der sie den Kaiser zu verlassen drohte. »Wie beneide ich die glücklichen Menschen, welche Sie sehen dürfen«, schreibt Franz Joseph, »während mir nur die Sehnsucht bleibt.«
Außerdem war der Premiere des Maria Theresia-Stücks, in der sie mit Viktor Kutschera am Volkstheater auftrat, ein riesiger Skandal gefolgt, weil man es als taktlos empfand, dass die Freundin des Kaisers eine Kaiserin spielte. Karl Kraus bezeichnete die Aufführung in der Zeitschrift Die Fackel als »Gipfel der Geschmacklosigkeit«, deren einzige Aufgabe es sei, »die leeren Kassen eines Geschäftstheaters zu füllen«.
Während die Namen Wilczeks und König Ferdinands in den Briefen des Kaisers an die Schratt immer wieder auftauchen, wird Viktor Kutschera kein einziges Mal erwähnt. Franz Joseph dürfte also von einer Freundschaft oder gar Beziehung nicht einmal etwas geahnt haben, während er in den beiden anderen Fällen immer wieder panisch reagierte. Katharina Schratts Affären mit Wilczek und Kutschera waren schon länger gerüchteweise bekannt, die schriftlichen Beweise bestätigten dies nun.
Es stellt sich die Frage, warum die Schratt von so vielen Männern, die in ihrem Metier herausragende Persönlichkeiten waren, begehrt wurde. Von ihr ging zweifellos als Frau und als Schauspielerin ein besonderer Zauber aus, der auch eine große erotische Anziehungskraft entwickelte. Was den Kaiser betrifft, der wie ein Gefangener in seinen Palästen lebte, kam hinzu, dass sie für ihn »das Fenster zur Welt« war, dass er nur durch sie erfahren konnte, wie die einfachen Leute dachten und fühlten.
Während Franz Joseph die Schratt geliebt hat, erwiderte sie seine Gefühle eher mit Sympathie und Zuneigung: die Schauspielerin und der Kaiser in Bad Ischl
Fest steht, dass sie eine berechnende Frau war, für die nur mächtige, prominente und wohlhabende Männer als Liebhaber infrage kamen. Am besten wurden diese Eigenschaften natürlich von Kaiser Franz Joseph erfüllt, dem sie allerdings von all ihren Verehrern am wenigsten Zuneigung schenkte. Doch auch ihre anderen Galane mussten erstrangige »Partien« sein; entsprach einer nicht mehr dieser Vorgabe, wurde er – wie ihr Ehemann Nikolaus von Kiss – schnell fallen gelassen.
Klar ist auch, dass sich die Schratt ihre Gunst, vor allem vom Kaiser, teuer bezahlen ließ. Dennoch muss man ihr zugutehalten, dass sie sehr wohl wusste, wo die Grenzen lagen: Als Franz Joseph 1916 starb, bekam sie Angebote amerikanischer Buch- und Zeitschriftenverlage, die ihr für die Veröffentlichung ihrer Erinnerungen an den mächtigsten Monarchen Europas mehrere Millionen Dollar boten. Sie aber lehnte alle Angebote ab und schwieg. Und das, obwohl sie damals schon in wesentlich bescheideneren Verhältnissen lebte und den Großteil ihres Schmucks hatte verkaufen müssen.
Die einst gefeierte und von außergewöhnlichen Männern umschwärmte k. u. k. Hofschauspielerin starb am 17. April 1940 im Alter von 87 Jahren vereinsamt in Wien. Sie hatte alle ihre Verehrer bis auf einen überlebt. Nur Ferdinand I., der im Oktober 1918 als König von Bulgarien abdanken musste, war noch am Leben. Er hatte sein Exil im fernen Coburg gefunden.
Aus »Katharina Schratt, Die heimliche Frau des Kaisers« (1982) und »Es war ganz anders, Geheimnisse der österreichischen Geschichte« (2013)
*Siehe Seiten 261–267