Читать книгу "Wie war es wirklich?" - Georg Markus - Страница 16

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Es war ein strahlender Sommertag, der förmlich danach schrie, ein erfrischendes Bad in einem unserer Salzkammergutseen zu nehmen. Ich hatte die erste Schwimmrunde gerade erfolgreich beendet und ließ mich in der brütend heißen Sonne trocknen, als ein form-vollendetes Wesen von atemberaubender Schönheit den Fluten des Sees entstieg. Die Frau war von so edlem Wuchs wie er im Allgemeinen nur Hollywoodstars zu eigen ist. Ich konnte das insofern beurteilen, als sie nicht einmal vom Hauch eines Bikinis bedeckt war, sie trat aus dem Wasser, wie Gott sie geschaffen hatte. Ich lief der Schönen entgegen, um ihr mein Badetuch über die Hüften zu stülpen und sie so vor den gierigen Blicken meiner am Strand liegenden Geschlechtsgenossen zu schützen. Es ist hinlänglich bekannt, dass mein Verhalten in solchen Situationen dem eines wahren Kavaliers entspricht.

Das mit Worten kaum zu beschreibende Geschöpf dankte mir mit schamhaft gesenktem Blick und wunderte sich gleichzeitig über mein Bestreben, seine Blöße bedecken zu wollen. »Andere Männer«, meinte sie, »geraten immer gleich in Ekstase, wenn sie mich sehen.«

»Ekstase, Ekstase …«, schoss es mir durch den Kopf, »den Titel kenne ich doch.« Ebenso wie die ganze Szene, die mir gerade widerfahren war. Ist sie’s wirklich, steht der Traum mehrerer Generationen direkt neben mir?

»Ich bin Hedy Lamarr«, bestätigte die Grazie meinen Verdacht und reichte mir ihre zarte Hand, wobei das mühsam umgeschlungene Badetuch abzugleiten und ihre ganze Pracht noch einmal sichtbar zu werden drohte.

»Nehmen wir einen Drink«, schlug ich vor, als Frau Lamarrs Aufmachung endlich wieder der an öffentlichen Badestränden erforderlichen Kleiderordnung entsprach, und fasste sie vorsichtig unterm Arm. Wir schwebten die paar Meter hinüber zum Strandcafé, setzten uns und bestellten Himbeerfrappee.

Da saß sie also: Hedy Lamarr, mit bürgerlichem Namen Hedwig Kiesler, die man einst die schönste Frau der Welt nannte. Und das, wie ich jetzt aus allernächster Nähe feststellen konnte, mit vollem Recht.

»Sie werden sich wundern, dass ich wie in Ekstase nackt aus dem Wasser stieg«, nahm Hedy die Konversation auf. »Ich mache das, weil ich mit dieser Szene im Film noch immer nicht ganz zufrieden bin und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Neue versuche. So lange bis sie perfekt ist.«

»Also, ich fand die Szene wunderbar«, schmeichelte ich und fügte gleich die Frage an, wie es ihr als Wiener Mädel gelungen sei, zur begehrtesten Frau der Welt zu werden.

»Mein Leben«, antwortete sie, »war eine einzige Hochschaubahn. In der ersten Halbzeit ging’s steil bergauf, in der zweiten steil bergab. Jedenfalls stand in all den Zeitungsartikeln, die über mich geschrieben wurden, immer nur die halbe Wahrheit.«

»Dann erzählen Sie mir doch die ganze«, beschwor ich sie, »meine Leser lechzen danach.«

»Sie wollen die ganze Wahrheit hören?« Hedy Lamarr nahm einen Schluck vom Himbeerfrappee und plauderte einfach drauflos. »Also, ich wuchs recht bürgerlich in Pötzleinsdorf am Stadtrand von Wien auf, mein Vater war Bankdirektor, meine Mutter Pianistin. Irgendwie bekam ich einen Job als Scriptgirl, ich gefiel dem Regisseur, und er engagierte mich als Hauptdarstellerin für seinen nächsten Film. Und der hieß Ekstase

»Es war ganz schön gewagt, diese Rolle anzunehmen«, gab ich zu bedenken. »Keine Schauspielerin vor Ihnen hatte sich je splitternackt auf der Leinwand gezeigt.«

»Dafür konnte ich nichts«, schwor die Lamarr Stein und Bein. »Die Badeszene war bereits fertig gedreht, ganz züchtig im Badekostüm, als der Kameramann das Teleobjektiv auf mich richtete und ohne mein Wissen weiterfilmte. Unglücklicherweise hatte ich gerade mein Oberteil abgestreift, und genau diese Szene kam dann ins Kino.«

»So ein Pech! Aber dafür wurden Sie ein Star!«

»Ich stand im Mittelpunkt eines Skandals, Wien sprach von nichts anderem als von meinem Auftritt. Kinobesitzer, die Ekstase zeigten, mussten sich wegen des Schmutz-und-Schund-Paragrafen vor Gericht verantworten.«

»Und das Publikum?«

»Reagierte unterschiedlich. Das begann bei wüsten Beschimpfungen und ging bis zu Heiratsanträgen. Einer kam von Fritz Mandl, dem Präsidenten der Hirtenberger Patronenfabrik, einem der reichsten Männer Österreichs. Er hatte sich im Kino in mich verliebt, und ich mit meinen 19 Jahren war naiv genug, Ja zu sagen.«

»Naiv? Sie wurden über Nacht Millionärin.«

»Aber um welchen Preis! Mein Mann untersagte mir, je wieder einen Film zu drehen und kaufte alle Ekstase-Kopien auf, damit mich kein anderer je wieder nackt sehen konnte. Seine krankhafte Eifersucht ging soweit, dass er mich in seinem Jagdschloss Schwarzau bei Wiener Neustadt wie eine Gefangene hielt.«

»Was taten Sie in dieser Situation?«

»Drei Jahre hielt ich durch, dann floh ich aus meinem goldenen Käfig, kaufte mir eine Schiffspassage und fuhr nach Amerika. Und was glauben Sie, wen ich an Deck kennen lernte?«

»Keine Ahnung!«

»Es war Louis B. Mayer, der mächtige Hollywoodtycoon, und er gab mir noch während der Überfahrt einen Zehnjahresvertrag.«

»Damit war der Grundstein zu Ihrem Weltruhm gelegt?«

»Oh ja, Metro Goldwyn Mayer hatte eine hervorragende PR-Abteilung. Aus Hedwig Kiesler wurde Hedy Lamarr, und in allen Zeitungen konnte man vom ›most beautiful girl in the world‹ lesen. Ich drehte 24 Filme, in denen ich Spencer Tracy, James Stewart, Clark Gable und Robert Taylor verführen durfte.« Die Lamarr kam mir mit ihrem Luxuskörper gefährlich nahe und flüsterte in mein Ohr: »Und, glauben Sie mir, einige von ihnen nicht nur im Studio.«

Mein Gott, all die Männer und diese prachtvolle Frau! Langsam begann ich Herrn Mandls Eifersucht zu verstehen.

Im Strandcafé war inzwischen der Teufel los. Sämtliche Badegäste, männliche wie weibliche, hatten ihre Pritschen und Liegestühle verlassen, um die Betörende aus nächster Nähe betrachten zu können. Die meisten Herren waren vor Neid erblasst, weil ich so lange neben ihr sitzen durfte, andere taten so, als schauten sie desinteressiert durch die Lamarr hindurch. Doch mir konnte keiner was vormachen, ich erkannte jeden der gierigen Blicke ganz genau.

Unabhängig davon, schritt ich in meiner Befragung fort, weil ich unbedingt noch wissen wollte, wie sich unsereins das Leben eines Hollywoodstars vorstellen könne.

»Es ist wie im Traum«, sagte sie. »Ich verdiente Unmengen, wohnte in einer Prachtvilla, gleich neben der von Frank Sinatra, ging auf Partys, hatte jede Menge Affären und genoss mein Leben in vollen Zügen.«

»Klingt toll«, rief ich aus.

»Ja, aber dann unterlief mir leider ein fataler Fehler.«

»Und zwar?«

»Als ich 1941 das Angebot erhielt, die Rolle der Ilsa Laszlo in Casablanca zu übernehmen, hätte meine Karriere eine völlig neue Dimension bekommen können: von der Sexgöttin zur Charakterschauspielerin. Doch ich lehnte ab! Fragen Sie mich nicht, warum. Ich hatte die Chance meines Lebens vertan.«

»Unfassbar!«

»Andere handelten genauso blöd. Den Rick in Casablanca sollte Ronald Reagan spielen, der diese Rolle ebenso zurückwies, worauf sie Humphrey Bogart bekam. Damit war Ronald Reagan erledigt.«

»Er hat’s dann aber auf andere Weise geschafft«, merkte ich an.

»Er schon, aber ich musste mit ansehen, wie Ingrid Bergman mit meiner Rolle zum Kultstar wurde. Und wie es mit mir bergab ging.«

»Wie verkrafteten Sie das?«

»Gar nicht, es war nicht zu verkraften. So großzügig die Leute in Hollywood sein können, wenn sie dich brauchen, so brutal lassen sie dich wieder fallen, wenn’s vorbei ist.«

»Man gab Ihnen keine Chance mehr?«

»Ein Sexsymbol darf nicht altern. Hedy Lamarr war nur noch Geschichte.«

»Was taten Sie in dieser Situation?«

»Ich beschäftigte mich mit der Entwicklung funkgesteuerter Torpedos.«

»Womit, bitte sehr?«

»Ich hatte mich in der Zeit meiner Gefangenschaft in Schloss Schwarzau für Waffen- und Munitionstechnik interessiert. Das war die einzige Lektüre, die mir mein Mann gestattete, alles andere hatte er weggesperrt. Als nun Hitler an die Macht kam, erinnerte ich mich, dass die Zielgenauigkeit von Torpedos – egal ob zu Wasser, zu Lande oder aus der Luft – üblicherweise sehr gering war. Da experimentierte ich so lange herum, bis ich eine neue Funksteuerung entwickelt hatte, die wesentlich präziser war als alle bisherigen. Ich ließ sie im Patentamt der Vereinigten Staaten registrieren und hoffte, dass sie im Kampf gegen die Nationalsozialisten eingesetzt würde. Das ging sich leider nicht mehr aus, aber dafür machte meine Erfindung Jahrzehnte später auf ganz andere Weise Furore.«

»Wie denn?«

»Sie ermöglicht den störungsfreien Betrieb von Schnurlos- und Handytelefonen, weiters lieferte ich die Basis zur Entwicklung von GPS-Systemen und ferngesteuerten Präzisionsbomben, wie sie im Irakkrieg zum Einsatz kamen.«

»Frau Lamarr, ich bin fassungslos. Ihre Patente müssen Sie steinreich gemacht haben.«

»Mir blieb kein Cent. Die Rechte waren, als meine Forschungsergebnisse umgesetzt wurden, abgelaufen. Hätte ich die Lizenzgebühren erhalten, wäre ich die reichste Frau der Welt.«

»Was kann ich über Ihr Privatleben schreiben?«

»Vergessen Sie’s. Keine meiner sechs Ehen hielt länger als ein, zwei Jahre. Ich hatte mich nicht nur für die falschen Filme entschieden, sondern auch für die falschen Männer. Aber es sollte noch schlimmer kommen.« Hedy Lamarr biss sich auf ihre vollen Lippen, um nicht weitersprechen zu müssen.

Inzwischen tauchten vor meinem geistigen Auge die Schlagzeilen auf, die einst durch die Weltpresse gingen: »Hollywoodstar als Ladendiebin.«

»Zweimal wurde ich erwischt«, erzählte sie. »Ich ließ ein paar Scheiben Toastbrot, Wurst, Käse und irgendwelche Alkoholika mitgehen.«

»Wie konnte das passieren?«

»Ich fand, die Menschheit wäre mir das schuldig. Aber letztlich ist mein ganzes Leben ein Fluch der Schönheit.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ja, Schönheit ist ein Fluch! Und das ist die andere Hälfte der Wahrheit, von der ich sprach. Die Hälfte, über die keiner schreibt! Eine schöne Frau wird durch jede Falte, jedes graue Haar, jedes Fettpölsterchen in den Wahnsinn getrieben. Ich schluckte Tabletten, Whisky und was es sonst noch gibt, verließ mein Haus nicht mehr, weil mich das Publikum so in Erinnerung behalten sollte, wie es mich in Ekstase gesehen hatte. Und wurde auf diese Weise der einsamste Mensch der Welt. Alles, was mir blieb, waren meine Erinnerungen.«

»Wenn Sie Ihr Leben Revue passieren lassen – was war die schönste Zeit?«

Hedy Lamarr musste keine Sekunde nachdenken. »Die Jahre bei meinen Eltern in Pötzleinsdorf. Da war ich nicht berühmt, nicht reich, nicht begehrt, nicht nackt. Dafür aber ein glücklicher Mensch.«

Der Abend zog ins Land, die Sonne über dem Salzkammergut senkte sich. Hedy Lamarr legte ihr Badetuch ab und entschwand, wie sie gekommen war.



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