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Erotisches Erdbeben gesucht Die Dietrich wird im Berliner Adlon entdeckt
ОглавлениеIm Herbst 1929 betritt der trinkfreudige Schauspieler Emil Jannings das noble Hotel Adlon in Berlin. Er ist eben aus Hollywood zurückgekehrt, wo man ihm den ersten Oscar als bestem Hauptdarsteller in der Geschichte der Academy Awards verliehen hat. Doch Jannings zeigt sich missmutig, als er mit Riesenschritten durchs Adlon stapft, benimmt sich dem Personal gegenüber mürrisch und lässt in der Bar selbst an dem sonst so geliebten Pilsner Bier kein gutes Haar. Louis Adlon wird verständigt und nähert sich dem Jannings-Tisch. Nach kurzem Smalltalk erkundigt sich der Hotelchef nach dem Planungsstand des neuen Jannings-Films, über dessen Vorbereitungen man bereits in den Zeitungen lesen konnte. Er soll Der blaue Engel heißen und nach dem Stück Professor Unrat von Heinrich Mann gedreht werden.
Emil Jannings (1884–1950), deutscher Schauspieler und Oscar-Preisträger
»Verteufelte Sache!«, flucht Jannings und gibt den Grund seiner schlechten Stimmung preis. »Es ist mein erster Tonfilm, und ich bin ganz verzweifelt. Ich bin längst soweit, dass wir mit dem Drehen anfangen könnten, aber immer noch fehlt die Hauptsache.«
Die passende Frau fehlt noch
»Die Hauptsache?«, fragt Louis Adlon.
»Ja, die Hauptsache – die passende Frau. Zwanzig haben wir in den letzten Wochen angeschaut, aber keine war darunter. Da muss eine her, die mich abgebrühten Burschen aus der Ruhe bringt. Ein erotisches Erdbeben muss es sein!« Diese Frau sollte es mit betörender Sinnlichkeit schaffen, dass er als stocksteifer Gymnasialprofessor sich in sie verliebt und an ihr zugrunde geht.
Marlene Dietrich (1901–1992), deutsche Schauspielerin, machte Karriere als Hollywood- und Stilikone
Louis Adlon und seine Frau Hedda hatten die noch unbekannte Schauspielerin Marie Magdalena von Losch, die sich Marlene Dietrich nannte, auf der Bühne gesehen: vor ein paar Tagen erst an der Seite von Hans Albers im Berliner Theater in dem Musikstück Zwei Krawatten und davor durch Zufall – weil ein Gast in letzter Minute zwei Karten zurückgegeben hatte – im Staatlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in der Komödie Duell am Lido, in der die kühle Schönheit in der Rolle der koketten Lu nicht viel zu sagen, aber umso mehr zu zeigen hatte. »Sie war mondän und dekadent«, schreibt Hedda Adlon in ihren Lebenserinnerungen, »ein Mädchen vom Typ Vamp. Sie trug ein Monokel, rauchte Zigaretten, war sehr verführerisch und gefährlich. Was sie spielte, musste sie mit der Mimik ihres Gesichtes, den Gesten ihrer schönen, ausdrucksvollen Hände und den Bewegungen ihrer ebenso ausdrucksvollen Beine sagen.«
Als Louis Adlon nun dem übel gelaunten Emil Jannings in seiner Hotelbar gegenübersteht, rät er ihm, sich die noch laufende Revue Zwei Krawatten anzusehen, um sich ein Bild von dieser jungen Schauspielerin zu machen. Jannings besucht eine Vorstellung und kauft sich noch in der Pause eine neue Karte für den nächsten Tag. Nach seinem zweiten Besuch fordert er Regisseur Josef von Sternberg und den Produzenten Erich Pommer auf, ihn ins Berliner Theater zu begleiten.
Emil Jannings wurde im Berliner Hotel Adlon auf Marlene Dietrichs Talent aufmerksam gemacht.
»Wenn ich sie sprechen höre, zittern meine Nerven«, sagt Jannings zu den beiden alles entscheidenden Männern hinter der Kamera. »Sie hat ein unbeschreibliches Timbre in der Stimme – rau, aber dabei zärtlich.«
Mit Sternberg und Pommer sieht sich Jannings die Zwei Krawatten zum dritten Mal an – und an diesem Abend fällt die Entscheidung für die Hauptdarstellerin im Jahrhundertfilm Der blaue Engel. Emil Jannings hat in der 28-jährigen Marlene Dietrich seine Partnerin gefunden.
Das Adlon war, als Jannings dort auf Marlene Dietrich aufmerksam gemacht wurde, etwas mehr als zwanzig Jahre alt. Kaiser Wilhelm II. hatte das Hotel am 23. Oktober 1907 persönlich eröffnet, und seiner Protektion war es auch zu danken, dass das Nobeldomizil neben dem Brandenburger Tor überhaupt entstehen konnte, denn an der Adresse Unter den Linden 77 am Pariser Platz hatte sich davor das Palais Redern befunden, dessen Abbruch der Monarch genehmigte, obwohl es unter Denkmalschutz stand.
Lorenz Adlon (1849–1921), deutscher Gastronom, Gründer des Berliner Adlon Hotels
Hotelgründer Lorenz Adlon hatte sein Berufsleben als Tischler in Mainz begonnen und danach mehrere Kaffeehäuser, unter anderem im Zoologischen Garten, aufgebaut. Für den 350-Zimmer-Palast, dem er seinen Namen gab, hatte sich der Kaufmann mit zwanzig Millionen Goldmark* verschuldet. Das riskante Abenteuer hätte für Lorenz Adlon ganz anders ausgehen können, aber er war ein vollendeter Gastgeber und genialer Geschäftsmann. Die Ballsäle, Restaurants und Salons des Adlon waren prunkvoll, die Zimmer gleich venezianischen Palazzi mit erlesenen Kunstgegenständen ausgestattet und jedes einzelne verfügte – eine Attraktion in der damaligen Zeit – über Elektrizität und Bäder mit fließendem Warmwasser. Selbst der Kaiser war entzückt, denn solchen Luxus kannte er nicht einmal in seiner eigenen Residenz, dem Neuen Palais, in dem die Gäste winters frieren mussten.
Kaiser Wilhelm und die schöne Tänzerin
Die Atmosphäre, die nach dem Vorbild amerikanischer Luxushotels geschaffen wurde, war aber nur ein Grund, warum Wilhelm II. immer wieder im Adlon auftauchte. Der andere waren des Kaisers Affären, am bekanntesten wohl die mit der Tänzerin Caroline »La Bella« Otéro, die als Mätresse einem halben Dutzend gekrönter Häupter zuleibe rückte. Wann immer die rassige Spanierin nach Berlin kam, stieg sie mit 38 Koffern im Adlon ab und führte einen Papagei, zwei Möpse und ein Perlhuhn mit sich. Wilhelm pflegte sie im Goethe-Garten des Hotels zu erwarten, ehe man sich in die vornehmen Kemenaten zum Tête-à-tête zurückzog.
Damals wie heute Treffpunkt der Berliner Gesellschaft: die Bar des Adlon
Lorenz Adlon hatte es in seinem Hotel an nichts fehlen lassen, das von Anfang an für die Hautevolee bestimmt war. Und sie kam auch: Thomas Alva Edison, Henry Ford und John D. Rockefeller, Albert Einstein, Thomas Mann – der hier seinen Nobelpreis feierte –, Gerhart Hauptmann, Josephine Baker und Greta Garbo. Startenor Enrico Caruso misstraute der exquisiten Adlon-Küche und brachte einen eigenen Koch mit und Charlie Chaplin verlor im Adlon die Hosen, weil ihm seine Verehrer – um irgendein Souvenir vom »Tramp« zu ergattern – vor dem Hotel die Knöpfe abrissen.
Ein vereiteltes Attentat auf den Zaren
Im Mai 1913 nahm der russische Zar Nikolaus II. im Adlon Quartier – und wurde beinahe zum Opfer eines Attentats. Tatsächlich befand sich bei seiner Ankunft eine Bombe im Hotel, die die Berliner Polizei jedoch rechtzeitig entschärfen konnte. Später stellte sich heraus, dass der Anschlag von russischen Anarchisten geplant war und mit dem stellvertretenden Adlon-Direktor Jansen als Verbindungsmann durchgeführt werden sollte. Dieser hatte sich wegen hoher Spielschulden zu seiner Mitwirkung an dem Mordversuch hinreißen lassen. Der Direktor entging seiner Verhaftung, indem er sich in seinem Büro im Adlon eine Kugel in den Kopf schoss. Der Zar überlebte den Besuch im Adlon unbeschadet. Und sollte fünf Jahre später mit seiner Familie in Jekaterinburg hingerichtet werden.
Nach dem Tod des Hotelgründers Lorenz Adlon im Jahr 1921 trat sein Sohn Louis das Erbe an. In jenen Tagen, die als »Wilde Zwanzigerjahre« Geschichte schrieben und in denen das Adlon Schauplatz großer Bälle, rauschender Feste und internationaler Skandale war und den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens von Berlin bildete.
Die Dietrich in der Hotelbar
Auch Marlene Dietrich, die mit ihrer Mutter nur wenige Schritte vom Adlon entfernt wohnte, wurde in dieser Zeit immer wieder in der Hotelbar gesichtet, mal mit, mal ohne Herrenbegleitung. Laut Hedda Adlons Erinnerungen war sie »sehr energisch, sehr zielbewusst, wusste genau, was sie wollte. Und sie wusste auch, was sie essen wollte und durfte. Stets äußerte sie spezielle Diätwünsche, und so schwierig die Wünsche auch oft zu erfüllen waren – Marlene Dietrich erhielt immer, was sie bestellte. Ihrer Figur zuliebe aß sie nur fettlos-naturell, und nur Gegrilltes kam auf ihren Teller.«
Ihr Hotel war der gesellschaftliche Mittelpunkt von Berlin: Vater Lorenz und Sohn Louis Adlon (re.)
»Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«
Das im Adlon initiierte Zusammenspiel von Jannings als Professor Immanuel Rath und der Dietrich als kesse Vorstadtsoubrette Lola im Blauen Engel wird zum Ereignis und Dietrichs Song »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt« zu jenem »erotischen Erdbeben«, das der Hauptdarsteller sich erträumt hatte. Aus Dankbarkeit, dass die Filmcrew im Adlon auf die Talente der Dietrich aufmerksam gemacht wurde, baute Josef von Sternberg eine in diesem Hotel angesiedelte, zentrale Szene in die Filmhandlung ein:
LOLA (streckt zur Entspannung die Arme in die Luft): Na, Professorchen, bist du auch so erledigt wie ich? Was hältste denn von ner schönen Tasse Kaffee im Hotel Adlon?
PROFESSOR RATH (müde gähnend): Ich gestehe ganz offen, dass ich einer kleinen Erfrischung nicht abgeneigt wäre, Fräulein. Aber unter uns, meinst du denn, die Herrschaften dort werden unsere Anwesenheit billigen? Ich meine, ich bin momentan nicht gerade in meinem Sonntagsstaat, und dein Aufzug … (zeigt auf ihre einfachen Kleider, die den Eindruck machen, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen) … bitte verzeih meine Offenheit … ist einem ehrenwerten Etablissement wie dem Hotel Adlon auch nicht gerade angemessen, wenn ich mal so sagen darf …
Die kesse Lola und ihr Professor im Adlon
Das ungleiche Paar geht dennoch ins Adlon, Professor Rath betritt das Hotel über den roten Teppich und lässt die bombastische Architektur auf sich wirken. In der edel eingerichteten Lobby muss er sich zunächst orientieren, sie nehmen in der Bar Platz, wo Lola aufreizend an einem bunten Cocktail nippt. Sie springt vom Stuhl und stimmt das Lied »Ja, das haben die Mädchen so gerne« an, während sie den Professor lasziv umschmeichelt. Er kann seine Augen kaum von ihr losreißen und sein Blick ist von seliger Schwärmerei getrübt. Als ihr Lied zu Ende ist, muss er sich erst einmal besinnen, bevor er das Wort erneut an sie richten kann …
»Ein erotisches Erdbeben«, aufgespürt im Hotel Adlon: Marlene Dietrich als Lola in dem Film Der blaue Engel
In der Zeit des Nationalsozialismus verlor das neben dem Brandenburger Tor gelegene Adlon an Bedeutung, vor allem, weil die amerikanischen und die anderen internationalen Gäste ausblieben. Während Hitler das Adlon wegen der einst dort verkehrenden »Ausländer« mied, ließ sich Propagandaminister Goebbels gerne in den Salons mit Stars und Starlets fotografieren.
Dass das Hotel in den letzten Kriegstagen aus ungeklärter Ursache bis auf die Grundmauern abbrannte, sollte Louis Adlon nicht mehr erleben. Er wurde von der Roten Armee festgenommen und starb nach seiner Freilassung auf dem Nachhauseweg im Alter von siebzig Jahren.
In Zeiten der DDR befand sich das Adlon-Grundstück im Mauer-Sperrgebiet, 1984 trug man die letzten Reste der Ruine ab. Nach dem Fall der Mauer wurde das Hotel in Anlehnung an die Architektur des Originalgebäudes neu aufgebaut und am 23. August 1997 als Adlon Kempinski wiedereröffnet. Es zählt heute wie zu Kaisers Zeiten zu Berlins ersten Adressen. Zuletzt in die Schlagzeilen gelangte es, als Michael Jackson am 19. November 2002 seinen neun Monate alten Sohn Prince Michael II. aus dem Fenster im fünften Stock baumeln ließ, wobei den Fans vor dem Hotel der Atem stockte, weil dem Superstar das Kind beinahe entglitten wäre.
1997 wird das Adlon feierlich wiedereröffnet
Da halte ich mich lieber an die kesse Lola, die den alten Professor Rath verführte und damit Filmgeschichte schrieb: »Was hältste denn von ner schönen Tasse Kaffee im Hotel Adlon?«
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*Entspricht im Jahr 2016 einem Betrag von rund 100 Millionen Euro.