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Yves Montand trifft Simone Signoret … … in der Colombe d’Or in Saint-Paul-de-Vence

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Mit Curd Jürgens in der Colombe d’Or

Ich hatte noch das Glück, gemeinsam mit Curd Jürgens und seiner Frau Margie die Colombe d’Or zu besuchen. Man servierte Fischsuppe, Crudités, Garnelen mit provenzalischem Gemüse, Seebrasse gegrillt, Apfelkuchen mit Himbeeren und dazu feinsten Roséwein. La Colombe d’Or war vordergründig Jürgens’ Lieblingslokal, weil er in dem von Pinien, Palmen und mittelalterlichen Mauern umgebenen Hundertseelendorf Saint-Paul-de-Vence bei Nizza sein feudales Domizil nahe der Côte d’Azur hatte. Doch in Wirklichkeit hätte er dieses weltberühmte Restaurant mit angeschlossenem Hotelbetrieb auch ohne festen Wohnsitz in der Provence geliebt, denn La Colombe d’Or ist ein ganz außergewöhnliches Einkehrhaus, mit dem kein anderes den Vergleich hält.

Curd Jürgens war nur einer von vielen Großen, die einem in der Colombe d’Or über den Weg liefen. Ich selbst sah an den Nachbartischen im Zaubergarten, im Restaurant und auf dem Boule-Spielplatz vor dem Hotel keine Geringeren als Lino Ventura, Roger Moore und Yves Montand. Und sie alle kamen an unseren Tisch, um Curd Jürgens zu begrüßen. Ein Anziehungspunkt der Sonderklasse war das Restaurant viel früher schon für die dort ein und ausgehenden Maler Picasso, Matisse, Chagall, Miró und Fernand Léger, angeblich weil sie Konsumation und Nächtigung mit Bildern begleichen konnten – die heute noch an den Wänden der Auberge hängen.


Vom ersten Tag an ein Künstlerlokal: das Hotelrestaurant La Colombe d’Or in Saint-Paul-de-Vence

La Colombe d’Or (Die goldene Taube) wurde 1931 eröffnet und war vom ersten Tag an ein Künstlerlokal, weil sein Gründer Paul Roux ein Bewunderer zeitgenössischer Malerei war. Die Maler wiederum zogen Dichter wie Jacques Prévert, Sartre und Simone de Beauvoir an, die Dichter brachten Schauspieler mit – wie Roger Moore, der Tony Curtis in den hoteleigenen Pool warf, und Anouk Aimée, die mit Pierre Barough an- und mit Albert Finney abreiste. Weiters gelandet in der Colombe d’Or: Orson Welles, Charlie Chaplin, David Niven, Brigitte Bardot, Jean-Paul Belmondo, Romy Schneider und Alain Delon. Und der Regisseur Yves Allégret brachte seine Frau Simone Signoret mit. Doch das hätte er besser nicht getan.

Yves Montand (1921–1991), französischer Chansonnier und Schauspieler italienischer Herkunft

Denn die verliebte sich hier Hals über Kopf in einen anderen Yves, den 28-jährigen Yves Montand. Der hielt am 19. August 1949 in seinem Zimmer in der Colombe d’Or sein Mittagsschläfchen, setzte sich danach ans Klavier im Speisesaal und sang ein Chanson des zufällig anwesenden Jacques Prévert. »Während ich sang, schaute ich diese Frau an und spürte, dass ich ihr nicht gleichgültig war«, schreibt Montand in seinen Memoiren. Er kannte den Namen und das Gesicht der gleichaltrigen Schauspielerin von den Titelseiten der Illustrierten, hatte aber noch nie einen Film mit Simone Signoret gesehen.

Yves Montand beendete sein Chanson. »Dann reden alle durcheinander. Ich tausche mit Simone Signoret Banalitäten aus, trete ein in jenes scheinbar ungezwungene Spiel, bei dem die Blicke sich nicht treffen wollen, bei dem jene Verwirrung aufkommt, die von irgendwoher rührt, man weiß nicht von wo. Jene Verwirrung, die sich aus der Verwirrung des anderen speist.«

Simone Signoret (1921–1985), französische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin

Am nächsten Tag nimmt Yves Montand in der Colombe d’Or sein Mittagessen ein. Simone Signoret und einige Freunde sitzen auf der Terrasse, genießen wie er die mediterrane Küche. Die Mahlzeit ist beendet, die Freunde gehen, Yves Montand und Simone Signoret bleiben sitzen. »Wir trinken Weißwein, wir schauen uns an, setzen das Gespräch vom Vorabend, das keines war, fort. Ich fasse ganz mechanisch nach ihrem Handgelenk.«


Kennenlernen in der Colombe d’Or: Ausnahme-Künstlerpaar Simone Signoret, Yves Montand

»Sie haben zarte Gelenke«, sagt der für seinen unbezwingbaren Charme berühmte Sänger und spätere Filmstar.

»Sie hat gelächelt, ein paar Worte gestammelt, die ich nicht verstanden habe. Sie trinkt ihren Kaffee, ich zünde mir eine Zigarette an. Es ist zwei Uhr vorbei. Da räuspere ich mich und muss ihr erklären: ›Simone‹ (zum ersten Mal nenne ich sie Simone), ›es tut mir furchtbar leid, aber ich trete heute Abend im Freilichttheater in Nizza auf. Ich muss mich wenigstens eine halbe Stunde hinlegen.‹

›Sie können sich bei mir hinlegen, wenn Sie wollen. Ich habe ein kleines Haus im Dorf.‹«

»Wir haben Siesta gemacht«

»Wie immer«, schreibt Yves Montand weiter, »ist es die Frau, die die Initiative ergriffen hat, und wie immer bin ich davon überrascht. – Simones tiefes Schamempfinden habe ich erst später entdeckt. Wir haben das Haus besichtigt, das ich sehr angenehm fand. Wir haben Siesta gemacht und uns von da an nicht mehr getrennt. Simone kam mit nach Nizza, um mich zu hören, und ich habe sie wieder zurück begleitet. Die ganze Colombe war eingeweiht, jeder hatte gesehen, wie sie aus dem Anbau (in dem Yves Montands Hotelzimmer lag, Anm.) kam.«

Ein aufgehender Stern in der französischen Musikszene

Dass er von Simone Signorets Initiative überrascht war, zeugt von falscher Bescheidenheit, war er als Chansonnier doch längst ein aufgehender Stern in der französischen Musikszene. Mädchen erlagen dem verführerischen Lächeln des als Ivo Livi geborenen, aus kleinen Verhältnissen stammenden Italieners und wurden bei seinen Auftritten reihenweise ohnmächtig. Und er verzauberte das Bürgertum, bei dem er – trotz offen ausgesprochener Nähe zu den Kommunisten* – in der Publikumsgunst ganz oben stand. Simone Signoret war, als sie einander kennenlernten, bereits ein gefragter Filmstar – und auch sie stand politisch so weit links, dass sie zeitweise mit einem Einreiseverbot in die USA belegt wurde.

Eine Ohrfeige für Simone Signoret

Yves Montands Affäre mit Edith Piaf war zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, aber Simone Signoret hatte große Sorge bei dem Gedanken an das Leid, das ihr Mann empfinden würde. »Damit Yves Allégret, den sie zärtlich liebte, nicht in eine Schmierenkomödie hineintappte, ist sie ihm entgegengefahren«, schreibt Yves Montand, »und sie hat ihm alles gestanden. In der ersten Gefühlsaufwallung hat er ihr ein paar kräftige Ohrfeigen verabreicht, dann aber hat er sich außergewöhnlich fein benommen.«

Hochzeit in Saint-Paul-de-Vence

Yves Montand setzt seine Tournee durch die Badeorte an der Côte d’Azur fort. »Die Arbeit geht wieder los. Sie ist noch immer da. Ich spüre sie hinter mir. Spät in der Nacht ruft sie mich an, redet zu mir, mit all der Leidenschaft, deren sie fähig ist, und ich schmelze natürlich hin, ich bin glücklich. Wieder in Paris, musste ich mir eingestehen, wie verliebt ich war. So etwas suchst du nicht selbst, das trifft dich mitten ins Herz.«

Am 22. Dezember 1951 wird in kleinstem Rahmen geheiratet. Natürlich in Saint-Paul-de-Vence, wo alles begonnen hat. Jacques Prévert und Paul Roux sind die Trauzeugen, Picasso schickt Glückwünsche und eine Zeichnung. Und die Hochzeitsfeier findet naheliegenderweise in der Colombe d’Or statt.

Plötzlich waren die wertvollen Bilder weg

Das kleine Hotel mit seinen dreizehn Zimmern und zwölf Appartements ist heute in dritter Generation im Besitz der Familie Roux, die auch ein Stück französischer Kriminalgeschichte miterleben musste. Und zwar am 1. April 1960, als Francis Roux – der Sohn des Gründers und Vater des heutigen Patrons – frühmorgens in sein Lokal kam und wie angewurzelt stehen blieb. Fast alle Bilder waren weg. Mehrere Dutzend Picassos, Matisses, Mirós, Légers und wie sie alle hießen. An ihrer Stelle zeigte die Mauerfarbe weiße Flecken. Ein Verlust, der in die Millionen ging, den man aber letztlich nicht beziffern konnte: Die Colombe d’Or war für einen solchen Fall nicht gerüstet, weil ein solcher Fall nicht zu versichern war, man hätte die Prämie nicht zahlen können. Die Polizei kam, nahm alles auf, zählte die fehlenden Bilder, notierte die Namen der Maler, sicherte die Spuren. Und wechselte zum nächsten Tatort. Niemand konnte annehmen, dass dieses einzigartige Museum mit Schlaf-, Speise- und Getränkemöglichkeit je wieder in seiner alten Pracht erstehen würde.

»Mehr eine Entführung als ein Diebstahl«

Denn die Colombe d’Or ohne ihre Bilder, das war einfach nicht mehr die Colombe d’Or. Wie es kam, dass die Gemälde eines Tages doch wieder an ihrer Stelle hingen, bleibt ein Rätsel, das nie gelöst werden wird, obwohl die Zeitungen über den Diebstahl in dem südfranzösischen Hotelrestaurant weltweit berichteten. Als Helge Sobik, Reporter der deutschen Zeitung Die Welt viele Jahre später den heute aktuellen Hausherrn François Roux fragte, wie die Bilder wieder zurückgekehrt seien, deutete der nur an, dass es sich damals eher um eine Entführung als um einen Diebstahl gehandelt habe. »Die Täter wurden gefasst, die Beute kehrte zurück. Bei Entführungen hilft Lösegeld.« Auf weitere Fragen gab es keine Antworten, mehr ist beim besten Willen nicht zu erfahren.

Marc Chagall wohnt in der Nachbarschaft

Übrigens hatten die »Entführer« bei ihrem nächtlichen Einbruch einige wenige Bilder zurückgelassen, darunter eines von Chagall, das offenbar zu groß war, um durchs Fenster hinausgetragen zu werden. Als Marc Chagall, der in der Nachbarschaft wohnte, am nächsten Tag in die Colombe d’Or kam, warf er seine Arme in theatralischer Verzweiflung auseinander und protestierte: »Auch ich bin ein bedeutender Maler! Warum haben die nicht auch mein Bild gestohlen?«


»Warum haben die nicht auch mein Bild gestohlen?« Die aus der Colombe d’Or geraubten Kunstwerke hängen wieder an ihrem alten Platz – wie auch dieses Bild von Fernand Léger.

Der Tisch, an dem alles begonnen hat

Für Yves Montand und Simone Signoret war es die Liebe fürs Leben – trotz seiner Affären, die sie großmütig, jedoch mit trauerndem Herzen übersah, unter anderem die mit Marilyn Monroe während der gemeinsamen Dreharbeiten zu Machen wir’s in Liebe im Jahr 1959. Und doch: Wann immer das Ehepaar in das kleine Hotelrestaurant in Saint-Paul-de-Vence kam, ließ es sich an dem Tisch nieder, an dem es die ersten Worte miteinander gewechselt hatte.

Als die Signoret 1985 starb, blieb Montand Stammgast in der Colombe d’Or, setzte sich aber nie wieder an den Tisch, an dem alles begonnen hatte.

Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die in einem außergewöhnlichen Hotel ihren Anfang nahm.

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*Yves Montand beendete seine Sympathien für die Kommunistische Partei Frankreichs erst 1968, nach dem Einmarsch der Truppen der Warschauer Paktstaaten in Prag.

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