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Die falsche Spur ins Grand Hotel Mary Vetseras verbotene Treffen mit dem Kronprinzen

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Sie trafen einander zum ersten Mal im Frühjahr 1888 beim Pferderennen in der Wiener Freudenau. Von da an war die siebzehnjährige Baronesse Mary Vetsera dem dreißigjährigen Kronprinzen Rudolf verfallen. Sie wollte ihn unbedingt wiedersehen und näher kennenlernen. Behilflich war ihr dabei Marie Louise Gräfin Larisch – eine Nichte der Kaiserin Elisabeth, deren Wiener Wohnsitz im Grand Hotel am Kärntner Ring lag.

Die Gräfin lebte mit ihrem Ehemann Georg Larisch in Pardubitz in Böhmen, doch waren für sie, wann immer sie in Wien weilte, die Zimmer 21, 23 und 28 des Grand Hotels reserviert. Diese Räumlichkeiten sollten in der Tragödie von Mayerling eine bestimmende Rolle spielen.

Baronesse Mary Vetsera (1871–1889) ging mit Kronprinz Rudolf in den Tod

Als der Sommer vorbei war, hielt es Mary Vetsera nicht mehr aus, also schickte sie dem mit der belgischen Prinzessin Stephanie verheirateten Sohn des Kaisers in den ersten Septembertagen des Jahres 1888 einen schwärmerischen Brief, mit dem verwegenen Vorschlag, ihn persönlich treffen zu wollen. Der Kronprinz, für außertourliche Liebschaften immer zu haben, antwortete, dass auch er »das lebhafte Verlangen in sich trage«, mit ihr zu sprechen. Rudolf, der den Zusammenbruch Österreich-Ungarns infolge der starren politischen Haltung seines Vaters auf die Monarchie zukommen sah, der darüber hinaus an seiner unglücklichen Ehe, einer Geschlechtskrankheit und an Depressionen litt, hegte zu diesem Zeitpunkt den Gedanken, seinem Leben ein Ende zu setzen. Und er suchte seit längerem schon eine Partnerin für dieses Vorhaben. Die naive Baronesse Vetsera schien ihm das geeignete Opfer zu sein.

Kronprinz Rudolf (1858–1889), Sohn Kaiser Franz Josephs und Thronfolger

Glücklich über die Reaktion des Kronprinzen, bat Mary nun die mit ihrer Mutter befreundete Gräfin Larisch, sie beim geplanten Treffen als »Anstandsdame« zu begleiten. Nur so war es möglich, dass Mary sich von nun an regelmäßig mit dem Kronprinzen treffen konnte. Die Gräfin diente der verbotenen Liebe als über jeden Verdacht erhabener postillon d’amour. Marys Besuche bei Marie Larisch im Grand Hotel wurden zum Vorwand, das elterliche Anwesen verlassen zu können.

Wer sich längere Zeit in der Residenzstadt aufhielt

Das Grand Hotel war in jenen Tagen für Gäste gedacht, die sich mehrmals im Jahr und für längere Zeit in der Residenzstadt aufhielten. Für sie gab es in dem Prachtbau am Kärntner Ring 9 eigene Räumlichkeiten, in denen Gepäck und persönliche Gegenstände nach der Abreise hinterlegt werden konnten. Sobald die Wien-Besucher wiederkamen, wurden die persönlichen Habseligkeiten von ihren Dienern in die reservierten Zimmer gebracht. So ein Stammgast war die Gräfin Larisch, die aus familiären Gründen – und weil es ihr wohl in Pardubitz auf Dauer zu langweilig war – mehrmals im Jahr hier abstieg. Ihre Ehe mit dem Grafen Georg Larisch existierte längst nur noch auf dem Papier, dafür hatte sie zwei uneheliche Kinder, deren Vater pikanterweise Heinrich Baltazzi, der Onkel der Mary Vetsera, war.


Marie Gräfin Larisch hatte ein Appartement im Grand Hotel am Kärntner Ring.

Die Fenster der Zimmerflucht Marie Larischs im ersten Stock des Grand Hotels boten einen hervorragenden Blick in die Mahlerstraße, die damals noch Maximilianstraße hieß. Da Mary Vetsera und der Kronprinz – um nur ja nicht aufzufallen – bei den heiklen Treffs immer den Hintereingang benutzten und nie das prunkvolle Entree am Kärntner Ring, konnte Marie Larisch deren Kommen und Gehen genau beobachten.

Das erste Luxushotel an der Ringstraße

Das Grand Hotel war noch vor dem benachbarten Bristol und dem Imperial vom Hotelier Anton Schneider als erstes der drei Luxushotels an der Ringstraße eröffnet worden. Geplant von Karl Tietz, der mehr Häuser als jeder andere Architekt am Wiener Prachtboulevard gebaut hatte. Allein 1870, im Jahr vor der Eröffnung des Grand Hotels, hatte er 36 Ringstraßenbauten fertiggestellt. Die Folgen solchen Raubbaues an seiner Gesundheit blieben nicht aus: Tietz wurde nur wenige Monate danach in die Privatirrenanstalt Döbling eingeliefert, weil er an der fixen Idee litt, die ganze Ringstraße kaufen und aus eigenen Mitteln finanzieren zu müssen. Er starb nach vierjähriger Internierung im Alter von 42 Jahren.

Das mit dreihundert Zimmern ausgestattete Grand Hotel war genau zum richtigen Zeitpunkt fertig geworden. Es öffnete seine Tore fast gleichzeitig mit dem Musikverein und ein Jahr nach der benachbarten Hofoper. Die Hauptattraktion des vierstöckigen Hotelpalasts war aber der dampfbetriebene Aufzug. Über eine solche Annehmlichkeit verfügten damals nur die wenigsten Häuser.

Ein Fest im Grand Hotel für Johann Strauß

Im Grand Hotel verkehrte die große Welt der Ringstraßenzeit, die Hauskonzerte wurden von Eduard Strauß dirigiert, für dessen Bruder Johann hier aus Anlass seines fünfzigjährigen Bühnenjubiläums ein Galadiner gegeben wurde, zu dem Johannes Brahms und Großfürst Konstantin von Russland, ein Verehrer der Strauß’schen Musik, kamen.

Wann immer Mary das Palais Vetsera in der Salesianergasse verließ, erklärte sie ihrer Mutter, die Gräfin Larisch im Grand Hotel zu besuchen, wodurch der Nobelherberge in der fatalen Lovestory als falsche Spur eine zentrale Rolle zukam. Was natürlich niemand in ihrer Familie ahnen konnte, war, dass Josef Bratfisch, der Leibfiaker des Kronprinzen, mit seiner Kutsche am Hintereingang des Grand Hotels wartete und Mary von hier aus in die Hofburg zu dem von ihr angebeteten Rudolf führte. Das erste Treffen fand am 5. November 1888 statt.

Ihrer in Frankfurt am Main lebenden Vertrauten Hermine Tobis, die einst ihre Klavierlehrerin gewesen ist, schreibt Mary über diese Begegnung: »Heute bekommen Sie einen glückseligen Brief, denn ich war bei ihm. Marie Larisch nahm mich mit … und dann gingen wir hinter das Grand Hotel, wo uns Bratfisch erwartete. Wir hüllten unsere Gesichter fest in unsere Boas und fort ging’s in sausendem Galopp in die Burg. An einer kleinen eisernen Tür erwartete uns ein alter Diener, welcher uns über mehrere finstere Treppen und Zimmer führte, endlich vor einer Tür halt machte und uns eintreten ließ … Eine Stimme im Nebenzimmer rief: ›Bitte, meine Damen, weiter zu kommen, ich bin hier!‹ Wir gingen hinein, Marie stellte mich vor, und wir waren gleich in ein wienerisches Gespräch vertieft … Beim Fortgehen führte er (der Kronprinz, Anm.) uns selbst durch einen dunklen Saal und über eine Treppe und sagte zu Marie: ›Bringe sie mir bald wieder! Ich bitte!‹«


»Dann gingen wir hinter das Grand Hotel, wo uns Bratfisch erwartete«: Auf dem Weg zur ersten Begegnung mit Kronprinz Rudolf, beschrieben von Mary Vetsera

Zwanzigmal vom Grand Hotel in die Hofburg

Auf der Heimfahrt, wieder in Bratfischs Wagen, sagte Mary zur Gräfin Larisch: »Der Kronprinz war so anbetungswürdig, wie ich ihn mir vorgestellt.« Es folgten drei Monate voller Glück, viele heimliche Treffen, immer arrangiert und gedeckt von Marie Larisch. Treffpunkt war jedes Mal deren Appartement oder der Hintereingang des Grand Hotels. Bratfisch erklärte nach der Tragödie von Mayerling, Mary etwa zwanzigmal vom Grand Hotel abgeholt und in die Hofburg gebracht zu haben.

Der 13. Jänner 1889 war wohl ein ganz besonderer Tag, wie Mary am nächsten Morgen an Hermine Tobis schreibt: »Liebe Hermine, ich muss Ihnen heute ein Geständnis machen, über das Sie sehr böse sein werden. Ich war gestern von 7 bis 8 Uhr bei ihm. Wir haben beide den Kopf verloren. Jetzt gehören wir uns mit Leib und Seele an.«

»Ich muss alles tun, was er von mir verlangt«

Nach der Heimkehr ins elterliche Palais sagt Mary an diesem Abend zu ihrer Kammerzofe: »Ach, Agnes, es wäre viel besser gewesen, wenn ich heute nicht ausgegangen wäre.« Dennoch sei sie dem »Schicksal dankbar, denn nun gehöre ich nicht mehr mir selbst, sondern ihm ganz allein. Ab jetzt muss ich alles tun, was er von mir verlangt.«

Was ereignete sich an jenem 13. Januar 1889?

Es gibt Spekulationen darüber, was sich an jenem ominösen 13. Jänner – zwei Wochen vor der Tragödie von Mayerling – wirklich ereignete. Mit Sicherheit hatten die Geschehnisse dieses Tages für Mary und Rudolf weitreichende Folgen. Während einige Biografen meinen, damals sei es zum ersten intimen Kontakt zwischen Rudolf und Mary gekommen, glauben andere, an diesem Tag sei der Entschluss zum gemeinsamen Selbstmord gefasst worden. Der Grund für Rudolf war seine ihm unerträglich erscheinende Situation, und Mary Vetsera stimmte zu, weil sie den verheirateten Geliebten nicht für sich allein haben konnte.

Mehrere Stunden im Grand Hotel

Mehrere Stunden des 26. und des 27. Jänner hält sich das Paar in Marie Larischs Appartement im Grand Hotel auf. Wie »ernst« Rudolf die Affäre mit Mary Vetsera nahm, erkennt man daran, dass er die nun folgende Nacht bei seiner langjährigen Geliebten Mizzi Caspar in der Wiener Heumühlgasse verbrachte. Von hier aus lässt er sich am 28. Jänner frühmorgens in sein Jagdschloss Mayerling bei Wien führen. Die Gräfin Larisch holt Mary Vetsera indes gegen zehn Uhr einmal mehr vom Palais Vetsera ab. Diesmal nehmen sie nicht den Umweg übers Grand Hotel, sondern fahren direkt in die Hofburg, wo Bratfisch die Baronesse erwartet, um sie nach Mayerling zum Kronprinzen Rudolf zu bringen.

Am 30. Jänner 1889 hört Rudolfs Diener Johann Loschek knapp nach sechs Uhr früh aus dem Schlafzimmer des Kronprinzen zwei Schüsse, worauf er die versperrte Tür seines Herrn aufbricht. »Rudolf«, erinnert er sich später, »lag entseelt auf seinem Bett, neben ihm Vetsera und sein Armeerevolver. Beim ersten Anblick konnte man sehen, dass Rudolf zuerst Mary erschossen hat und dann sich.«


Treffpunkt Grand Hotel: Ein Fremdenzimmer der Nobelunterkunft an der Wiener Ringstraße

Das Grand Hotel war dazu ausersehen, Mary Vetseras Familie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen hinters Licht zu führen. Niemand sollte von ihrer geheimen Liebschaft wissen, die den größten Skandal bei Hof in der Geschichte der k. u. k. Monarchie auslösen sollte.

Seit 1994 erscheint das Grand Hotel wieder in seinem alten Glanz

Die oft als »Kupplerin« dieser Beziehung geschmähte Marie Larisch blieb auch nach Mayerling Stammgast im Grand Hotel. Das Gebäude am Kärntner Ring 9 wurde 1911 um die Nachbarhäuser 11 und 13 erweitert. Wie in vielen Nobelhotels wurde der Adel nach dem Untergang der Habsburgermonarchie auch hier von »Neureichen« und Künstlern abgelöst. In den 1920er-Jahren konnte man Schauspieler wie Heinz Rühmann und Emil Jannings und die »Nackttänzerin« Josephine Baker antreffen. In den ersten Jahren der Zweiten Republik wurde das Grand Hotel von den Sowjets besetzt, nach deren Abzug es kurz wieder als Hotel in Betrieb war – wie einst mit prominenter Kundschaft: Als 1958 in Wien der Film The Journey gedreht wurde, stiegen dessen Darsteller Deborah Kerr, Yul Brynner und Robert Morley im Grand Hotel ab.

Kaum war der Film fertig, sperrte das Hotel erneut zu, um für Jahrzehnte Büros der Internationalen Atomenergieagentur zu beherbergen. Erst seit 1994 erstrahlt das Grand Hotel in seinem alten Glanz wieder.

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