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»Das Rhythmusgefühl eines Nilpferds« Billy Wilder als Eintänzer im Berliner Eden-Hotel
ОглавлениеDas mondäne Hotel gibt es längst nicht mehr, sein Name bleibt jedoch durch zwei Ereignisse in Erinnerung, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Zum einen fielen im Berliner Eden die kommunistischen Parteiführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht einem Mordanschlag zum Opfer, zum anderen war der spätere Meisterregisseur Billy Wilder hier als Eintänzer tätig.
Billy Wilder (1906–2002), Reporter in Wien und Berlin, Hollywoodregisseur, mehrfacher Oscar- Preisträger
Beginnen wir mit der weit weniger dramatischen Geschichte. Billy Wilder, dessen Name damals noch Billie geschrieben und Wilder (wie das deutsche Wort »wild«) ausgesprochen wurde, war 1926 von Wien nach Berlin übersiedelt, weil er sich dort als Reporter spannendere Geschichten und höhere Honorare erhoffte.
Das mit den Honoraren blieb ein frommer Wunsch, da die Bezahlung als freier Mitarbeiter der BZ am Mittag so miserabel war, dass er sich auf die Suche nach einem Nebenjob begeben musste. Wenn er keine oder zu wenige Aufträge bekam, war Wilder zeitweise sogar gezwungen, in einem Berliner Bahnhofswartesaal zu übernachten.
In die Geschichte durch zwei Ereignisse eingegangen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: das Eden-Hotel in Berlin
Der Frühstücks-Trick im Romanischen Café
Das Frühstück beschaffte er sich dann mit folgendem Trick: »Wenn ich Hunger hatte, kam ich am Morgen ohne einen Pfennig in der Tasche ins Romanische Café und bestellte mir ein komplettes Frühstück. Das war reine Nervensache, denn wenn ich aufgegessen hatte, wusste ich, dass ich jetzt bis zwölf Uhr Mittag Zeit hätte. Bis dahin nämlich musste ein Freund oder zumindest ein Bekannter auftauchen, der sich anpumpen ließ. Um zwölf Uhr war Kellnerwechsel, und bis dahin musste man einfach bezahlt haben. Zwölf Uhr Mittag, High Noon – ich erlebte als Zwanzigjähriger im Romanischen Café die gleiche Spannung, wie sie Fred Zinnemann später in seinem Film erzeugt hat.«
In dieser erbärmlichen Lage traf Billy Wilder auf der Straße einen flüchtigen Bekannten namens Robert, der mit der Tanznummer Robert und Yvette seinen Lebensunterhalt einigermaßen bestreiten konnte. Als er ihm seine finanzielle Not schilderte, versprach Robert, dass er im Eden-Hotel in der Budapesterstraße ein gutes Wort für ihn einlegen würde.
Und tatsächlich, die Direktion fragte nicht lange nach Tanzkenntnissen und sonstiger Eignung und nahm Billie Wilder in den Eden-Pavillon als Eintänzer auf. Nach dieser eben erst erfundenen Berufsgruppe, auch Gigolos genannt, herrschte große Nachfrage.
Die Sehnsucht nach charmanter Tanzbegleitung
Mit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs war ein neues Zeitalter angebrochen, Berlin taumelte im Jazzfieber, die Rhythmen von Charleston, Shimmy und Foxtrott waren zu hören. Aber viele Frauen hatten im Krieg ihre Männer verloren und sehnten sich nach charmanter Tanzbegleitung. Diese wurde ihnen – gegen Bezahlung – in den Tanzclubs der Cafés, Bars und Hotels geboten, meist von ehemaligen Offizieren und Aristokraten mit tadellosem Benehmen, korrekter Kleidung, die noch aus besseren Tagen stammte, und erstklassigen Tanzkenntnissen.
All das traf auf Billy Wilder nicht zu, aber er machte auf der Tanzfläche dennoch eine passable Figur. Vom Vorschuss, den ihm das Eden-Hotel zahlte, löste er seinen Anzug aus der Pfandleihe, und schon konnte es losgehen.
»Ich habe den besseren Dialog«
Der Tanz stand im Mittelpunkt des Geforderten, war aber dennoch eher Nebensache, viel wichtiger waren launige Gespräche, geistreiche Diskussionen und schmeichelhafte Flirts, erinnerte sich Billy Wilder später: »Meine damaligen Kollegen waren vielleicht besser angezogen, sahen besser aus und tanzten auch besser. Ich aber hatte dennoch Erfolg: Ich hatte den besseren Dialog.« Auch nach Jahrzehnten konnte Billy Wilder noch ein Beispiel dafür zitieren:
So einer war Billy Wilder: Eintänzer beim Fünf-Uhr-Tee im Berliner Eden-Hotel
Man tanzt English Waltz. Langsam. Eng.
WILDER: Darf ich etwas Persönliches fragen?
SIE: Aber natürlich!
WILDER: Wissen Sie, woran Sie mich erinnern?
SIE: Nein.
WILDER: Ich wage es nicht zu sagen.
SIE: Wagen Sie es!
WILDER: An ein herrliches Soufflé.
SIE: Ein Soufflé?
WILDER: Von Engeln zubereitet. Auf einer Terrasse am Mittelmeer. Hauchzart und in der Mitte ein Klacks von göttlicher Konfitüre.
SIE: Sie machen mir Appetit.
Verständlich, dass die Dame wie ein Soufflé zerfloss.
»Herr Ober, bitte einen Tänzer«
»Geputzte Damen von zwanzig bis fünfzig«
»In den Wochen als Eintänzer hatte ich nie Hunger«, erinnerte er sich, als er längst schon ein weltberühmter Regisseur war. »Zum Vertrag gehörte, dass man mit den Kollegen ›wie ein Gast‹ im Hotel essen durfte.« Dennoch quittierte Wilder am 15. Dezember 1926, nach zweimonatiger Tätigkeit, seinen Dienst im Eden-Hotel, und im Jänner des darauf folgenden Jahres erschienen seine Gigolo-Erlebnisse unter dem Titel »Herr Ober, bitte einen Tänzer« als vierteilige Serie in der BZ am Mittag: »Ich bin wieder an der Arbeit, Tisch 91 … Ich tanze mit ganz Kleinen und mit Frauen, die zwei Köpfe höher sind als ich; mit Hübschen und mit weniger Reizvollen; mit ganz Schlanken und mit solchen, die Entfettungstee trinken; mit Damen, die den Kellner nach mir schicken und mit verzückt geschlossenen Augen den Tango auskosten; mit Gattinnen, mit Mondänen, die ein schwarzumrandetes Monokel tragen, und deren Kavaliere, des Tanzes selbst unkundig, mich verpflichten … Geputzte Damen von zwanzig bis fünfzig, eine Ältere im flaschengrünen Kleid, mit langem Hals und eigelben Haaren … Es ist nicht leicht, schwergewichtige Damen herumzuschwenken, die das Rhythmusgefühl eines Nilpferds haben. Es war ein dauernder Kampf. Ich tanzte Foxtrott, sie Polka. Der Modetanz jedoch heißt Charleston.«
Die »Arbeitszeit« im Eden-Pavillon verlief täglich von halb fünf bis sieben und von halb zehn bis eins. Nachmittags im dunklen Anzug und steifen Kragen, der täglich mit einem Radiergummi gesäubert wurde, abends im Smoking. Als Gage gab es fünf Mark plus Trinkgeld.
Als ich Billy Wilder sechzig Jahre später in Los Angeles traf, besaß er sein Dienstzeugnis aus dem Eden-Hotel immer noch: »Herr Billie Wilder war in unserem Haus vom 15. Oktober dieses Jahres bis heute als Gesellschaftstänzer tätig. Wilder hat es verstanden, in seiner Eigenschaft als Tänzer, sich dem verwöhnten Publikum in jeder Weise anzupassen. Herr Wilder hat sich auf seinem Posten gut bewährt und die Interessen des Hauses stets wahrgenommen. Herr Wilder scheidet aus eigenem Wunsch aus unserem Betriebe aus. Die Direktion des Hotels.«
Der Ehrenkodex der Gigolos
Billy Wilders Gigolo-Fertigkeiten schlugen sich später in Filmen wie Sunset Boulevard, Zeugin der Anklage, Reporter des Satans, Das Appartement und Irma La Douce nieder. In Manche mögen’s heiß bot er seinem Lieblingsschauspieler Jack Lemmon in eigener Erfahrung gesammelte Tanzschritte an.
Es gehörte zwar zum unausgesprochenen Ehrenkodex der Gigolos, den einsamen Herzen, den reichen Witwen oder den von ihren Ehemännern vernachlässigten Damen nicht allzu nahe zu kommen, es konnte aber durchaus passieren, dass die Kundinnen ausforschten, wie weit sie bei ihren Tanzpartnern gehen konnten. Auch diesbezüglich machte Billy Wilder seine Erfahrungen: »Mit einer schönen schwarzen Frau in kostbarem Hermelin, drunter ein Abendkleid, das wie ein Silberpanzer aussieht, eine Rose an der Hüfte. Sie hat mich an den Tisch befohlen: neun Gänge, eine Flasche Veuve Cliquot. Zwischendurch tanzen wir … Um zwei Uhr sagt sie: ›Wir gehen.‹ Ich soll sie heimbringen, weil sie allein ist. Meinetwegen, denke ich. Ein Taxi steht schon bereit. Wir steigen ein. Sie sagt zum Fahrer: ›Kantstraße‹. Ich bin nervös. Ich blicke durch das Seitenfenster auf die Lichtreklamen draußen, die der Novemberregen wäscht.
Drei Jahrzehnte, nachdem er als Eintänzer im Eden-Hotel tätig war, konnte Billy Wilder seine Tanzkenntnisse bei den Dreharbeiten zu Manche mögen’s heiß mit Jack Lemmon verwerten.
Kantstraße. Der Wagen hält. Ich helfe der Dame aus dem Auto. Das Taxi fährt davon. Sie öffnet die Haustür. Plötzlich aber dreht sie sich um, sieht mir in die Augen und fragt todernst: ›Wissen Sie, wer Kant war?‹
›Wer Kant war?‹ Die Gute. Ich will ihr die Pointe nicht verderben, für die sie 72 Mark bezahlt hat, ohne die Autospesen. Ich antworte: ›Gewiss, Gnädigste, ein Schweizer Nationalheld.‹
Zwei Attentate im Berliner Eden-Hotel
Sie verzieht den Mund, hebt die Hand und streichelt meine Wange, wie einem armen Kinde. Dann tritt sie ins Haus und versperrt die Tür hinter sich. Ich stelle den Mantelkragen hoch und gehe die Straße hinunter.«
Billie Wilder ist noch einmal davongekommen.
Das in den Jahren 1911/12 errichtete Eden zählte neben dem Adlon zu den elegantesten Hotels der Stadt, dessen Bar die Berliner Künstlerelite anzog. Im Eden trafen sich auf einen Drink die Schriftsteller Heinrich Mann, Erich Maria Remarque und Jakob Wassermann, die Schauspieler Gustaf Gründgens, Albert Bassermann und der Maler Max Beckmann.
Karl Liebknecht (1871–1919), deutscher Politiker, Abgeordneter des Reichstags
Gerade in seiner Blütezeit gelangte das Hotel zu trauriger Berühmtheit. Am 15. Jänner 1919 wurden die kommunistischen Parteiführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von der »Wilmersdorfer Bürgerwehr« verhaftet und ins Eden-Hotel verschleppt, in dem sich damals das Hauptquartier der »Garde-Kavallerie-Schützen-Division« befand. Um 22 Uhr fiel hier die Entscheidung, die beiden politischen Gefangenen ohne jede Anklage zu töten.
Nachdem man ihn im Eden-Hotel verhört und stundenlang misshandelt hatte, wurde Liebknecht durch den Schlag eines Gewehrkolbens so schwer verletzt, dass er das Bewusstsein verlor. Er wurde zum nahe gelegenen Tiergarten gebracht und dort aus nächster Nähe von hinten erschossen.
Rosa Luxemburg (1871–1919), deutsche Journalistin und Politikerin
Rosa Luxemburg wurde ebenfalls misshandelt, vor dem Eden-Hotel in ein Auto gezerrt und nach wenigen Metern Fahrt von einem am Trittbrett stehenden Leutnant erschossen. Von Seiten der Regierung wurde später erklärt, Liebknecht sei »auf der Flucht erschossen« und Luxemburg »von der Menge getötet« worden. In keinem der Fälle kam es zu einer Anklage oder gar einem Urteil.
Ins Eden-Hotel verschleppt und danach ermordet: die kommunistischen Parteiführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Als Billy Wilder als Eintänzer im Eden-Hotel arbeitete, waren seit Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Tod gerade erst sieben Jahre vergangen. Wilder war als Reporter in Wien und Berlin ein politischer Kopf und hatte natürlich vom Blut, das an seinem »Arbeitsplatz« geflossen war, gewusst. In seinen Erinnerungen an die Zeit als Gigolo hat er den »Tatort« Eden jedoch nicht erwähnt.
Der »Tatort« Eden wird nicht erwähnt
Teile des Hotelpalasts wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, die Reste in den Jahren 1951 bis 1958 abgetragen.