Читать книгу Herr Bernstein reist zum Äquator - Georg Pelzer - Страница 10

Ein Maleratelier,
5. September, 14.30 Uhr
(Tape 1)

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Das macht mir gar nichts, klar können Sie unser Gespräch aufnehmen. Ich hab nicht erwartet, dass Sie hier mit einem Stenoblock antreten. Wie viele Frauen interviewen Sie denn für Ihr Dossier?

Na ja, Trennung ist ja auch kein Thema, mit dem man unbedingt in die Öffentlichkeit will. Aber ich hab da gar keine Hemmungen. Fotos sind auch in Ordnung, am besten hier im Atelier. Sie fotografieren doch nicht etwa selber, oder?

Schön, in drei Wochen. Das würde mir passen. Der Fotografkann sich dann hier ja alles so arrangieren, wie er’s braucht. Schlagen Sie ihm doch vor, mich bei der Arbeit zu zeigen. Apropos: Sind Sie einverstanden, wenn ich weiterarbeite, während Sie mir Ihre Fragen stellen? Wissen Sie, nächste Woche kommt ein ziemlich vermögender Kunstsammler ins Atelier. Er will sich meine Bilder ansehen, und vielleicht kauft er ja das eine oder andere. Bis dahin bleibt noch viel zu tun. Ich werde wahrscheinlich Tag und Nacht durcharbeiten. Picasso hat mal gesagt, dass Arbeit für ihn Atmen bedeute, und wenn er nicht arbeiten könne, sei für ihn auch kein Atmen möglich. Na ja, manchmal sollte man eben nicht nur atmen und arbeiten, sondern auch schlafen. Aber machen Sie sich keine Gedanken, wir können uns problemlos unterhalten. Ich mache immer zwei oder drei Sachen auf einmal. Passen Sie ein bisschen wegen der Farbe auf, Sie ruinieren sich sonst noch Ihr Kleid. Legen Sie doch dieses Leinentuch hier auf den Stuhl dort, damit Sie nicht die ganze Zeit stehen müssen. Also, schießen Sie los mit Ihren Fragen!

Tja, wie habe ich es erfahren – wenn ich mich recht erinnere, habe ich es gerochen, im wahrsten Sinne des Wortes. Tom, also mein Mann, ist eines Nachts sehr spät nach Hause gekommen, eigentlich war es schon fast Morgen. Er hat sich still und leise zu mir ins Bett geschlichen und penetrant nach einer anderen Frau gerochen. Seine Haare, sein Gesicht, roch alles richtig schön nach ... na ja, Sie wissen schon. War übrigens nicht das erste Mal, dass ich Wind davon bekommen habe, dass er mit anderen Frauen schläft. Aber es war das erste Mal, dass er nicht versucht hat, es geheim zu halten. Auf einmal war ihm aus irgendeinem Grund total wurscht, ob ich seine Seitensprünge mitkriege oder nicht. Kämen Sie da nicht auch ins Grübeln? Irgendwie war etwas durcheinander geraten. Irgendein tragendes Teil unseres Ehegerüsts eingebrochen. Und dass Tom einfach nur leichtsinnig war, daran hab ich nicht geglaubt, das war kalkuliert, da bin ich mir ganz sicher. Das war das Ende aller Heimlichkeiten und damit der Anfang vom Ende.

Nein, hab ich nicht. Ich glaube, er wollte nur provozieren, dass ich ihn drauf anspreche. Aber den Gefallen hab ich ihm nicht getan.

Doch, ich hab reagiert. Aber anders halt. Hab eine kleine Inszenierung veranstaltet. Wie ich auf die Idee gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr so genau. War wohl ein spontaner Einfall. Ich saß in einem Café und beobachtete einen Kellner, einen wirklich hübschen Bengel. Michelangelo muss ihn vorausgeahnt haben, als er aus einem Marmorblock seinen David herausgehauen hat. Wie soll ich ihn beschreiben – er ist einer von diesen Typen, die dich ansehen und dir ohne ein Wort die Welt versprechen. Dir vorgaukeln, sie wären das größte Glück, das dir in deinem ganzen Leben jemals passieren könnte. Blicke, die du mit zwanzig noch glaubst, auf die du mit dreißig nur noch reinfällst, wenn du sehr naiv bist. Mit vierzig findest du sie dann doch sehr albern. Und mit fünfzig entlocken sie dir wahrscheinlich wieder ein stilles Seufzen, wie ein ferner Gruß aus deiner Jugend, oder so.

Das war eine prima Performance, ganz sympathische Ausstrahlung. Der Kerl schien sich selbst gar nicht so ganz ernst zu nehmen. Und um mich herum? Verschämte Sehnsuchtsblicke, affektiertes Gelächter, offenherzige Dekolletés. Das ist hier ein bisschen wie in der Comedy-Show, dachte ich, nur merken hier einige nicht, dass sie nicht im Publikum, sondern mitten auf der Bühne sitzen. Falls ich mal beabsichtigen sollte, eine Kneipe für Frauen oder so was aufzumachen, würde ich den Burschen sofort einstellen und fürstlich bezahlen.

Apropos. Als er mir die Rechnung gebracht hat, hab ich ihm einen großen Schein hingelegt. Er hat nachdenklich mit den Fingerkuppen drauf herumgetrommelt. Hat mir mit nachgemachtem italienischen Akzent und tiefgründigem Augenaufschlag erklärt, dass er den Schein erst an der Kasse wechseln müsse.

Nein, sage ich, den musst du nicht wechseln, mein Junge, der gehört dir.

Er beugt sich ein bisschen zu mir runter und fragt in unauffälliger Lautstärke, was er dafür tun müsse.

Nur ein bisschen weiter schauspielern, sage ich, darin hast du ja Übung, und wenn du deine Sache gut machst, kriegst du das Gleiche noch mal.

Er hat mir ganz diskret seine Handynummer zugespielt, aber leider nicht diskret genug. Gift sprühende Blicke von allen Seiten, der arme Kerl stand regelrecht unter Bewachung.

Später hab ich ihn angerufen und ihm seinen Job erklärt. Er war prompt einverstanden. Ist mir ein Vergnügen, ein großes sogar, meinte er, und zwei Tage später klingelt bei uns abends wie verabredet das Telefon.

Tom geht ran, für dich, sagt er und sieht mich fragend an. Ich gehe mit dem Telefon ins Nebenzimmer, mache die Tür zu, bis auf einen Spaltbreit. Damit man lauschen kann, wenn man sich anstrengt. Das geht eine halbe Stunde so, und zum Abschied sage ich noch was ganz besonders Nettes. Aber da ist mein David längst nicht mehr am Apparat. Wir hatten abgesprochen, dass er auflegen könne, sobald ich mich melden würde.

Nein, das war nicht schwer, ich hab mir währenddessen einfach diesen Geruch in Erinnerung gerufen, mit dem Tom nach Hause gekommen war, das hat sehr beflügelt.

Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen. Aber ich glaub schon, dass Tom mitgehört hat. Und bei den nächsten Anrufen wohl auch.

Vier-, fünfmal, dann kam die nächste Stufe. Ein scheinbar achtlos liegen gelassener Zettel in der Küche, eine flüchtig draufgekritzelte Uhrzeit und ein Treffpunkt, sonst nichts. Tja, und dann bin ich mit meinem David Hand in Hand durch einen Park. Wir haben uns angeregt unterhalten, oder zumindest so getan, eine vernünftige Unterhaltung war nämlich nicht drin. Er hat mir die ganze Zeit irgendeinen Stuss über Humphrey Bogart erzählt, den ich nicht wissen wollte, aber egal. Hauptsache quatschen.

Hör nicht auf zu reden, sage ich zu ihm, und wunder dich nicht, wenn ich jetzt mal für eine Minute meinen Kopf an deine Schulter lege. Umgedreht hab ich mich natürlich nicht. Obwohl es mich ziemlich gejuckt hat, muss ich gestehen.

Mach nur, sagt er und riecht verdammt gut, irgendein nicht gerade billiges Herrenparfüm. Er redet und redet, Sabrina sei übrigens der beste Film, in dem Bogart mitgespielt habe, nicht etwa Casablanca, wie die meisten fälschlicherweise glauben würden. Hinter uns in einiger Entfernung hin und wieder mal ein Knacken, manchmal Schritte. Und dann bleibt der Kerl auf einmal stehen und küsst mich. Und es ist gar nicht mal schlecht.

Nein, das war nicht abgesprochen. Im ersten Moment wollte ich noch protestieren, aber dann dachte ich, ach, warum denn nicht? Passt doch wunderbar in die Show hier, und im Preis inbegriffen ist es auch.

Das war übrigens ein Rhett-Butler-küsst-Scarlett-O’Hara-Kuss, hat er anschließend gesagt.

Nichts da, das war kein Filmkuss, es war ein echter, und merkwürdigerweise hab ich Tom dabei komplett vergessen. Na ja, so gut wie, in dem Moment jedenfalls. Ich weiß bis heute nicht hundertprozentig, ob er uns gesehen hat oder nicht. Ich konnte ihn ja schließlich schlecht danach fragen. Er hat sich jedenfalls nichts anmerken lassen. Später, als mein David sein Geld kassierte, da hatte ich so ein – wie soll ich sagen – ein unanständiges Gefühl dabei. Nicht so sehr, weil ich Tom ein Verhältnis vorgegaukelt hab, sondern weil ich einen Kerl irgendwie auch dafür bezahlt habe, dass er mich küsst. Obwohl das nicht zu den Auftragsbedingungen gehört hatte.

Ja, was ist das für ein Foto? Das wüsste ich auch gern! Lag heute Morgen im Briefkasten. Hat mir ein alter Bekannter geschickt. Übrigens auch ein Kerl, der drauf und dran ist, seine Frau zu verlassen. Hätte ich ihm im Leben nicht zugetraut. Ich kann Ihnen ja die Adresse von seiner Frau geben, ist eine gute Freundin von mir. Die können Sie dann ja auch noch für Ihr Dossier interviewen.

Nicht nötig? Ja, dann.

Doch, ich hab eine Idee, warum man nichts drauf sieht. Wissen Sie was? Wenn Sie das nächste Mal kommen, erklär ich’s Ihnen, okay? Ich hab die letzten Minuten doch ein bisschen zu wenig geatmet und gearbeitet. Und zu viel geredet.

Herr Bernstein reist zum Äquator

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