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Ein gut besuchtes Café,
4. September, 16.20 Uhr
(Gedächtnisprotokoll 1 )

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Ja, ich bin es, entschuldigen Sie die Verspätung, aber ich bin noch aufgehalten worden. Im Schwimmbad gab es einen kleinen Unfall. Nichts Dramatisches, außer Schürfwunden nichts passiert. War sicher schwierig, den Platz hier zu verteidigen, oder?

Wo sind Sie meinem Mann eigentlich genau begegnet?

Und in welcher Verfassung war er?

Na ja, das klingt ja einigermaßen beruhigend.

Doch, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Einen einzigen Satz ist er losgeworden, mehr nicht. Haben Sie das Foto mitgebracht?

(Hannah schaut es lange an)

Nein, das sagt mir nichts. Ein unbesetzter Tisch mit zwei benutzten Kaffeetassen. Damals. Das Wort hilft mir als Erklärung auch nicht weiter. Ich wüsste nicht, dass wir einmal an diesem Tisch gesessen und Kaffee getrunken hätten. Wissen Sie nicht, wo er es aufgenommen hat?

Auf einer Bergstation? Seltsam, wir waren nie in den Bergen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, was ihn da hinziehen sollte. Er leidet nämlich unter Höhenangst. Und unter Flugangst. Das sind Einschränkungen, die ziemlich viele Reiseziele von vornherein ausschließen.

Inwiefern haben Sie eine andere Vorstellung von mir gehabt? Hat er Ihnen etwa von mir erzählt?

Was denn?

Von unserer Hochzeit? Ausgerechnet! Das Wort ist viel zu schade für das, was damals stattgefunden hat. Das war eine fürchterlich armselige Angelegenheit.

Im Grunde, weil wir eigentlich gar nicht heiraten wollten, aber es blieb uns nichts anderes übrig. Wirtschaftlich gesehen. Wir sind mit den allerschäbigsten Klamotten ins Standesamt gegangen, nicht, weil wir nichts Besseres hatten, sondern als äußeres Zeichen unseres inneren Protests. Ein Ausdruck unserer Verachtung gegenüber der Ehe als staatlich erwünschter Lebensgemeinschaft. Der arme Standesbeamte tut mir heute noch Leid. Und unsere Trauzeugen haben uns lediglich einen Gefallen getan, waren nämlich genauso wie wir gegen die Institution Ehe eingestellt. Grotesk, nicht?

Weil ich schwanger war.

Von Nellie hat er Ihnen auch erzählt?

Sie ist immer noch in Amerika. Seit über einem Jahr inzwischen. Sie wird ihr Studium wahrscheinlich dort zu Ende bringen, und ob sie überhaupt noch einmal zurückkommt, steht in den Sternen.

Ja, es gab so eine Art Heiratsantrag. Schriftlich. Mit einer unschlagbaren Überschrift: Zehn gute Gründe, mich zu heiraten, zehn schlechte Argumente, es zu lassen. An die Einzelheiten kann ich mich nicht mehr genau erinnern, nur an einige Schlüpfrigkeiten, die ich damals witzig fand. Es war kein sehr ernst gemeinter Heiratsantrag gewesen, sonst hätte ich ihn vielleicht aufgehoben.

Weil die Entscheidung längst gefallen war. Aus rein praktischen Erwägungen. Die Schwangerschaft war alles andere als geplant gewesen. Hochzeitsfeierlichkeiten fanden nicht statt. Geld hatten wir keins, Bernstein hat uns mit kleineren Jobs über Wasser gehalten. Er weigerte sich, seine Eltern um Geld zu bitten, obwohl die weiß Gott genug davon hatten und ihn sicher ohne viel Aufhebens unterstützt hätten. Aber Bernstein missfiel die Art, wie sein Vater sein Geld vermehrte. Und ich muss zugeben, ich habe ihn für seinen Stolz damals ziemlich bewundert. Obwohl der uns das Leben eine Zeit lang recht schwer gemacht hat.

Unsere Trauzeugen haben dann ebenfalls geheiratet, zwei, drei Jahre später. Die beiden sind sich zwar von Anfang an ständig ins Wort gefallen, aber irgendwie haben sie sich prächtig verstanden. Na ja, und inzwischen sind sie getrennt.

Wie, das hat er Ihnen auch erzählt? Sie scheinen ja rasch sein Vertrauen gewonnen zu haben.

Doch, der Eindruck stimmt, ich bin der ausgeglichene Typ. Mich bringt so schnell nichts aus der Fassung, vielleicht hat das mit dem Schwimmen zu tun. Meine Freundin Clara wundert sich, dass ich mich noch nicht in Wasser aufgelöst habe, so viel, wie ich in der Schwimmhalle bin. Aber ich stehe ja auch oft nur am Beckenrand und leite Trainingsgruppen an. Und wenn ich schwimme, genieße ich es mittlerweile nur noch. Schließlich habe ich keinerlei sportliche Ambitionen mehr. Vor allem genieße ich dieses Gefühl des Getragenwerdens. Es ist merkwürdig, aber früher zu Wettkampfzeiten habe ich es ganz anders erlebt. Da war das Wasser im Schwimmbecken ein feindliches Element, das ich bezwingen musste. Heute ist es eine Art Freund, auf den man sich verlassen kann. Immer die gleiche Temperatur, immer die gleiche Konsistenz, sogar der Geruch ist immer der gleiche. Es bleibt dir in seinen Eigenschaften gewissermaßen treu.

Ja, natürlich habe ich darüber nachgedacht, was nun passieren wird. Aber ganz gleich, welchen Entschluss er fasst, so wie gehabt wird es nicht weitergehen. Etwas anderes: Mir fällt gerade ein, wie das Foto gemeint sein könnte. Es gibt ein anderes Foto, auf dem auch eine Kaffeetasse zu sehen ist, gut möglich, dass er sich darauf bezieht.

Herr Bernstein reist zum Äquator

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